Wie aus Selbstfahrern Autos wurden, oder: Die Geburt zweier deutscher Automarken

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Eine Preisfrage vorab: wieviel kostete ein Auto 1912? Als kleiner Hinweis dazu: bei 65 Millionen Einwohnern, die Deutschland damals hatte, gab es 63 000 zugelassene Kraftfahrzeuge „die vorzugsweise der Personenbeförderung dienten“. Auf etwa tausend Einwohner kam also ein Auto.

Aber schauen wir zunächst ein paar Jahre zurück. Am Anfang des 20. Jahrhunderts hießen die dazumal noch recht neuen Gefährte in Zeitungsartikeln oft noch „Selbstfahrer“. Wie der 1886 von Carl Benz zum Patent angemeldete Urtyp des Autos ähnelten sie damals mit ihrer Karosserie, offenem Verdeck und hochbeinigen Rädern eher noch Kutschen. Neben der Eisenbahn waren diese das damals gebräuchliche Transportmittel – mit meist ein oder zwei PS – Pferdestärken- noch im wahrsten Sinne des Wortes.

Erster zeitgenössischer Bildbericht (nach einem Holzschnitt) über eine Fahrt mit dem Benz Patent-Motorwagen Modell 3 (1886 – 1894). Erschienen in der Leipziger „Illustrierten Zeitung“ vom September 1888.

 

Die neuen Selbstfahrer hatten am Anfang mit 8 bis 12 „Motor“-PS gar nicht so viel mehr. Jedoch ging die Entwicklung rasant voran – Benz Kollege Gottlieb Daimler baute mit seiner DMG (Daimler Motor Gesellschaft) Fahrzeuge, die schon mehr PS hatten.

Diese Tatsache erregte das Interesse eines Autonarren der ersten Stunde – Emil Jellinik. Jellinek war ein Hans Dampf in allen Gassen. In seiner Jugend schmiß er mehrfach die Schule und wechselte die Berufe wie andere Leute die Hemden: nach einem Aufenthalt in Frankreich, einer angefangenen Karriere bei einer Eisenbahngesellschaft und im diplomatischen Dienst, verdiente er sein erstes Geld mit einem Tabakhandel in Algerien und wurde damit und einer weiteren Tätigkeit im Versicherungsgeschäft wohlhabend. Die nunmehr bei Wien lebende Familie konnte es sich leisten, die Winter an der Riviera zu verbringen. Dort knüpfte er Kontakte zur dortigen „Hautevolee “ aus Adel und Wirtschaft und kam zum ersten Mal mit Automobilen in Kontakt.

Es war Liebe auf den ersten Blick, und nachdem er nach mehreren anderen Fahrzeugen seinen ersten Daimler gekauft hatte, vertrieb er ab 1899 Daimler Fahrzeuge in Frankreich. Um den Verkauf anzukurbeln, ließ er die Modelle mit versierten Fahrern an der Rennwoche in Nizza teilnehmen – nicht irgendein, sondern DAS Autorennen zu dieser Zeit. Jellineks Wunsch nach einem schnelleren Daimler-Automobil mit mehr PS setzte Wilhelm Maybach, der Chefkonstrukteur der DMG genial um: das neue Modell hatte einen niedrigen Schwerpunkt und einen leichten und leistungsstarken Motor – als wichtigste Eigenschaften neben zahlreichen anderen Innovationen.

1901 gewann dieses Daimler-Modell das Rennen- und Emil Jellinek volle Auftragsbücher. Den Gewinner-Wagen hatte Jellinek nach seiner Tochter benannt. Sie hieß Mercedes. Nicht nur eine Marke wurde so geboren, sondern der Prototyp des modernen Automobils.

Der erste „Mercedes“, der 35-PS Rennwagen von 1901.

 

Emil Jellinek, bei der Präsentation des Mercedes 35 PS auf der Rennwoche in Nizza 1901

Aber die Konkurrenz schlief nicht! Auch ein junger Mann namens August Horch war von den neuen Fahrzeugen fasziniert. Obwohl der studierte Ingenieur eigentlich aus dem Schiffsmaschinenbau kam, bewarb er sich 1896 bei Carl Friedrich Benz. Dort wurde er aufgrund seiner ingenieurtechnischen Fähigkeiten schon nach vier Monaten zum Betriebsleiter des Motorwagenbaus ernannt. Aber Horch wollte mehr – er hatte neue Ideen und sah, dass in dem aufstrebenden Automobilbau viel Potential steckte. Deshalb gründete er 1899 in Köln mit einem Partner sein erstes Unternehmen. Und das übrigens in einem alten Pferdestall – tja, schon damals wurden spätere Weltunternehmen sozusagen in der Garage gegründet! Aber ganz so einfach war der Aufbau einer Autoproduktion natürlich doch nicht. Nachdem das erste Kapital verbraucht war, suchte er verzweifelt Geldgeber für seinen zweiten Wagentyp, den er bereits konstruiert hatte. Vom ersten hatte er immerhin zehn Wagen gebaut und verkauft.

Schließlich gelang es ihm, im Vogtland einen Kaufmann zu finden, mit dessen Sohn und einem weiteren Partner er dann die Fabrikation in Reichenbach in einer leerstehenden Textilfabrik aufzog. Und das in Rekordgeschwindigkeit – im März 1902 kamen die Maschinen aus Köln in Reichenbach an – nur zwei Jahre später, 1904 beschäftigte das Unternehmen bereits über 90 Mitarbeiter. Die Fahrzeuge des neuen Typs verkauften sich gut – der Betrieb musste vergrössert werden. Weiteres Kapital war notwendig, deshalb gründete Horch mit einigen Zwickauer Kaufleuten im gleichen Jahr eine AG. Der neue Produktionsstandort wurde Zwickau – eine stillgelegte Spinnerei bot dort genügend Platz für die neue A. Horch & Cie. Motorwagen-Werke Aktiengesellschaft. Die „Horch Motorwagen“ genannten Autos, die ab 1904 gebaut wurden, hatten 4 Zylinder und fuhren 65 bis ca. 95 (!) km/h. Wie auch die anderen existierenden Wagentypen waren auch die Horch-Wagen am Anfang alle Cabrios, also ohne Verdeck.

          

Man mußte sich beim Fahren buchstäblich warm anziehen – im Modekatalog vom Warenhaus Wertheim wurden deshalb auch spezielle „Autopelze“ angeboten. Der Grund, daß damals Cabrios den Markt dominierten, war übrigens nicht ganz freiwillig aus reiner Lust und Liebe an der frischen Luft.Limousinen,  geschlossene Fahrzeuge, waren aufwändiger zu bauen und deshalb auch teurer.

Aber zurück zu August Horch. Gab es schon einige Jahre Spannungen zwischen ihm und seinen Partnern, so sollte auch hier wieder ein Autorennen eine schicksalhafte Rolle spielen. Ein sportlicher Misserfolg bei der Prinz-Heinrich-Fahrt, einem weiteren bedeutenden Autorennen dieser Zeit, war nämlich der endgültige Auslöser für den Entschluss, in Zukunft getrennte Wege zu gehen. Mit einer Entschädigung von zwanzigtausend Reichsmark verließen August Horch und eine Reihe verdienter Mitarbeiter 1909 das von ihm mitgegründete Horch-Werk. Bereits 24 Tage später gründete er jedoch sein zweites Automobilwerk – nur 500 Meter Luftlinie vom ersten Werk entfernt. Gestartet wurde klein – mit der Reparatur von Autos, aber bald schon wurde ein neues Automodell entwickelt. Da es mit dem ersten Namen des Werkes –wiederum nach Horch benannt- Ärger gab, weil ja auch noch die Horch & Cie AG weiterhin fortbestand, so war auch hier ein Kind Namensgeber für die neue Firma.

Der Sohn einer befreundeten Familie, der Latein lernte, hatte die Idee, Horch einfach ins Lateinische zu übersetzen – so hieß das Werk dann ab 1910 AUDI Automobilwerke mbH. Und das übrigens bis 1954 – dann wurde es verstaatlicht und mit dem weiteren noch existierenden Horch-Werk zu VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau fusioniert.

Zurück zur Eingangsfrage – ein Auto kostete ca. 10 000 Mark. Das entsprach etwa dem Jahresgehalt eines Polizeipräsidenten in der preußischen Provinz. Ältere Lehrer mussten dafür ca. drei Jahre arbeiten, ein verdienter Buchhalter zweieinhalb Jahre und ein Arbeiter mit einem mittleren jährlichen Gehalt von 1500 Mark hätte sieben Jahreslöhne für ein Auto hinlegen müssen – keine weiteren Ausgaben vorausgesetzt!

Zum Vergleich: eine Zweizimmerwohnung kostete zu dieser Zeit ca. 500 Mark und eine Vierzimmerwohnung in der Stadt 800 Mark – Jahresmiete wohlgemerkt.

Der genannte Autopreis ist natürlich als Richtwert zu sehen – so wie es heute gleichfalls keinen einheitlichen Preis für DAS Auto gibt. Die Preise für kleine Zweisitzer begannen bei 5500 Mark und und nach oben waren den Preisen mit Extraausstattungen etc. keine Grenzen gesetzt.

Getankt wurde übrigens in der Apotheke – also davor. Dort oder in Drogerien wurde in jedem Fall der Sprit gekauft – etwa 33 Pfennig pro Liter kostete er. Richtige Tankstellen gab es dann erst ab Ende der 20iger Jahre. Wie sie in etwa ausgesehen haben, kann man sich im August Horch Museum in  Zwickau anschauen, wo ein originalgetreuer Nachbau zu sehen ist.

Ein Bericht über meinen Besuch im August Horch Museum findet Ihr übrigens hier.

Diese Artikel sind zum damaligen Autorennen „Prinz Heinrich Fahrt“ erschienen:

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Zeige 7 Kommentare
  • Kerstin
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    Hallo Grete, was hast Du da Tolles zusammengestellt! Über 100 Jahre her – man denkt “altmuttrich“ – aber so modern! Diese Abschnitte von damals sind bunt und kurzweilig zu lesen und gefallen mir, weil sie “Schmackes“ haben! Besonders interessant die Ausführungen über die Entstehung der Namen so bekannter Automarken! Dazu die Aufnahmen von Werbeplakaten mit den tollen Jugendstilverzierungen! Weiter so, ich bin schon sehr gespannt! Herzlichst – Kerstin

    • Grete Otto
      Antworten

      Hallo Kerstin,
      ich freue mich, daß Dir die Artikel gefallen – tatsächlich gibt es bei allen Themen IMMER Bezüge zur heutigen Zeit. Und das macht die Themen von damals interessant für uns – finde ich jedenfalls. Übrigens gibt es in Kürze auch einen Newsletter, so daß Du keinen neuen Beitrag verpasst.

      Liebe Grüsse

      Grete

  • Jonas
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    Sehr Informativ und eine gute Idee die Anfänge von zwei der größten Automarken zu erzählen! Der Artikel hat mir gut gefallen.
    Außerdem finde ich den Bericht über das August Horch Museum sehr hilfreich, um einen Eindruck davon zu bekommen und werde dem Museum wahrscheinlich in naher Zukunft einen Besuch abstatten.

    • Grete Otto
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      Danke für Dein Feedback. Das August Horch Museum ist tatsächlich einen Besuch wert!

      Grete

  • SchPing
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    Finde ich spannend sich mit dieser, doch für uns Europäer so entscheidenden Zeit zu beschäftigen. Mir gefallen die kleinen (und manchmal größeren) “Einsichten”

  • Otto
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    Sehr interessant, wie sich die Autoindustrie in ihren Anfängen entwickelt hat und wie sich Firmennamen entwickelt haben, die noch heute eine sehr wichtige Rolle spielen! Sehr schön auch die Jugendstil-Verzierungen auf der Werbung für „Horch“ Motorwagen! Gefällt mir!

    • Grete Otto
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      Das freut mich, daß Du den Artikel interessant findest. Ja stimmt, die Werbung wirkt richtig künstlerisch.
      Danke für Dein Feedback,
      Grete

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