Ostsee: Sommerfrische auf Usedom

 In Sommerfrische, Zeitgeschehen

Ich sitze bei einem Kaffee auf der Terrasse des Ahlbecker Hofs, vor mir die Strandpromenade und schließe kurz die Augen. Ich spüre die Seeluft vom Meer, höre die Pferdehufe vorbeifahrender Kutschen klappern, schaue den eleganten Damen in hellen langen Sommerkleidern nach, die alleine, zu zweit, von Kindern oder Herren im Sommeranzug begleitet werden.
So oder so ähnlich muß es wohl in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts gewesen sein. Die Strandpromenade gibt es noch, genauso wie die vorbeifahrenden Kutschen. Und auch die schönen Hotels und Villen aus dieser Zeit, welche die Promenade säumen. Sogar die Seebrücke steht heute noch: 1898 eingeweiht, in Ahlbeck als einzigem Ort in Deutschland noch original erhalten, führt der Seesteg von einem eleganten Pavillon mit vier Türmen 280 Meter ins Meer.
Nur die heutigen Promenadenbesucher sehen nicht mehr so elegant wie damals aus – mit Badeshorts, T-Shirts und Flipflops. Der Ahlbecker Hof hat sich den Charme eines Grandhotels dieser Zeit bewahrt, selbst ein Oldtimer steht noch davor bereit, wie zur Abholung der Gäste vom Bahnhof – schon seit 1894 war Ahlbeck ans Schienennetz angeschlossen. Er sieht allerdings nicht so aus, als ob er oft unterwegs wäre, auch wenn mir versichert wurde, dass er noch fahrtüchtig ist!

Insel Usedom – eine Sommerfrische der ersten Stunde! Der Badetourismus begann schon früh, in Heringsdorf im Jahr 1825. Die ersten Hotels und Pensionen entstanden. Noch war es gar nicht so einfach, zur Insel zu kommen. Das änderte sich 1876, als die erste Bahnlinie entstand, zunächst bis nach Swinemünde (heute polnisch) und 1894 dann bis Heringsdorf. Immer mehr Touristen kamen – vor allem aus Berlin, so wurde die Insel auch „Badewanne der Berliner“ genannt.
In Griebens Reiseführer von 1910 wird von Berlin eine Fahrtzeit „mit Schnellzug“ von 3 1/2 bis 4 Stunden nach Heringsdorf angegeben. Einen Schnellzug nach Usedom gibt es nicht mehr, deshalb braucht man heute eher 4 bis 4 1/2 Stunden mit Umsteigen und Bummelzügen.

Eine romantischere Alternative für die Fahrt zu den Seebädern war früher per Dampfer von Stettin aus – bis dahin ging die Reise gleichfalls per Zug.
Bansin war erst ab 1911 an die Bahn angeschlossen. Bis dahin fuhr man von Heringsdorf mit dem Fuhrwerk dorthin. Wie sich dieser Badeort entwickelte, kann man hier nachlesen.

Jeder der drei Hauptorte der Insel, heute Kaiserbäder genannt, hatte sein ganz eigenes Publikum – im mondänen Heringsdorf urlaubte das Großbürgertum, im bodenständigeren Ahlbeck eher Bürger mit mittlerem Einkommen und Bansin, welches als Feriendestination erst Ende des 19. Jahrhunderts durchstartete, war in militärischen Kreisen beliebt. Es entstanden mehr Hotels, mehr Pensionen und auch schicke Villen, als Sommerhäuser der oberen Zehntausend.

Aber WIE genau wurde damals geurlaubt? Eine (schön anzuschauende) Quelle sind nostalgische Postkarten, die damals noch viel zahlreicher als heute von der Sommerfrische geschrieben wurden. Da bis 1906 teilweise verboten war, sie hinten auf der Adress-Seite zu beschriften, wurden sie vorne beschrieben, auch wenn das Motiv nicht mehr viel Platz ließ. Das kam damals wie heute sicherlich einigen entgegen…
Eine andere Quelle sind alte Reiseführer aus dieser Zeit und nicht zuletzt auch dort ansässige Historiker, die sich mit der Geschichte der Insel und der Bäderorte eingehend beschäftigt haben und für deren Unterstützung bei der Erstellung dieses Artikels ich mich hiermit bedanken möchte.

Auf den Postkarten und alten Fotos von Usedom sind natürlich viele Strandszenen zu sehen. Darauf sieht man Strandkörbe, lachende Kinder in Matrosenanzügen mit ihren Müttern – diese vollbekleidet, die Väter dazu im Sommeranzug. Es gibt auch schon „frivole“ Postkarten und Karikaturen mit lachenden jungen Mädchen in sexy Badeanzügen, die zwar alles verdecken, aber doch figurbetont sind.

Allerdings durfte man zum Baden nicht etwa einfach ins Meer laufen. Dafür gab es Badeanstalten, zunächst, d.h. im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, getrennt für Damen und Herren. Die Damen-Badeanstalt war an einem Ende des Badeortes und die Herren-Badeanstalt am anderen. In Heringsdorf gibt es heute noch einen „Damenbadeweg“, der höchstwahrscheinlich zur Badeanstalt führte. Um weitere Details zu erfahren, wie genau damals denn gebadet wurde, treffe ich Hans-Ulrich Bauer. In Swinemünde geboren und viel in der Welt herumgekommen, wohnt er seit einigen Jahren wieder auf Usedom und hat sich intensiv mit der Geschichte der Kaiserbäder und der Insel beschäftigt.

Zu den damaligen getrennten Badeanstalten weiß er lustige Geschichten zu berichten, z.B. über das Problem der „Kieker“. Das waren Herren, die gerne mal die badenden Damen in der Damenbadeanstalt beobachteten – anscheinend kam das doch häufiger vor, denn es wurde Männern dann teilweise verboten, der Damen-Badeanstalt näher als 75 Meter zu kommen. So ist es zumindest aus Zinnowitz überliefert: „Bei Übertretung sind 9 Mark Strafe zu zahlen!“ hieß es.
Das Personal war gleichfalls fast ausschließlich weiblich, männliche Bademeister mussten verheiratet sein. Im Herrenbad ging es einfacher zu und es war auch weniger Personal, insbesondere weniger Badewärter beschäftigt – anstatt 14 Wärterinnen im Damenbad nur 9 Badewärter bei den Herren.

Jedoch waren bei den getrennten Badeanstalten Familien nicht so recht berücksichtigt bzw. wurden sozusagen auseinandergerissen – Mutter und Kinder gingen in die Damen-, der Papa (und ggf. ältere Söhne) in die Herrenbadeanstalt. Die Lösung waren Familien-Badeanstalten, die dann ab 1902 in den Seebädern errichtet wurden. Einzelnen Herren ohne familiäre Begleitung war der Zutritt dort allerdings nicht gestattet – „Kieken“ von innen funktionierte also nicht.

Wenn wir uns die Informationen aus unserem Griebens Reiseführer von 1910 zu den Badeanstalten in Heringsdorf anschauen, steht dort folgendes:

„Die Einrichtung der Bäder ist gut. Zwei Damenbäder, eins im Westen mit 30 Zellen, das andere im Osten mit 23 Zellen, ferner ein Herrenbad mit 25 Zellen sowie zwei Familienbäder mit im ganzen etwa 300 Zellen. Weit hinausgehende Stege ermöglichen das Baden im tiefen Wasser, der Badegrund ist vorzüglich.“

Die Badeanstalten waren direkt am Strand und, auf Pfählen stehend, hufeisenförmig ins Meer gebaut. Zum Schutz vor neugierigen Blicken (insbesondere den „Kiekern“) wurden darum hohe Bretterwände errichtet. In den einzelnen Kabinen zog man sich um, legte also die langen Kleider oder Anzüge ab und seine Badebekleidung an – wir gehen noch näher darauf ein, wie diese aussah! Damit badete man dann im Meer. Die Familien-Badeanstalten waren so angelegt, so dass man zwischen der linken und rechten Kabinenbadereihe (innerhalb des Bades gab es dann bei den Kabinen doch wieder Geschlechtertrennung) geschützt baden konnte bzw. sich die Familie im Wasser treffen konnte.

Nach dem Bade wurde sich wieder umgezogen und dann ging es zurück an den Strand, wobei die Kinder auch durchaus schon luftig bekleidet am Wasser toben und spielen durften. Ziemlich voll war es am Strand zur Hauptsaison Juli/August übrigens damals schon, wie Bilder zeigen.
Die Badeanstalten kosteten Eintritt, dazu gab es über den Tag verschiedene Badezeiten: in Heringsdorf z.B. von morgens 7–9 Uhr für Frühaufsteher und nachmittags von 16–18 Uhr zu 20 Pfennig pro Erwachsenen, für die Langschläfer von 9–14 Uhr für 50 Pfennig. Und wo wir gerade bei Gebühren sind: Sogar eine Kurtaxe war damals schon zu entrichten.

Aber dafür bekam man auch einiges geboten:
„Zum Besuch der Lese-, Spiel- und Musikzimmer im Kursaal sowie der Kurkonzerte sind nur die Inhaber von Kurkarten oder von Tageskarten berechtigt.“ – Kurkonzerte fanden mehrmals täglich statt, in Heringsdorf z.B. im Orchester-Pavillon des Kursaals oder auf der Kaiser-Wilhelm-Brücke, so hieß die Seebrücke.
Auch Sportmöglichkeiten gab es: „Im Walde, südlich von der nach Neuhof führenden Chaussee, befinden sich Lawn Tennis- und Krocket-Spielplätze sowie ein vielbesuchter Turnplatz. Bei der Försterei sind mehrere Kegelbahnen.“

Ab den zwanziger Jahren wurden die Badeanstalten überflüssig. Die Seebäder erteilten eine Freibadeerlaubnis und man durfte ab dieser Zeit direkt vom Strandkorb aus baden.
In Heringsdorf wurde daraufhin im Familienbad eine zwölf Meter hohe Wasserrutschbahn gebaut, mit der Badende mit Schlitten auf Schienen ins Meer sausen konnten. Durch diese Attraktion wurde das Familienbad weiter genutzt und blieb länger bestehen – viele andere Badeeinrichtungen wurden abgerissen. Nach dem Krieg bis Anfang der sechziger Jahre wurde der Eingangsbereich dieser Badeanstalt immerhin noch als Tanzgaststätte genutzt, dann brannte sie leider ab.

Falls das Meer einmal zu kalt war (was bei der Ostsee sicherlich öfter vorkam): Warmbäder gab es ebenfalls in den Kurorten. Darin konnte man sich waschen – „Wäsche für eine Person“ kostete laut Griebens Reiseführer 25 Pfennig – und neben „See- oder Süßwasserbädern“ auch „Sol-, Moor-„ und sogar „partielle Sandbäder“ (was immer das genau war) nehmen. Daneben wurden im Kurbad auch medizinische Leistungen wie „Inhalationen“ und „Orthopädie“ angeboten und sogar Wellness-Angebote (die damals nur noch nicht so hießen) wie „Hydrotherapie“ und Massage gab es schon – natürlich „nach besonderem Tarif“.

Und was trug man also zum Baden bzw. trug man denn überhaupt etwas? Natürlich! Auch Anfang des 20. Jahrhunderts gab es schon einen Trend „Zurück zur Natur und Natürlichkeit“ und Nacktbaden, „schwedisch baden“ genannt, gehörte für alle Fans dieser Bewegung dazu.
Und es wäre ja in den getrennten Badeanstalten zumindest eigentlich auch kein Problem gewesen. Aber in der Gesellschaft war es doch absolut verpönt und so trugen die Damen zum Baden zunächst ein Badekostüm, oft mit längeren oder weiten Pumphosen und gar schwarzen Badestrümpfen. Im Verlauf der 10er-Jahre fielen die unpraktischen Pumphosen langsam weg und ein geringelter Badeanzug, der noch die Oberschenkel bedeckte, blieb übrig. Später wurden die Badeanzüge knapper und figurbetonter. Bikinis gab es jedoch (nicht nur an der Ostsee) erst nach dem 2. Weltkrieg, sie wurden 1946 erfunden.

Bei den Herren war mal wieder alles etwas einfacher, sie trugen in den Herren-Badeanstalten kurze Badehosen. Diese Bekleidung war ihnen jedoch für die Familienbäder nicht gestattet – dort war ein Badeanzug aus Baumwolle, meist rot- oder blau-weiß-geringelt Pflicht.
Und das Nacktbaden? Als die Naturfraktion in der Bevölkerung in den 20er-Jahren stärker wurde, gab es von der preußischen Obrigkeit den sogenannten „Zwickelerlaß“, der Nacktbaden verbot.
Auch in der DDR versuchte man zunächst, die Freikörperkultur (FKK) am Strand zu verbieten, gab dann aber klein bei und gestattete das Nacktbaden an gewissen Strandabschnitten, die als FKK-Strände ausgewiesen wurden. Heute gibt es diese verschiedenen Abschnitte immer noch und es herrscht eine friedliche Koexistenz.
Diesen Absatz widme ich einem lieben Freund, der beim Lesen weiß, dass er gemeint ist.

Und ab wann gab es Strandkörbe? Der erste Strandkorb wurde vom Rostocker Korbmacher Wilhelm Bartelmann für eine rheumakranke Dame angefertigt. Er erregte Begeisterung am Strand, und bei Bartelmann wurden mehr dieser Sitzgelegenheiten bestellt. Er entwickelte sie weiter, mit Fußstütze, Tischchen etc. und schließlich als der heute bekannte Zweisitzer. Seine Frau eröffnete dann 1883 den ersten Strandkorbverleih in Warnemünde (aus Wikipedia). Schon Anfang des 20. Jahrhunderts gab es an den Ostsee- und Nordseestränden also Strandkörbe, die den heutigen ganz ähnlich waren. Und sie sind nach wie vor beliebt – inzwischen in aller Welt.
Außerdem konnten wochenweise transportable Strandhütten gemietet werden.
Die günstige Alternative dazu – Strandburgen – gibt es auch schon lange und je freier das Leben am Strand wurde, desto beliebter wurden sie.

Abgesehen vom Badespaß war der Sommerfrische-Aufenthalt in den Seebädern auch gesellschaftlich ein wichtiges Ereignis. Wer wohnte im besten Hotel, hatte die größte und schickste Villa – ob nun als eigene Sommer-Residenz oder gemietet?
Man flanierte auf den Promenaden und Seebrücken mit verschiedenen Geschäften und Cafés, traf sich zum Dinieren – und man schaute nach einem rechten Ehemann für die Tochter im heiratsfähigen Alter. Denn die Sommerfrische war auch ein Heiratsmarkt. Waren es in der Wintersaison in den Großstädten die Bälle und Feste, bei denen sich junge Leute kennenlernten – ob nun aus Zuneigung oder teilweise arrangiert – so gab es im Sommer verschiedene Orte, an denen sich die Gesellschaft traf und Verbindungen knüpfte. Die Kaiser-Seebäder gehörten unzweifelhaft dazu!

Apropos Kaiser: Natürlich war auch Wilhelm II. mehrfach auf Usedom zu Gast. Zum einen, um eine bestimmte Dame zu besuchen, die Besitzerin der Villa Staudt – hier geht es zur Geschichte der Villa und ihrer Bewohner. Zum anderen, um ein Kinderheim, das es heute noch als Jugendferienpark gibt, einzuweihen. Das kaiserliche Ehepaar reiste im Sommer regelmäßig ins „Nordland“, eine Provinz Norwegens (in diesem Artikel gibt es u.a. ein Foto und einen Bericht davon) und machte dann auf dem Rückweg auf Usedom Station. Oder der Kaiser kam von der Kieler Woche, die er ebenfalls regelmäßig besuchte, auf einen Abstecher vorbei.

Die schönen Villen und Hotels, die aus dieser Zeit noch erhalten sind, versanken in der DDR-Zeit in einen Dornröschenschlaf. Inzwischen erstrahlen zum Glück viele von ihnen wieder in alter Pracht, und man kann sich gut in das Flair der damaligen Zeit hineinversetzen.
Nicht, dass sie alle in einem einheitlichen Stil erbaut wären – wir finden alpenländischen Charme, skandinavische Gemütlichkeit, klassizistische Strenge und natürlich auch den Baustil der Zeit, den Jugendstil, neben Gebäuden, die eine Mischung aus verschiedenen Stilen sind. Man ließ sich inspirieren und wurde inspiriert. Heute fasst der Begriff „Bäderarchitektur“ dies geschickt zusammen.
Eine Besonderheit, die nicht nur auf Usedom, aber dort besonders häufig vorkommt, waren Holzhäuser, die in Fertigbauweise errichtet wurden. Dieser Beitrag erzählt von zwei Bansiner Villen, die in dieser Bauweise errichtet wurden.

Villen auf Usedom - Impressionen der Bäderarchitektur

In jedem Fall war in den Kaiserbädern für jeden Geschmack etwas dabei: Ob das mondäne Heringsdorf („hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Weltbade entwickelt“), das ungezwungene Bansin („übermäßiger Toilettenluxus wird hier nicht getrieben“) oder das aufstrebende Ahlbeck („die Wohnungspreise sind jetzt im allgemeinen kaum billiger als in Heringsdorf“) – ein gewisses Maß an Wohlstand war wohl Voraussetzung, um dort die Sommerfrische zu verbringen, aber es gab doch für jedes Portemonnaie Pensionen, Hotels, sowie Lokale und Vergnügungen, ob einfach oder luxuriös. Die Zitate in Klammern sind übrigens aus unserem Griebens-Reiseführer von 1910.
Auch heute sind die Seebäder beliebt – nicht nur aufgrund ihres historischen Charmes, sondern wie damals wegen der schönen Strände, der Ostsee und der gesunden Seeluft.

Und falls Ihr jetzt Lust zu einem Besuch bekommen habt: Nicht vergessen, vor dem Bad in der See ein Sandbad zu nehmen (wenn auch nur ein partielles) und (auch heute) die Kurkarte einzustecken – unsere wurde tatsächlich am Strand kontrolliert.

Viel Spaß beim Strand-, Flanier- und Badevergnügen wünscht Euch

Eure Grete

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  • Otto
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    Hallo liebe Grete,

    die Artikel über Usedom finde ich außerordentlich interessant! Er erinnert mich an Ferien, die ich als Student in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts dort verbringen durfte und an einen FDGB-Urlaub im Jahre 1965. Die Universität Jena unterhielt am Strand von Trassenheide (der Ort liegt etwa anderthalb Kilometer von der Küste landeinwärts) ein Ferienobjekt, zu welchem auch ein Kinderferienlager gehörte. Das Kinderferienlager war vor Beginn der Sommerferien noch nicht besetzt, also konnten dort Studenten einen Urlaub verbringen. In dem entsprechenden Gebäude gab es 4-, 6- und 8-Bett-Zimmer, die nicht nur für die Schulkinder, sondern auch für die Studenten gerade recht waren (Studenten hatten in der DDR einen gesellschaftlichen Status ähnlich dem der Schulkinder). Das hat uns aber kaum gestört, wir hatten an den wunderschönen Stränden große Freude und waren froh, an der Ostsee einen Urlaub für kleines Geld verbringen zu dürfen. Ein weiteres Ereignis ist meiner Frau und mir in sehr nachhaltiger Erinnerung: wir hatten geheiratet und es war uns unter Aufbietung aller Kräfte gelungen, für die Hochzeitsreise einen FDGB-Urlaubsplatz in Ahlbeck, einem ebenfalls sehr schönen Ostseebad auf Usedom, zu ergattern (Albeck und Heringsdorf sind benachbarte Seebäder an der Küste von Usedom). Viele der schönen alten Villen sind ja als FDGB-Ferienheime genutzt und teilweise ziemlich heruntergewirtschaftet worden. Für die Anreise hatten wir sogar einen Flug in einer IL14 von Leipzig nach Barth! Das Ferienheim, das für unsere Unterbringung vorgesehen war, machte eigentlich einen sehr guten Eindruck. Das dicke Ende kam aber bald: die Heimleiterin hatte für uns ein Durchgangszimmer vorgesehen! Wir waren erst mal starr vor Entsetzen. Den Hochzeitsurlaub in einem Durchgangszimmer, welches denen, die im hinteren Zimmer wohnten, zu jeder Tages- und Nachtzeit als Zugang (und natürlich auch als Fluchtweg) zur Verfügung stehen musste – eigentlich undenkbar! Nachdem wir uns von dem Schock einigermaßen erholt hatten, stellten wir die Heimleiterin zur Rede und brachten unsere Bedenken an. Nach einem längeren Palaver, bei dem wir alle Mühe hatten, einigermaßen Ruhe zu bewahren, wurde uns ein Zimmer zugewiesen, in welchem wir einen schönen Hochzeitsurlaub verbringen konnten. Eine weitere Urlaubsreise auf die Insel Usedom ist uns ebenfalls noch in sehr guter Erinnerung. Wir hatten eine private Unterkunft in dem Dörfchen Bannemin, ungefähr 2 km von der Küste entfernt und der Ortschaft Trassenheide benachbart, organisiert. Wir reisten zu dritt an: Meine Frau und ich und unsere zu jenem Zeitpunkt 3-jährige Tochter. Für die Anreise benutzten wir von Jena bis Wolgast einen Nachtzug, und in Wolgast stiegen wir nach einem Fußmarsch um in die Usedom-Inselbahn. Wir hatten uns natürlich orientiert, wann der Bahnhof Bannemin erreicht wurde und wir aussteigen mussten. Der Bahnhof kam, wir stiegen aus und standen zunächst auf freiem Feld. Weit und breit keine Menschenseele. In ca. 500 m Entfernung war ein einzelnes Gehöft zu sehen. Zum Glück war jemand zu Hause. Ich tigerte im guten Anzug mit Krawatte dort hin, erklärte unsere Situation und fragte an, ob uns geholfen werden könne. Die Antwort: das einzige, was wir für Sie tun können, ist, Ihnen einen Handwagen zu borgen. Den bringen sie aber spätestens morgen wieder zurück! Wir nahmen das Hilfsangebot gerne an, ich zog mit dem Handwagen wieder zurück zur Bahnerbude (dem Bahnhof), wir luden das Gepäck auf, setzten unsere Tochter oben drauf und rückten mit dem Handwagen im Schlepp in Bannemin ein. Es wurde trotz unguter Vorzeichen ein sehr schöner Urlaub, denn wir hatten uns dort mit Jenenser Freunden verabredet. Deren Tochter ist im gleichen Alter wie unsere Tochter und die beiden sind heute noch befreundet!
    Zum Glück ist ein erheblicher Teil der schönen alten Villen, die teilweise jahrzehntelang als FDGB-Ferienheime genutzt und ziemlich heruntergewirtschaftet waren, im alten Stile wieder hergerichtet worden, so dass sie nun wieder das Flair einer vergangenen Epoche ausstrahlen.
    Herzliche Grüße von Otto!

    • Grete Otto
      Antworten

      Lieber Otto,
      danke, dass Du diese tollen Usedom-Erinnerungen mit uns teilst – auch wenn sie im Moment des Geschehens vielleicht gar nicht so lustig waren, wie sie jetzt klingen, siehe Hochzeitsnacht…
      Wobei per Handwagen zum Urlaubsquartier schon wieder nach Abenteuer klingt -was man heute bei perfekt organisierten Urlauben vielleicht sogar manchmal vermisst. Wenn Du noch mehr Lust auf Usedom-Artikel hast, diese Woche erscheint der letzte zu dieser Ostsee-Sommerfrische und zwar über das Grandhotel „Ahlbecker Hof“, was es heute noch gibt. Und rate mal, was es während der DDR-Zeit war? Richtig, ein FDGB-Heim!

      Herzlichst

      Grete

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