Hartmann AG – die älteste deutsche Verbandstofffabrik …und der erste deutsche Anbieter von Damenbinden

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„Hartmann’s Gesundheitsbinden“ – diese Werbung war mir in einer Wochenzeitschrift von 1900 aufgefallen und brachte mich zu der Frage: Wie war das eigentlich damals, wenn Frau ihre Tage hatte? Hier ein kleiner Exkurs zur Geschichte der Monatshygiene und der des damaligen Anbieters: der Firma Hartmann AG (seit 1912 ist sie eine AG).

Das Unternehmen aus Heidenheim ist heute vor allem für seine medizinischen Produkte bekannt, darunter auch Desinfektionsmittel und OP-Bedarf wie die derzeit so gefragten Atemschutzmasken. Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte es zu den Marktführern für Damenbinden – als erster deutscher Anbieter- und vertrieb auch Kosmetika. Ich durfte mich im Archiv der Firma umsehen und fand so manches zu ihrer Geschichte und zum Thema „Monatshygiene“.

Ob Tampon oder Binde -was wir heute selbstverständlich in Drogerie oder Supermarkt kaufen, war es damals noch keineswegs. Man verwendete meist waschbare Teile aus Stoff, die mit Extra-Gürteln befestigt wurden. Eigentlich ökologisch und nachhaltig und deshalb heute wieder sehr aktuell – wenn auch in moderner Form. Trotz allem: bei diesem delikaten Thema ist das nicht jedermanns Sache und deshalb werden Einweg-Artikel nach wie vor gerne gekauft.

Hygiene wurde erst im 19. Jahrhundert zum großen Thema. Zunächst in der Medizin – Wissenschaftler wie Dr. Ignaz Semmelweis und Sir Joseph Lister erkannten, dass Keime oft die Ursache waren, dass Menschen an den nachfolgenden Infektionen starben. So sank die Sterblichkeit der Mütter auf einer englischen Geburtsstation nach der Geburt von 10% (in Spitzenzeiten bis zu 30%) auf 0,2 Prozent, nachdem sich alle medizinischen Fachkräfte auf Semmelweis Geheiß vor jeder Behandlung die Hände desinfizierten.

Und auch bei der Wundversorgung wurde die Bedeutung eines sterilen Verbandes, der entzündende Stellen abdeckte, erkannt. Der schottische Wissenschaftler Sir Joseph Lister betrieb Forschungen dazu. Eines Tages bekam er einen Brief von Paul Hartmann aus Heidenheim. Paul hatte zunächst die seit 1818 im Besitz der Familie befindliche Spinnerei seines Vaters übernommen, damals eine der größten Spinnereien in Württemberg. 1867 hatte er noch eine Bleich- und Färbeanstalt „Scheckenbleiche“ genannt, dazu gekauft.

Nach dem Krieg 1870/71 war die wirtschaftliche Lage des Unternehmens schwierig. Angeregt durch seinen Sohn Arthur, einem Arzt, begann sich Hartmann mit der Herstellung von Verbandstoffen zu beschäftigen und kontaktierte dazu verschiedene Wissenschaftler und Forscher. Der schottische Forscher Joseph Lister antwortete ihm und ein reger Briefwechsel entspann sich. Ein weiterer Ratgeber war der deutsche Chirurg Dr. Victor von Bruns. Von Bruns war nicht nur ein begnadeter Chirurg auf dem Gebiet der plastischen Chirurgie, er bereitete auch den Weg zur Wundbehandlung.

Zu dritt diskutierten sie in vielen Briefen, wie ein Verbandstoff in der Herstellung beschaffen sein musste, der saugfähig und steril war. Es war durchaus ein Risiko für Paul Hartmann, seine Produktion auf dieses neue medizinische Produkt umzustellen, da es Neuland für alle Beteiligten war. Aber mit der Hilfe und Unterstützung von Lister gelang es ihm, einen Verbandstoff zu entwickeln und industriell zu produzieren, der steril war. Und mit Bruns Unterstützung konnte die Firma Hartmann als erstes Unternehmen Verbandwatte aus Baumwolle so herstellen, dass sie Flüssigkeit aufsog.

Persönlich getroffen haben sich die drei übrigens nie, so intensiv ihr brieflicher Austausch auch war. Der neue Verbandstoff aus Heidenheim wurde in jedem Fall ein absoluter Renner und die Firma expandierte in verschiedene Länder – stolz werden die Niederlassungen auch auf dem Briefkopf präsentiert.

Zurück zu unserem weiblichen Thema: Nicht nur im medizinischen Bereich bestand Bedarf nach Verbands- und Mullprodukten, auch im Bereich der Monatshygiene. Und so entwickelte die Firma Hartmann im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts eine Damenbinde zur einmaligen Verwendung, die aus Mull mit einer Füllung aus Holzwolle bestand. Später wurde die Holzwolle-Füllung für höherpreisige Binden mit Watte gemischt, einfachere (auch solche anderer Fabrikate) waren nur mit Holzwolle gefüllt. Zunächst wurde das Produkt in England zum Kassenschlager, aber natürlich war auch auf dem deutschen Markt Bedarf.

Mit dem Tabu-Thema musste jedoch behutsam umgegangen werden. Man glaubt es kaum, aber schon damals florierte der Versandhandel von allen möglichen Produkten, von der Kleidung, über Lebensmittel, Haushaltsprodukten bis zu Damenbinden. Die Firmen warben in Tages- und Wochenzeitschriften für ihre Produkte. Bezahlt wurde z.B. per Nachnahme. Die Hartmann-Produkte waren allerdings nur in Geschäften erhältlich.

Selbstverständlich war die Verwendung der neuen Binden aber noch keineswegs – man musste sie sich leisten können. Sie kosteten zwischen 6 und 12 Pfennig pro Stück – schon damals wurde der Einzelpreis bei Abnahme grösserer Packungen günstiger.

Zum Vergleich: ca. 12 Pfennige kosteten z.B. ein Kilo Kartoffeln, 2 Eier, ½ Brot, 3/4 Liter Milch, 1 Zigarette guter Qualität.

Um einige Hausnummern von Einkommen zu nennen, ein Arbeiter verdiente zu dieser Zeit, also um 1900, ca. 1300-1500 Mark, eine Lehrerin in der Stadt 2200 Mark (ihre männlichen Kollegen ein Drittel mehr) und ein langjähriger Buchhalter 5000 Mark. Im Jahr wohlgemerkt!

Und deshalb wurden die Einweg-Binden auch eher von den Damen des mittleren und gehobenen Bürgertums verwendet – und sogar von der Kaiserin Auguste Viktoria! Ein entsprechendes Dankesschreiben ist im Archiv erhalten.

Nicht in allen Zeitschriften konnte man übrigens Werbung für Damenbinden finden. In den konservativeren Zeitschriften wie „Die Gartenlaube“ eher nicht, dafür z.B. in der „Sonntagszeitung für die deutsche Frau“ (so der Titel). In Prospekten wurden die Eigenschaften der unterschiedlichen Produkte erklärt und gezeigt. Hier ein Beispiel:

Da die Nachfrage stark war, hatten sich neben der Firma Hartmann Anfang des 20. Jahrhunderts weitere Mitbewerber etabliert. In der Verbandstoff-Industrie, welche die Binden letztlich herstellte, tobte zu dieser Zeit ein harter Konkurrenzkampf.

Hier einige Beispiele von Werbungen für Konkurrenzprodukte. Bei aller Diskretion, scheuten manche Anbieter nicht vor marktschreierischen Überschriften wie „Weltbeste Damenbinde“ etc. zurück. Eine weitere Einweg-Binden Alternative, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf den Markt kam, sich jedoch nicht wirklich durchsetzen konnte, waren Moos-Binden, welche, wie der Name vorschlägt, aus Torfmoos gefertigt waren.

Den Gürtel zum Befestigen der Binden gab es für relativ kleines Geld meist dazu. Er war auch für die Einweg-Variante notwendig – die damaligen Unterhosen waren zu weit oder teilweise auch noch zwischen den Beinen offen. Ankleben konnte man die Binden auch nicht – ohne Gürtel bestand also akute Verrutsch-Gefahr!

Die Firma Hartmann erweiterte ihr Sortiment auch auf Seife und betrieb in Berlin und weiteren Städten wie z.B. Frankfurt eigene Filialen. So schaltete man den Zwischenhandel aus, wie es auch Konkurrenten wie z.B. die Firma Pech, handhabten.

Für die Seife von Hartmann, die als Besonderheit „Ozon“ versprach, warb man gleichfalls in diversen Zeitschriften (auch in den konservativen 🙂 ) – die Versprechungen klingen zu heutigen gar nicht so verschieden!

Inzwischen hatten sich die Monatshygiene-Artikel mit verschiedenen Sorten und Grössen als Standbein der Firma etabliert.

Nach dem 1. Weltkrieg, stand die Firma Hartmann gut da – Verbandsstoffe waren während des Krieges natürlich mehr denn je gebraucht worden. Das Auslandsgeschäft war allerdings komplett verloren gegangen. Das musste mit neuen Produkten kompensiert werden und so begann die Firma, auch Pflaster und Salben anzubieten. In den 20er Jahren entwickelte sich das Unternehmen gut und auch in den 30er Jahren gab es als Innovation im medizinischen Bereich eine Salbenkompresse, die hauptsächlich für Verbrennungswunden eingesetzt wurde, da sie nicht mit der Wunde verklebte.

Nach Ausbruch des 2. Weltkrieges wurden diese Kompressen sicher vielfach gebraucht und auch wieder Verbandsmaterial.

Die anthroposophisch orientierte Firmenleitung hatte mit den Nationalsozialisten allerdings nichts am Hut. Die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Nach Kriegsende waren wiederum alle Auslandsvertretungen und Verkaufsniederlassungen verloren gegangen.

Bis Anfang der 60er Jahre blieb das Damenbinden-Segment ein stabiler Geschäftszweig – als neues Produkt wurden Slipeinlagen zum Verkaufsschlager.

Jedoch entschloss das Unternehmen, sich ab Mitte der 60er Jahre auf den medizinischen Bereich zu konzentrieren und seither wurden Produkte für die Monatshygiene von Hartmann nicht mehr hergestellt.

Ein Produkt der ersten Stunde ist aber noch heute im Produktionsprogramm: Watte.

Die Hartmann AG ist immer noch am gleichen Firmenstandort wie 1812 ansässig, mit Unternehmer-Villa von 1813 und Bürogebäude von 1912, die Fabrik wurde allerdings erweitert. Im Juni 2018 feierte das Unternehmen mit einem grossen Festakt sein 200-jähriges Bestehen und zu diesem Anlass arbeitete man auch die eigene Firmenhistorie auf.

Heute ist die Hartmann AG eines der Unternehmen für Artikel rund um die Gesundheitsfürsorge und Hygiene, von denen ein großer Teil in Deutschland und Europa produziert wird. Gerade in Krisenzeiten kann die Standortfrage ein wichtiger Faktor sein, die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.

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