Von „Cakes“ zur Bio-Schokolade – die Geschichte der Firma Weinrich
Die letzten Jahre des 19. Jahrhunderts waren wirtschaftlich eine prosperierende Zeit. Kaufleute machten sich selbstständig und viele neue Fabriken entstanden – und damit natürlich auch neue Arbeitsplätze!
So ein Kaufmann war Ludwig Weinrich, geboren 1865 im hessischen Lollar. Seine Eltern hatten Besitz – ihnen gehörte ein landwirtschaftlicher Betrieb, eine Metzgerei und eine Gaststätte. Aber die sollte sein älterer Bruder Friedrich als Erstgeborener erben. Und so entschließt sich Ludwig, zunächst eine Kaufmannslehre im benachbarten Gießen zu absolvieren. Mit der „süßen Branche“ kommt er schon früh in Berührung. Er verlässt das heimatliche Hessen und fängt bei der Herforder Schokoladenfabrik H. Knigge in Ostwestfalen als Reisender an.
Alsbald lernt er dort Paul Drüge kennen. Zusammen gründen sie 1895 die „Herforder Biscuit- und Cakesfabrik Weinrich & Drüge“. Nicht dass sie damit die Ersten in Herford gewesen wären – immerhin gibt es zu dieser Zeit bereits 22 Firmen, die Süßwaren, ob nun Schokolade oder Zuckerwaren, herstellen.
Allerdings ist ihre Firma die einzige, die sich zunächst komplett auf Gebäck, insbesondere Dauerbackwaren, konzentriert.
Denn durch den allgemeinen Aufschwung steigt der Bedarf nach „Süßem“, ob nun Schokolade, Pralinen oder eben auch Gebäck. Auch die weniger Bemittelten können sich ab und zu mal eine Packung „Cakes“ oder „Biscuits“ leisten – so wurden damals Kekse vornehm genannt.
Oft wurden diese in schön gestalteten Blechdosen angeboten – in jedem Fall die besseren Qualitäten. Und zu diesen wollte die „Cakesfabrik Weinrich & Drüge“ mit ihrem Gebäckprodukten gehören. Die Dosen, in der die Kekse, Waffeln, Biscuits und Lebkuchen verkauft werden, sind aufwendig gestaltet – mit Landschaftsmotiven, Frauendarstellungen und Elementen des Jugendstils verziert – wie hier zu sehen ist.
Gleichfalls verkaufsfördernd sind die klingenden Namen, mit denen die Produkte bezeichnet werden, ob nun „Ohne Tadel“, „Rheingold“, „Windsor“ oder „Wittekind“. Wittekind? Das Wittekind-Denkmal war (und ist) in Herford wohlbekannt und auf vielen Postkarten abgebildetes Wahrzeichen von Herford. Es zeigt den Sachsenherrscher Wittekind als Gegenspieler Karl des Großen. Zunächst war er ein erbitterter Kämpfer gegen das Christentum, wurde aber durch das „Quellwunder“ zu diesem bekehrt.
Obwohl das Geschäft florierte, trennten sich die beiden Inhaber 1912 – d.h. Mitgründer Paul Drüge schied aus der Firma aus. Warum, das kann nur vermutet werden. Wahrscheinlich spielte die Ehefrau von Ludwig Weinrich, Louise Wessel, dabei eine Rolle. Nein, es ist kein Verhältnis überliefert. Aber sie kam aus einer wohlhabenden Familie und brachte deshalb sowohl das Kapital als auch die gesellschaftlichen Beziehungen mit, um die Firma ohne Paul Drüge weiterzuführen.
Wer waren nun die Käufer*innen dieser hübschen mit Keksen und Waffeln gefüllten Dosen und zu welchen Anlässen wurden sie verzehrt – um einmal die damaligen gehobene Ausdrucksweise zu verwenden ? Es war wohl vor allem das Bürgertum, welches das nötige Kleingeld für Genussmittel über die Lebensmittel des täglichen Bedarfs hinaus besaß. Schön verpackte Kekse landeten meist in schön eingerichteten bürgerlichen Wohnungen – die, passend zur gekauften Dose ? im Jugendstil eingerichtet waren – und wenn es Teile der Einrichtung oder Dekorationselemente wie Geschirr Bilder oder Vasen waren. Das ging sicherlich schon bei der Hausfrau aus dem Kleinbürgertum los, die vielleicht für den Kaffeeklatsch mit ihren Freundinnen oder das sonntägliche Kaffeetrinken etwas Besonderes servieren wollte und dazu im Kolonialwarenladen ein oder mehrere Dosen von der „Cakesfabrik Weinrich“ kaufte.
Um beim Kaffeeklatsch zu bleiben, der in allen bürgerlichen Schichten beliebt und im übrigen damals schon gefürchtet war! So heißt es in einem Ratgeber-Artikel zur „Kaffeegesellschaft“ in den praktischen Mitteilungen der Sonntagszeitung von 1911 (neben der noch heute aktuellen Frage „Wo blieb das Geld?“ als Werbung für ein Wirtschaftsbuch zum Eintragen der Ein- und Ausgaben):
„Wenn man all den Witzen und Spöttereien Glauben schenken möchte, die im Laufe der Zeiten über das bei uns in Deutschland so beliebte „Kaffeekränzchen“ laut wurden, so könnte man wirklich annehmen, daß es sich zum Schrecklichsten der Schrecken so nach und nach ausgewachsen hat!“
Der Hauptgrund für den Schrecken waren die ausufernden Kosten – in vielen Runden wollte man sich gegenseitig mit immer mehr dargebotenen Speisen und Getränken – z.B. Sektbowle oder auch ein anschließendes Abendbrot- übertrumpfen.
Das wäre aber nicht der Sinn des Ganzen, erklärt der Artikel, denn:
„es zeugt von sehr wenig gutem Geschmack, wenn man seine Freundinnen zum Kaffee bittet und sie zum Schluß durch Abendbrot „angenehm“ zu überraschen sucht.“
Also eine Sektbowle nach dem Kaffeetrinken würde mich durchaus angenehm überraschen (solange ich „zu Fuß“ da wäre), aber es geht eher um die gesellschaftlichen Verpflichtungen bzw. Zwänge der anderen, die dann auch Abendbrot (und Sektbowle ?) anbieten müssten.
Zum Essen gab es also mindestens zweierlei Kuchen (einen trockenen und einen Fruchtkuchen wurde im Artikel genauer definiert) – die gute Hausfrau buk natürlich selbst (oder ließ die Köchin backen).
Dazu wurden aber meist noch Kekse oder Waffeln angeboten – und die durften dann gerne von Weinrich sein.
Beworben wurden Kekse auch oft als Snack für die Kinder bzw. es waren in den Werbungen Kinder abgebildet. Teilweise wurden sie sogar als besonders gesund angepriesen. Den Verpackungen nach zu urteilen, waren die Weinrich-Produkte aber eher für Erwachsene gedacht, erst später, in den 20er Jahren tauchten auch Kinderbilder auf den Verpackungen auf.
Hier einige Beispiele von weiteren Gebäckwerbungen anderer Hersteller aus dieser Zeit.
Während des 1. Weltkriegs waren dann eher Grundnahrungsmittel gefragt. Die Firma Weinrich sattelte kurzfristig auf die Produktion von Nudeln um – dazu hatte man sich im Rahmen eines Auftrags der Reichsgetreidestelle verpflichtet.
Nachdem man mit der Belegschaft nach Kriegsende 1920 das 25-jährige Jubiläum gefeiert hatte, beschloss man, die Produktion auf Schokolade auszuweiten.
Die Bandbreite umfasste sowohl einfache als auch hochwertige Schokoladen und feine Pralinen.
Wie beim Gebäck legte man auch bei der Schokolade großen Wert auf die graphische Gestaltung und qualitative Verpackung – die Erfahrung hatte gezeigt, dass sie ein wichtiger Faktor beim Verkaufserfolg sind.
Weiterhin war Weinrich auf Fachmessen präsent, um sich potentiellen Käufern und Vertriebspartnern zu präsentieren. Die folgenden Bilder aus den 20er Jahren von einer Messe in Essen sind ein interessantes Zeitdokument, wie man sich damals als Firma darstellte und wie die Produkte präsentiert wurden.
Trotz alledem wird die wirtschaftliche Situation während der 20er Jahre schwierig. Inflation, Wirtschaftskrise und eine hohe Arbeitslosigkeit lassen die Verkäufe hochwertiger Kekse und Schokolade sinken – viele Leute haben während dieser Zeit nicht mehr das Geld, solche Luxuswaren zu kaufen. Es kommt zu Verlusten. Um das unternehmerische Risiko zu minimieren, wird das Unternehmen kurzzeitig in eine AG umgewandelt.
Erst im Jahre 1935 wurden wieder erste Gewinne erzielt. Darauf folgte die Umwandlung des Unternehmens in eine Kommanditgesellschaft. 1942, drei Jahre nach Ausbruch des Krieges, wird die deutsche Süßwarenindustrie durch eine gesetzliche Verfügung stillgelegt – alle Kräfte sollen für die Wehrmacht freigestellt werden. Immerhin gelingt es, die Produktion der Keksfabrik aufrecht zu erhalten – es werden Dauerbackwaren wie Zwieback für „Mutter und Kind“ hergestellt und gegen Lebensmittelkarten herausgegeben. Im Oktober 1944 wird die Schokoladenfabrik durch einen Luftangriff zerstört.
Nach dem Krieg ist neben dem Wiederaufbau die größte Herausforderung, die entsprechenden Energielieferanten wie Kohle und Gas für die Maschinen sowie die Rohstoffe für die süßen Produkte zu beschaffen. Heute kaum vorstellbar, damals Realität: die Bevölkerung hungert. Aufgrund der Lebensmittelknappheit kommt es zu Plünderungen der Warenlager zahlreicher Betriebe, auch Weinrich ist betroffen.
Ab den 50er Jahren geht es zum Glück wieder bergauf. Zunächst wird noch die gesamte Palette an Waren wie vor dem 2. Weltkrieg, d. h. sowohl Gebäck, als auch Schokoladenartikel, angeboten.
Seit Anfang der 60er Jahre konzentriert sich das Unternehmen jedoch vollständig auf Schokolade und produziert nur noch Tafelschokolade und Kuvertüre. Dafür geht der damalige Seniorchef, Cord Gerhard Budde, sogar für eine Zeit in die Schweiz, um dort die Feinheiten der Schokoladenherstellung zu erlernen! Im Jahre 1959 hat er die Geschäftsführung des Unternehmens übernommen. Ein wichtiger Impuls seiner Tätigkeit in den 70er Jahren ist der Ausbau des Exportgeschäfts – so entgeht man dem Branchensterben, denn von den ehemals 22 Süßwarenherstellern in Herford müssen 14 ihre Betriebe schließen.
Schon in den 90er Jahren beginnt Weinrich als eines der ersten Unternehmen Fairtrade Schokolade zu produzieren und wendet sich der Herstellung von Bio-Schokolade zu. Dabei kooperiert das Unternehmen mit Kakaoproduzent*innen in verschiedenen Ländern wie z.B. Ghana, setzt sich dabei für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Farmer*innen ein und fördert dort auch soziale Projekte, z.B. den Bau von Schulen.
Das Engagement setzt sich in der Dominikanischen Republik fort. Im Rahmen des Sustainable Organic Cocoa Project kooperiert Weinrich mit 150 Kakaoproduzent*innen und setzt sich für einen nachhaltigen Anbau und verbesserte Lebensbedingungen ein. Seit 2014 verarbeitet Weinrich zu 100% zertifizierten Kakao und gehört heute zu einem der größten Schokoladenhersteller von Bioschokoladen in Europa.
Wer jetzt Appetit auf Bio- und Fairtrade Schokolade bekommen hat – hier geht es zum Onlineshop der Firma, Weinrich ist auch auf Facebook und Instagram vertreten.
Quellen:
Städtisches Museum Herford (vielen Dank für die Unterstützung!)
Archiv Firma Weinrich GmbH
Sonntagszeitung für das deutsche Haus 1911 (Ausgabe 1911/ Heft 10)
Werbungen aus verschiedenen Zeitschriften Ausgaben 1900-1913
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