Zwei Krönungen und ein Zwischenfall – so wurden englische Könige 1902 und 1911 gekrönt!
1902: Der „Onkel Europas“ besteigt spät den Thron
Als die betagte Königin Victoria im Januar 1901 starb, war ihr ältester Sohn und Nachfolger Prinz Albert Edward bereits 59 Jahre alt – bis dato war er der zweitälteste Thronfolger des britischen Könighauses, im Vergleich zum 2022 mit 73 Jahren inthronisierten König Charles allerdings wesentlich jünger…
Der Prinz, dessen familiärer Spitzname „Bertie“ war, konnte in seiner Kindheit die hohen in ihn gesetzten Erwartungen als Erstgeborener und Thronprinz oft nicht erfüllen, vor allem im Gegensatz zu seiner begabten jüngeren Schwester Victoria, die später (wenn auch nur kurze Zeit) deutsche Kaiserin werden sollte. Auch in seiner Jugend glänzte „Bertie“ durch einen ausschweifenden dandyhaften Lebensstil eher mit Wein- als Wissensdurst. Neben seiner Ehefrau, der Prinzessin Alexandra von Dänemark, mit der er sechs Kinder hatte, unterhielt er zahlreiche Affären. Trotz alledem war er nicht nur in der High-Society beliebt, sondern verhielt sich bei seinen öffentlichen Auftritten und Staatsgeschäften, bei denen er involviert war (nicht viele) weltgewandt und diplomatisch geschickt. Wurde seine Mutter, Königin Victoria, aufgrund ihrer vielfältigen verwandtschaftlichen Beziehungen zu europäischen Adelshäusern die „Großmutter Europas“ genannt, so er aus dem gleichen Grund „Onkel und Vetter Europas“.
Krönung mit Hindernissen
Nach seiner Ernennung im Januar 1901 wurde die Krönung zunächst für den Juni 1902 anberaumt. Allerdings bekam Edward kurz davor eine lebensgefährliche Blinddarmentzündung – die Krönung musste verschoben werden! Am 9. August 1902 fand sie dann schließlich statt. Um den König etwas zu schonen, hatte man die Zeremonie in Westminster Abbey etwas „gestraft“ – trotz alledem dauerte sie noch 2 ½ Stunden. Und hätte fast abgebrochen werden müssen! Und zwar wegen eines drohenden Ohnmachtsanfalls. Nein, weder den König noch die Königin hätte es beinahe erwischt, sondern den ausführenden Erzbischof von Canterbury. Aber am Ende hielt er sich wacker… So erzählt es jedenfalls der Bericht der „Sonntagszeitung für die deutsche Frau“ von 1902, aus dem übrigens alle Originalzitate im Artikel stammen.
Wegen des angeschlagenen Königs war auch die „große Prozession“ zur Kirche hin weggefallen – trotz alledem säumten noch genügend Neugierige die Straßen…
Westminster Abbey – für die Krönung herausgeputzt
Die Kirche selbst war mit einem prächtigen dunkelblauen Läufer „mit einem Muster von Tudorrosen, schottischen Disteln und irischem Klee“ ausgelegt – für das Protokoll, er wog 50 Zentner! Kurz vor dem Altar wurde der über (inzwischen) 700-jährige Thron des heiligen Eduards aufgestellt, auf dem seitdem alle Herrscher gekrönt worden sind – bis heute übrigens. An alle Details war gedacht worden, sogar an Umkleidekabinen:
Jenseits des Altars hatte man aus Seidenstoffen zwei kleine Umkleidekabinen für den König und die Königin hergestellt, wo sie nach beendigter Feier die schweren Festgewänder ablegen konnten.
Laut Angaben der Sonntagszeitung waren ca. 7000 Zuschauer anwesend. Dazu wird beschrieben:
Der ganze Raum des Mittelschiffes der Kirche und der beiden Querschiffe war mit amphitheatrisch ansteigenden Reihen von Zuschauersitzen ausgefüllt. Die Chorsitze mit ihren besonders günstigen Blick auf die Plätze des Königs und der Königin waren für die vornehmsten Gäste bestimmt.
Wer genau diese vornehmsten Gäste waren, wird nicht ausgeführt, stattdessen werden einige besonders exotische Besucher benannt – die uns heute allesamt unbekannt sind.
Platzanweiser für die geladenen Gäste waren „fünfzig mit goldbeknauften Stäben amtierende Marschälle“. Ob die Anweiser der diesjährigen Krönung goldbeknauft und von militärischem Rang sind, ist zu bezweifeln…
Sympathisch: Der König hatte die Krankenpflegerinnen, „deren treuer Pflege er seine Genesung verdankte“, zur Zeremonie eingeladen, die inmitten prächtig gekleideter Damen in ihrer Schwesternkleidung saßen. Um 9 Uhr mussten alle Eingeladenen auf ihren Plätzen versammelt sein – die Zeremonie sollte erst nach 11 Uhr beginnen.
Hier der Originaltext des Artikels wie sie ablief:
Die Krönungszeremonie
Die höchsten Würdenträger nahmen Aufstellung in der Nähe des Thrones. Der Herzog von Devonshire trug die Krone, der Marquis von Londonderry das Schwert. Der Erzbischof von Canterbury nahm inzwischen seinen Platz mit dem Angesicht gegen das Schiff ein. Die Königin, deren Schleppe von acht Pagen getragen wurde, nahm auf ihrem Throne Platz und wurde von den Schülern von Westminster mit dem Rufe „Vivat Regina Alexandra!“ begrüßt.
Alsdann kündigte die Musik mit den Klängen von Richard Wagners Kaisermarsch die Ankunft des Königs an, der von der Versammlung, die sich erhoben hatte, mit dem Rufe: Vivat Rex Eduardus!“ begrüßt wurde. Der König trug den königlichen Staatsornat, den purpurnen Mantel, dessen Schleppe von acht jungen Edelleuten gehalten wurde. Der König schritt alsdann auf den im Vordergrund des Thrones befindlichen für ihn bestimmten Sitz zu, verbeugte sich vor der Königin und kniete zum Gebet nieder. Mit lauter Stimme stellte dann der Erzbischof von Canterbury den König als den unbestreitbaren Herrscher Englands vor und fragte die Versammlung, ob sie dem Herrscher huldigen wollte; Fanfaren begleiteten die laut gegebene Bereitwilligkeitserklärung. Nach der Salbung, zu der der König im Thronsessel Platz nahm, wurde der Herrscher mit dem strahlenden, goldgewirkten Krönungsmantel bekleidet.
Den Schluß der Feier bildete dann nach Überreichung der Reichsinsignien durch die Würdenträger die Krönung selbst; der Erzbischof von Canterbury setzte dem König die Krone auf’s Haupt, um hierauf vor dem König niederzuknien und den Huldigungseid zu leisten.
Der König mußte dann dem greisen Kirchenfürsten mit der Hand beim Aufstehen behilflich sein. Darauf leistete der Prinz von Wales seinem Vater den Huldigungseid, worauf die Vertreter des Adels nach einander zu der gleichen Zeremonie vortraten. Als die Krönung kurz nach ein Uhr beendet war, erhob sich die ganze Versammlung und rief „Gott erhalte den König und die Königin“ Um zwei Uhr verließ dann das Königspaar wieder die Abtei, mit begeisterten Zurufen von der Volksmenge begrüßt.
Was das Königspaar zwischen ein und zwei Uhr getan hat? Na, sich in den kleinen Kabinen umzuziehen zum Beispiel! Zwei meterlange und schwere Schleppen hätten ja schlecht in den Galawagen gepasst. Und sicherlich haben sie auch noch einige Glückwünsche entgegengenommen – zuallererst von den nahesitzenden vornehmsten Gästen in den Chorstühlen…
Die Krönungsrobe der Königin
Damals und heute mit das Wichtigste, was wir natürlich nicht vergessen! Zum Glück wird ihre Robe im Artikel ausführlich beschrieben:
Das Kleid, ganz aus Gold, Goldtüll mit Perlen und Diamanten besetzt, lag auf einem Untergrund von Goldtuch.
Gewirkt wurde dieses Tuch in Indien, damals noch britische Kolonie. Weiter heißt es:
Das Muster zeigt in verschiedenen Formen die Embleme Englands. Die Aermel waren flügelartig aus Goldgaze, und ein Stuartkragen, der auch von Diamanten und Perlen strahlte, umrahmte die Schultern. Der purpurrote Samtmantel, der in London gemacht und gestickt war, war ganz mit Hermelin gefüttert. Seine Länge betrug etwa sechs Ellen (ca. sieben Meter) von dem Kragen an, und die Schleppe durchweg dieselbe Breite hatte, mußte sie in tiefen Falten liegen, um elegant auszusehen und von den Pagen bequem getragen werden zu können. Das Gewicht war sehr groß.
Und der Preis auch! Es wird als „das Kostbarste, was man je bei einem solchen Fest gesehen hat“ bezeichnet. Zum Vergleich werden Kleider und Preise aus vergangenen Jahrhunderten bemüht:
Mary Beatrice, die Gemahlin Jacob II., soll bei ihrer Krönung ein Kleid getragen haben, das 2 Millionen Mark kostete. Königin Alexandra hat sie jedenfalls bei weitem übertroffen.
Die gute Beatrice lebte im 17. Jahrhundert, wie man den genauen Preis dieses Kleides geschätzt hatte, wird nicht berichtet. Und wenn wir zu den Gesamtkosten der Krönung kommen, wird klar, dass mehr als zwei Millionen für die Robe wohl etwas hochgegriffen sind…
Die Kosten der Krönung
Damals und heute ebenfalls nicht überraschend die Feststellung:
Die Krönung seines Königs wird England eine stattliche Summe kosten
Man veranschlagte eine Summe von ca. 2 ½ Millionen Mark, heißt es weiter. Dagegen war die Krönung von Königin Victoria ja geradezu billig, die laut Bericht 1 Million und 380 000 Mark kostete. Aber noch sparsamer war König Wilhelm IV. (1765-1837) -oder sein Krönungsplaner-, denn es wurden nur 860 000 Mark ausgegeben. Verschwenderisch dagegen sein Vorgänger und älterer Bruder König Georg IV. (1762-1830) – sage und schreibe die „ungeheure Summe“ von 4 ¾ Millionen kostete dessen Krönung! Inflationswerte wurden hier wohl nicht berücksichtigt.
Und da kehren wir kurz noch einmal zur Königinnen-Robe zurück, die dann in etwa so viel wie die ganze Krönung 1902 gekostet hätte – eher unwahrscheinlich. Aber sicher ist: Sehr teuer war sie bestimmt!
Ja, und wer bezahlte die Krönung eigentlich? Das englische Volk natürlich. Am Schluss des Artikels heißt es:
Als Krönungsgeschenk des englischen Volkes erhielt König Eduard eine Anweisung auf 2 ½ Millionen Mark, er hat diese Summe, die von allen Schichten der englischen Bevölkerung in großen und kleinen Beträgen zusammengebracht worden war, zu wohlthätigen Zwecken verwandt.
Man stellt sich dabei förmlich vor, wie die letzten Spargroschen der ärmeren Bevölkerung in die Sammelbüchsen für die Königskrönung geworfen wurden. Wenigstens bekamen sie etwas zurück…
Wenn wir gerade beim lieben Geld sind: die Beträge werden zwar in Mark angegeben, aber in England zahlte man schon sehr lange mit dem Pfund. Wahrscheinlich war es für die deutschen Leser einfacher, die Markbeträge in Relation zu setzen…Wobei wohl sehr wenige davon mit Millionenbeträge hantierten.
Krönung 1911: König Georg V.
König Edward VII. sollte nicht sehr lange regieren – er starb im Mai 1910. Seine Gesundheit war schon länger angeschlagen gewesen, was allerdings vor dem Volk verheimlicht wurde.
Nachfolger wurde sein zweiter Sohn Georg – als König Georg V. wurde er im Juni 1911 zum König gekrönt, zusammen mit seiner deutschstämmigen Gemahlin Maria von Teck, englisch Königin Mary.
Hier ein paar Bilder dieser Krönung, die im großen Stil (also ohne Einschränkungen) gefeiert wurde. Zu Krönung 1911 könnt Ihr in diesem Artikel Details nachlesen.
Bis heute zelebriert: Ein uraltes Ritual
Beschreiben möchte ich noch ein uraltes Ritual, was bis heute bei jeder Krönung zelebriert wird – aber weder bei Königin Elisabeths Krönung bei der Fernsehübertragung zu sehen war noch bei König Charles III. zu sehen sein wird: Die Salbung mit Öl – Höhepunkt der Krönung und privater Moment.
Das Gefäß, welches das heilige Öl enthält, welches -angeblich- nach einem biblischen Rezept hergestellt wird, wird „Ampulla“ genannt, hat die Form eines Adlers und stammt aus den Tagen Edward III. (1312-1377). Auf den abgebildeten Löffel, der aus dem 12. Jahrhundert stammt, wird das Öl geträufelt. Gesalbt wird der König oder die Königin vom Erzbischof. Dazu streicht er das Öl auf den Scheitel und beide Handflächen. Der Scheitel als Symbol für den Sitz der Gedanken und der Rede, die Hände sinnbildlich als Werkzeuge der Handlung.
Auch wenn dieses Ritual nicht übertragen wird – IHR wisst, dass es stattfindet!
Viel Spass beim Schauen und Verfolgen der Krönung von König Charles III. Ich bin schon gespannt, wie diese moderne Krönung aussieht…und die Robe von Königin Camilla!
In diesem Artikel könnt Ihr Details zum Begräbnis von Königin Victoria im Januar 1901 nachlesen.