Haushaltungsunterricht – eine Beschreibung von 1906 und die Frage: heute noch (oder wieder) zeitgemäß?
Haushaltungsunterricht – das klingt konservativ und irgendwie „gestrig“. Dachte ich, bis ich neulich einen Artikel über Hauswirtschaftsunterricht, so der heutige Ausdruck, an einer Gemeindeschule in Charlottenburg von 1906 las. Im Artikel, den Ihr hier im Original lesen könnt, wurde dessen „Wissenschaftlichkeit“ hervorgehoben, mit Fotos aus dem Unterricht illustriert.
Das fand ich zunächst etwas merkwürdig, denn Kochen hätte ich jetzt nicht unbedingt zu den Wissenschaften gezählt. Jedenfalls nicht das Kochen der täglichen Mahlzeiten.
Beim Lesen gefiel mir jedoch das Unterrichtskonzept – es umfasste mehr als profane Kochanleitungen. Natürlich ist der Artikel aus seiner Zeit zu sehen. Einer Zeit, in der die zukünftige Rolle der Mädchen widersprüchlich dargestellt wird. So werden zum einen in der Mädchenzeitschrift „Kränzchen“ am Anfang des Artikels traditionelle Rollenbilder beschrieben:
„Aber wenn er (der Backfisch – so wurden damals Teenager bezeichnet) zu der Vorstellung gelangt, daß eine Familie auch gut und richtig ernährt sein will, und daß die Hausfrau dafür zu sorgen hat, daß der Tisch rechtzeitig gedeckt ist, und etwas Ordentliches darauf zu stehen kommt, dann wird ihm ein wenig heiß…“
Und deshalb sorgt der Haushaltungsunterricht für die notwendige Sicherheit der zukünftigen Hausfrau…
Auf der anderen Seite werden in der gleichen Zeitschrift berufstätige Frauen vorgestellt, die meist Pionierinnen in ihren Berufen waren, z.B. die erste Ärztin oder Chemikerin. Sie werden über ihren Werdegang interviewt und durchaus als Vorbilder dargestellt.
Blättere ich in heutigen Frauenzeitschriften, stoße ich übrigens oft auf ein ähnlich ambivalentes Frauenbild. Da werden Frauen mit Bilderbuchkarrieren als Vorbilder dargestellt, die Beruf, Familie und Privatleben mit Leichtigkeit „wuppen“ und dazu natürlich auch noch großartig aussehen. Ein paar Seiten weiter gibt es Erfahrungsberichte zu Schönheits-OP’s, Schmink- und Kochtipps – ganz nach traditionellem Rollenmuster.
Zurück zum wissenschaftlich angehauchten Haushaltungsunterricht anno 1906. Wie lief er ab? Zunächst wird die Aufteilung beschrieben:
„Die Küche ist in einem großen hellen Saal eingerichtet. Gewöhnlich besteht eine Klasse aus zwanzig Schülerinnen und jede derselben soll sich abwechselnd als Hausmütterchen oder als anderes Familienmitglied fühlen. Darum wird jede Klasse in Familien eingeteilt und zu jeder gehören vier Schülerinnen.“
Auf den Bildern sieht man, wie die Küche ausgestattet war. Im Text wird es recht ausführlich beschrieben, bis zum Salz- und Pfeffernäpfchen:
„Darum muß Salz und Pfeffer immer schön glatt gestrichen, womöglich mit einem niedlichen Muster versehen sein.“
Gegessen wurde, was auf den Tisch kam. Also, was vorher gekocht wurde. Wobei der Küchentisch gleichzeitig als Speisetisch dient, wie es im Text weiter heißt und dass es schmeckt:
„Daß die „Familien“ alle Ursachen haben, ihre selbstbereiteten Gerichte mit größtem Behagen zu verzehren, kann ich als freundlich eingeladener Gast bestätigen. Die Haferflocken, welche die emsigen Köchinnen in Charlottenburg kochten, waren vorzüglich geraten.“
Soweit der praktische Teil. Und die Theorie?
„Neben dem praktischen Unterricht wird gleichzeitig der theoretische, wissenschaftliche erteilt; wo es angebracht erscheint, werden sogar chemische Experimente ausgeführt.
Bei einem Gericht, das in Milch zu kochen ist, wird alles genau durchgenommen, was sich über die Milch sagen läßt. Die Schülerinnen müssen wissen, aus welchen einzelnen Bestandteilen sie zusammengesetzt ist, warum sie eins unserer vorzüglichsten Nahrungsmittel genannt werden muß, wie sie vor dem Sauerwerden und Gerinnen zu schützen ist und wodurch beides entsteht; dies wird auf chemischen Wege gezeigt.“
Aber nicht nur Chemie wurde in den Unterricht integriert, sondern auch Nahrungsmittelkunde (nenne ich das einfach mal):
„Bei den Mohrrüben wieder wird erklärt, welchen Nährwert diese haben, wie sie auf die Gesundheit wirken und in welcher Jahreszeit sie am vorteilhaftesten zu verwenden sind;…“
Sogar Hinweise zum Anbau gibt es, wobei ja Charlottenburg schon damals nicht gerade ländliches Territorium war:
„…ferner, welche Witterung am günstigsten für eine gute Ernte erforderlich ist; was für Gerichte aus den Feldfrüchten gekocht werden können, mit welchen anderen Speisen sie am schmackhaftesten zubereitet werden und was aus ihnen für den Haushalt gewonnen werden kann.“
Aber damit nicht genug:
„Auch hier werden chemische Experimente vorgenommen; Sirup wird gewonnen und Marmelade, aufs Brot zu streichen.“
Dazu gibt es Illustrationen an den Wänden, wie auf dem folgenden Bild zu sehen:
„An den Wänden hängen überall große naturwissenschaftliche Bilder. Sie zeigen die Tiere und Pflanzen, die wir zu unserer Nahrung verwenden. An ersteren wird auch gelehrt, welches die mehr oder minder nahrhaften und welches nicht verwendbare Teile sind.“
Auch über die verschiedenen Herdarten wurden die Schülerinnen unterrichtet, an erster Stelle stand dabei der damals gebräuchliche Kohleherd. Während heute dieser Hinweis:
„Behutsam fassen die Mädchen die Briketts mit der Zange an, um immer saubere Hände zu behalten“
sicher keine Rolle mehr spielt, so ist es auch heute nach wie vor eine Kunst (finde ich) bzw. Kochfertigkeit
„wann jedes Gericht aufgesetzt werden muß, damit alles gleichzeitig auf den Tisch komme“
Und das trotz modernster Hilfsmittel. Modern war man damals auch schon, zumindest was den Herd anging:
„Alle modernen Kücheneinrichtungen, die das Wirtschaften gegenüber früher so sehr erleichtern und bequemer machen, sind in den Haushaltsschulen eingeführt. Darum haben sie neben den Kohleherden auch Gasherde…“
Denn:
„Die Schülerinnen sollen eben fürs praktische Leben so vorgebildet werden, dass sie sich später einmal in jeder Hauseinrichtung schnell zurechtfinden“.
Ob nun modern oder traditionell, was sicherlich auch eine Frage des Einrichtungsbudgets war. Auch zum Unterricht gehörte der unvermeidliche Abwasch, denn Spülmaschinen waren zu jener Zeit noch nicht unter den „modernen Kücheneinrichtungen“ zu finden:
„Ist alles gekocht, wissenschaftlich erklärt und schließlich mit gesundem Appetit verschmaust, dann heißt es, die ganze Küche und alles darin wieder fein säuberlich abwaschen und putzen.“
Danach wurde das Rezept, wie auf dem Bild zu sehen, noch ins „Rezeptbüchlein“ eingetragen und abschließend gab es noch etwas Mathematik:
„Endlich muß noch die genaue Rechnung für jedes Gericht aufgesetzt werden. Die muß auf Heller und Pfennig stimmen, denn mehr als einmal soll ja ein ganzer Hausstand zu Grunde gegangen sein, nur weil die Hausfrau nicht mit ihrer Wirtschaftskasse auszukommen wußte.“
Und mit dieser leichten Drohung endet der Artikel. Tatsächlich wurde damals mehr gerechnet, auch in bürgerlichen Kreisen. Im Rezeptbuch meiner Urgroßmutter stand bei jeder Zutat die Einzelsumme und es gab diverse „Haushaltsbücher“, in denen jeder Ausgabeposten eingetragen wurde.
Was sagt uns der Artikel nun für die heutige Zeit? Lassen wir mal das gemäß der Zeit noch sehr traditionelle Frauenbild beiseite, welches im Artikel dargestellt wird, fand ich die Art des Unterrichts durchaus nützlich und auch zeitgemäß – natürlich in der heutigen Zeit für BEIDE Geschlechter.
Das schrieb ich in meinem Facebook-Post vom 9. Oktober 20 zu zwei Bildern des Artikels und fragte, ob so ein Unterricht in der heutigen Zeit nicht eine gute Idee für die Schüler wäre.
Es gab eine große Resonanz auf den Artikel, viele Kommentare äußerten sich positiv zu diesem Vorschlag, andere sprachen über das Kochen, über Rollenbilder, dass es aufgrund der mangelnden Zeit für berufstätige Mütter schwierig, da zeitaufwändig wäre, mit frischen Zutaten zu kochen. Andere meinten darauf, das könne man mit guter Planung kompensieren.
Insgesamt scheint das Thema einen „Nerv“ zu treffen. Der Trend zur Nachhaltigkeit ist auch beim Essen angekommen. Man denkt mehr darüber nach, was man isst, woher es kommt, wie man es ohne Verlust der Nährwerte und Vitamine zubereitet. Natürlich hat sich die Vielfalt der Küche durch verschiedene Einflüsse erweitert. Es gibt große Trends, z.B. die vegetarische Ernährung, eine Richtung, die es übrigens schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab, wenn auch in kleinerem Umfang.
Wer Fleisch isst, möchte gerne Fleisch von (zu Lebzeiten) glücklichen Tieren essen, denkt aber oft nicht daran, dass dafür ein höherer Preis zu zahlen ist. Rein rechnerisch ist es kaum möglich, das abgepacktes günstiges Fleisch aus dem Supermarkt aus artgerechter Haltung stammt.
Das sind natürlich weitere Fragen, die sich zur heutigen Ernährung stellen und die hier weder abschließend diskutiert noch beantwortet werden können.
Aber um die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Ich finde es eine gute Idee, sich im Unterricht zum einen mit Lebensmitteln, ihrer Zusammensetzung und Wirkung zu beschäftigen.
Zum anderen finde ich den damit verknüpften praktischen Kochunterricht sinnvoll.
Denn aus verschiedenen Gründen findet er in vielen Familien-Haushalten nicht statt. Schließlich ist die Ernährung und Wissen darüber eine wichtige Grundlage für die Gesundheit und das eigene Wohlbefinden.
Ich persönlich habe in der damaligen DDR die Schule besucht und dieses Fach gab es dort nicht (aber wenigstens das Fach „Werken“ in der Grundschule…). Deshalb kann ich an dieser Stelle auch nicht von persönlichen Erfahrungen berichten.
Schulbildung ist Ländersache, Hauswirtschaft steht derzeit als Fach an Gesamt-, Sekundar- und Hauptschulen auf dem Stundenplan, an Realschulen und Gymnasien nur manchmal als Wahlpflichtfach. Aus den genannten Gründen bin ich für eine Wiedereinführung für die Schulen, an denen das Fach derzeit nicht angeboten wird.
Als praktischer Vorschlag wäre z.B. ein Kompaktkurs in „Hauswirtschaft“ am Ende des Schuljahres möglich. Denn in den letzten zwei bis drei Wochen vor den Sommerferien, werden ansonsten während des Unterrichts überwiegend Filme geschaut. Und am Ende gibt es ein Abschlußzertifikat mit Note, die auf dem nächsten Zeugnis steht. Was meint Ihr dazu?