Vom St. Nikolaustag – Zwei Erfahrungsberichte aus Süddeutschland und Österreich

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Der Nikolo kommt!

Nur wenige Wochen trennen uns noch von dem schönsten deutschen Familienfest, vom Weihnachtstag. Millionen von Kinderherzen schlagen ihm in banger Erwartung entgegen, und jetzt schon werden die Eltern tagtäglich mit der Frage bestürmt: „Wie lange dauert es noch, bis das Christkind kommt?“ Das lange Warten tut weh, aber der Sehnsuchtsschmerz wird da und dort durch eine Zwischenperson gemildert, die fast eben soviel Freude ins Haus bringt wie das liebe Christkind. St. Nikolaus, dessen Gedenktag der katholische Kalender auf den 6. Dezember festgesetzt hat, ist der Vorläufer des Weihnachtsengels.

Im südlichen Teil des Deutschen Reiches und insbesondere in Bayern ist ihm eine wichtige Rolle zugeteilt; vor etwa fünfzig Jahren hat er dort sogar die Stelle des „Christkinds“ ganz vertreten. Der Weihnachtsbaum mit seinem Glorienschein und seinen Gaben ist zu uns nach dem Süden erst im Lauf des vorigen Jahrhunderts gekommen; in vielen altbayrischen Dörfern hat sich bis heute noch die Gepflogenheit erhalten, den Kindern am Tag St. Nikolaus zu bescheren.

St. Nikolaus hatte von jeher eine besondere pädagogische Mission zu erfüllen; er sollte die Kleinen in bezug auf ihr Verhalten prüfen und demgemäß belohnen oder bestrafen. Zu diesem Zweck war ihm, wo es für nötig gehalten wurde, ein
Assistent beigegeben, der hauptsächlich den Strafvollzug zu betätigen hatte. Es war der „Klaubauf“, ein wüster Geselle, der
in einer schrecklichen Vermummung, in Pelze gehüllt, oft mit Hörnern auf dem Kopf, mit einem Zottelbart und rußigem Ungesicht erschien und nicht selten Rutenhiebe austeilte oder Miene machte, die kleinen Sünder in den mitgebrachten Sack zu stecken und dann fortzuschleppen. Bei dem ungeheuren Arbeitspensum des heiligen Nikolaus ist es sehr begreiflich, daß sein Knecht und Prokurist, der Klaubauf, zuweilen die ganze Prozedur allein vornahm, oder daß der Bischof Nikolaus auch die Obliegenheiten seines Famulus vollzog. Im großen und ganzen ist es vielleicht so, daß in den oberen Bevölkerungskreisen der Bischof, in den unteren der Klaubauf amtiert; überall aber heißt es bei seinem Nahen: „Der Nikolo kommt!“

Wo der Nikolaus in Person erscheint, geht es sehr anständig und zeremoniell her. Er klingelt, wenn er zur späten Abendstunde seinen Besuch macht, und erscheint dann als Bischof gekleidet; ein weißes Gewand umhüllt seine Gestalt, in besseren Kreisen trägt er sogar einen goldenen Mantel; eine echt papierne Inful (Bischofsmütze) schmückt sein ehrwürdiges Haupt, dem eine Gesichtsmaske mit langem, wallendem Flachsbart ein geradezu überirdisches Aussehen verleiht. In feierlichem Ton stellt er die Fragen, ob die Kinder artig gewesen seien, ob sie fleißig gebetet und gelernt hätten, Vater oder Mutter beantworten ehrfurchtsvollst, manchmal sogar voll merklicher Angst diese Fragen, die natürlich die Kinderherzen nicht wenig beengen, denn ein ganz gutes Gewissen haben die kleinen Wildfänge ja selten. Dann läßt der Nikolaus nach der Reihe das eine oder das andere Kind ein Gebetlein oder ein Verschen aufsagen. Hierauf folgt eine kurze Ermahnung, und dann kommt die Hauptsache: der
brave Heilige schlägt den Mantel zurück und verteilt nun die mitgebrachten Gaben – Äpfel, Nüsse, Lebkuchen und nicht
selten auch Bilderbücher und Spielsachen. Während des nun ausbrechenden Jubels verschwindet er zur großen Befriedigung
seiner Klienten.

Wo der Klaubauf erscheint, geht es bedeutend geräuschvoller her. Sein Anpochen kennzeichnet schon den wilden
Gesellen. In etwas gedrückter Stimmung harren die Kleinen am Vorabend St. Nikolaus des Kommenden. Da dröhnen plötzlich dumpfe Schläge an die Stubentür, es ertönt ein fürchterliches Kettengerassel, und ein unverständliches, unheimliches
Brummen fordert Einlaß, „Der Nikolo kommt!“ heißt es auch hier, und ein panischer Schrecken läßt die Kinder alle denkbaren
Schlupfwinkel unter Tisch und Betten aufsuchen. Aber es nutzt nichts. Schon ist der Fürchterliche eingetreten und beginnt mit
mehr unterirdischer Stimme: „Wo is der Franzl — der Seppl — die Kathl?“ (Er kennt nämlich die Kinder genau.) Nun rutschen
die armen Dinger auf den Knien herbei, um in banger Erwartung das Schreckliche über sich ergehen zu lassen. „So
seids da Ihr Schlingel? I hätt gute Lust, Euch recht umanand, zhaun!“ Dabei zieht er eine Rute aus Birkenreisern hervor und
fuchtelt beängstigend damit herum. „I woaß alles“, fährt er fort; „der Franzl hat neuling g’logn, der Seppl hat auf der Gass’n
g’rauft, und die Kathl hat vom Milchhaferl den Rahm weggschleckt! Is das eine Aufführung? Wart, i komm euch!“

Nun fangen die kleinen Sünder an, mit emporgehobenen Händen um Gnade zu bitten, aber der Klaubauf läßt sich nicht erweichen und avanciert mit geschwungener Rute gegen die Knienden hin, die jetzt ein wahres Zetergeschrei erheben,
Da legt sich die gute Mutter ins Mittel und knüpft diplomatische Verhandlungen mit dem Klaubauf an, Sie versichert ihm, daßdie Kinder sonst ganz brav gewesen seien, daß man sie für ihre schweren Verbrechen bereits abgestraft habe, und daß sie gelobt
hätten, gewiß nicht mehr zu lügen, zu raufen oder gar zu schlecken. Nun wird der Fürchterliche weicher. Nochmals erhebt
er seine gräßliche Stimme und fragt: „Wollt’s brav sein?“ Ein einstimmiges, schluchzendes „Ja!“ ist die Antwort. „I will’s
hoffen, und deshalb hab i Euch auch was mitbracht!“ Nun prasselt’s und pumpert’s und rasselt’s, denn jetzt wirft der Nikolo
mit vollen Händen Aepfel, Nüsse, Kletzen (getrocknete Birnen) und Feigen auf den Stubenboden. Während die Kleinen sich jubelnd auf die Kostbarkeiten stürzen, macht der Klaubauf, daß er hinauskommt.
Draußen läßt er einem lang verhaltenen Lachen seinen Lauf, wirft die Vermummung von sich und tritt dann wieder als
Vater, der eben nach Hause kommt, ein. „Vater, jetzt bist z’spät kommen, grad war der Nikolo dal“ Und die beglückten Kinder
erzählen ihm, wie schrecklich der Nikolo ausgesehen habe, was er gesprochen, und wie die Mutter ihn endlich besänftigt habe.

Der Vater lächelt zufrieden, und die Mutter sagt leise zu ihm: „Gut hast dei Sach gemacht, Alter, es ist nur schad, daß man
für Euch Männer nicht auch einen Nikolo kommen lassen kann!“

Autor: Benno Rauchenegger

Der Krampus.

Wir Österreicher werden im deutschen Norden leicht für abergläubische Leute gehalten, weil wir an alten Gebräuchen
kleben und nicht so bald zu bewegen sind, Gewohnheiten abzulegen, die sich von den Urgroßeltern her bis zu uns fort geerbt haben. Lieber ertragen wir den Vorwurf der Rückständigkeit, als daß wir uns die Poesie verkümmern ließen,
die in diesen harmlosen Dingen steckt. Es darf uns dabei zum Trost gereichen, daß auch die nüchternsten Menschen
zuweilen solchen Einflüssen unterliegen, und daß wir uns ja bewußt sind, bloß einer symbolischen Spielerei nachzuhängen,
wenn wir beispielsweise zu Beginn des Weihnachtsmonats unsere Lieben mit einem Krampus beschenken.

Schon der Name klingt dem Norden wahrscheinlich komisch und befremdlich. Er mag verwandt sein mit der Bezeichnung
„Krampen“ für ein Arbeitsgerät, das in die Erde eingreift. (Vor 100 Jahren schrieb man noch „Grampus“ von grappare.)
Jedenfalls bedeutet er in Österreich den Knecht des heiligen Nikolaus, anderwärts als Knecht Ruprecht oder Klaubauf
bekannt – während die guten Kinder von dem heiligen Nikolaus – belohnt werden. Prinzip: Ormuzd und Ahriman (aus der Mythologie), Himmel und Hölle, Engel und Teufel usw.
Vom 1. Dezember bis zum 6., dem Namenstag des gütigen St. Nikolaus, im Volksmund „der Nikolo“ genannt,wimmelt es auf allen öffentlichen Märkten in Wien, in den Auslagen der Zuckerbäcker und Schokoladenhändler von Darstellungen der beiden im Volk so beliebten Figuren. In den mannigfachsten Formen beschäftigt sich die naive künstlerische Phantasie der Krampus- und Kripperlmacher zumal mit dem ersteren, der allgemach die Gestalt des Satans angenommen hat, besonders wenn er aus kostspieligerem Material, etwa aus schwarzen Katzenfellen, verfertigt wird. Noch vor dreißig, vierzig Jahren beherrschte der „Zwetschkenkrampus“ den Markt, d. h. eine ganz primitive, durch zwei gekreuzte Stäbchen gebildete Figur, die aus lauter auf die Stäbchen gespießten Zwetschken (gedörrten Pflaumen) bestand und der Kinderwelt den Vorteil bot, daß sie nach hinlänglicher Bewunderung ihrer Furchtbarkeit einfach aufgefressen wurde.
Diese schlichteste Auffassung vom Krampus ist auch heute noch in den Buden zu finden, wo die armen Leute einkaufen; allein sie
ist doch schon sehr durch die künstlerische Ausbildung des Krampus nach der modernen Richtung zurückgedrängt.
Selbst wenn das Material noch immer die gedörrte Pflaume ist, so besitzt der Zwetschkenkrampus jetzt doch schon einen
modellierten Teufelskopf mit Hörnern und roter Zunge, modellierte Füße und Hände, in denen er Kette und Rute trägt.

In dieser Form ist er am verbreitetsten und wird alt und jung in der Nacht vom 5. zum 6. Dezember gespendet,
Kindern aber niemals ohne Begleitung des heiligen Nikolaus im Bischofsornat, der mit seinem rotgefärbten Wachsgesicht
und dem weißen Bart aus wallender Baumwolle die Schrecken des Krampus so weit als möglich wettmachen muß.
Erwachsene bescheren sich niemals den guten Bischof, sondern stets nur den bösen Krampus, gewöhnlich zugleich mit einem anderen kleinen Geschenk.
Den Kindern wird gesagt, daß sie am Abend des 5. Dezember ihre Schuhe zwischen die Fenster stellen sollen. Der „Nikolo“ werde dann im Lauf der Nacht, vorausgesetzt, daß er die Schuhe als Eigentum braver Kinder kenne, eine Spende von Äpfeln, Nüssen, Datteln und Pflaumen hineinlegen. Und in der Tat, über Nacht füllen sich die Schuhe mit den besagten Früchten, wohl auch noch mit ein wenig Zuckerwerk. Liegt aber gar eine leibhaftige Rute auch noch dabei, so läßt der Bischof sagen, daß er bei nächster
Gelegenheit eine Tracht Hiebe für das Kind dringend befürworte.
Die Kinder sind aber gar nicht so furchtsam, als man meinen möchte. Ich erinnere mich aus meiner eigenen Kinderzeit, daß uns der wackere Bischof und der häßliche Krampus samt seiner Rute sehr gleichgültig waren, wenn sich nur unsere Schuhe mit Leckerbissen gefüllt zeigten. Bei den Kindern von heute ist der Rationalismus natürlich noch stärker ausgebildet, doch wird auch von ihnen klüglich ein sanfter Glaube geheuchelt, damit sie des hübschen Festes nicht etwa verlustig gehen.

Wer im Dezember nach Österreich kommt, wird übrigens an den vielen zwischen den Winterfenstern der Wohnungen von Stadt und Land ausgestellten Nikolos und Krampussen sehen, daß der gemütliche Brauch noch sehr viele Anhänger hat. Die Figuren bleiben bis Weihnachten an dieser Stelle, um dann ihre Bedeutung an den Christbaum und an die Krippe zu verlieren, die erst am
Dreikönigstag (6. Januar) weggeräumt werden sollen.

In neuerer Zeit suchen die Händler einander an Größe und Gräßlichkeit der Krampusse für die bemittelten Klassen zu überbieten. Auf dem Markt Am Hof, wo sich auch der volkstümliche Weihnachtsmarkt abspielt, sieht man nicht selten einen Krampus von Menschengröße, sicher aber Dutzende von der Größe der Menschenaffen. Diese Ungetüme sind fraglos scheußlich, und ich möchte keinen mehr in meinem Zimmer haben wie einst, als mir ein solcher Unhold von lieber Hand  gespendet worden war. Ich erinnere mich noch mit Grauen an den unheimlichen Kerl, der in der Nähe des Ofens stand, an Größe einem ausgestopften Waschbären gleich und ebenso zottig. Wenn ich ohne Licht in das Zimmer kam und das flackernde Ofenfeuer den schwarzfelligen Burschen unsicher beleuchtete, daß seine Hörner sich vorzubeugen und seine Glotzaugen zu glühen schienen, da fuhr ich oft zurück vor ihm wie  vor einem Gespenst.

Nein, für unsere nervöse Zeit ist ein  so realistisch aufgefaßter Krampus nichts, und überhaupt ist der ganze Krampuskultus kindisch genug. Aber wer nicht von Seit zu Zeit Kindereien treibt, der rostet im Gemüt  ein, und darum mag uns der Krampus, namentlich in seiner schmackhaften Form als Zwetschkenkrampus, immerhin noch erhalten bleiben. Es liegt viel Stimmung in solchen Dummheiten, glückliche, gedankenlose, schwärmerische Jugendstimmung, deren wir doch nicht so ganz entraten wollen.

Autor: Eduard Pötzl

Hier findet Ihr weitere Weihnachtsgeschichten und unter diesem Link einen Artikel zur Geschichte des St. Nikolaus.

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