Mord im Ringpark (Alexander Meining)

 In Historischer Krimi

Mord im Ringpark – Kriminalroman von Alexander Meining

Georg Hiebler ist jung, dynamisch und als Beamter im Bayrischen Innenministerium in München angestellt. Er wartet auf Herausforderungen – und bekommt eine!

Soll er doch überprüfen, ob der schwedische Gartenarchitekt Jöns Lindahl tatsächlich Selbstmord begangen hat. Der Fall führt ihn nach Würzburg, der Roman spielt im Winter 1888. Wein statt Bier, gastfreundliche Einwohner und alles eine Spur harmloser und ruhiger als im heimatlichen München. Das denkt er zunächst über die Provinzstadt Würzburg.

Doch der Schein trügt in mehrfacher Hinsicht! Der Selbstmord ist natürlich keiner, die Einwohner können sehr abweisend sein und eine theosophische Gesellschaft spielt in der Stadt eine größere Rolle. Seancen, Tischerücken und Geisterfotos – Hiebler muss in neue unbekannte Welten eintauchen.
Lindahl war aus mehreren Gründen unbeliebt – das findet er schnell heraus. Dabei stößt er mit seinem Tatendrang alle vor den Kopf – und gerät in Gefahr! Denn hartnäckig wie er ist, kommt er dem Mörder auf die Spur! Und dann beginnt auch noch das Faschingstreiben….

Der Krimi ist flüssig geschrieben, es sind humorige Passagen dabei und Würzburger erfahren einiges darüber, wie das Leben in ihrer Stadt Ende des 19. Jahrhunderts aussah. Nebenbei erfährt man etwas über damalige Moden – wie es Tischerrücken und Geisterfotos tatsächlich waren.

Textauszug (S.31-39):

Vom Bahnsteig aus durchquerte er die Bahnhofshalle. Vor dem Gebäude öffnete sich ein kleiner Platz. Er ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen und warf einen Blick auf die Stadt. Hiebler sah ein halbes Dutzend Kirchtürme auf engsten Raum über die Dächer der Innenstadt hinausragen. In das Zentrum führte eine Straße mit breiten Gehwegen und vielen Geschäften unterschiedlichster Art an beiden Seiten. Um zur Straße zu kommen, musste man den Bahnhofsvorplatz überqueren. Dieser ging wiederum links und rechts in eine Parkanlage über. Die Bäume des Parks waren relativ niedrig, es gab fast nur abgesperrte Areale. Die vielen Passanten auf dem Weg zum oder vom Bahnhof weg quälten sich über sandige Wege. Neben den befestigten Wegen waren vereinzelt Pflastersteine aufgehäuft und Sand zu kleinen Hügeln aufgeschüttet.

Eine Baustelle, dachte Hiebler. Die Baustelle eines Parks – Lindahls Parks.

Hiebler ließ sich mit dem Fußgängerstrom mitreißen, überquerte den Platz und ging durch die Kaiserstraße bis zur Theaterstraße. Auf dem Weg sah er viele Pensionen und Hotels. Diese erschienen ihm jedoch entweder zu luxuriös oder aufgrund der Lage an der Einkaufsstraße zu laut. Er ging ein Stück weiter und sah in der Ferne ein riesiges Gebäude mit üppigen Verzierungen und in Stein gehauenen Figuren ockerfarben glänzend. Das muss die Residenz sein, dachte er sich. So groß und doch so zentral in der Stadt gelegen.

Als Hiebler auf Höhe der Semmelstraße ankam, ging er ein Stück stadtauswärts, bis er eine Pension fand, die er sich zumindest von innen ansehen wollte. Die Fassade wirkte einladend und sauber. An der Tür hing ein Schild mit der Aufschrift »Pension Altbayern«.

»Passt doch hervorragend«, murmelte er schmunzelnd und trat ein.

Von der Eingangstür führte ein kurzer und schmaler Flur zu einem Tresen. Dahinter sah er ein hölzernes Regal mit fünf Fächern und mit Messing beschlagenen Schildern mit den jeweiligen Zimmernummern. Zwei Schlüssel hingen an Haken vor den Fächern. Auf dem Rezeptionstisch stand eine Glocke mit einem handgeschriebenen Zettel davor: »Bei Abwesenheit bitte klingeln!«

Hiebler drehte sich nach rechts und blickte in einen offenen Raum. Über dem Türrahmen hing ein Schild mit der Aufschrift »Frühstückssaal«. Er trat in den Raum, der freundlich und einladend wirkte. Durch die Fenster drang das helle Licht der Nachmittagssonne. Er sah drei runde Tische mit jeweils vier Stühlen. Zentral zwischen zwei Fenstern hing ein Porträt des Prinzregenten Luitpold – ein Mann mit strahlenden Augen, leuchtend blauer Uniform, auf der zahlreiche Orden befestigt waren, und mächtigem, bis zur Brust reichendem, grau meliertem Bart.

»Kann ich Ihnen helfen?«, hörte Hiebler plötzlich eine weibliche Stimme hinter seinem Rücken.

Er drehte sich rasch um und sah im Türrahmen eine stämmige, etwa 50 Jahre alte Frau stehen. Sie trug eine Hausarbeitsschürze über einem schwarzen Kleid. Ihre Backen strahlten rot, und ihre teils blonden, von grauen Strähnen durchzogenen Haare waren geflochten und zu einem Haarkranz hochgebunden.

»Ja!«, erwiderte Hiebler, »ich bin auf der Suche nach einer Unterkunft.«

»Na, dann kommen S’ mal mit zur Rezeption!«, sagte die Frau. Sie sprach zu Hieblers Überraschung mit oberbayerischem Akzent.

Die Frau kramte hinter dem Tresen an der Rezeption ein Buch und einen Stift hervor. Wie lange wollen Sie denn bleiben?«, fragte sie.

»Zunächst mal eine Woche«, antwortete Hiebler. »Vielleicht aber auch länger.«

»Eine Woche mit Frühstück kostet sieben Mark. Bezahlt wird im Voraus. Und: keine Damenbesuche! Dies ist ein anständiges Haus!«

Hiebler nickte.

»Na gut! Dann brauche ich Ihren Namen, Wohnort und Zweck der Reise.«

»Georg Hiebler, München, geschäftlich!«

Die Frau notierte Hieblers Angaben in das Buch.

»Sie kommen aber auch nicht von hier?«, fragte Hiebler währenddessen.

»Da haben Sie recht«, antwortete die Frau lächelnd, klappte das Buch wieder zu und verstaute es hinter dem Tresen. »Ich komme aus der Ingolstädter Gegend, aus Neuburg an der Donau. Vor 30 Jahren bin ich meinem Mann hierher gefolgt. Seitdem führe ich diese Pension. Bis vor zwei Jahren gemeinsam mit meinem Mann, seit seinem Tod alleine. Kinder waren uns nicht vergönnt.«

»Das tut mir leid.«

»Braucht Ihnen nicht leidtun. Mit den Kindern ist es halt manchmal so, und was meinen Mann, den Leopold, betrifft, der ist betrunken von einer Kutsche überfahren worden. Sie haben ja keine Ahnung, wie das hier im Sommer ist. Ein Weinfest nach dem anderen, und die ganze Stadt ist besoffen. Kein Wunder, wenn dann solche Unfälle passieren.«

Hiebler blickte sie überrascht an.

»Na ja, jetzt mach ich es halt alleine, und aus der Pension Reckziegel wurde eben die Pension Altbayern«, sagte sie mit einem gewissen Stolz in der Stimme.

»Sie sind dann also Frau Reckziegel?«, fragte Hiebler.

»Das bin ich, Balbine Reckziegel«, antwortete die Frau lächelnd.

Hiebler reichte ihr die Hand. »Georg Hiebler aus München«, erwiderte er. »Aber das wissen Sie ja bereits.«

Sie schüttelten sich die Hände.Frau Reckziegel griff nach einem Schlüssel in dem Regal hinter sich.

»Freut mich, Herr Hiebler! Hier ist Ihr Zimmerschlüssel. Die Eingangstür wird um 20 Uhr abends verschlossen. Dafür ist der kleine Schlüssel am Bund. Frühstück gibt es zwischen 7 und 8 Uhr. Kleinere Mahlzeiten dürfen Sie auf dem Zimmer zu sich nehmen. Ansonsten gibt es hier in der Gegend viele Möglichkeiten einzukehren.«

Er nahm den Schlüsselbund mit einem kurzen Nicken entgegen und kramte aus seiner Geldbörse sieben Mark hervor.

»Besten Dank!«, erwiderte Frau Reckziegel und nahm das Geld. »Ach, und eine Sache noch: Bis zum elften Februar können Sie hier gerne bleiben, dann bin ich wegen einer großen Veranstaltung ausgebucht. Vom elften bis zum 15. Februar ist der Kongress der Theosophischen Gesellschaft. Es werden mehr als 300 Teilnehmer erwartet. Hier, in Würzburg! Stellen Sie sich das vor!«

Frau Reckziegel lächelte erwartungsfroh.

»Ich denke, dass meine Geschäfte bis dahin erledigt sind«, meinte Hiebler, griff sich seine Tasche und ging in Richtung Treppenhaus.

Theosophische Gesellschaft? Was soll das denn sein?, dachte er und ging die Treppe hoch.

»Erster Stock! Zimmer drei«, rief ihm Frau Reckziegel hinterher.

 

Am nächsten Tag begann er, die in der Depesche aus Berlin übermittelten Vorwürfe zu untersuchen. Hiebler begab sich auf Spurensuche. Zunächst führte ihn sein Weg von der Pension in der Semmelstraße zur Residenz, dem prächtigen Barockbau, der früher den Würzburger Fürstbischöfen und nun der königlichen Familie als Unterkunft diente. Schon als Schulkind hatte Hiebler gelernt, dass der regierende Prinzregent in eben jener Residenz im Jahre 1821 als fünftes Kind Seiner Majestät, König Ludwig I., geboren wurde.

Beeindruckt von den Ausmaßen des Gebäudes, den Statuen und sonstigen Verzierungen stand Hiebler auf dem Residenzplatz und suchte die Fassade nach Personen oder Licht hinter den Hunderten von Fenstern ab. Er sah nichts dergleichen. Vor dem Haupteingang patrouillierten Soldaten in Prachtuniform. Hiebler fragte sich nach der Sinnhaftigkeit der scharfen Bewachung eines Gebäudes, welches fast immer leer stand und eigentlich unbewohnt und damit ungenutzt war.

Dann ging er weiter und versuchte, einen Blick in den winterlichen Residenzgarten zu werfen. Aufgrund der Absperrung des Platzes sah er nur wenig, es schien jedoch ein ausladender und akkurat gepflegter Garten zu sein – ähnlich dem Park von Schloss Nymphenburg in seiner Münchner Heimat. Hiebler wanderte die Promenade weiter, bis er zur Ottostraße kam. Von hier aus sah er den Ort, an dem Lindahl tot aufgefunden worden war: die Toilettenanlage und dahinter den Ringpark. Jetzt verlangsamte er seinen Schritt. Jedes Haus, jeder Baum, jedes Detail wurde aufmerksam von ihm registriert. Schließlich ging er in die Toilettenanlage. Mit einem leichten Quietschen fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Er war die einzige Person in dem Häuschen. Gut so, dachte er sich. Dann blickte er sich um. Er sah das Pissoir mit den länglichen Fenstern oberhalb der Rinne, durch die helles Tageslicht schien. Hinter ihm waren drei Kabinen für das größere Geschäft. Hiebler stellte sich vor die Rinne, öffnete seine Hose und urinierte. Als er fertig war, knöpfte er die Hosenknöpfe zu und wusch sich im Waschbecken neben dem Pissoir die Hände. Anschließend legte er sich den noch nassen ausgestreckten Zeigefinger seiner rechten Hand an die Schläfe.

»Peng!«, rief er laut und begann zu torkeln.

Dann blieb er stehen, verschränkte die Arme vor der Brust und murmelte vor sich hin: »Ich leide unter Melancholie und fühle mich unnütz. Meine Mitmenschen hassen mich. Ich bin einsam und der Welt überdrüssig. Das Leben ergibt keinen Sinn. Ich setze mir meinen Revolver an die Schläfe und erschieße mich.«

Hiebler sah sich erneut um. Er schnüffelte und roch den Gestank von Urin und Fäkalien. »Und wo erschieße ich mich am besten? Hier? Möchte ich wirklich, dass meine Leiche neben einem stinkenden Pissoir gefunden wird? Würde ich mich nicht lieber zu Hause, auf dem eigenen Bett liegend, erschießen? Oder besser aufhängen an einem der Bäume hier im Park – meinem Park? Das hätte etwas Symbolisches, etwas Bleibendes.«

Er schob die Unterlippe vor und schüttelte langsam den Kopf. Dann verließ er die Toilettenanlage und überquerte die Straße zum Ringpark. Auch hier schritt er bedächtig voran und ließ alle Eindrücke auf sich wirken. Eigentlich ein schöner Park, dachte Hiebler. Viele Bäume, gepflegte Wege und vor allem ein Park, der im Gegensatz zur Residenz jedermann offen steht. Ein bisschen so wie der Englische Garten in München. Nur kleiner, aber dafür eleganter mit mehr Bäumen und verschlungeneren Wegen.

Er stellte sich vor, wie es hier im Frühling oder Sommer sein könnte, wenn alles grün war, man unter schattigen Bäumen die gute Luft genießen kann und Ruhe und Erholung vom Alltag suchte.

Sieben Jahre soll Lindahl an dem Park gearbeitet haben, um dann kurz vor Vollendung seines Werks sich selbst zu töten? Erneut schüttelte er den Kopf.

Hiebler ging weiter durch den Park. Als er am Main angekommen war, blickte er nachdenklich auf den Fluss. Auf der anderen Mainseite sah er eine barocke Kapelle und daneben eine Festung auf einer steilen Anhöhe thronen. Unterhalb der Burganlage waren Felder, wie er sie gestern nach seiner Ankunft hinter dem Bahnhof hochragen gesehen hatte. Nur wusste er jetzt, um was es sich handelte. Nach einer Weile kramte er die Taschenuhr aus seiner Westentasche.

Kurz vor 10 Uhr. Es wurde Zeit, sich bei der Würzburger Gendarmerie vorzustellen.

Er steckte die Uhr wieder ein, machte ein paar Dehnübungen und streckte den Rücken. Vom Main kam ihm nun ein eiskalter unangenehmer Wind entgegen. Hiebler klappte den Mantelkragen hoch und ging schnelleren Schrittes den Mainkai flussabwärts in die Innenstadt. Sein Ziel war das Rathaus, der Sitz des Bürgermeisters, des Stadtrats und der Würzburger Gendarmerie.

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Gretes Fazit

(für alle, die…mögen) :

+ Krimis mit Humor

+ fränkischer Lokalkolorit

+  Interesse für zeitgeschichtliche Phänomene (Geisterfotos…).

 

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Über den Autor

Geboren und aufgewachsen ist Alexander Meining in München. Dort studierte er Geschichte und später Medizin.
Mittlerweile lebt und arbeitet er in Würzburg. 2018 begann er, zunächst unter einem Pseudonym, zeitgenössische und historische Romane zu schreiben. Mit »Mord im Ringpark« startet er eine Reihe historischer Krimis mit dem schönen Würzburg des ausgehenden 19. Jahrhunderts als Kulisse. Reale Personen und historische Ereignissen bieten hierbei den Rahmen für fiktive Geschichten, bei denen der Schauplatz, die Epoche, die Charaktere und die Spannung im Vordergrund stehen.

 

Der Kriminalroman „Mord im Ringpark“ ist im Gmeiner Verlag erschienen, es gibt inzwischen einen zweiten Band mit dem Titel „Würzburger Dynamit“ zu Kommissar Georg Hiebler, den wir hier vorstellen.

In diesem Überblick findet Ihr alle bisher vorgestellten historischen Krimis – die Handlungen sind u.a. in Wien, Berlin und Norddeutschland angesiedelt.

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