„Laß mich allein“ – ein Frauenschicksal aus dem Bürgertum zwischen Pflicht und Ambition
Bald ist „Halbzeit“ beim Fortsetzungsroman „Laß mich allein“ der Autorin Julia Jobst.
Ich möchte an dieser Stelle die Handlung des Romans nicht zu sehr „spoilern“. Aber natürlich sind neben der Handlung auch die Informationen spannend, die wir so über die Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts erhalten – behandeln sie doch Themen, die noch heute aktuell sind. Schon damals begann die Diskussion, wann eine Frau berufstätig sein konnte und vor allem durfte.
Marianne, die Hauptperson von „Laß mich allein“ ist eine typische bürgerliche Vertreterin jener Zeit, die –ohne Kinder, die dem Ehepaar versagt geblieben sind-, den Haushalt führt. Wobei, wie es damals in bürgerlichen Haushalten üblich war, ihr ein Mädchen, das die Hauptarbeiten im Haushalt wie Kochen, Saubermachen etc. erledigt, zur Seite steht.
Die Haushaltsaufgaben füllen sie absolut nicht aus und auch nicht ihre Freizeitbeschäftigungen wie Handarbeiten, Klavierspielen und Gartengestaltung. Marianne ist unzufrieden, zumal ihr Mann Jürgen, ein vielbeschäftigter Landarzt wenig Zeit und auch Verständnis für sie hat und sie sich aufgrund seiner unregelmäßigen Arbeitszeiten mit allem komplett nach ihm richten muss.
Als der (Möchtegern-) Schriftsteller Raven aus der großen weiten Welt Berlin in ihren kleinen Ort Holm an der Schlei kommt und sie seine Bekanntschaft macht, ist sie hocherfreut. Erlöst er sie doch aus ihrem langweiligen Alltag. Endlich ein Mensch, der sich für sie und ihre Belange interessiert! Insgeheim hat sie schon lange davon geträumt, als Schriftstellerin tätig zu werden. Er ermutigt sie dazu und ist für sie bei den alltäglichen Dingen, wie der neuen Einrichtung des Hauses – dank einer Erbschaft kein Problem- der langersehnte Partner für einen Austausch. Ihr Mann Jürgen hat dafür keine Zeit und er ist im Grunde auch nicht daran interessiert.
Er möchte zwar eine kluge Frau haben, die ihm ein ebenbürtiger Gesprächspartner ist, weigert sich aber, sie z.B. in seiner Arztpraxis zu beschäftigen oder in irgendeiner Art und Weise beruflich mit einzubeziehen. Für ihn hat sie sich mit ihrem Schicksal abzufinden (was doch seiner Meinung nach kein schlechtes ist) und ihre weiteren Ambitionen aufzugeben.
Zunächst erscheinen Marianne ihre Ansprüche teilweise selbst fragwürdig. Durch die Vermittlung von Raven, der Kontakte in die Berliner Verlagsszene hat, schafft sie es jedoch, ein erstes selbst geschriebenes Märchen in einer Zeitschrift zu veröffentlichen.
Da sie ahnt, dass ihr Ehemann Jürgen ihre schriftstellerischen Aktivitäten mißbilligen wird, erzählt sie ihm zunächst weder, dass sie eine Geschichte geschrieben hat, noch, dass diese von Raven bei einem befreundeten Verleger zur Veröffentlichung eingereicht wurde.
Als sie die Zeitschrift mit der veröffentlichten Geschichte nebst ihrem Honorar erhält, ist sie unheimlich stolz und zeigt sie freudig ihrem Ehemann Jürgen.
Der findet ihr Märchen zwar sehr gelungen, mißbilligt aber ihr heimliches Vorgehen. Es kommt zur Konfrontation und folgender Dialog entspinnt sich zwischen den beiden:
„Hast du dir nie gesagt, dass es mich kränken müsste, dass du mit Übergehung meiner Person diesem fremden Mann ein solches Vertrauen schenktest, während du mir alles verheimlicht hast?“
„In diesem Sinne habe ich mein Tun nie betrachtet.“
„Vielleicht hast du gedacht, ich würde dir verbieten, zu schreiben.“
„Vielleicht,“ antwortete Marianne wortkarg, obwohl sie ahnte, was nun kommen würde; kannte die doch Jürgens Abneigung gegen die Schriftstellerei im allgemeinen und schriftstellernde Frauen im besonderen.
„Du trägst jetzt meinen Namen, Marianne, und du hast, ohne mich zu fragen, diesen Namen an die Öffentlichkeit gebracht, mit deiner Arbeit jedem Leser das Recht gebend, sie ebenso öffentlich zu beurteilen. Weißt du eigentlich, was das heißt, die allgemeine Kritik herauszufordern oder, noch richtiger ausgedrückt, mit dem, was du schaffst, dich der gefürchteten und oft boshaften Kritik zu unterwerfen?“
„Ich habe doch nichts Schlechtes geschaffen.“
„Nein, sondern in diesem Rahmen sogar etwas sehr Gutes. Aber glaubst du wirklich, dass du hierbei stehenbleiben wirst?“
„Nein.“
„Also! Um den abgedroschenen Vergleich, der hier aber so sehr treffend ist, zu gebrauchen: Hat der Löwe erst einmal Blut geleckt, so ist es aus mit aller Bezähmung. So wirst du eben deinen Weg weiter verfolgen, und dieser Raven, dem ich in dieser Stunde die Freundschaft aufsage, wird dir vielleicht noch zu weiterem Fortkommen verhelfen. Du wirst dich an Größeres wagen, das du nicht beherrschen wirst. Das Fiasko wird nicht ausbleiben, und mein Name wird die Zeche bezahlen.“
„Warum misstraust du meinem Können?“
„Weil ich deinen Ehrgeiz kenne. Sage mir ehrlich, ob du dich nicht schon mit einer größeren Arbeit trägst.“
„Ja, mit einer Novelle, aus dem – -“
„Ich verlange gar nicht, Näheres zu wissen, denn ich bitte dich darum, sie ungeschrieben zu lassen. Muss durchaus weiter geschriftstellert werden, so halte dich an Märchen und kleine Feuilletons, die verlieren sich in der Menge und werden nie einen Buchverleger finden.“
„Du willst mir also verwehren, Schriftstellerin zu werden, und mir jedes Fortkommen erschweren?“
„Ja, was ich dagegen tun kann, geschieht sicherlich. Es sprechen zu viele Gründe dagegen?“
„Und die wären?“
„Du bist vermögend, du hast mehr als du brauchst. Warum nimmst du Ärmeren ihr Brot?“
„Fragt der vermögende Künstler danach, wenn er malt, bildhauert oder schriftstellert? Hört er etwa auf, wenn er fürstliche Reichtümer besitzt?“
„Beim Mann ist das etwas anderes, er muss einen Beruf haben – seine Arbeit. Zudem treibt ihn, wenn er ein echter Künstler ist, sein Genie zur Ausübung seines Talents.“
„Und die Frau? – Wir haben ebenso bedeutende Schriftstellerinnen wie Schriftsteller. Gerade diese Kunst ist von alters her beiden Geschlechtern freigegeben worden.“
„Gewiss, dieses alles zugegeben, ist und bleibt dennoch die erste und vornehmste Pflicht der verheirateten Frau, für Familie und Haus zu sorgen. Eine jede Kunst ist, wenn sie ernst betrieben wird, eine eifersüchtige Macht, die den, der sich ihr ergibt, tyrannisch beherrscht und nichts andres neben sich duldet.“
„Ich verspreche dir, dass du nicht vernachlässigt werden sollst, Jürgen.“
Dem egoistischen Jürgen ist sein ganz persönliches Wohlbefinden und der Ruf „seines Namens“ wichtiger als die Ambitionen und das Glück seiner Frau.
Er erkennt jedoch und sagt das Marianne auch auf den Kopf zu, daß sich ihre Beziehung bei einer weiteren Betätigung und einem zukünftigen Erfolg als Schriftstellerin verändern würde. Das möchte er nicht und weist sie in der weiteren Auseinandersetzung nochmals darauf hin, dass
„…deine Hausfrauenpflichten dir stets die vornehmsten bleiben. Dann ergänzen wir uns beide, und es gibt ein Ganzes in dem Sinne, wie es der Schöpfer aller Dinge in der Natur bei allen seinen Geschöpfen zum Gesetz gemacht hat. Dagegen soll man nicht ankämpfen, sondern sich fügen. Bei mir liegt die Pflicht in der Ausübung meines Berufes, bei dir, mir die wenigen Stunden, die ich daheim bin, behaglich zu machen mit der Selbstverleugnung, die die edelste Eigenschaft des Weibes ist.
Der Roman wurde von einer Frau, der Schriftstellerin Julia Jobst, geschrieben. Ja, sie war sicher eher eine Autorin der leichten Muse, deren Romane zunächst in Fortsetzungsromanen von Zeitschriften erschienen und so populär wurden. Mehr über sie kann man hier erfahren.
Umso bemerkenswerter finde ich Dialoge wie diese, die in ihren Romanen zu finden sind.
Hier wird die damalige „Ist-Situation“ geschildert, wie die Frauen sich ihren Ehemännern unterzuordnen hatten. Dabei bleibt im Roman noch ausgeblendet, daß die Frauen normalerweise, genau weil sie nicht berufstätig sein waren und keine Ausbildung hatten, auch finanziell vollkommen von den Männern abhängig waren. Es sei denn, sie waren selbst aus reichem Hause oder wie in diesem Roman durch eine Erbschaft finanziell unabhängig.
Julia Jobst zeigt mit der Figur Marianne, dass Frauen durchaus weitere Ambitionen hatten – auch wenn es hier etwas klischeehaft – eines der wenigen anerkannteren weiblichen Genres der Schriftstellerei war. Und sie zeigt, daß die Frauen gegen die ihnen zugedachte traditionelle Rolle aufbegehrten und sie in Frage stellten.
Auch die Rubrik „Aus dem Frauenleben“, welche in der bürgerlichen „Sonntagszeitung“ erschien, ist ein Zeichen dafür. Hier wurde von Frauen aus aller Welt berichtet und ganz oft von der „ersten“ weiblichen Postbeamtin, Professorin für Geschichte, Berufstaucherin etc.
Es herrschte Aufbruchsstimmung und auch die Herren der Schöpfung mußten akzeptieren, dass die Frauen aus ihrer zugedachten Rolle ausbrachen und ihre Ambitionen über ihre Rolle als Hausfrau und Mutter hinausgingen.
Zurück zum Roman: Marianne läßt sich durch ihren Ehemann natürlich nicht von der Schriftstellerei abbringen. Sie ringt ihm zumindest die Erlaubnis ab, alleine reisen zu dürfen. Betrachtete sie den Schriftsteller Raven zunächst als Freund und Seelenverwandten, so wächst ihre Zuneigung zu ihm wie sie sich im gleichen Maße von ihrem Ehemann Jürgen entfernt. Aber auch Raven spielt ein falsches Spiel. Als das Jürgen bemerkt, ist es fast zu spät…
Die Handlung spitzt sich zu und es kommt zu dramatischen Entwicklungen – hier der Link zum Anfang des Romans, dort sind auch die jeweiligen Fortsetzungen zu finden.
Übrigens ist der obige Dialog aus der noch nicht erschienenen 7. Fortsetzung, welche nächste Woche (23.Februar) erscheint.
Wirklich sehr interessant und man bekommt Lust auf mehr von dem Buch!
Herzlichen Dank für Dein Feedback Thorsten!
Grete