Was geschah im Mai 1908?

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Kaisertreffen und Kinderreigen: Ein 60-jähriges Thronjubiläum wird gefeiert!

Während es in Deutschland sogar ein Jahr, 1888, gab, in dem drei Kaiser nacheinander regierten, dies allerdings alters- und krankheitsbedingt, regierte im damaligen Österreich-Ungarn im Jahr 1908 der damalige Kaiser Franz Joseph schon 60 Jahre – bis zu seinem Tod 1916 sollten es insgesamt 68 Jahre werden. Damit verglichen ist ja selbst die 4. Amtszeit von Angela Merkel, welche sich dann am Ende auf 16 Jahre belaufen würde, ein Wimpernschlag!

Natürlich wurde dieses 60-jähriges Thronjubiläum des österreichischen Kaisers gebührend gefeiert – zum Bündnispartner Österreich kam nicht nur der deutsche Kanzler zum Gratulieren, sondern brachte auch noch einige adelige Oberhäupter deutscher Bundesstaaten mit:

„…An der geschichtlich denkwürdigen Huldigung nahmen außer dem deutschen Kaiser der Prinzregent von Bayern, die Könige von Sachsen und Württemberg, die Großherzoge von Baden, Oldenburg, Sachsen-Weimar und Mecklenburg-Schwerin, der Herzog von Anhalt, die Fürsten von Lippe und Schaumburg-Lippe und als Vertreter der Hansestädte der Bürgermeister von Hamburg teil. Den Höhepunkt der Feierlichkeiten bildete die Huldigungsansprache des deutschen Kaisers in Gegenwart der im Schönbrunner Lustschlosse um den Jubilar versammelten deutschen Bundesfürsten, in der Kaiser Wilhelm seinen Bundesgenossen als Hort des Friedens feierte. In seiner Erwiderung betonte Kaiser Franz Joseph die politische Bedeutung dieser Kundgebung, die er als „die ausdrucksvolle Bestätigung des zwischen Österreich und Deutschland seit beinahe dreißig Jahren bestehenden engen und unerschütterlichen Bundesverhältnisses“ bezeichnete.“

Soweit der Originaltext zu den Bildern.

Gleichzeitig wurde er auch vom eigenen Land mit einem Festzug geehrt:

Originalartikel unter Text:

An dem Festzug nahmen 82 000 Kinder teil, die mit 980 Straßen- und Stadtbahnzügen nach dem Schloß Schönhausen hinausbefördert wurden. Wie beglückt der Kaiser durch diese Huldigung der Kleinen war, zeigen die Worte, die er an den Bürgermeister von Wien, Dr. Lueger, richtete: „Ich danke Ihnen aufrichtig. Kinder sind für mich das Schönste und Liebste auf der Welt; je älter ich werde, desto mehr liebe ich die Kinder.

Was lässt sich nun über Kaiser Franz Joseph sagen, der übrigens der Ehemann von Kaiserin Elisabeth, genannt Sisi, war – im letzten Monatsartikel  sprachen wir im Zusammenhang mit ihrem Palast auf Korfu von ihr.

Im Gespräch mit Roosevelt charakterisierte er sich selbst einmal als der „Letzte Monarch der alten Schule“.

Mit 18 Jahren 1848 zum Kaiser von Österreich gekrönt, regierte er seit 1867, als er zum König von Ungarn gekrönt wurde, die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Wie in Deutschland war es eine konstitutionelle Monarchie, also eine Regierung im Zusammenspiel mit einem Parlament. Innenpolitisch war er während seiner Amtszeit Reformen eher abgeneigt, unterstützte aber 1907 das fortschrittlichere gleiche Wahlrecht für Männer (bis dato unterschiedliche Stimmengewichtung nach Stand und Alter).

Wirtschaftlich ist der Aufschwung der Donaumonarchie mit seinem Regiment verbunden – auf vielen Prachtbauten in Wien ist sein Name heute noch als Inschrift zu lesen.
Persönlich war er vom Schicksal gebeutelt: mit seiner Frau Sisi hatte er vier Kinder, zwei davon starben zu seinen Lebzeiten, die erste Tochter Sophie schon mit zwei Jahren, sein einziger Sohn Erzherzog Rudolf beginn 1889 mit seiner Geliebten Selbstmord. Seine Frau Sisi fiel 1898 einem Attentat zum Opfer, jedoch hatten sich die Eheleute schon seit vielen Jahren entfremdet und jeder führte sein eigenes Leben.

Obwohl er selbst kein Kriegstreiber war (er war sogar mehrfach für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen), ließ er nach dem (erfolgreichen) Attentat auf seinen Thronfolger, seinen Neffen Franz Ferdinand und dessen Frau, in Serbien Ende Juni 1914 das darauffolgende Ultimatum der österreichischen Regierung an Serbien zu und ermöglichte damit den Startschuss für einen europäischen Krieg, der sich dann bekanntlich zum 1. Weltkrieg ausweitete.

Seine Bilanz fällt also gemischt aus, obwohl er zu Lebzeiten von seinen Untertanen insbesondere in seinen späteren Regierungsjahren als väterlicher Patriarch geachtet war.

Nach seinem Tod 1916 und dem Ende des 1. Weltkriegs 1918 zerfiel die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn.

Der deutsche Kronzprinz outet sich als Rheinland-Fan

In unserer Rubrik „Vor 110 Jahren…“ sind wir dem Kronprinzen schon öfter begegnet, ob beim Schlittenfahren in Davos (Januar), als Student an der Technischen Universität in Berlin (März) oder bei der Begehung der ausgebrannten Berliner Garnisonskirche (April). Wir schauen ihm dieses Jahr bei seinem Treiben mal über die Schulter – genügend Medienberichte in den damaligen Wochenzeitschriften gibt es dazu. Es wird deutlich, dass er als zukünftiger deutscher Kaiser (so war es jedenfalls geplant) schon etliche Repräsentationspflichten hatte. In dieser Mission war er im Mai im Rheinland unterwegs, wie diese zwei Bilder mit den entsprechenden Original-Kommentaren bezeugen:

Zu den Festlichkeiten in Barmen, anläßlich der Feier des hundertjährigen Bestehens der Stadt, war außer dem Minister des Innern von Moltke auch der Kronprinz mit seiner Gemahlin erschienen, der stets gerne Gelegenheit nimmt, seiner besonderen Vorliebe für die Rheinlande Ausdruck zu geben, die sich von der Zeit seiner Bonner Studienjahre herschreibt. Der Kronprinz vollzog bei der Grundsteinlegung des neuen Rathauses die üblichen drei Hammerschläge und fuhr darauf nach der Ruhmeshalle zur Eröffnung der Ausstellung für altbergische Innenkunst. (Originalkommentar zum Bild)

Unter lebhafter Begeisterung der Bevölkerung nahm der Kronprinz in Düsseldorf die Parade über die ehemaligen Gardisten aus Rheinland und Westfalen ab, und ließ sich die Leute vorstellen, die in seiner Kompagnie gedient hatten, unter anderm auch den Soldaten, der zur Stunde seiner Geburt vor dem Königlichen Schlosse Wache gestanden hatte. (Originalkommentar zum Bild)

Zur Einweihung schaut sogar die Kaiserin vorbei: Ein neues Gebäude für die Königlichen Handels- und Gewerbeschulen für Mädchen in Potsdam

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Außenansicht der heutigen Schule

Toll ist, dass es die Schule heute noch gibt, nunmehr als Oberstufenzentrum , und sie sogar nach ihrer Gründerin, Johanna Just, benannt ist.

Johanna Just war eine geschäftstüchtige Frau, die die Zeichen ihrer Zeit erkannte. Zuerst gründete sie 1889 zusammen mit ihrer Schwester und ihrer Mutter das „Haushaltspensionat für Töchter gebildeter Stände“ in Hirschgarten bei Köpenick. Zukünftige bürgerliche Ehefrauen erhielten hier Unterricht in hauswirtschaftlichen Fächern. Den Töchtern wurde Kochen, Waschen und Nähen beigebracht und wie man die modernen Haushaltsgeräte bediente, die es neuerdings zu kaufen gab.

Mehr und mehr wurde aber die berufliche Komponente ein Schwerpunkt. Mit Beruf waren die Frauen finanziell unabhängiger, ob sie nun zu eigenem Broterwerb gezwungen waren oder nicht. Denn auch in mittlerem Alter konnte es der schon verheirateten Frau passieren, dass der Mann starb und dann blieben die Frau und (meist) die Kinder plötzlich ohne regelmäßiges Einkommen zurück und verarmten bzw. waren auf Hilfe der Verwandtschaft angewiesen. Davon erzählen des Öfteren Romane dieser Zeit. Mit einer beruflichen Ausbildung war es für die Frau dann leichter, die Familie zu ernähren.
Auch bei Johanna Just waren es wohl solche Umstände, „äußere Verhältnisse“, wie sie sich rückblickend äußerte, die sie zur Gründung des Pensionates veranlassten, um eigenständig ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Zu vermuten ist, dass sich ihre Eltern entweder getrennt hatten, was damals sehr selten vorkam, oder ihr Vater starb.

Eine entsprechende gute Grundausbildung hatte sie selbst übrigens vor der Gründung von Pensionat und Schule erworben: Nach dem Besuch eines Lehrerinnen-Seminars lernte sie Kochen, Plätten (Bügeln) und Wäsche machen und arbeitete auch im hauswirtschaftlichen Bereich.

In jedem Fall gründete sie fünf Jahre später in Potsdam die „Frauengewerbe-, Haushaltungs- und Kochschule nebst Töchterpensionat“, die auch Kurse für hauswirtschaftliche Berufe und für Gewerbelehrerinnen anbot. 1904 wurde die Schule dann auch staatlich anerkannt als nunmehr die dritte preußische Handels- und Gewerbeschule für Mädchen mit Lehrerinnenbildungsanstalt und sie wurde deren Vorsteherin. Dies bedeutete zum einen die finanzielle Unterstützung und Absicherung der Schule, letztlich auch eine Grundlage für eine fundierte Lehrerinnen-Ausbildung. Zum anderen hatte die Verstaatlichung jedoch eine persönliche Konsequenz für sie: Bestand doch für Lehrerinnen zu dieser Zeit ein sogenanntes „Lehrerinnen-Zölibat“. Diese seit 1880 eingeführte Bestimmung verbot Lehrerinnen, bei Heirat ihren Beruf weiter auszuüben. Und nicht nur das, mit der Heirat verlor die Lehrerin auch alle bisherigen Pensions-Ansprüche. Es wurde als flexibles Instrument im Arbeitsmarkt gehandhabt – bei Lehrer-Mangel großzügig, bei Lehrer-Überschuss streng. Erst 1919 wurde das Lehrerinnen-Zölibat abgeschafft.

Johanna Just heiratete nicht. Sie leitete die Schule bis 1926 und blieb ihr auch bis zu ihrem Tode 1929 eng verbunden.

Zurück zu den Anfangsjahren, die Schule entwickelte sich erfolgreich und wurde auch durch die Kaiserin Auguste Viktoria unterstützt, die schließlich bei der Einweihung eines größeren und schöneren Neubaus der Schule 1908 im Mai 1908 dabei war. Die Sonntagszeitung berichtete davon:

Von den drei staatlichen Handels- und Gewerbeschulen für Mädchen in Rheydt, Posen und Potsdam hat die letztere ein neues, vornehmes und zweckdienliches Heim erhalten, das mit einem Kostenaufwand von 750 000 Mark erbaut und kürzlich im Beisein der Kaiserin feierlich eingeweiht wurde. Die Schule dient dem Zweck, Mädchen und Frauen für den Haushalt, einen gewerblichen oder kaufmännischen Beruf und zu technischen Lehrerinnen für weibliche Handarbeiten, zu Gewerbe- und Handelslehrerinnen auszubilden. Die Anstalt ist für 360 Schülerinnen eingerichtet. Mit ihr verbunden ist ein Pensionat, das 40 Pensionärinnen Unterkunft bietet. Für jede Dame ist ein Einzelschlafzimmer vorgesehen, während luftige und lichthelle, gemeinsame Speise- und Wohnräume einen angenehmen Aufenthalt in den freien Stunden gewähren.

Die Informationen über Johanna Just basieren auf diesem Artikel von Jeanette Toussaint.

Aus dem Frauenleben:

Die erste sächsische Professorin: Fräulein Aglaja Orgeni

eine hervorragende Gesangsmeisterin am Königl. Konservatorium zu Dresden, erhielt den Titel einer Professorin der Musik mit dem Range der 4. Hofrang-Ordnung

Aglaja Orgeni (1841-1926) entstammte einem ungarischen Adelsgeschlecht und wurde nach ihrem Gesangsstudium in Baden-Baden in den folgenden Jahren zur gefeierten Sängerin an allen großen Bühnen Europas, bevor sie ab 1886 am Dresdner Konservatorium Gesang unterrichtete, ab 1908 dann als erste weibliche Professorin. 1914 ging sie von Dresden nach Wien, wo sie dann bis zu ihrem Tod gleichfalls als Gesangslehrerin tätig war.

Jeanne Laloe – die erste weibliche Kandidatin für die städtischen Wahlen in Paris (Frauenwahlrecht III., dieses Mal Frankreich)

Nicht nur in England gab es die Sufragettenbewegung, auch in Frankreich war sie Anfang des 20. Jahrhunderts aktiv und Frauen machten sich für ihre Rechte stark. Eine Symbolfigur war dabei die junge Journalistin Jeanne Laloe als erste Kandidatin für kommunale Wahlen in Paris. Es war zwar nicht explizit im Wahlrecht verankert, dass sich Frauen nicht für politische Ämter bewerben durften, aber ein ungeschriebenes Gesetz. Was sie brach.

Sie bekam zwar fast 900 Stimmen (von Männern!, die Frauen durften ja noch lange nicht wählen), aber gewählt wurde sie natürlich nicht.

Bei Demonstrationen der Pariser Frauen am Wahltag stürmten ca. 200 von ihnen ein Wahllokal und schütteten eine Wahlurne aus. Leider bekam dieser Vorfall in der Presse wenig Aufmerksamkeit und die Frauen wurden auch nicht verhaftet – ein geschickter Zug seitens der Obrigkeit, sie so nicht zu Märtyrerinnen zu machen. Es sollte bis 1944 dauern, bis Frauen (dato in den befreiten Gebieten Frankreichs) erlaubt wurde, politische Ämter zu bekleiden und erst 1946 trat in Frankreich das allgemeine Wahlrecht für Frauen in Kraft.

Was sonst noch passierte:

Gruppenbild mit Zylinder – geistlicher Austausch in London

Auf Anregung der englischen Geistlichkeit unternahmen 125 evangelische und 15 katholische Geistliche eine Studienreise nach London. Inmitten der lauten Festlichkeiten zu Ehren des Präsidenten Fallières sprach dieser stille Besuch der deutschen Geistlichkeit bei ihren englischen Berufsgenossen ums so beredter von dem Willen zweier Nationen, sich gegenseitig besser kennenzulernen und die Verständigung der beiden Länder zu fördern.

 

So der Text dazu. Drei Sachen sind bemerkenswert daran:

  1. Es war damals keineswegs selbstverständlich, dass Geistliche unterschiedlicher Religionen zusammen eine Studienreise unternahmen – noch im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde der katholische Glauben in Deutschland bekämpft
  2. Stiller Besuch? Die Herren sehen doch ganz aufgeweckt aus!
  3. Ich fand das Bild mit den vielen Zylindern so schön 😀

Ich wünsche Euch einen schönen Mai – mit Kaiserwetter, Flieder, Maiglöckchen und hoffentlich Maikäfern! Und mit Besuchen – ob nun Familie, Freunde oder Verwandte – ob still oder laut, überlasse ich Euch!

Herzlichst

Eure Grete

PS: Für alle, die als Leser dieser Rubrik später eingestiegen sind: kursive Texte sind immer Originalzitate und in der ursprünglichen Rechtschreibung und Grammatik geschrieben.

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  • Alexander
    Antworten

    Liebe Grete,
    Vielen Dank für Deinen Monatsrückblick. Mir gefällt das Konzept.
    Beste Grüße vom Bodensee
    Alexander

    • Grete Otto
      Antworten

      Lieber Alexander,
      vielen Dank für Dein Feedback – natürlich freut es mich, dass Dir das Monats-Konzept „Was geschah vor 110 Jahren“ gefällt!

      Herzlichst

      Grete

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