Reise in die Belle Epoque – ein Erlebnisbericht

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Inzwischen

war ich einige Male in Kandersteg, habe dort Vorträge zur Rolle der Frauen und Mode gehalten und immer wieder das Treffen mit Gleichgesinnten, das Flair des Ortes, die tolle Winterlandschaft und die zahlreichen Veranstaltungen genossen. Hier ein kleiner Bildüberblick mit Impressionen von den vergangenen Jahren:

Erlebnisbericht 2019

Als ich im letzten Herbst zufällig im Internet auf die Belle Epoque Woche stieß, die im schweizerischen Kandersteg stattfindet, war ich gleich begeistert. Ist es doch meine Bürgerleben-Zeit! Da muß ich dabei sein! Zusammen mit meinem Mann machen wir uns für ein verlängertes Wochenende auf nach Kandersteg. Ich bin auf der einen Seite sehr gespannt, auf der anderen Seite auch etwas skeptisch – zugegeben! Ist es doch schwer, eine Zeit wiederaufleben zu lassen.

Als wir (neumodisch per Auto) ins verschneite Dorf einfahren, sehen wir schon die ersten Damen und Herren der Epoche die Dorfstraße entlang flanieren. Fast alle mit Hut, die Damen in langen Kleidern, viele standesgemäß mit Pelz. Oh je, ich habe zwar ein passendes Belle Epoque Kleid, mit, aber kein standesgemäßes Outfit für „drüber“! Tatsächlich werde ich mit meinen Skianorak über dem langen Kostüm etwas „aus der Reihe“ fallen. Jedoch gibt es natürlich auch Besucher ganz in zivil, also ohne Kostüme, die die Stimmung genießen.
Auch wir spazieren nach unserer Ankunft erstmal in zivil durch’s Dorf, was tatsächlich aus der Zeit stammen könnte mit dem „Belle Epoque“-Hotel Victoria und weiteren Hotels aus der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts mit ursprünglichen Schweizer Holzhäusern dazwischen. Zeitlos schön ist die Bergkulisse um den Ort, von der Sonne angestrahlt!

Obwohl sonnig, ist es winterlich kalt. Wir stärken uns an der Natureisbahn, an der man sich kostenlos historische Schlittschuhe ausleihen kann, in der aufgebauten „Bar Magique“ mit einem Glühwein.
Nach dem winterlichen Spaziergang ist abends Fondue im Gasthaus Ritter angesagt – schweizerischer geht es nicht mehr! Wir werden an eine Tafel mit anderen Belle Epoque Gästen gesetzt – das ist ja fast wie der „table d’hote“ in denen Hotel-Gäste zu dieser Zeit damals tafelten – in diesem Artikel erfährt man mehr darüber.
Neben mir sitzt Barbara – die Tanzmeisterin. Barbara kennt sich mit historischen Tänzen aus – in ihrer eigenen Tanzschule Tanzsalon gibt sie auch Kurse – ihre Lieblingstänze aus dieser Zeit sind Walzer , Polka und -für mich überraschend: Tango. Sie erzählt, Tango wurde in Europa schon ab 1905 getanzt! Historische Touren-Tänze, die damals beliebt waren, wie die Quadrille, bei denen mehrere Tänzer zusammen richtige Figuren tanzen (ähnlich wie dem heute bekannteren Square Dance) sind aufwändiger zu lernen und heute -sogar bei den Fans der Belle Epoque- nicht mehr so gefragt.

Tatsächlich heißt es im Benimmbuch „Der gute Ton“ von 1908 „Der jetzt beliebteste Tanz ist der Walzer“, auch Polka wird genannt, jedoch vor einem „rohen Durcheinander“ gewarnt, aber „Von guten Tänzern ausgeführt, ist die Polka ein sehr hübscher und gefälliger Tanz…“.

Leider ist der Anfänger Kurs schon vorbei und an den nächsten Tagen gibt es vormittags nur noch Kurse für Fortgeschrittene – was wir definitiv nicht sind! Barbara beruhigt mich, das wäre vom letztjährigen Programm so übernommen worden, in ihren Kurs könne jeder kommen.
Das Barbara eine humorvolle und versierte Tanzlehrerin ist, werden mein Mann und ich später noch selbst beim Tanzkurs erfahren.

Auch am Tisch – Ursi und Peter, beide sehr stilecht gekleidet. Als wir ins Gespräch kommen, erzählen sie uns, dass sie im Verein „Plaisir d’Historie“ aktiv sind und inzwischen schon einen umfangreichen Kostümfundus haben – sie lieben nicht nur die Belle Epoque Zeit, sondern auch die Mode der amerikanischen „Old West“-Kleider ab 1850 – oft waren es ja auch deutsche oder Schweizer Auswanderer, z.B. die Amish People. In jeden Fall sind wir in eine nette Runde geraten und so fällt uns der Start im Kostüm am nächsten Morgen leicht! Obwohl es sich mit langem Rock und Unterkleid doch anders läuft – einfach ungewohnt.

Um etwas mehr über die Hintergründe der Woche zu erfahren, treffe ich Doris Wandfluh, Leiterin des Tourismusbüros und Vize-Präsidentin des Belle Epoque Vereins – eine Belle Epoque Aktivistin der ersten Stunde! Und auch wenn sie dieses Jahr pensioniert wird, die Organisation dieser Woche wird sie weiterhin tatkräftig unterstützen.
Sie erzählt, dass es im Ort (und nicht nur da) viele Leute gab, die sich nach der guten alten Zeit zurücksehnten und und so entstand die Idee der Belle Epoque Woche. 2009 fand sie zum ersten Mal statt. Man startete klein, aber die Veranstaltung wurde gut angenommen – es gibt doch so einige Fans der Epoche! Warum? Es war eine Zeit voller Entwicklungen, die Wirtschaft boomte und so auch der Tourismus. Es gab viele technische Neuerungen, die auch das Reisen einfacher machten. Und natürlich fasziniert bis heute auch die elegante Kleidung der Zeit. Die nachempfundenen Kostüme und Kleider während der Woche in diesem Ambiente auszuführen, ist ein tolles Erlebnis.

Dass man sich im Ort und bei den Veranstaltungen tatsächlich in die Belle Epoque Zeit zurückversetzt fühlt, ist aber auch wesentlich dem Engagement von Kanderstegs Bewohnern zu verdanken. Nach und nach schafften sich alle historische Kostüme an, Läden werden mit alten Fassaden gestaltet, viele Hotels, Geschäfte und selbst die Straßen sind mit historischen Accessoires wie alten Schlitten und Hausrat von früher dekoriert.

Nostalgisch verkleidete Geschäfte im Ort

Während es in den ersten Jahren ein paar hundert Zuschauer zur Eröffnung waren, kamen dieses Jahr zur 10. Belle Epoque Woche dreitausend. Und so ist die Woche inzwischen auch ein nicht unwichtiger Tourismus-Faktor im Winter des Ortes. Wobei es gleichfalls vielfältige Sportmöglichkeiten gibt: ein gute Loipen-Netz für Langläufer, außerdem einige Skiabfahrtspisten präparierte Winterwanderwege, die schon erwähnte Eisbahn zum Schlittschuhlaufen und besonders damals beliebten „Ice-Curling und schließlich eine Rodelbahn, damals als „Bobsleigh“ gleichfalls sehr populär – nur mit viel größeren Schlitten, den Bobs aus den Anfangsjahren!

Und da sind wir auch schon bei meinen persönlichen Highlights der Woche, die gleichfalls von den Bewohnern und Gästen getragen werden: die historischen Wintersport-Vorführungen! Der ersten Vorführung wohnen wir Freitagnachmittag während eines historischen Spaziergangs bei: dem nostalgischen Abfahrtsrennen. Herrlich ist schon, zu beobachten, wie die Skiläufer in ihren nostalgischen Outfits den Hang zum Start hinaufstapfen.

Nostalgisches Skirennen

Und wenn sie dann mit Karacho durch’s Ziel laufen, sieht man die Kostüme noch viel besser. Ich bin großer Fan der Outfits – es sieht einfach toll aus, die Stoffhosen, Lederschuhe und dicken Pullis und die alten Holzski mit Stöcken erst! Bewundernswert auch die Kinder und Frauen jeder Altersklasse die am Start sind -letztere in langen Röcken! Insgesamt ein herrliches Spektakel bei sonnigem Winterwetter. Und last but not least ist auch der Pistenmann stilecht, der mit Tute das Startsignal für die Läufer gibt und dann die Zeit klassisch mit Stoppuhr nimmt…

Beim historischen Spaziergang erzählt Frau Jost, dass die Belle Epoque für Kandersteg tatsächlich eine goldene Zeit war – aus mehreren Gründen: Obwohl es schon in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts Touristen gab, die über den Gemmipass kamen, boomte der Tourismus ab 1900. Das benachbarte Frutigen wurde 1901 an die Bahn angebunden und so wurde Kandersteg einfacher erreichbar – per Kutsche war es von Frutigen nicht weit.
Zunächst kamen besonders zahlreich die Engländer. In Kandersteg konnte man gut Curling betreiben, dazu wurde Schlittschuh gelaufen und mit den schon erwähnten großen Schlitten, später beim Schlittenrennen zu bewundern, gerodelt. Ein paar Exoten liefen schon damals Ski, aber das war zahlenmäßig noch sehr überschaubar.

Wie wir uns dann später im Museum auch ganz praktisch ansehen, wurde aber auch schon in der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert rund um Kandersteg gewandert. Insbesondere die Frauen hatten dabei jedoch öfter ein Problem – sie wurden seekrank.
Und zwar vom Schaukeln der Sänfte, auf der sie den Paß hinauf und hinunter transportiert wurden. Der Schriftsteller Mark Twain, der die Gegend 1878 besuchte, erzählt dazu:

„Wir begegneten einigen Männern und einer großen Anzahl von Damen in Sänften; die meisten Damen erschienen mir sehr blass und von Übelkeit geplagt. Ihre allgemeine Erscheinung liess mich vermuten, dass sie geduldig ein schreckliches Leiden ertrugen. In der Regel blickten sie in den Schoß und überließen die Landschaft sich selber“

Nach Gewicht und Statur der Getragenen kam eine Anzahl von Trägern zum Einsatz – im Höchstfall 12 (!), die sich allerdings abwechselten. Erst als 1896 der Gemmiwagen, ein Einspänner, in dem eine Person Platz hatte, erfunden wurde, kam die Sänfte aus der Mode. Waren alle Damen damals unsportlich? Das sicher nicht, aber im langen Kostüm mit Reifrock und Korsett lief es sich einfach nicht so behend. Später war der Damensattel im Museum noch eine Alternative – per Pferd oder Maultier. Im Museum kann man Probe sitzen – geht!

Außerdem besichtigen wir noch kurz die evangelische Kirche: ein schönes schlichtes Dorfkirchlein, deren Decke mit Mondholz verkleidet ist. Mondholz? So heißt das Holz, dass nur bei abnehmendem Mond geschlagen wird – noch heute, aber vor allem früher. Es sollte Unheil abwenden und besaß noch eine Reihe weiterer positiver Eigenschaften: es war haltbarer, widerstandsfähiger gegen Schädlinge und die Witterung und feuerbeständiger. Wie so manches ist es wohl etwas eine Glaubensfrage – aber da sind wir ja in der Kirche richtig damit 🙂

Auch eines der ältesten wunderschönen Holzhäuser schauen wir uns an – auf der Rückseite der Straße sind verschiedene Sprüche eingeschnitzt, welche die Jahrhunderte überdauert haben. Von diesem Hausspruch wußte man lange nicht, was damit eigentlich gemeint war:

„Euch sälbsten schon auch mir zu gutt, den Yrfic wohl usrumen tut und die Kander noch vil mehr sonst bin ich im See“

Die sinngemäße Übersetzung lautet: „Was euch zu gut kommt, kommt auch mir zu gut. Räumt den Irfig wohl aus und die Kander noch viel mehr, sonst bin ich im See.“

Bis genau 2005. Dann trat der Fluß Irfig über seine Ufer und das Hochwasser verwandelte die gesamte Wiese bis zum Haus in einen See. Der Spruch war eine Warnung davor!

Last but not least laufen wir auch am Bahnhof vorbei, der nicht nur als Zubringer der Touristen wichtig war, sondern mit dem Lötschbergtunnel auch eine Durchfahrt in den Süden wurde. Durch den Bau stieg die Einwohnerzahl von Kandersteg: 1900 betrug sie gerade mal 445 Einwohner betrug – durch den Tunnelbau, der 1906 begann, kamen viele Arbeiter ins Dorf, insbesondere aus Italien und plötzlich waren es 3500 Einwohner! Der Ort hat die temporäre Steigerung gut verkraftet und noch heute finden sich in der regionalen Küche italienische Einflüsse. Eingeweiht wurde der Tunnel dann 1913.

Das Trücklen

Über einen Broterwerb der damaligen Dorfbewohner im Winter erzählt Frau Jost während der Tour: Das Trücklen – die Herstellung von kleinen Spanschachteln für Zündhölzer – im benachbarten Frutigen war eine Zündholzfabrik. Die armen Familien erhielten vom Bergvogt eine Tanne – das reichte zur Herstellung der „Trückli“ für ein Jahr. Die Familien stellten sie in Heimarbeit her – unglaubliche sechs- bis achttausend Trückli pro Woche! Pro Tausend bekam sie von der Fabrik einen Franken – von dem noch die Materialkosten für den Schwefelfarbstoff für die Streichfläche abgingen. Ganz hart verdientes Geld! Wie die Trückli entstanden, kann während der Woche im Gemeindehaus besichtigt werden kann – dort kann man sie auch selbst basteln oder fertige Trückli kaufen (heute kosten sie allerdings ab 5 Franken das Stück).

Nach einem weiteren kurzen Abstecher zur Eisbahn und der Bar Magique, bei dem ich mich als Drehorgelkasten-Spielerin versuche (es ist gar nicht so einfach, die Kurbel regelmäßig zu drehen) und der Drehorgelmann Herr Holzer und ich plötzlich zum beliebten Fotomotiv werden, beschließen wir den Abend ruhig ausklingen zu lassen – und zwar bei regionaler Schweizer Kost im Landgasthof Ruedihaus.

Das Ruedihaus gibt es schon seit 1753 – zunächst als Maultier-Wechselstation für Reisende über die Gemmi und bald darauf auch als Gasthaus. Den Nostalgiemarkt mit Handgefertigtem, der am Donnerstag dort war, hatten wir leider verpaßt, aber da es ein so wunderschönes altes Bauernhaus von außen ist, sind wir auch neugierig, was es „innen“ zu bieten hat – im doppelten Sinne. Die Einrichtung mit schönen Bauernstuben paßt wunderbar zur Fassade und auch das Essen und der Schweizer Wein (den es außerhalb der Schweiz einfach wegen der kleinen Mengen nicht oft gibt) schmecken! Bei den stattlichen Portionen sind wir froh über den anschließenden Verdauungsspaziergang ins Dorf in der kalten Winternacht.

Samstag steht uns ein straffes Programm bevor, dass mit dem Vorbereitungs-Tanzkurs bei Tanzmeisterin Barbara startet. Der Kurs ist gut besucht und die Teilnehmer ganz gemischt – auch vom Alter her. Zum Wochenende hin verjüngt sich das Belle Epoque Publikum deutlich – die jüngeren Fans arbeiten halt während der Woche noch…

Bevor es mit einem Walzer losgeht, startet Barbara mit ein paar motivierenden Worten:
Tanzen sollte Spaß machen und keine Leistungsdiziplin sein. Und die Frauen sollten während des Tanzens den Männern und ihrer Führung einfach mal vertrauen. Als Tanzpaar sollte man ein Team sein – und keine Gegner.
Während sie die Schritte mit ihrer Assistentin Petra, die stilgerecht im Frack gekleidet, den Mann gibt, vormacht, entspannen sich die Gesichter. Nach einer Weile praktischer Übung klappt es schon ganz gut – sogar bei uns! Weiter geht es noch mit Grundschritten von Tango und Polka – und dann ist der Tanzkurs auch schon zu Ende. Wir schwitzen – das ist ja wirklich Sport! Und werden abends sehr froh sein, dass wir geübt haben, da auch genau diese drei Tänze beim Ball vom Orchester gespielt werden.

Weiter geht es bei -wieder sonnigem- Winterwetter zum nostalgischen Schlittenrennen auf der Rodelbahn. Was heißt Rennen – dieses Mal kann man selber mitfahren. Augenscheinlich haben sowohl Schlittenführer als auch Passagiere Spaß daran. Eigentlich wäre ich auch gerne mitgefahren, aus Angst, dass Rock und Unterkleid die Fahrt nicht überstehen, lasse ich es bleiben. Nächstes Mal muß dann noch ein sportliches Nostalgie-Outfit mit!

Wir verschnaufen kurz im Hotel und machen uns dann gleich auf dem Weg zum High Tea mit Modenschau im Waldhotel Dolder. Mehrere Gastsäle sind bis auf den letzten Platz besetzt und die „Models“ flanieren durch die Säle – auch die umrahmenden Epochen werden mit Kleidern vorgeführt. Sehr lustig ist ein überfallartiger Auftritt der Sufragetten während der Show: mit Wahlplakaten und Ansteckern für die Männer „Vote for women“, die von ihnen persönlich angebracht werden.

Zum Abschluss werden sogar männliche und weibliche Bademoden von damals präsentiert – Ringelmuster und recht viel Stoff! Humorvoll moderiert wird das Ganze von Barbara Wernli, die einiges Wissenswertes und auch Lustiges zu den Kostümen erzählt. Sie ist Präsidentin des Vereins „Plaisir d’Histoire“. Der Verein hat sich auf die Fahnen geschrieben, die schönen Seiten der Vergangenheit zu entdecken – heutige Hilfsmittel sind aber erlaubt! Ursi und Peter, unsere Bekannten von ersten Abend, sind als Vereinsmitglieder bei der Modenschau dabei und führen weitere tolle historische Outfits vor. Wir fragen sie später, ob sie mit einem LKW da sind, aber anscheinend geht alles in ihren Kombi…Ursi näht die meisten ihrer Kostüme selbst und kombiniert mit selbst erstandenen Accessoires von damals wie Schirmen – zu jener Zeit ein „must have“.

Impressionen vom Ball

Danach bleibt gerade noch Zeit zum Umziehen und schon geht es weiter – zum Belle Epoque Ball, der zum Glück direkt im Hotel Victoria stattfindet, in dem wir übernachten. Zunächst trifft man sich im Vestibül. Es gibt es Schalen mit Champagner und Canapés – stilecht!

Beim Abendkleid hatte ich etwas improvisiert, aber mit Jäckchen paßt es ganz gut in die Zeit. Es sind gleichfalls wieder elegante Kleider im Belle Epoque Stil zu bestaunen, manche ganz stilecht, manche -wie meins- eher improvisiert, was dem Spaß am Ganzen keinen Abbruch tut. Die Mehrzahl der Herren trägt bei der Ankunft Zylinder, die aber an der Garderobe abgegeben werden. So will es die traditionelle Etikette. Die Tische im historischen Ballsaal sind festlich geschmückt.

Es gibt eine Tischordnung und eine Menükarte auf Französisch – genau, so war das nämlich damals: ALLE Menükarten waren auf französisch, zumindest in den feineren Häusern.

Und ein weiteres Detail stimmt auch: es gibt zwei professionelle „Eintänzer“, die damals gang und gäbe waren und die sich um die alleinstehenden Damen kümmern, die auch gerne einmal tanzen möchten. Eine Super-Idee finde ich und die beiden Herren erledigen ihre Aufgabe mit viel Enthusiasmus.
Bild
Das Orchester spielt zwischen den Gängen schöne und zeitlose Melodien – man muß kein Klassikfan sein, um sie zu mögen. Wir schwingen das Tanzbein und probieren unsere Kenntnisse vom Vormittag aus: vor allem Walzer klappt schon gut (nur die weibliche Drehung ist mit Absatzschuhen und Hut schwierig), bei Polka und Tango ist noch Luft nach oben…Mit einer Fotobox kann man ein Erinnerungsfoto schießen – natürlich belle epoque-gemäß in schwarz-weiß!
Insgesamt ein schöner Abend, bei dem ich auch das Ehepaar Platzer, die engagierten Gastgeber des Abends und Inhaber des Hotels, kennenlerne. Mit Muriel Platzer komme ich ins Gespräch und sie erzählt, dass sich innerhalb der zehn Balljahre die getragene Belle Epoque Mode geändert hat. In den ersten Jahren kamen die Damen oft noch in Ballroben mit langen Schleppen – inzwischen sind die historisch inspirierten Kleider etwas schlichter geworden – wahrscheinlich tanzt es sich einfach auch besser darin! Trotzdem finde ich den Gedanken interessant, dass auch historische Kleider im Verlauf der Zeit unterschiedlich interpretiert werden.

Nach der Geschichte des Hauses befragt, erzählt sie, dass sie darüber einiges zusammengetragen hat. Wir beschliessen, uns den Fundus am nächsten Morgen noch einmal näher anzuschauen. Tatsächlich ist es eine Menge Material vorhanden, zum Glück schon vorsortiert von Frau Platzer. Es sind schöne alte Aufnahmen vom Hotel und dem damaligen Ort Kandersteg dabei.

Der zum Hotel gehörige rustikale „Gasthof Ritter“ war das erste Gasthaus überhaupt im Ort, der schon 1789 entstand – er wurde von den Durchreisenden im 18. Jahrhundert quasi verlangt – da es bis dato keine Übernachtungsmöglichkeit gab – außer bei den Bauern, die am Weg wohnten. Der Gasthof wurde von der „Bäuert“, einer Art Schweizer Gemeinde-Kooperative in den folgenden Jahren an verschiedene Gastwirte verpachtet und florierte. 1854 wurde sie von Rudolf Egger, DEM Pionier des Kandersteger Tourismus, gepachtet – die „Bäuert“ als Besitzer wurde allerdings zunächst zu grösseren Umbauten und Reparaturen verpflichtet. 1856 benannte Egger den Gasthof dann in Hotel „Victoria“ um – wir erinnern uns, die meisten der Gäste waren Engländer und Victoria deren damalige Königin. Cleveres Marketing! Später kaufte er das Hotel.

Als Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr Touristen kamen, wurde 1895 zum ersten Mal angebaut. Der zweite Um- und Ausbau erfolgte 1912 und davon gibt es noch die Originalpläne. Sehr schön anzusehen und vor allem auch interessant, wie die damaligen Etagen gestaltet waren. Wie auch im Hotel Schweizerhof (dieser Artikel erzählt seine Geschichte) in Flims, gab es laut den Plänen auch im Hotel Victoria Etagenbäder (zwei pro Etage) und Toiletten (vier pro Etage, immerhin WC) für die Gäste – die teureren Zimmer hatten dazu noch ein Waschbecken mit fließendem kalten und warmen Wasser. Der Ballsaal, in dem auch gefrühstückt wird, läßt mit Parkett, geschmackvoller Einrichtung und großen Fenstern mit einem wunderschönen Blick in die Berglandschaft (für mich immer wichtig!) die Grandezza vergangener Zeiten wiedererstehen.
Als Übernachtung für die Belle Epoque Woche war das zentral gelegene Hotel für uns perfekt – wir hatten uns für eins der angebotenen Packages entschieden, bei dem der Besuch des Belle Epoque Balles schon enthalten ist.

Mein Fazit: Das Belle Epoque-Wochenende in Kandersteg war eine schöne Erfahrung: Man kann tatsächlich die Zeit eintauchen, weil viele nette Menschen mitmachen und das entsprechende Ambiente vorhanden ist.
Braucht man dafür ein Kostüm bzw. ein historisches Outfit? JEIN – oder ehrlich: JA.
Natürlich kann man an allen Veranstaltungen auch ohne Kostüm teilnehmen (also ein Ball-Outfit sollte man natürlich dabei haben). Aber OHNE ist man doch nicht richtig Teil der Belle Epoque Community und das ist Teil des Spaßes. Werden wir nächstes Jahr wiederkommen? JA (…und zwar mit mehr Outfits…).

Falls Ihr jetzt Lust bekommen habt, einmal teilzunehmen oder Euch noch mehr Bilder von der Woche anzuschauen: hier ist der Link zur Belle Epoque Woche Kandersteg.

Für die Unterstützung mit Informationen und Fotos möchte ich mich ganz herzlich bei Frau Wandfluh, Frau Jost, Peter Schildknecht und Frau Platzer bedanken.

 

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Zeige 2 Kommentare
  • Otto
    Antworten

    Hallo liebe Grete,

    Da hast Du ja mit Deinem lieben Mann mit dem Besuch der „Belle Epoque“ ein tolles Erlebnis gehabt! Was macht den Reiz jener Epoche aus? Wahrscheinlich eine gewisse Ruhe und Beschaulichkeit, die Nähe zur Natur, viel Handgemachtes zum Beispiel bei der Kleidung, oder die Verkehrsanbindungen. Die Wintersportausrüstungen der Leistungssportler ähnelten durchaus denen der sporttreibenden Touristen, es war eine gewisse Verbindung da und man konnte sich als geübter Amateur durchaus mal auf eine Piste wagen, ohne gleich sein Leben zu riskieren. Und die Kommunikation? Man sprach miteinander, hörte dem anderen zu, keiner trug Kopfhörer oder Ohrstecker, und man hörte auch mal, wenn man das wollte, Naturgeräusche. Für Unterhaltung sorgte gegebenenfalls der Drehorgelmann mit bekannten und beliebten Melodien. Und wenn der Abend so schön ausklang wie bei Euch, mit gutem Essen und Trinken und einem anschließenden Tanz, dann war das bestimmt ein nachhaltiges Erlebnis! Das macht richtig Appetit darauf, das auch mal zu erleben. Ein sehr schöner Bericht, den ich mit großem Interesse und großer Freude gelesen habe.

    Herzliche Grüße von Otto

    • Grete Otto
      Antworten

      Lieber Otto, vielen Dank für Deine tollen Gedanken zum Belle Epoque Bericht! Herzlichst Grete

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