Dr. Oetker – das Erfolgrezept eines hellen Kopfes

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Wenn ich in den alten Zeitschriften die Seiten mit Werbungen durchblättere, stoße ich auf viele Firmennamen und Marken, die heute längst vergessen sind. Umso mehr freut es mich immer, wenn ich eine Marke entdecke, die heute noch einen klangvollen Namen hat: z.B. Dr. Oetker! Heute setzt das Unternehmen jährlich Milliarden um und ihr Sortiment umfasst viele weitere Produkte, ob nun Pizza oder Müsli.
Aber begonnen hat alles mit einer Apotheke in Bielefeld, in der ein feines weißes Pulver ersonnen wurde. Nicht nur davon möchte ich erzählen, sondern auch, wie damals gebacken wurde. Denn beides ist fast untrennbar verbunden.

Dr. August Oetker (1862-1918) stammte aus einer Bäckerfamilie und somit sollte ihm das Handwerk Backen seit seiner Kindheit vertraut gewesen sein. Er beschloss jedoch nach dem Abitur, als Ausbildung zunächst eine Apothekerlehre zu absolvieren. Nach einigen Wanderjahren studierte er Naturwissenschaften und promovierte 1888 erfolgreich mit einem Thema zur Botanik an der Universität Freiburg. Während dieser Zeit hatte er seine spätere Frau Caroline kennengelernt.

Zunächst in Charlottenburg ansässig, bekam er 1891 die Gelegenheit in Bielefeld die Aschoff’sche Apotheke zu übernehmen. Und zwar genau zum 1. Januar des Jahres – das Datum gilt als Gründungsdatum des späteren Unternehmens.

Er richtete sich darin ein Laboratorium ein und experimentierte, um neue oder verbesserte Produkte herzustellen. Brachten die ersten Erzeugnisse wie ein Gesundheitskakao und eine Fußcreme zunächst nicht den durchschlagenden Erfolg, so unternahm er alsbald Experimente zur Herstellung eines Backpulvers, nicht nur in seinem Labor, sondern auch im Haus Müller mit gleichnamiger Bäckerei – das Metier war ihm ja vertraut.

Damals verwendete man zur Auflockerung des Teiges meist Hefe. Mit Hefe dauert das Aufgehen des Teigs (wie wir von der heutigen Verwendung wissen) aber länger.

Es gab zwar schon Substanzen, die dem späteren Backpulver ähnlich waren, aber sie hatten einen großen Nachteil: sie waren nicht lange haltbar und zudem auch oft nicht geschmacksneutral.

Dr. August Oetker schaffte es, ein Backpulver zu kreieren, das eine verbesserte Rezeptur und eine lange Haltbarkeit besaß. Er verkaufte es in kleinen Tütchen, die 10 Pfennig kosteten und für ein Pfund Mehl ausreichten. 1902 wurde das Produkt unter dem Namen „Backin“ als Patent registriert. Ein tolles Produkt auf den Markt zu bringen, welches ein Bedürfnis von vielen Kunden erfüllt ist das eine – dieses Produkt aber erfolgreich zu vermarkten, ist das andere. Dr. August Oetker konnte beides.

Ob er nun seinen Dr. erfolgreich für Marketing-Zwecke einsetzte oder ein Logo erfand, den „Hellkopf“, der in modifizierter Form noch heute darin zu sehen ist, er agierte in der Vermarktung seiner Produkte erfinderisch und geschickt. Apropos Logo – hier brachte erst das zweite Logo den durchschlagenden Erfolg. Auf den ersten Backpulverpackungen, die seit 1893 in Umlauf waren, sah man einen überschäumenden Kelch. Dieser hatte aber keinen inhaltlichen Zusammenhang zum Backprodukt. Und so wurde ein zweites Logo kreiert.

Zuerst gab Oetker den Slogan vor: „Ein heller Kopf verwendet nur Dr. Oetker Fabrikate“. 1899 schrieb er dazu einen Wettbewerb aus, dessen Sieger der Lithograph Theodor Kind wurde. Er hatte die Silhouette seiner Tochter Johanna für das Logo verwendet. Natürlich wurde das Logo im Laufe der Zeit immer mal wieder modifiziert, aber der „Hellkopf“ darin, so die damals verwendete Kurzform, ist bis heute geblieben.

alle drei Bilder: Dr. August Oetker KG Firmenarchiv

Johanna Kind tauchte auch in späteren Werbungen auf, die höchstwahrscheinlich gleichfalls von ihrem Vater gestaltet wurden. Übrigens ein weiterer Schachzug von August Oetker, seine Produkte bekannter zu machen.

Er schaltete zahlreiche Werbungen in Zeitschriften, z.B. in „Die Woche“.  Hier transportiert er seine Botschaften: Mit Dr. Oetker-Produkten backen ist so leicht, dass es selbst Kindern gelingt. Weiterhin fällt der der öfter verwendete Zusatz „Institut für Küchenchemie“ in den Werbungen auf. Ob das heute für höhere Umsätze sorgen würde? Wahrscheinlich eher nicht, suggeriert es doch ein künstlich erschaffenes Produkt, wo wieder Natürlichkeit ohne Zusatzstoffe gefragt ist.

Aber zu dieser Zeit symbolisierte es wissenschaftlich erprobte Produkte – und der Wissenschaft vertraute man dazumal (mehr als heute).

An den Werbungen sehen wir auch – längst waren weitere Dr. Oetker Produkte entwickelt worden, hauptsächlich rund um’s Backen, aber auch zum Kochen und Einwecken. Oft wurde darin auf die bürgerliche Familie referiert wie z.B. in dieser Vanille-Werbung.

Aber auch ländliche Haushalte wurden angesprochen, wie in dieser Werbung zu sehen. Und wieder die Referenz zu den Kindern, allerdings wurden in diesem Fall die Eltern als potentielle Käufer vom Puddingpulver als „vorzüglicher Nahrung“ für ihre Kinder angesprochen. Was noch auffällt: fast in jeder Werbung wird auf das Backpulver, als erfolgreiches „Ur-„ und Grundprodukt referiert.

Ein weitere Strategie, die bei Zutaten rund um das Kochen und Backen bis heute gerne praktiziert wird: den Leuten Rezepte an die Hand geben – die natürlich am besten mit den Zutaten aus dem eigenen Hause funktionieren. Und so wurde nicht nur Rezeptwerbung platziert, sondern es gab auch „gratis“ Rezeptbücher.

Hier eine schöne Werbung für einen Osterkuchen, den ich übrigens selbst ausprobiert habe! Meine runde Spring-Kuchenform reichte kaum für die Teigmasse, aber er schmeckte! Wenn auch, aufgrund der Zutaten Nelken und Zimt eher nach Weihnachten als Ostern.

Und da sind wir auch schon der Betrachtung damaliger Backrezepten: Mit welchen Zutaten wurde damals gebacken? Vor allem mit mehr Zutaten! Nicht nur die eigene Dr. Oetker Nachback-Erfahrung bestätigt das, sondern auch weitere Backrezepte aus Kochbüchern dieser Zeit. Ein Grund dafür – die Familien waren damals größer, nicht nur im bürgerlichen Milieu. Drei bis vier Kinder waren keine Seltenheit, sondern eher normal. Dazu kamen ggf. noch Großeltern, die teilweise mit im Hause lebten und das Dienstpersonal (sofern es welches gab) wollte vielleicht auch noch ein Stückchen probieren…

Die Zusammensetzung der Zutaten ist gleichfalls anders. Was mir beim Studium alter Backrezepte oft ins Auge fällt: es werden viel mehr Eier verwendet – 12 Eier sind keine Seltenheit! Vielleicht weil Eier recht günstig waren – zehn Eier kosteten 60 Pfennig, also ein Ei weniger als eine Packung Backpulver. Es wird viel mit Mandeln und natürlichen Zutaten für Geschmacksrichtungen gearbeitet.

Ein weiterer Unterschied: die teilweise langen Zubereitungszeiten.  Mangels der heute selbstverständlichen Mixer hieß es rühren, z.B. Butter zu Sahne. Im Rezept einer Sandtorte aus dem Victoria-Kochbuch heißt es:

„¾ Kilo Butter werden zu Sahne gerührt (*schaumig abgetrieben), dann abwechselnd ¾ Kilo Zucker und 12 ganze Eier hinzugetan und diese Masse eine gute Stunde nach einer Seite gerührt. Nun kommt ½ Kilo Kraftmehl und 125 g Mondamin, 1 kleines Gläschen Rum, die Schale einer ganzen und der Saft einer halben Zitrone (*Lemonie) hinzu; diese ganze Masse wird nun noch ½ Stunde gerührt. Von der Butter behält man soviel zurück, um die Form auszustreichen. Die Torte muß etwas scharf gebacken werden.“

Puh, also allein 1 ½ Stunden Rühren – da waren wahrscheinlich doch eher Köchin oder Hausmädchen gefragt! Das ist übrigens das komplette Rezept (wer es nachbacken möchte, ich habe es noch nicht nachgebacken – also ohne Gewähr ?) und da sind wir gleich beim nächsten Punkt älterer Rezepte, der, nun ja, anders ist. Backzeiten und Temperaturen werden (im Gegensatz zu den Zutaten, die oft grammgenau angegeben sind) nur ungefähr oder gar nicht angegeben. Für unsere heutigen Ansprüche schwierig!

Und eine letzte Anmerkung zu Backrezepten aus dieser Zeit: sie setzen mehr Wissen voraus – der Fairness halber muss man jedoch anmerken, dass am Anfang oder Ende der Bücher damalige Grundbegriffe und Kniffe oft erklärt werden. Aber nicht immer…Wen übrigens das damalige Kochlatein auf süd- und norddeutsch interessiert, hier ist ein Artikel dazu.

So wird im Rezept auch das vorher schon existierende Konkurrenzprodukt „Mondamin“ anstatt des späteren Dr. Oetker Äquivalents „Gustin“ genannt, dass 1898 auf den Markt kam.

Zurück zu Dr. Oetker und den Rezepten – tatsächlich waren neue Rezeptbücher notwendig, denn in den alten war Backpulver nicht aufgeführt, wie man gleichfalls am Victoria Kochbuch sehen kann, welches zwar 1906 in der 8. Auflage erschien, aber in der 1. Auflage 1890 (als das Backpulver noch nicht erfunden war). Die Rezepte wurden natürlich nicht alle im nach hinein verändert.

Von Dr. Oetker gab es 1911 das erste (käuflich zu erwerbende) „Dr. Oetker Schulkochbuch“ . Neben den Rezepten fand man darin auch Tipps zur Haushaltsführung – was damals in Kochbüchern durchaus üblich war. Es entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten Kochbücher auf dem Markt. Die Rezepte darin waren unter der Leitung von Oetkers Ehefrau Caroline in der Bielefelder Versuchsküche getestet worden, die seit 1900 fester Bestandteil des Unternehmens war. Zunächst hatte Caroline die Rezepte in der heimischen Küche getestet Auf sie geht übrigens auch die „Gelinggarantie“ zurück.

August und Caroline Oetker hatten einen Sohn -Rudolf- , der als Nachfolger die Firma übernehmen sollte. Der 1. Weltkrieg kam und Rudolf wurde als Soldat eingezogen. Er fiel 1916 bei Verdun. Zu dieser Zeit hatte er mit seiner Frau Ida bereits die Tochter Ursula (1915-2005)  und einen nachgeborenen Sohn, Rudolf August, der später einmal die Firma leiten sollte.
Der Gründer August Oetker war durch den Verlust seines Sohnes schwer getroffen – 1918 starb er im Alter von 56 Jahren.

Die Firma Dr. Oetker profitierte durch Heeresaufträge vom 1. Weltkrieg, zudem hatte eine patriotische Werbung, welche an die Hausfrauen appellierte, das deutsche Gustin statt des englischen Mondamin zu kaufen, sowie das Verbot der Behörden, Hefe für Backwaren einzusetzen, der Firma gleichfalls steigende Umsätze beschert.

Anfang der 20er Jahre geriet das Unternehmen wegen sinkender Absatzzahlen kurzfristig in eine Schieflage, erholte sich davon jedoch wieder. Der neue Geschäftsführer Richard Kaselowsky als Nachfolger, hatte als alter Freund vom gefallenen Rudolf August, die Schwiegertochter Ida geheiratet. Er nutzte die Inflation geschickt aus, um die entstandenen Schulden zu tilgen.

Während der Zeit des Nationalsozialismus war die Firma mit ihren Geschäftsführern regimetreu eingestellt und schwamm mit dem Strom. Man profitierte zunächst vom Wirtschaftsaufschwung und später auch vom Krieg – für Puddingpulver gab es einen separaten Abschnitt auf der Lebensmittelkarte und man erhielt Staatsaufträge. Im Jahre 2009 wurde von der Unternehmerfamilie ein Team von Historikern damit beauftragt, die Rolle der Firma und ihrer Geschäftsführer während der NS-Zeit aufzuabeiten, 2013 erschien eine Studie dazu.

Nach dem 2. Weltkrieg mussten die Fabrikgebäude zunächst wieder aufgebaut werden, die zu 40% zerstört waren. Mit der Zeit des Wirtschaftswunders kam auch die Nachfrage nach Back- und Puddingpulver wieder in Schwung. Man schaltete mit „Frau Renate“ Werbespots im Fernsehen – und auch im Belle Epoque Blog fand ich diesen hier einfach zu lustig (und ALLES an den 50iger Jahren illustrierend), dass ich Euch den Link zum Film nicht vorenthalten will. Kleiner Spoiler: Junges Ehepaar bekommt Sonntagnachmittag überraschend Besuch beider Mütter…

 

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In den Folgejahren wurden die internationalen Aktivitäten von Dr. Oetker vorangetrieben und die Unternehmensgruppe stellte sich mit weiteren Beteiligungen an Brauereien und Sektkellereien breiter auf. Neben Bielefeld wurden schon seit den 30er Jahren weitere deutsche Standorte geschaffen, z.B. Hamburg und Ettlingen sowie ab 1908 internationale Niederlassungen, z.B. in Österreich, Frankreich, Italien, Polen und Belgien.

Heute ist aus der ersten Backpulverfabrik mit ihren Ursprüngen in einer Apotheke eines der größten deutschen international tätigen Familienkonzerne geworden, der nach wie vor eine gute Reputation bei seinen Kunden genießt und dessen Name trotz aller weiteren Produkte bis heute vor allem mit seinen Backzutaten verbunden wird, den Anfängen von Dr. Oetker.
Die Erfolgsstory baut auf der wechselvolle Unternehmensgeschichte auf – wichtige Meilensteine der Historie mit weiterführenden Informationen sind auf dieser Seite zu finden.

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