Was geschah im Juni 1908?
Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser – Das Kaiserpaar eröffnet die Schiffbau-Ausstellung in Berlin
Das Bild erinnert auf den ersten Blick eher an einen Friedhof als an eine Schiffbauausstellung. Aber in den gläsernen Särgen, Pardon: Schaukästen befinden sich Schiffsmodelle und die Grabsteine sind wohl die Informationsschilder zu Herstellern und Modellen. Das Kaiserpaar (mit 1 und 2 gekennzeichnet) steht bei der Statue.
Der Spruch „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser“ stammt aus einer Rede, die Kaiser Wilhelm II. 1898 in Stettin gehalten hatte. Es ging um den Ausbau der Handelsmarine und Kriegsflotte – Deutschland wollte auch bei der Eroberung von Kolonien mitmischen.
Die Eröffnung solcher Ausstellungen war sicherlich ein Herzensanliegen des Kaisers Wilhelm, denn ein besonderes Steckenpferd des Kaisers war die Flotte – viel (Steuer-)Geld wurde in den Ausbau der deutschen Flotte gesteckt, um zu anderen großen Flotten und den dazugehörigen Ländern, England in der ersten Reihe, aufzuschließen. Das Flottenwettrüsten sorgte politisch für Unruhe in Europa und bei den Nachbarn.
Aber auch Modelle von Luxusdampfern waren ausgestellt, wie es im Untertext zum Bild heißt. Beim Bau dieser Schiffe fand ein Wettkampf zwischen deutschen, englischen und amerikanischen Reedereien statt – die deutschen Reedereien „Norddeutsche Lloyd“ und Hapag standen im Wettkampf zu der britischen „Cunard Line“ und der amerikanischen „White Star“ (die zum IMMC-Trust gehörte). Der jährliche Wettkampf um das blaue Band für die schnellste Nordatlantiküberquerung war dabei eine wichtiger Prestige-Preis.
Gruppenbild mit Dame(n) – von der Berliner Damenhutkonkurrenz
Gut behütet waren die bürgerlichen Damen fast immer – außer Haus trug man eigentlich immer einen Hut, er gehörte zur täglichen Garderobe (Wen noch mehr Hüte interessieren, der schaut auf diese Pinterest-Wand!). Hier der Text zum Bild aus der Sonntagszeitung vom Juni 08:
Kürzlich fand auf einem glänzenden Gartenfeste im Garten des Auswärtigen Amtes zu Berlin eine Prämierung der schönsten Hüte statt. Als Preise waren kostbare Fächer und Schirmgriffe ausgesetzt. Den ersten Preis erhielt die junge Komtesse Lehndorff für einen schwarzen Strohhut mit weißen Federn.
Welches Hut-Ungetüm gehörte nun der Preisträgerin? Ausnahmsweise ist hier mal kein Kreuz oder eine Nummer zur Erkennung der Komtesse auf dem Bild gesetzt. Vielleicht die zweite von rechts?
Proteste gegen den Abriss des Fröbel-Geburtshauses und ein paar Fakten über den Erfinder des Kindergartens
Schon zur Bürgerleben-Zeit gab es Bürgerinitiativen – gut, sie hießen damals noch nicht so, waren es im Grunde aber. In Oberweißbach in Thüringen sollte das obige Geburtshaus von Friedrich Fröbel (1783-1852), dem Erfinder des Kindergartens „…wegen Baufälligkeit durch ein neues Gebäude ersetzt werden.“
Da hatte man aber nicht mit den Oberweißbachern gerechnet:
„Im Gefühl der Pietät gegen den Vater des Kindergartens hat die Gemeinde des Ortes einmütig Protest gegen den Abbruch erhoben und ist bemüht, durch Geldspenden die Summe für den Ankauf des Hauses aufzubringen.“
Die spannende Frage ist nun – steht das Haus noch? – Ja! Es wurde gerettet und sieht heute so aus:
Schöner als damals und das nicht nur wegen schwarz-weiß versa bunt, oder? Heute beherbergt das Haus ein Memorialmuseum mit Andenken an den Pädagogen und außerdem kann man dort auch etwas über Olitäten erfahren. Keine Ahnung, was Olitäten sind? Ging mir auch so! Es sind Naturheilmittel – dem Handel mit heimischen Kräutern und deren Verwendung in der Vergangenheit und Gegenwart ist eine weitere ständige Ausstellung im Haus gewidmet.
Aber noch einmal zurück zu Friedrich Fröbel, der als Erfinder des Kindergartens gilt und dessen pädagogische Konzepte noch heute aktuell und geachtet sind. Fröbel erkannte als einer der ersten Pädagogen, wie wichtig das Spiel für kleinere Kinder ist, um sich Wissen und Erfahrungen anzueignen. Dazu entwarf er auch entsprechendes Spielzeug – am bekanntesten sind seine Spielgaben Kugel, Walze und Würfel aus Holz, die als „Fröbelbausteine“ noch heute produziert werden. Dazu ist für die frühkindliche Erziehung die emotionale Zuwendung und sprachliche Begleitung wichtig.
Selbst zwar kinderlos geblieben, war Fröbel ein erfahrener Erzieher und Lehrer, mit vielfältigen beruflichen Erfahrungen auf diesem Gebiet. Er hatte nicht nur bei wohlhabenden Familien als Erzieher gearbeitet, sondern war auch in Pestalozzis Schule in der Schweiz in die Lehre gegangen, hatte als Lehrer an Volkschulen gearbeitet, eine eigene Schule gegründet und war in der Schweiz einige Jahre Leiter von Erziehungsanstalten, u.a. auch eines Waisenheims.
Mit diesem reichhaltigen Erfahrungsschatz beschloss er, in Bad Blankenburg den ersten „Kindergarten“ zu gründen – den Namen, heute in aller Welt bekannt und verwendet, hatte er sich auf einem Waldspaziergang überlegt.
Das Konzept des Kindergartens war dabei von Anfang an die bewusste Anleitung der Kinder zum Spiel und zur Bewegung in einem ausgewogenen Verhältnis – und zwar durch geschulte Kräfte. Er war zur aktiven Erziehung kleinerer Kinder für alle Schichten gedacht, auch für Kinder aus bürgerlichen Verhältnissen, deren Mütter nicht berufstätig waren.
Kinderbewahrungsanstalten für Mütter, die sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen mussten, gab es vorher schon, wenn auch wenige.
So wurde 1840 der erste Kindergarten von ihm selbst eröffnet. Leider musste er aus finanziellen Gründen schon nach wenigen Monaten wieder schließen. Wahrscheinlich ein Grund dafür war, dass Fröbel zwar ein genialer Pädagoge, aber „kein Rechenkünstler“ war, wie es so nett in einem Artikel von 1910 über ihn zu seinen Studien der Mathematik in jungen Jahren hieß. In jedem Fall gab Fröbel in den folgenden Jahren nicht auf und gewann auch wichtige Mitstreiter, welche die Lehre und das Konzept des Kindergartens weiter verbreiteten. Das Konzept wurde übrigens in den folgenden Jahren von der Öffentlichkeit und unter der Lehrerschaft durchaus kontrovers diskutiert. Es gab Befürworter und Gegner. Ein schwerer Schlag für Fröbel war, dass in Preußen die Kindergärten aus dubiosen Gründen 1851 verboten wurden – erst 1860 wurde dieses Verbot aufgehoben. Fröbel selbst starb 1852 und erlebte den weltweiten Siegeszug seines Konzepts des Kindergartens nicht mehr.
Heute befindet sich im allerersten Kindergarten übrigens das Fröbelmuseum, in dessen Dauerausstellung man viel über das Leben Fröbels und sein pädagogisches Programm für den Kindergarten erfahren kann.
1908 wurde in einem anderen Gebäude, Fröbelhaus genannt, ein weiterer Kindergarten eröffnet, welcher 1910 auch gleichzeitig das erste Erholungsheim für Kindergärtnerinnen war und als Fröbelmuseum fungierte. Für uns heute eine etwas seltsame Mischung: Als mich erholende Kindergärtnerin würde ich vielleicht ganz gerne mal auf Kinderlärm von nebenan verzichten… aber vielleicht waren die Kinder damals ja viel braver. Heute ist in dem Gebäude jedenfalls immer noch ein Kindergarten.
Royaler Nachwuchs beim Ausritt
Niedliche Kinderbilder adliger Sprösslinge waren schon damals ein beliebtes Motiv in Zeitschriften. Dieses Jahr erscheint ja der Kronprinz regelmäßig in unserer Rubrik – diesen Monat vertritt ihn mal sein „ältestes Söhnchen“, zu diesem Zeitpunkt übrigens knapp 2 Jahre alt.
Aus dem Frauenleben:
Der erste weibliche Malergeselle in Deutschland kommt aus Island
Die junge Isländerin Asta Arnadöttor hat in ihrer Heimat das Malerhandwerk erlernt und ist seitem kurzem bei einer Hamburger Firma als Malergeselle tätig.
Island war als Land übrigens auch bei der Einführung des Frauenwahlrechts recht früh dabei, es wurde dort 1915 eingeführt. Und anscheinend ja auch bei der Ausbildung weiblicher Handwerksgesellen!
Eine weibliche Rennfahrerin beim Autorennen „Prinz Heinrich-Tourenfahrt“
Von der Tourenfahrt, die in Tagesetappen zurückgelegt wurde und eine Prüfung auf die Leistungsfähigkeit in Dauerfahrten darstellte, nahmen 130 Automobile teil, darunter drei von Damen gelenkte. Zwei Tage dienten auch einem Schnelligkeitsfahren, das eine in der Ebene, das andre auf bergigem Gelände. Die Fahrt begann vom Tempelhofer Feld in Berlin und führte über Stettin, Kiel, Hamburg, Hannover, Köln und Trier nach Frankfurt a.M.
Die durchfahrene Strecke betrug 2218 km, die Fahrtdauer neun Tage. Infolge der energischen Oberleitung, die streng über die Einhaltung der Vorschriften wachte, sind Unglücksfälle vermieden worden.
Die Prinz-Heinrich-Fahrt fand in diesem Jahr zum ersten Mal statt, insgesamt viermal bis 1911. Da es 1910 einen schweren Unfall gab, wurde das letzte Rennen 1911 nicht mehr als Wettbewerb, sondern als „touristische Rundfahrt“ ausgetragen. Zugelassen waren zu dem Rennen nur viersitzige Tourenwagen, die mit vier Personen besetzt waren, wie auch auf dem obigen Bild zu sehen ist. Gleichfalls zu sehen ist, dass der Fahrer (hier die Fahrerin) rechts sitzt. Auch im Auto gehörte ein Hut zum Damen-Outfit, er wurde von Lilly Sternberg praktisch unterm Kinn festgebunden. Wem übrigens der Protos, die Automarke von Lillys Rennwagen, bekannt vorkommt, in dem Artikel von der Februarausgabe über das längste Autorennen der Welt spielt sie ebenfalls eine Rolle.
Sieger des Wettbewerbs wurde Lilly Sternberg übrigens leider nicht (und ihre Platzierung ist auch nicht überliefert), sondern das Rennen gewann Fritz Erle mit einem Benz (mehr über die Anfänge dieser und anderer deutschen Automarken erfahrt Ihr hier).
Für den Gesamtsieger aus den drei Rennen hatte der technikbegeisterte Prinz Heinrich (jüngerer Bruder vom Kaiser Wilhelm II.) als Pokal ein 13,5 kg schweres Modell aus Silber eines Tourenwagens gestiftet. Wer ihn dann schließlich bekam? In dem Artikel „Was geschah vor 110 Jahren?“ im Juni 2020 werdet Ihr es erfahren! Und wer bis dahin nicht warten will, kann schon mal hier nachschauen.
Feststellen kann man aber eines – bis heute sind RennfahrerINNEN eher ExotINNEN …
Englische Frauenpower: Große Demonstration für das Frauenwahlrecht in London
Etwa 30 000 Frauen aller Stände und Berufsklassen zogen kürzlich in sieben unabsehbaren Prozessionen nach dem Hyde-Park in London. 700 Banner und Standarten wehten über dem Zuge, und 40 Kapellen spielten Märsche auf. Im Hyde-Park hielten die Führerinnen der Bewegung für das Frauenstimmrecht von 20 Tribünen Agitationsrede, umringt von einer über 300 000 Menschen zählenden Zuhörerschar. Unter lebhaften und begeisterten Zurufen nahm schließlich die Versammlung eine Resolution an, daß die Regierung ohne Verzug das Stimmrecht den Frauen erteilen möge. Diese Massenkundgebung war durchaus dazu angetan, einen starken und günstigen Eindruck zu hinterlassen.
Soweit der Originaltext zum Bild in einer Juni-Ausgabe der Sonntagszeitung. Über den Kampf für das Frauenwahlrecht in England, auch als eines der Ziele der Suffragetten-Bewegung, hatten wir schon zuvor in dieser Rubrik berichtet.
Ein Sommeridyll mitten in der Stadt
Von wegen, Dachterrassen in der Großstadt sind ein neuer Trend! Dieses Bild beweist: Schon damals zog man sich gerne im Sommer darauf zurück – auch wenn das ganze „Dachgarten“ genannt wurde und bei der „geschmackvolle(n) Herrichtung“ (wie es im Untertitel heißt) heute zwar wahrscheinlich keine „säulengeschmückten Schornsteine“ (und auch kein Gartenzwerg), aber doch „Blattgrün und Blumen“ verwendet werden, um „die dumpfe Enge der Strassenzüge vergessen (zu) lassen“.
In diesem Sinne – genießt Euer ganz persönliches Sommeridyll! Ob auf Balkon, Terrasse, auf der Wiese, im Park oder im Freibad (und mit oder ohne Liegestuhl und Gartenzwerg)! 🙂
Eure Grete
Liebe Grete,
wie interessant! Vielen Dank, und ich freu mich schon auf die nächsten News.
Ich stelle mir so vor, wie die zwei Pädagogen Stoltze und Fröbel bei einem Glas Ebbelwoi Ideen ausgetauscht haben..;)
Liebe Grüsse, deine Agnes
Liebe Agnes,
danke Dir für Dein Feedback zu den Pädagogen. Ja, nicht alles wird überliefert und die Vorstellung, dass sich Stoltze und Fröbel einmal getroffen haben, absolut nicht abwegig! Und warum nicht beim Frankfurter Nationalgetränk 🙂
Liebe Grüsse
Grete
Liebe Grete,
endlich ein feedback zu den „Juni-News“ – besonders interessant fand ich den langen Artikel zu Fröbels Geburtshaus – der Name ist ja jeder Thüringerin ein Begriff..:) und bis heute kann ich mich eigentlich nicht richtig mit dem Wort Kita anfreunden, für mich ist und bleibt es ein Kindergarten (den Begriff verstehen sogar die Engländer ;).
Eine interessante Verbindung zwischen Frankfurt und Thüringen möchte ich noch hinzufügen: Der berühmte Journalist, Schriftsteller und Mundartdichter Friedrich Stoltze hat eine zeitlang bei Fröbel Erfahrung gesammelt.. Stoltze arbeitete bei dem Frankfurter Kaufmann Marquard Georg Seufferheld als Hauslehrer. Seufferheld wollte das pädagogische Konzept des Kindergartens in Frankfurt einführen und schickte Stoltze deshalb für zwei Jahre zum Studium zu Friedrich Fröbel nach Bad Blankenburg, Keilhau und 1844 an sogar an die Universität Jena.
Herzliche Grüsse
Agnes
Liebe Agnes,
vielen Dank für Dein interessantes Feedback zu Fröbel! Eine schöne Ergänzung des Artikels. Und ich habe auch noch eine: Fröbel hat, bevor er Schule und Kindergarten gründete, auch einmal als Hauslehrer in Frankfurt gearbeitet und zwar als Erzieher der Kinder der angesehenen Frankfurter Familie von Holzhausen. Mit den Söhnen der Familie fuhr Fröbel dann in die Schweiz nach Yverdun an die Erziehungsanstalt, die der damals schon renommierte Pädagoge Pestalozzi leitete.
Weil es auch um Frankfurt ging – in der nächsten Ausgabe sind übrigens einige schöne Bilder des alten Frankfurts, wie es dort 1908 aussah.
Herzlichst
Grete