Die Gräfin aus Stolpe

 In Biographien, Gastbeitrag, Unkategorisiert

ein Gastbeitrag von Karina Schulz

Unsere Gastautorin Karina Schulz habe ich letztes Jahr bei meinen Recherchen zur Sommerfrische auf der Insel Usedom kennengelernt. Für den Usedom Tourismus koordiniert sie die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ihre vielfältigen beruflichen Erfahrungen haben einen gemeinsamen Nenner: die Kultur. Folgerichtig hat sie auch Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg studiert. Ursprünglich aus Hannover stammend, lebt sie schon einige Jahre auf Usedom und kennt die Insel und ihre Geschichte bestens.

Im Juli saßen wir nach einem gemeinsamen Termin im schönen Café Asgard zusammen. Schon die Wahl des Cafés war mir sympathisch: denn Café Asgard ist natürlich nicht irgendein Café, sondern das älteste der Insel – 1898 erbaut. In netter plüschiger Atmosphäre unterhielten wir uns nicht NUR über alte Zeiten und die Geschichte Usedoms… Beim Thema Sehenswürdigkeiten kamen wir auf das Schloss Stolpe zu sprechen und Frau Schulz erzählte mir über ihre Recherchen zur Gräfin Freda von Schwerin – eine faszinierende Geschichte, fand ich.

Die Gräfin erlebte mehrere Epochen deutscher Geschichte: Kaiserzeit, Weimarer Republik, Naziregime und das geteilte Deutschland nach dem Krieg.

Aber lest selbst:

Freda von Kleist kam 1897 kurz nach ihrer Heirat mit Friedrich Graf von Schwerin nach Stolpe. Das Gut Stolpe, das seit Anfang des 13. Jahrhunderts mit Unterbrechung Sitz der Stolper Linie der Familie von Schwerin war, war ein Geschenk des Schwiegervaters zur Hochzeit. Ein Umzug von Berlin in die pommersche Provinz kam für die weltläufige Freda allerdings erst in Frage, nachdem das Ende des 16. Jahrhunderts erbaute Gutshaus zu einem repräsentativen Schloss umgebaut worden war.

Als Offizier und später als Kammerherr und Hofmarschall des Prinzen Friedrich Leopold von Preußen war Friedrich von Schwerin häufig abwesend. Wenn ihr Mann in Berlin weilte oder wenn er im Krieg war, kümmerte Freda sich mit Hilfe ihres Verwalters um die Bewirtschaftung des Anwesens. Nach dem frühen Tod von Friedrich 1924 erbte der Sohn das Gut. Die Gräfin erhielt Nießbrauch und lebte mit ihren Angestellten im Schloss.

Zur Dorfbevölkerung, besonders zu den Beschäftigten des Gutes hatte die Gräfin ein fürsorgliches verantwortungsbewusstes Verhältnis. Im Gutsstall wurde für jede Familie eine Kuh gefüttert, deren Milch und Kälbchen für diese Familie bestimmt waren. Auch eine Ackerfläche für den Eigenbedarf konnten sie bewirtschaften. An Heiligabend lud die Gräfin die Kinder zu sich ins Schloss ein, sang mit ihnen Weihnachtslieder und machte ihnen Geschenke. Einmal soll sie Stolper Frauen, die bis dahin noch nie über die Dorfgrenzen hinausgekommen waren, zu einem Ausflug nach Berlin eingeladen haben. In Notsituationen war auf den Beistand der Gräfin Verlass.

Während des Dritten Reichs zeigte Freda Zivilcourage und machte aus ihrer Ablehnung der Nationalsozialisten keinen Hehl. Die Dorfjugend forderte sie auf, ihr gegenüber den Hitlergruß zu unterlassen. Kriegsgefangene beherbergte und verpflegte sie auf Gut Stolpe, was strengstens untersagt war. Noch 1945 stand in der Eingangshalle des Schlosses ein Bild von Kaiser Wilhelm II, dem letzten Hohenzollernkaiser: „Damit jeder, der hereinkommt, weiß, mit wem man es hier zu tun hat. Das Bild verschwindet erst, wenn alles andere untergegangen ist“, pflegte sie zu sagen.

Das Kriegsende und den Einmarsch der Russen erlebte die Gräfin in Stolpe. Flucht kam für Freda aus Verantwortung für die Dorfbevölkerung nicht in Frage. Auch hatte sie gehofft, als Nazigegnerin von einer Enteignung verschont zu bleiben. Tatsächlich aber musste sie bereits im Mai das Schloss verlassen und wurde im Zuge der Bodenreform im November endgültig aus Stolpe ausgewiesen. Dorfbewohner brachten sie mit Pferd und Wagen in den Lieper Winkel, dort setzte sie ein Fischer über das Achterwasser zum Festland über. Bis zu ihrem Tode 1957 lebte Freda von Schwerin in ärmlichen Verhältnissen gemeinsam mit ihrer Schweizer Gesellschafterin Mimi in der Nähe von Lüneburg.

In ihrem Testament hatte Freda darum gebeten, „still und ohne Aufhebens“ in ihrer Heimat beerdigt zu werden. Die Überführung des Sarges aus der Bundesrepublik durch den Eisernen Vorhang bis in die Stolper Kirche erfolgte ohne Hindernisse. Dort allerdings versetzte der Sarg mit der toten Gräfin die SED-Bezirksleitung in helle Aufregung. Unter keinen Umständen sollte die Bevölkerung Gelegenheit bekommen, die beliebte frühere Schlossherrin zu würdigen. Am liebsten hätten die Parteigenossen den Sarg wieder zurückgeschickt. Nach einigem Hin und Her einigte man sich schließlich darauf, die Gräfin still und heimlich in einer Ecke auf dem Dorffriedhof beizusetzen. Alle Bemühungen, das Begräbnis geheim zu halten, schlugen fehl. Hunderte Menschen schlossen sich dem Trauerzug an und drückten so ihre Hochachtung aus. Auch die Traktoren, mit denen die Parteigenossen den Hohlweg zum Friedhof versperrten, hinderten sie nicht daran. „Eine auffallende Demonstration für eine untergegangene Welt“ erinnert sich später ihre Verwandte Esther Gräfin von Schwerin.

Die tumultartigen Umstände dieser Beerdigung waren anschließend auch Thema in den Medien. So berichtete die örtliche LPG-Zeitung abfällig über die Trauergäste, die offenbar „immer noch nichts begriffen“ hätten. Wolfgang Kohlhaase inspirierten die Ereignisse zu seiner Erzählung „Begräbnis einer Gräfin“, die 1992 von Heiner Carow verfilmt wurde.

Dieser Beitrag wurde bereits im USEDOM-Magazin veröffentlicht.
Quelle: Usedom-Wolliner Blätter

 

Schloss Stolpe wurde in den letzten anderthalb Jahren aufwändig saniert und ist nun wieder in altem Glanz zu besichtigen – dazu gibt es diesen interessanten Beitrag, gleichfalls von Karina Schulz.

Hier der Link zur Webseite des Schlosses für weitere Informationen.

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Kommentare
  • Dr. Monika Dahncke
    Antworten

    ein bewegender Rückblick…

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