Was geschah im Januar 1908?

 In 1908, Was geschah vor 110 Jahren, Zeitgeschehen

Ein Bobsleigh für einen Kronprinz

Das Jahr 1908 begann begann rutschig – zumindest für den deutschen Kronprinzen und seine Frau Cecilie und zwar bei einer „ Bobsleighfahrt (Rodelfahrt) in St. Moritz, Schweiz“ – so die Originalunterschrift unter dem Foto. Denglisch gab es also schon damals, aber wenigstens mit Übersetzung in Klammern.

Aber zurück zum Kronprinzen, der nie Kaiser wurde. Als potentieller Thronfolger stand der älteste der sechs Söhne von Kaiser Wilhelm II. besonders im Fokus. Ob er nun –wie hier- Schlitten fuhr, bei der Jagd war oder ein Denkmal einweihte, es wurde in den einschlägigen Blättern und Zeitungen berichtet.

Wahlrecht I: Eine Demo in Berlin

Währenddessen wurde in Berlin demonstriert – für eine Änderung des preußischen Landtags-Wahlrechts. Im Juni 1908 wurde waren nämlich in Preußen Landtagswahlen angesagt. War das allgemeine deutsche Wahlrecht für damalige Zeiten fortschrittlich, alle Männer über 25 Jahre waren wahlberechtigt, so gab es in den einzelnen Bundesstaaten noch ganz unterschiedliche Wahlverfahren. Diese waren teilweise veraltet und durch die unterschiedliche Gewichtung von Stimmen ungerecht. Zu den wahltechnisch rückschrittlichen Ländern gehörte Preußen mit seinem Dreiklassenwahlrecht.

Je nach Steueraufkommen wurde man in Klasse 1 (höchste), 2 oder 3 eingeordnet. Die Höhe der Steuern konnte, je nach Einkommen der in den einzelnen Wahlbezirken Lebenden (Männern) höchst unterschiedlich sein. So passierte es, dass z.B. der amtierende Reichskanzler Fürst von Bühlow 1903 in der 3. Klasse wählte – da er in einem Bezirk mit sehr hohen Einkommen und demzufolge auch Steueraufkommen lebte. Schon damals gehörten Kanzler also nicht zu den Bestverdienern.

Zur 3. Klasse gehörten 1908 ca. 82% der Wähler, zur 2. Klasse ca. 12% und die verbleibenden 6 % zur 1. Klasse. Jede Klasse wählte in ihrem Wahlbezirk in öffentlicher Wahl bis zu zwei Wahlmänner. Das Wahlrecht bedingte also, dass wenige Wähler mit hohem Einkommen mehr Einfluss auf die Wahl der Wahlmänner hatten, welche dann die Abgeordneten wählten, als die große Zahl der Menschen mit geringerem Einkommen bzw. Steueraufkommen, welche zusammen die gleiche Anzahl an Wahlmännern wählte. So wurden die Interessen der Wähler mit niedrigem Steueraufkommen nicht adäquat vertreten – das traf insbesondere die SPD als Partei dieser Wählerschaft, welche im Landtag folglich unterproportional repräsentiert war, jedoch 2008 immerhin zum ersten Mal in den preußischen Landtag einziehen konnte.

Auf dem Bild wird der Wagen des damaligen Kanzlers von Bühlow (mit einem winzigen Kreuz gekennzeichnet) von Demonstranten umringt.

„Bei den stattgehabten Demonstrationen kam es zu einem Zusammenstoß zwischen der Polizei und den der Berliner Bevölkerung. Bisher sind 30 Verwundungen aus dem Publikum zur amtlichen Kenntnis gelangt Von der Schutzmannschaft wurde ein berittener Offizier und drei Schutzleute verletzt“

heißt es u.a. im Originaltext unter dem Bild.

Übrigens nützten die Demonstrationen nicht wirklich etwas – die Politik versprach zwar Änderungen, praktisch passierte aber nichts. Erst nach dem Untergang der preußischen Monarchie 1918 wurde das Dreiklassenwahlrecht abgeschafft. Diesen Artikel gibt es zum (ähnlich rückschrittlichen) sächsischem Wahlrecht.

Neuer Polizeipräsident mit Freibaderfahrung

Pikanterweise wird in der gleichen Ausgabe auf der Folgeseite der neue Polizeipräsident von Berlin mit Namen „von Stubenrauch“ vorgestellt. Im Text dazu wird der entschlossen blickende Herr für den Bau des Teltow-Kanals und die Erbauung des „in aller Welt bekannte Freibad am Wannsee“ gerühmt. Diese Taten berechtigen „seine Berufung auf einen so wichtigen und verantwortlichen Posten“.

Im letzten Satz heißt es über seinen Vorgänger: „Polizeipräsident von Borris legte sein Amt nieder, da es zu aufreibend ist, zumal jetzt, wo die bevorstehenden politischen Kämpfe um das Landtagswahlrecht ernste Konflikte befürchten lassen“.

Wenigstens war der Vorgänger ehrlich!

Wahlrecht II: Suffragetten stürmen Downing Street No. 10

Und wir bleiben noch mal beim Thema Wahlrecht mit einer Meldung aus England: „Vom Sturm der englischen Frauenrechtlerinnen auf das Palais des englischen Premierministers in London“ war das folgende Bild untertitelt mit diesem weiteren Text: „Mrs. Drummond, die Hauptanführerin im Kampfe der englischen Frauen um das Frauenstimmrecht, wird von Polizisten verhaftet, nachdem sie mit Gewalt von dem Eisengitter losgelöst worden war, an das sie sich selbst angekettet hatte.

 Und hier auch der Originaltext des Artikels dazu:

„Es gibt unter den englischen Frauenrechtlerinnen eine radikale Gruppe, deren wenig weibliches, provozierendes Vorgehen im berechtigten Kampfe um das Frauenstimmrecht von einem großen Teil der Frauen aller Stände durchaus nicht gebilligt wird.

Schon öfters haben diese allzu lebhaften Frauen von sich reden gemacht. Jetzt haben sie durch einen fanatischen Sturmlauf auf das Palais des Ministerpräsidenten Campell-Bannerman, in dem gerade ein Kabinettsrat tagte, ihrem Unmut Ausdruck gegeben. Als der heftigste Gegner des Frauenstimmrechts, Schatzkanzler Asquith, vor dem Palais vorfuhr, stürzten ihm die Frauen mit lautem Schreien in das Palais nach, von wo sie nur mit Mühe zurückgedrängt werden konnten, denn verschiedene hatten sich mit besonders dazu mitgebrachten Stahlketten mit Vorhängeschlössern an die Gitter und Pfosten angekettet! Fünf dieser standhaften Frauen wurden verhaftet und zur Stellung einer Kaution für gutes Betragen während der nächsten sechs Monate oder bei Verweigerung einer Kaution zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt. Die Verurteilten zogen mit großer Selbstverleugnung sämtlich die Gefängnisstrafe vor.“

Die Adresse des Palais war und ist übrigens: Downing Street No. 10.

Mrs. Flora Drummond, wie sie mit vollen Namen hieß, war eine aktive Kämpferin der Suffragetten-Bewegung. Ihr Spitzname war „Der General“, weil sie bei Aktionen gerne in einer Art Uniform zu Pferde auflief. Zusammen kämpfte sie mit Emmiline Pankhurst, der Gründerin der WSPU (Women’s Social and Political Union), deren Tochter Christabel und weiteren Frauen mit teilweise radikalen und spektakulären Aktionen für mehr Frauenrechte. So schlüpfte sie schon 1906 durch die Tür von Downing Street No. 10, während ihre Mitstreiterin gerade für ihr Klopfen an besagter Tür verhaftet wurde. Später im Jahre 1908 charterte sie ein Boot, fuhr damit über die Themse zum Palace of Westminster, dem Tagungsort des britischen Parlaments, und „belästigte“ die Regierungsmitglieder, welche gerade auf der flußseitigen Terrasse entspannten mit ihren Forderungen. Während ihrer aktiven Suffragetten-Zeit wurde sie insgesamt neun Mal inhaftiert.

Zu diesem Thema gibt es übrigens auch einen Hollywood-Film – der Titel: „Suffragette“ (2015). Meryl Streep spielt darin die Anführerin Emmiline Pankhurst. Wer mehr über Emmiline erfahren möchte, kann z.B. diesen Artikel dazu lesen.

Und wann bekamen Frauen nun das Wahlrecht? Es sollte noch einige Jahre dauern.

In England durften ab 1918 zunächst nur die Frauen mit Besitz bzw. die Ehefrauen von Männern mit Besitz (die das kommunale Wahlrecht besaßen) wählen und erst ab 1928 wurde ein allgemeines Wahlrecht für Frauen eingeführt.

In Deutschland durften Frauen ab 1919 wählen. Die ersten Länder, die ein Wahlrecht für Frauen einführten, waren als Vorreiter die skandinavischen Länder, mit Finnland 1906, Norwegen 1913 und Dänemark 1915.

Frisur des Jahres 1908

Kommen wir zum unterhaltsamen Teil der Nachrichten: So sah die Frisur des Jahres 1908 aus – hier der Originaltext zum Bild:

Bei der von der Genossenschaft der Friseure in Wien veranstalteten Aufstellung von Modefrisuren, die mit einem Wettbewerb verbunden war, wurde das vorstehende Modell mit dem ersten Preis gekrönt und zur Modefrisur des Jahres 1908 erhoben.

Wilhelm Busch gestorben

Und eine letzte Nachricht aus dem Januar 1908. Wilhelm Busch starb am 9. Januar im Alter von 76 Jahren in Mechtshausen bei Hannover. Als „genialster deutscher Humorist, dessen Humor noch vielen Generationen eine Quelle ungetrübter Heiterkeit bleiben wird“ (was vorausschauend war) und „Schöpfer des unsterblichen „Max und Moritz“ wird er in einem Nachruf mit Bild gewürdigt – später im Monat erscheint noch ein Bild von seiner Beisetzung.

Für alle, die interessiert, was in den folgenden Monaten des Jahres 1908 passierte sowie in den Jahren 1909 und 1911, einfach den Links folgen.

 

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Zeige 2 Kommentare
  • Agnes
    Antworten

    Liebe Grete,
    ich finde die Idee „Was geschah vor 110 Jahren?“ wunderbar! Es ist doch eigentlich noch gar nicht so lange her…- ich erinnere mich noch an die Erzählungen meiner Omi; sie jubelte als kleines Mädchen dem Kaiser zu…Gerade die verschiedenen Themen machen die Lektüre unterhaltsam und interessant. Es ist zudem eine sehr gute Idee, die Situation Deutschlands mit der in anderen europ. Ländern zu vergleichen…(siehe englischen Suffragetten). Weiter so!
    Liebe Grüsse von
    Agnes

    • Grete Otto
      Antworten

      Liebe Agnes,
      vielen Dank für Dein positives Feedback. Ja, sooo lange ist die Zeit dann doch nicht her! Auch mein Grossvater wußte noch eine Geschichte aus dieser Zeit zu erzählen, in welcher der Kaiser – zumindest mittelbar- eine Rolle spielte. Als mein Großvater in der ersten Klasse war (ca. 1913) bekam am Geburtstag des Kaisers -sozusagen im Namen des Kaisers- jedes Kind eine Tafel Schokolade. Er war der Letzte in der Reihe und genau vor ihm war die Schokolade alle! Er war tief betrübt und dieser Vorfall ist ihm so im Gedächtnis geblieben, daß er noch im Alter gerne davon erzählte…
      Herzlichst

      Grete

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