Mit eigenem Anbau zum Erfolg
Obst-, Blumen- und Geflügelzucht
Eine Geschichte aus dem Preisausschreiben „Vor den wirtschaftlichen Kampf gestellt“
Wer mehr Informationen zum Preisausschreiben von 1905 lesen möchte, kann hier weiterlesen.
„Lebenskampf“, ein Wort, das eine unheimliche Bedeutung gewinnt, wenn es in das Leben einer Frau tritt. In meinem Elternhause gab es keinen Lebenskampf, dort ging alles seinen geregelten Gang und gab uns Kindern das Gefühl sicherer Ruhe, die wir aber oft undankbar „Langeweile“ nannten. Mein Vater, ein geachteter höherer Beamter, kannte nur seine Pflicht und die Fürsorge für die seinen. Meine Mutter wurde nicht nur von meinem Vater auf Händen getragen, sondern auch wir drei, meine beiden Brüder und ich, hingen mit unendlicher Liebe an ihr, und für jede unserer kleinen und kleinsten Sorgen hatte sie ein offenes Ohr und einen freundlichen Rat. So verliefen unsere Kinderjahre ohne Verwicklungen und ohne Kummer, in weiser Beschränkung wurde uns manches versagt, doch nie wurde vom erziehlichen Standpunkt etwas verweigert, was zu unserer Bildung, zur Erweiterung unserer Kenntnisse dienen konnte.
Zwar lebten wir nur in einer Mittelstadt, aber auch dort wurden uns oft durch die günstige Lage des Städtchens gute Vorträge, Konzerte, bessere Theatervorstellungen geboten, die wir nie versäumen durften.
Für überflüssig hielten meine Eltern die besondere Ausbildung eines Mädchens für einen Lebensberuf; denn mein sonst so guter, kluger Vater pflegte vom sichern Standpunkt seiner über alles glücklichen Ehe zu sagen: „Der beste und vornehmste Beruf einer Frau ist die Ehe; das Lehrerinnen-, Handarbeitsexamen, Erlernung der Buchführung etc. raubt dem Mädchen nur den Schmelz der Weiblichkeit und treibt es der Emanzipation in die Arme. Seht nur unser Muttchen an“, pflegte er dann mit einem glücklichen Blick zu sagen, „die hat nur gelernt, eine tüchtige Frau und Mutter zu sein, deshalb haben wir sie auch alle so lieb.“
So lernte ich denn mancherlei, hospitierte im Seminar, lernte Musik, Handarbeiten und manches andere und besuchte fleißig mit meinen Eltern Gesellschaften und Bälle, ohne weiter an meine Zukunft zu denken. Als ich 20 Jahre war, lernte ich ihn kennen, der von da ab mein Lebensschicksal bedeutete, und nun begann jene köstliche Zeit im Mädchenleben, die jeder liebenden Frau als sonnige zarte Erinnerung unvergesslich ist. Als endlich das erlösende Wort gesprochen war, fühlte ich mich unsagbar glücklich, und mein Verlobter und ich sahen den Widerschein unserer Seligkeit in den Augen meiner Eltern, die mit uns noch einmal ihre eigene Brautzeit zu durchleben schienen. Wie oft fingen jetzt ihre Gespräche mit „Weißt du noch?“ an, und wie kleidete es unsere Mutter reizend, wenn sie bei manchem bedeutungsvollen Blick oder geflüsterten Wort meines Vaters wie ein junges Mädchen errötete.
Mein Verlobter war Bauführer, der erst in ungefähr 3 Jahren seine Anstellung zu erwarten hatte; trotzdem beschlossen meine Eltern, dass wir bald heiraten sollten, „denn“, sagte mein Vater, „weshalb sollt ihr euch die schönsten Jahre eures Lebens verkümmern, noch leben wir ja, dein Ernst ist ein gesunder, kräftiger Mensch, und weshalb soll man gerade an den schlimmsten Fall denken, dass Ernst vor der Anstellung sterben könnte. Wir können Dir freilich nur die Ausstattung geben, aber kleine Ersparnisse haben wir gemacht und werden euch helfen, so viel wir können.“
So wurde eine solide, reichliche Ausstattung besorgt, eine Wohnung von vier Zimmern hübsch und praktisch eingerichtet, und unser Glück schien vollkommen.
Als nach einem Jahr meinen Eltern der erste Enkel geboren wurde, meinten sie, noch nie etwas Reizenderes gesehen zu haben, obgleich der kleine Kerl rot wie ein Krebs in seinem Korbe lag. Bald danach verloren meine Eltern ihre Ersparnisse durch leichtsinnige Versprechungen meines jüngeren Bruders, und um das Unglück voll zu machen, erkrankte mein Mann nach einer Reise durch den Genuss verseuchten Trinkwassers am Typhus und starb nach wenigen Tagen. Wie eine Ertrinkende stand ich an seinem Sarge, unfassbar schien es mir, dass so viel treue Liebe, so viel Aufopferung mir verloren war, dass ich keinen Menschen mehr mein nannte, der so innig mit mir verbunden war, wie mein Gatte, der mich in beinahe zweijähriger Ehe unbeschreiblich glücklich gemacht hatte.
Erst nach einigen Wochen, als der erste lähmende Druck von mir gewichen war, machte ich es mir klar, dass ich, der ich nicht die geringsten Ansprüche auf Pension hatte, gezwungen war, für meinen Lebensunterhalt zu sorgen, um so mehr, als ich noch einen Familienzuwachs erwartete. Dieser Gedanke ergriff mich mit solcher Wucht, dass sogar der beinahe körperliche Schmerz um mein verlorenes Glück davor verstummte.
Ganz deutlich stand es vor meinem Geist, wie unvollkommen für einen Lebensberuf meine Kenntnisse in jeder Hinsicht waren.
Die nächste Zeit erschien mir fast noch schwerer als die Stunde, in der mir bewusst wurde, dass das Leben meines Gatten erloschen war; denn Tag und Nacht kreisten meine Gedanken um den einen Punkt: wie sicherst du die Zukunft deiner Kinder?
Mit peinlicher Genauigkeit überschlug ich meine Einnahmen und versuchte, ihnen die Ausgaben gegenüberzustellen. Freilich bekam ich aus der Lebensversicherung 10,000 Mark, dazu kam noch der Ertrag eines Stück Landes, das mein Mann noch von seinen Eltern besaß. Als Kaufpreis hatte man meinem Mann einmal 6000 Mark dafür geboten,
so dass ich im günstigsten Fall, zu viereinhalb Prozent gerechnet, 720 Mark Einnahme besaß, wozu noch die Erziehungsgelder der Kinder kamen. Meine Eltern durfte ich nicht in Anspruch nehmen, da sie durch die Unglücksfälle sehr gelitten hatten und der größten Pflege und Schonung bedurften, und wie lange konnten mir die Eltern denn noch erhalten bleiben?
Unwillkürlich bebte ich wohl infolge meiner etwas einseitigen Erziehung vor dem Gedanken zurück, irgendwie in die Öffentlichkeit zu treten, mir durch Annoncen oder dergleichen einen Erwerb zu suchen, und vorläufig hätte ja auch die Rücksicht auf meinen Zustand das Hinaustreten ins öffentliche Leben unmöglich gemacht. Wie eine Fügung des Himmels erschien es mir daher, als ich folgende Annonce in der Zeitung fand:
„Damen, in Handarbeiten geübt, finden sichern Lebensunterhalt. Nähere Auskunft erteilt . . . “
Sofort setzte ich mich mit der angeführten Firma in Verbindung und war glücklich, als mir nach Einsendung einer Probearbeit eine größere Handarbeitssendung zuging.
Mit unermüdlichem Fleiß saß ich bis spät in die Nacht bei der Arbeit, mir nur knapp Zeit nehmend, um für mein Kind und ein anspruchsloses Essen zu sorgen. Aber ach, trotz allen Fleißes, trotzdem ich mich müde und krank dabei machte, betrug bei der Abrechnung der Verdienst nur durchschnittlich 1 Mark pro Tag. Das war also nur ein Nebenerwerb für solche, die sonst ihr Auskommen hatten, nicht aber für eine Frau, die für sich und 2 Kinder sorgen wollte, mit der Aussicht, dass sich bei zunehmendem Alter der Kinder die Ausgaben verdoppeln würden. Entmutigt gab ich diese Arbeit auf, um auf neue Mittel und Wege zu sinnen, wie ich etwas verdienen könnte. Könntest du schneidern, dir wäre geholfen, seufzte ich, und doch wusste ich wohl, dass im Ernstfalle das anerzogene Gefühl einer Beamtentochter, nicht in dieser Art mit einem größeren Publikum in Berührung zu kommen, mich in einen schweren Konflikt gebracht hätte.
Mein Zustand verbot es mir jetzt, etwas energisch anzugreifen – desto mehr Zeit blieb mir zu Überlegungen. Vermieten schien mir schließlich das Beste. Einen Teil meines Kapitals wollte ich für die fehlende Einrichtung anlegen, einen Teil brauchte ich zur Miete und musste wohl auch rechnen, dass ich in den ersten Jahren zum Lebensunterhalt vom baren Gelde etwas nehmen müsste. Und wie, wenn die Sache nicht ging – dann war auch der geringe Notpfennig, den ich jetzt hatte, aufgezehrt. Nach einer größeren Stadt ziehen? Ja, aber da kannte mich niemand, viele Familienverbindungen besaß ich nicht, und die Konkurrenz war groß. Also auch dieser Plan, der mir im Anfang so gut schien, musste aufgegeben werden. Jede Beschäftigung außer dem Hause verbot sich der Kinder wegen von selbst, also immer ratlos – ratlos!
Da fiel es mir plötzlich ein, mit welcher Hingabe mein Mann, der ein großer Blumen- und Gartenfreund war, davon gesprochen hatte, später einmal das 12 Morgen große Stück Land als Obst- und Gemüseland einzurichten. Freilich hatte ich ihn dieser halb immer ausgelacht, denn was soll wohl ein Beamter mit derartigen Projekten, aber jetzt erschien mir dieser Gedanke wie eine Fügung des Himmels.
Mit rastlosem Eifer studierte ich nun das kleine Fachblatt, das mein Mann aus Liebhaberei gehalten hatte, und fand manche praktischen Winke und genaue Berechnungen der zu erwartenden Einkünfte. Gewissenhaft durchlas ich die verschiedensten Bücher von Fachleuten, und als ich mich nach der Geburt meines kleinen Mädchens ein wenig gekräftigt hatte, begann ich mein Lebenswerk. Durch den freundlichen Rat und die wirksame Unterstützung eines bekannten Landwirtschaftslehrers hatte ich im Herbst die nötigen Sträucher an Johannis-, Stachel-, Himbeeren, Buschobst und viele Halbstämme von gutem Obst erworben und engagierte nun einen jungen Gärtner, der unter Aufsicht des Landwirtschaftslehrers den Garten einrichtete. Gleichzeitig wurde ein bescheidenes Häuschen aufgebaut mit zwei Zimmern und Küche für mich, einem Zimmer für den Gehilfen, dazu eine Remise zu allerlei Gartengerätschaften. In den ersten Jahren brachte der neu angelegte Garten nicht nur nichts ein, sondern ich musste zulegen, da ein Brunnen und die Anlegung eines Teiches notwendig wurden, und mit bitteren Sorgen sah ich nicht nur mein kleines Kapital zusammenschmelzen, sondern musste ein Darlehen auf mein Grundstück aufnehmen.
Entbehrungen, die ich früher nicht gekannt hatte, wurden notwendig, denn wenn auch Mistbeetkultur und Beerenobst Erträge lieferten, kosteten doch die Besoldung des Gehilfen und die Arbeitslöhne für Frauen recht viel. Dabei musste ich trotz meiner schweren Gedanken von früh bis spät auf den Füßen sein und ganz von vorn als Gärtnerlehrling beginnen, um später urteilen und befehlen zu können.
In ganz kurzer Zeit liebte ich meinen Beruf, denn die Freude am Gedeihen und Blühen selbst gezogener Pflanzen, Blumen und Bäume entschädigte für manche Stunde angestrengter Arbeit und seelischer Entmutigung. Aber mit den Schwierigkeiten wuchs die Energie, und die Geisteskräfte verdoppelten sich. Nach kurzer Zeit schon schaffte ich mir zur Hühnerzucht eine Brutmaschine an, der bald mehrere folgten, nachdem ich die Ursache der anfänglichen Misserfolge kannte, und diese Kapitalsanlage trug glänzende Zinsen. In kurzer Zeit waren meine frühen Küken bekannt und gesucht, nach frischen Eiern kam man täglich zu mir, und von Jahr zu Jahr wuchsen meine Einnahmen.
Nach fünf Jahren erbaute ich unter Aufnahme einer Hypothek nicht nur ein größeres Wohnhaus, sondern auch ein kleines Gewächshaus, und mit freudigem Stolze kann ich jetzt, da mein Junge bald die Universität beziehen wird, auf meine Schöpfung blicken, die schon von manchem mit Staunen betrachtet wurde.
Der Garten bringt mir einen Reingewinn von ca. 6000 Mark pro Jahr, wozu noch eine rationell betriebene Geflügelzucht mit einer Einnahme von ca. 2000 Mark kommt. Im Kampfe stählt sich die Kraft, und daher habe ich jetzt Lehrkurse für junge Mädchen eingerichtet, die einmal nicht so ungeschult der Not gegenüber stehen wollen, wie ich es vor 17 Jahren war. Bin ich dann zu alt und müde für meinen Beruf, so hat man den Plan, mein Besitztum in eine Provinzialbrutanstalt zu verwandeln, und mit inniger Freude werde ich dann die Hände in den Schoß legen und sagen:
„Dieses war mein eigenstes Werk. Durch Mühe und Entbehrungen habe ich mich zur Unabhängigkeit durchgerungen, niemandem bin ich zur Last gefallen, und mein lieber Gatte kann vom hohen Himmel herab mit Stolz auf die Seinen blicken.“
Wenn Euch die Geschichte gefallen hat, hier sind weitere schon veröffentlichte Geschichten aus dem Preisausschreiben bzw. Buch „Vor den wirtschaftlichen Kampf gestellt“:
„Die Lithographin“ , „Vom Sprachunterricht zum Kunstgewerbe“ , „Ein Besorgungsinstitut“ , „Die Lehrerin“ , „Am Telefon“ und „Mit dem Kochlöffel“.