Der jüdische Philanthrop Rudolf Mosse und eine Initiative zum Gedenken an ihn

 In Alltagsleben, Unkategorisiert, Verschiedenes, Zeitgeschehen

Prolog

Jeder hat es schon einmal erlebt: man fängt mit einem Thema an und plötzlich führt es in eine ganz ungeahnte (andere) Richtung. Das passierte mir bei der Beschäftigung mit der jüdischen Mäzenin Emilie Mosse. Ein Zeitungsartikel zur Verleihung des „Wilhelm-Ordens“ für ihr karitatives Engagement hatte mich auf sie aufmerksam gemacht und ich berichtete in meiner Rubrik „Was geschah vor 110 Jahren“ (Ausgabe Juli 1909).  Für meine Recherche kontaktierte ich verschiedene Quellen. So kam ich zu Holger Siemann und der Initiative „Mossestraße“.

Rudolf Mosse – eine bemerkenswerte Karriere

Aber wer war Rudolf Mosse –so lautet der vollständige Name der Straße- überhaupt?

Rudolf war Anfang des 20. Jahrhunderts DER Zeitungszar von Berlin. Als gelernter Buchhändler war er in seinen Anfangsjahren bei der Familienzeitschrift „Die Gartenlaube“ angestellt und verkaufte dort -und das sehr erfolgreich- Annoncen an potentielle Werbekunden. Daraus entwickelte er ein Geschäftsmodell, dass zwar an sich nicht neu war, aber von ihm äußert erfolgreich umgesetzt wurde: Er eröffnete 1867 die „Annoncen Expedition Rudolf Mosse“ – das Konzept dahinter war, dass die Annoncen-Expedition von den Zeitungs- und Zeitschriftenverlegern ganze Werbeblöcke einkaufte und an die Kunden einzeln weiterverkaufte. Das hatte Vorteile für alle Beteiligten: die Verleger hatten feste Einnahmen und konnten damit besser kalkulieren, den Werbekunden wurde ihre Werbung in Zeitschriften organisiert und gestaltet (ein kostenloser Service) und die Annoncen-Expedition profitierte natürlich gleichfalls und erwirtschaftete durch die Organisation und Bündelung des Geschäfts ihren Gewinn.

Zwei Beispielen von Werbungen aus Wochenzeitschriften (1902) der Annoncen-Expedition Rudolf Mosse

Darauf aufbauend hatte er führende Berliner Zeitungen begründet, z.B. das auflagenstarke „Berliner Tageblatt“ und die „Berliner Morgenzeitung“. Daneben gab der Mosse-Verlag zahlreiche Fachzeitschriften heraus.

Ein wohltätiges Ehepaar als Mitglied des Berliner Großbürgertums

Emilie und Rudolf gehörten zur Berliner Gesellschaft und lebten während der Belle Epoque ein großbürgerliches Leben in Berlin. Beide besaßen auch ein Herz für bedürftige Menschen. Sie spendeten großzügig und unterstützten etliche Projekte.

Zusammen initiierte das Ehepaar z.B. den Bau des „Mosse-Stifts“, einem interkonfessionellen Erziehungsheim für bedürftige Jungen und Mädchen.  Kinder jüdischen und christlichen Glaubens sollten zusammen aufwachsen – was heute selbstverständlich erscheint, war damals fortschrittlich, zumal auch Mädchen mit praktischen Fächern auf eine berufliche Tätigkeit vorbereitet wurden – gleichfalls ein Indiz eines progressiven Erziehungskonzeptes. Zu dessen Bau und dauerhafter Finanzierung gründeten sie 1895 die „Emilie Rudolf Mosse Stiftung“, die 1908 vom Land offiziell genehmigt wurde.

Weiterhin spendeten sie zu verschiedenen Anlässen größere Summen, um karitative Vereine zu unterstützen, z.B. anlässlich Rudolf Mosses 70. Geburtstags den Berliner Verein für Ferienkolonien und den Berliner Asylverein für Obdachlose.

Emilie Mosse gründete zusammen mit der Schriftstellerin Anna Plothow und Elisabeth Vogeler 1884 den „Verein Mädchenhort“, als dessen Vorsitzende sie von 1894 bis zu ihrem Tod 1924 amtierte.

Mit der Gründung des Vereins „Mädchenhort“ nahmen sich die Frauen eines Problems an, was schon länger existierte: Mädchen, die nach der Schule ohne Aufsicht waren, weil ihre Mütter, meist Witwen, berufstätig waren, um den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen.

Als Mäzene unterstützte das Ehepaar gleichfalls Museen, Kunstvereine und bedürftige Künstler.

Die Geschichte der ursprünglichen Mosse-Strasse

Zur Würdigung Rudolf Mosses wurde 1920 eine Straße nach ihm benannt, hier die Geschichte dazu:

Es war einmal ein Exerzierplatz außerhalb von Berlin, den das preußische Militär 1820 als Ackerland erworben hatte. Zunächst wurde dort tatsächlich exerziert, aber in den 1880er Jahren war er -nicht ganz plötzlich- nicht mehr außerhalb von Berlin, sondern von Häusern umbaut. Berlin war gewachsen (und wuchs weiter) und der Platz taugte deshalb nicht mehr zum Exerzieren – zu laut!

Zunächst verwahrloste er – in den Büschen hielten sich Obdachlose auf, gleichzeitig war das Areal ein Treffpunkt für die Mägde der Gegend. Dann wurde er für eine neue Sportart entdeckt, die Fußball hieß (alle, die etwas zu den Anfängen von Fußball erfahren möchten, können hier (Link) schauen).

Sogar die Berliner Mannschaft BFC Hertha 92 trainierte dort bis sie 1904 an den Gesundbrunnen umzog. Die Stadt Berlin wollte das Gelände kaufen, stand dabei jedoch in Konkurrenz zur Reichsbahn, die ebenfalls interessiert war, um auf dem Platz ihren in der Nähe gelegenen Güterbahnhof zu erweitern.

Das trieb den Preis in die Höhe: für satte 6,5 Millionen Reichsmark kauft die Stadt schließlich 1912 den östlichen Teil des Platzes.

Bei der Neugestaltung war eine gemischte Nutzung geplant: Wege für Spaziergänger und Spielflächen für Sportler, insbesondere für den immer populäreren werdenden Sport Fußball.

Wahrscheinlich kam bei der Finanzierung Rudolf Mosse ins Spiel, der 1913 seinen 70. Geburtstag feierte und zu diesem Anlass 1,7 Millionen Mark für verschiedene Zwecke spendete. In seinem Dankesschreiben kündigte der Senat an, eine der neu anzulegenden Straßen nach Rudolf Mosse zu benennen – avisiert war dafür das Jahr 1915. Dann kam der 1. Weltkrieg. Nicht nur deshalb verschob sich die Benennung nach hinten, sondern auch weil die „Mosse“-Zeitungen im Krieg eher pazifistisch-liberale Ansichten vertraten und deshalb immer mal wieder für eine Zeit lang verboten wurden. Dem preußischen Militär als Inhaber des westlichen Areals, welches an die Straße angrenzte, passten diese Ansichten natürlich gleichfalls nicht.

Nach dem Krieg und der Novemberrevolution wurde der Plan aber doch umgesetzt: am 31. Mai 1920 wurde die Straße nach Rudolf Mosse benannt – gerade noch rechtzeitig, dass er es persönlich erleben durfte, denn er starb wenige Monate später am 8. September des gleichen Jahres.
Die Nationalsozialisten tilgten diesen Straßennamen aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1935. Eine Rückbenennung nach dem 2. Weltkrieg fand nicht statt.

 

Eine Initiative zur Rückbenennung

Zum 100. Todestag fanden im September 2020 die  Mosse-Tage statt, bei denen eine Freiluftausstellung mit 11 Litfaßsäulen auf der ursprünglichen Mosse-Straße organisiert wurde. Diese erzählten vom Leben und Wirken des Verlegers, seiner Familie und der Entstehung der Strasse.  Unter diesem Link sind alle geplanten Aktivitäten zum Andenken an Rudolf Mosse und seine Familie zu finden. An dieser Stelle möchte ich auf Holger Siemann, einen der Hauptakteure der Initiative „Mosse erinnern“ zurückkommen.

Holger Siemann hatte ich vor einiger Zeit getroffen und er hatte mir von Rudolf Mosse sowie den verschiedenen Aktivitäten der Initiative erzählt. Wir liefen -natürlich- die ehemalige (zu dieser Zeit unbenannte) Mosse-Straße entlang, deren erneute Umbenennung inzwischen schon beantragt ist.
Ich erinnere mich noch gut, wie er meinte: „Die Straße liegt im heutigen Jahn-Sportpark, von der DDR nach Friedrich Ludwig Jahn benannt, und führt an der Max Schmeling Halle vorbei. Ein nationalistisch  gesinnter Turnvater und ein populärer Boxer aus der Nazizeit als Namensgeber für Sportanlagen – eine Wiederbenennung der Straße mit dem jüdischen Philantrophen Rudolf Mosse würde die vielen Facetten, aber auch die Widersprüche der deutschen Geschichte bestens illustrieren.“

PS: Was den persönlichen Bezug angeht, möchte ich Euch noch diesen Artikel über ein Bild ans Herz legen. Darin spielt ein Verwandter Rudolf Mosses, Theodor Wolff, der als renommierter Journalist von 1906 bis 1933 Chefredakteur des renommierten „Berliner Tageblatts“ war und aufgrund seiner Deportation ins KZ Sachsenshausen 1943 starb, eine wichtige Rolle.

PS:PS: Das Areal liegt im Stadtteil Pankow – meine Großmutter stammt aus Pankow und verbrachte ihre Kindheit dort. Leider kann ich sie aber nicht mehr als Zeitzeugin befragen, da sie seit ein paar Jahren nicht mehr unter uns weilt.

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