Mein Weihnachtsbaum
Mein Weihnachtsbaum
Plauderei von Ilse Dore Tanner.
Viele finden meinen Weihnachtsbaum altmodisch, manche zu bunt, manche wohl gar geschmacklos, aber die Kinder lieben ihn, in ihren Augen ist er schön, echt weihnachtlich, so, „wie ein Weihnachtsbaum sein muß“, und ihre Meinung ist mir hierbei maßgebend.
Für mich selbst ist mein Christbaum voller Erinnerung, fast jedes Stück seines Schmuckes erzählt mir eine Geschichte, malt liebe Bilder vor mein geistiges Auge. Da sind vor allen Dingen die Ketten, Körbchen und kleinen Taschen aus Gold- und Silberpapier, die meines Jungen ungeschickte Fingerchen an langen Winterabenden selbst gearbeitet haben, voll großer Geduld und noch viel größerer Wichtigkeit, so als müsse das Weihnachtsfest verschoben werden, wenn er nicht je damit fertig geworden. Ich möchte sie nicht missen, um alles nicht, diese kleinen, in den Augen Fremder sicher unschönen Gegenstände, und für meinen Jungen selbst ist der Weihnachtsbaum erst dadurch recht geschmückt, und er versäumt nicht, Besucher auf seiner Hände Werk aufmerksam zu machen.
Mit jedem Jahre, da seine Geschicklichkeit zunimmt, wird aber auch seine Produktion größer, und im letzten Jahr war der Reichtum an Ketten so groß, daß er sie unmöglich auf einen Baum mäßiger Größe unterbringen ließ.
Da habe ich den Ausweg gefunden, daß ich vier lange Silber und Goldketten an der Spitze des Baumes befestigte und von dort aus zu den Fenstern, zur Spiegelkonsole und zu einem hohen Schrank spannte; das sah ganz festlich aus, und die Arbeit des Jungen hatte ihren Platz gefunden.
Damit waren aber die Vorräte, die aus seinen fleißigen Fingern hervorgegangen waren, nicht erschöpft, und so bekam auch noch das Eßzimmer einen Schmuck von Silber- und Goldketten, verbunden mit Tannenzweigen, Mistel und Stechpalme, und eine große Kette, von Tannenzweigen gehalten, zierte die Wände der Küche und gab auch ihr ein weihnachtliches Gepräge.
Viel glitzernder, bunter, silber- und goldumsponnener Glasschmuck hängt von meines Baumes Zweigen. Ich kaufte ihn zum größten Teil selbst vor Jahren im schönen Thüringerwald am Rennsteig, in dem alten Glasbläserstädtchen Lauscha. Es war Sommer damals, ein herrlicher Tag voll Sonnenschein und Waldduft, und ich bemitleidete das fleißige Völkchen, das kaum etwas davon gewahr wurde, das von morgens bis abends am Arbeitstisch bei dem eintönigen Gesumme der Glasbläserlampe sitzt und mit zauberhafter Geschicklichkeit und Geschwindigkeit den buntschillernden, phantasievollen Glaschristbaumschmuck entstehen läßt, der im Herbst dann in alle Weltgegenden verschickt wird.
Ich habe niemals in den Verkaufsläden der Stadt so niedliche Muster des Glaschristbaumschmuckes gesehen, als in Lauscha selbst; es wurde mir dort gesagt, daß die hübschesten und feinsten Gegenstände nach Amerika gehen.
Einige Sterne aus großen, länglichen, gelben und weißen sowie blauen und weißen Glasperlen hängen an meinem Baum – blinde Kinder waren ihre Verfertiger. Als ich meinem Jungen den neuen Schmuck zeigte und ihm von den armen Kindern erzählte, fragte er ganz erschüttert: „Nichts können sie sehen? Den Weihnachtsbaum auch nicht?“ Das schien seinem Kinderherzen doch in dieser Zeit das Allerschmerzlichste und Schrecklichste, und aufmerksam und ernst hörte er zu, als ich dann anknüpfend davon sprach, wie gut wir’s hätten dagegen und wie wir unsre Dankbarkeit dafür am besten beweisen könnten, indem wir versuchten, andern, Ärmeren, Freude zu machen. Er ging dann mit noch einmal jo großem Eifer an das Kleben des großen Bilderbuches, das er aus gesammelten Ansichtspostkarten, Liebig- und andern bunten Bildern jedes Jahr für arme Kinder klebt. Und die hübschen, glizernden Sterne der armen Blinden werden ihm hoffentlich stets eine Mahnung sein.
Die Hauptsache meines Christbaums aber, wenigstens in den Augen der Kinder, sind die Sachen „zum Plündern“. Er macht etwas Mühe, gerade dieser Schmuck, aber darum auch um so mehr Freude. Schon mehrere Tage vor Weihnachten mache ich mich an die Arbeit…
Große Walnüsse werden ihres Inhalts beraub und erhalten irgendeinen kleinen winzigen Gegenstand als Einlage: kleine Holztierchen, winzige Püppchen, Kämmchen, Täßchen, Fingerhut, Puppenkette, auch wohl Radiergummi und Stahlfedern, dann werden die Nußhälften wieder zusammengeleimt, Goldfädenanhänger gleich mit dabei befestigt und schließlich die Nüsse mit Silber- und Goldbronze gestrichen. In kleine Tüten aus Silber- und Goldpapier kommen Süßigkeiten hinein, ebenso in die verschiedenen Körbchen, die der Junge verfertigte, und schliesslich wird in die Zweige noch etwas fertig gekaufter süßer Christbaumschmuck gehängt. Das gibt ein doppeltes Vergnügen – zuerst das Plündern, dann das Verlosen der Gegenstände, und ich mache dabei immer wieder die Beobachtung, daß die kleinen, billigen Sächelchen, die aus den Nüssen zum Vorschein kommen, einen ebenso großen Freudensturm entfesseln wie am Heiligabend die großen Geschenke.