Damals bei uns daheim auf dem Land – Erzählungen meines Vaters (Teil 2)

 In Landleben, Unkategorisiert, Zeitgeschehen

Für Einsteiger

Diese Geschichten erzählte mein Anfang 2023 verstorbener Vater von seiner Kindheit auf dem Land in Thüringen immer wieder gerne, sie sind aus seiner Perspektive erzählt und geschrieben. Hier geht es zum 1.Teil.

Nach Kriegsende: Platz für Flüchtlinge

Nach dem Krieg kamen viele Flüchtlinge nach Ringleben, die auf die Häuser verteilt wurden. Wir bekamen eine Familie Faber zugeteilt, die ursprünglich in Ungarn ansässig war. Fabers wohnten zu siebt in Großvaters ehemaliger Amtstube, dem größten Zimmer im Erdgeschoss. Später beherbergten wir zwei alte Damen, von denen die ältere nach relativ kurzer Zeit verstarb.

Für heutige Verhältnisse hatten wir selbst nicht viel Platz.

Im Erdgeschoss gab es eine Wohnküche und die Stube, als die Räume, die neben der Amtsstube mit Öfen beheizbar waren. Weiterhin ging vom unbeheizten Flur eine Speisekammer ab. Im oberen Geschoss schliefen wir drei Kinder in einem Zimmer (über der Wohnküche), die Eltern im Zimmer daneben. Die Großeltern hatten neben ihrem Schlafzimmer eine kleine Wohnküche (allerdings ohne fließend Wasser). Es gab noch ein weiteres kleines Zimmer, in denen in den Kriegsjahren die Soldaten (welche uns zum Aufpäppeln geschickt wurden) schliefen. Als mein Bruder dann älter war, wohnte er in diesem Zimmer.

Die einzige Toilette für dann vierzehn Personen (mit Fabers) war ein Plumpsklo auf dem Hof neben dem Mist.

Familiäre Helfer

Die Großeltern waren schon etwas gebrechlich, hatten aber ihre Aufgaben im Haushalt. Großvater fütterte morgens die Kühe, Schweine, Hühner und  Gänse, Großmutter bereitete das Schweinefutter im Stall zu. Sie half in der Küche, wusch ab und kochte auch gelegentlich. Besonders gerne habe ich ihre Gerichte, z.B. Specksuppe nicht gegessen, aber: Man wurde satt.

Sie konnte schon boshaft sein, aber mit der Zeit konterten wir. Auf einen Furz meines Bruders mit üblem Geruch meinte ich aus Spaß zu ihm: Hast wohl nen toten Vogel in der Tasche?“. Sie empört darauf: „Was, in der Sunchshose?“ (Sonntagshose).

Helfen mussten wir zu allen Jahreszeiten, jeder von uns Geschwistern hatte seine Verantwortlichkeiten. So z.B. bei der Vorbereitung des Transports der Pfefferminze. Die Pflanzen wurden zunächst auf dem Dachboden getrocknet, ein zeitraubendes Unterfangen! Danach wurden sie dort gebündelt und zum Transport im Leiterwagen, der in der Hofeinfahrt unter der Dachluke stand, gestapelt.

Der Ablauf des Ganzen war eingespielt: Ich trug die Bündel zu meinem Bruder. Er warf jeweils zwei Bündel gleichzeitig durch die Bodenluke zu meinem Vater, der darunter im Leiterwagen stand. Die Bündel landeten im Wagen, mein Vater hob sie auf und stapelte sie. Als mein Bruder gerade wieder zwei Bündel durch die Luke geworfen hatte, meinte ich: „Ich will auch mal eins werfen!“ und setzte das sofort in die Tat um. Mein Vater hatte sich gerade gebückt, um die beiden Bündel aufzuheben, als ihm mein Bündel ins Genick fiel. Wütend schrie er ein Fluch nach dem anderen zu uns herauf „Hund, wirscht Du mine; Ich hau Dich, dass de Eel geest…“ usw., usw. Wir lachten uns oben auf dem Dachboden halb kaputt, zumal wir für ihn unerreichbar waren – selbst für eine schnelle Hurbel…

Freizeit

Mit den anderen Kindern aus dem Dorf spielten wir in unserer Freizeit – im Sommer auf den Höfen, in den Gärten und am Fluß. Im Winter, wenn Schnee lag, fuhren wir mit dem Schlitten den Hang der Gera herunter oder gingen auf den Galgenberg.  Später lief ich dort auch Ski mit Vaters langen alten Holzlatten. Der Galgenberg war der höchste Hügel im flachen Thüringer Becken.

Ein guter Freund von mir war der Sohn vom Müller. Die Mühlenbesitzer gehörten zu den wohlhabendsten Familien im Dorf. Auf einige Sportgeräte und Spielzeuge vom Müller war ich doch recht neidisch. Er hatte tolle Schlittschuhe, einen besseren Schlitten, das schönere Fahrrad und einen Metallbaukasten! Davon konnte ich nur träumen! Wenigsten konnte ich mit ihm zusammen mit diesen Sachen spielen. Regelmäßig ließ er mich aber spüren, dass er von uns beiden der reichere war.

Nachsatz von Grete: Mein Vater kaufte später gerne Metallbaukästen für uns Kinder (leider begeisterten sich weder mein Bruder noch ich wirklich dafür). Noch später kaufte er sie für die Enkel – um dann mit ihnen zusammen damit zu bauen…

Winter- und Sommerküche

Das Leben in unserem Bauernhaus spielte sich in den kühleren Jahreszeiten vorwiegend in der Winterküche ab. Dort stand der Herd, auf dem immer eine Kaffeekanne mit „Muckefuck“ (Malzkaffee) und ein Gefäß mit Wasser warm gehalten wurden. Es war warm und gemütlich.

Ein Waschbecken mit fließend kaltem Wasser gab es. Mit aufgewärmtem Wasser wurde abgespült und das Wasser floß in die sogenannte „Rinne“ – ein schmales Abwasserrinnsal, welches dann in der Gera landete. Die Rinne war ca. 40 cm breit und verlief zunächst am Haus entlang und dann durch den Garten – sie war nicht gefährlich, da zu flach, aber natürlich schmutzig. Alle Kinder, ob damals oder bis in die 70er Jahre fielen immer mal wieder in die Rinne, was für Geschrei auf beiden Seiten sorgte. Die Kinder waren naß und schmutzig und die Eltern erbost darüber. In der Torfahrt stand eine „Krude“ (einfache Feuerstelle), in der Kartoffeln für das Vieh gekocht wurden und immer ein Fünfliter-Topf mit heißem Wasser stand.

Im Sommer gab es unten am Hof eine Küche, entsprechend „Sommerküche“ genannt. Dort gab es einen eingemauerten riesigen Kessel, den so genannten Hofkessel, in dem im Winter das Schweinefleisch vom Schlachten gekocht wurde.

 

Sonntags in der guten Stube

In der guten Stube stand gleichfalls ein Ofen, ein Kanapee, auf dem insbesondere die Großeltern gerne saßen und ein Tisch, an dem die Mahlzeiten eingenommen wurden. Sonntags kam immer mal wieder Verwandtschaftsbesuch zum Kaffeetrinken vorbei. Nicht immer zu Mutters Vergnügen, meist machte sie aber gute Miene zum bösen Spiel. Zum Beispiel bei ihrer Schwägerin Gerda, die ihr schon gleich nach ihrer Ankunft mitteilte: „Vergiss dann bitte nicht, mir für (Tochter) Christa ein großes Kuchenpaket mitzugeben“. Obwohl sie selbst aus einfachen Verhältnissen stammte, fühlte sie sich nun als Frau eines Metzgers als etwas Besseres. Ihren Mann, Onkel Fritz, den jüngeren lustigen Bruder meines Vaters, mochte ich gerne. Seine Kunst als Metzger war legendär, er beherrschte das richtige Würzen von Würsten meisterhaft. Er war es auch, der mir nach meiner Promotion als Chemiker als einziger freudig gratulierte und stolz meinte: „Du bist der erste Doktor in der Familie!“

Mutter

Mit meiner Mutter habe ich mich gut verstanden. Sie hat mich immer unterstützt ohne viel Worte zu machen. Als ich später jeden Morgen mit dem Zug zur Oberschule nach Erfurt fuhr, stand sie früh mit mir auf. Wir verstanden uns fast wortlos: Kuchen? fragte sie und ich nickte. Meist war Striefe im Haus, ein einfacher Hefekuchen, der in Streifenform gebacken wurde. Oder Saftfladen. Dazu gab es Muckefuck, den sie gekocht hatte.  Danach spurtete ich zum Zug – um ihn oft in der letzten Minute zu kriegen…

  

Schlußbemerkung

Mit den Zeilen zur Mutter möchte ich schließen – die einfache Geschichte beschreibt doch das innige Verhältnis der beiden. Auch wenn wenige Worte fielen und es kaum Umarmungen gab.

Es gäbe noch weitere Geschichten, aber die Kunst ist ja immer eine Auswahl zu treffen.

Alle Leser möchte ich ermuntern, ihren Kindern, Enkeln und Interessierten ihre Geschichten „von früher“ zu erzählen – um Erlebnisse und Erfahrungen weiterzugeben, die aus persönlichen Sichtweisen viel über diese Zeiten erzählen und sie so greifbar und erfahrbar machen.

Über den Erzähler

Otto Kühnemund (1938-2023) verbrachte seine Kindheit und Jugend in Ringleben (Thüringen), studierte in Jena Chemie, gründete später eine Familie und arbeitete als Mikrobiologe, zunächst in Jena, später dann in Aachen.

Im Rentenalter beschäftigte er u.a. auch mit der Mundart seiner Heimat. Dazu schrieb er das Buch „Mundart aus Ringleben“ (erschienen im Rockstuhl Verlag, leider nicht mehr erhältlich) mit Geschichten und einer CD in Mundart gesprochen. 2019 wirkte er im Film von Gerald Backhaus „Thüringen, Deine Sprache“ mit, auf der Seite „Mundart Thüringen“  kann man sie beziehen.

Die Links zu weiteren Artikeln rund um das Thema „Landleben damals“ findet Ihr in dieser Einführung, hier der Link zum 1. Teil des Artikels.

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