Berndorfer Stilklassen – Arthur Krupp schenkt seinen Arbeiterkindern eine Schule

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Ein Gastbeitrag von Elmar Samsinger 

Ein Startup und ein Investor

Krupp steht für Stahl und Stahl steht für Kanonen, Kanonen stehen für… Das ist jedoch nur ein Teil der Geschichte. Als Friedrich Krupp mit Partnern 1811 den Grundstein zu seinem Imperium legte, war Napoleon am Ruder. James Watt hatte bereits 1769 seine Dampfmaschine zum Patent angemeldet. 1783 staunten die Menschen über das erste funktionierende Dampfschiff. 1825 ging George Stephensons Dampfeisenbahn in Großbritannien das erste Mal auf Fahrt. Die westliche Welt stand am Übergang vom Agrar- zum Industriezeitalter. In Fabriken stampften dampfbetriebene Maschinen. Dampfschiffe revolutionierten den Handel, der die Welt mit billigen Massenwaren überschwemmte und die Rohstoffversorgung sicherte. Nummer eins war Großbritannien mit seinem globalen kolonialen Empire. Im agrarisch geprägten Kaisertum Österreich war die industrielle Entwicklung anfangs gemütlich.

In die lange Reihe erfolgreicher Zuwanderer im Habsburgerreich reihten sich auch die Krupps und die Schoellers, beides aus Deutschland zugewanderte, protestantische Familien. Im Jahr 1819 gründete die Familie Schoeller in Brünn die Gebr. Schoeller k. k. Feintuch- und Wollwarenfabrik. Leiter der Wiener Niederlassung wurde 1831 Alexander von Schoeller. Dieser war eine echte Gründerpersönlichkeit. Bereits zwei Jahre später errichtete er das Großhandels- und Bankhaus Schoeller & Co. Die erwirtschafteten Gewinne investierte Alexander unter anderem in Industriebeteiligungen. Und da trat ein Start-up-Unternehmen in sein Blickfeld. Am deutschen Firmensitz Essen hatte Krupp 1838 die Löffelwalze zur Massenherstellung billigen Essbestecks als Patent angemeldet. Verarbeitet wurde korrosionsbeständiges Neusilber/Alpacca, eine Kupfer-Zink-Nickel-Legierung, die wie Silber aussah, aber viel billiger war. Alfred Krupp in Essen hatte nun den großen Österreichischen Markt im Auge. Und so trafen sich die Interessen des Investors Schoeller und des Fabrikgründers Krupp.

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Krupp-Fabrik in BerndorfSammlung Reinhard Muschik

Man war rasch handelseins und am 25. Mai 1843 wurde an der Triesting die k.k. priv. Berndorf-Metallwaren-Fabrik gegründet. Ausschlaggebend für den Standort waren die verfügbare Wasserkraft, billige Baugrundstücke und die Nähe zum Absatzmarkt Wien. Hier arbeiteten auch schon andere Betriebe. Zum technischen Leiter bestellte Alfred Krupp seinen Bruder Hermann.

Man begann in Berndorf mit 50 Arbeitern. Der Personalstand der Löffelschmiede spiegelte die Expansion der Firma. Von 1850 bis 1870 stieg dieser von 200 auf 1.000. Hermann Krupp stand anfangs nicht nur vor dem Problem, Abnehmer für sein Besteck zu finden, er benötigte auch dringend Arbeitskräfte. Und da erinnerte er sich der Sozialleistungen der Krupps in Deutschland als Lockmittel.

Bereits 1847 führte Hermann eine Krankenversicherung für seine Arbeiter und Angestellten ein und engagierte einen Betriebsarzt. Arbeitsbedingungen und Löhne waren offenbar zufriedenstellend, ging die 1848er-Revolution doch ohne Ausschreitungen und Streiks an Berndorf vorüber. Hand in Hand mit der Produktion investierte die Firmenleitung auch weiter großzügig in Bildungs- und Sozialeinrichtungen und sorgte für Arbeiterunterkünfte. Hermann Krupp starb 1879 und sein Sohn Arthur folgte ihm als Fabriksleiter nach. Sein Unternehmen firmierte als Berndorfer Metallwarenfabrik und führte den Bären als Firmenlogo. Arthur setzte den Kurs seines Vaters auch beim Ausbau der Sozialeinrichtungen fort.

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Gedenkplakette Arthur und Margret KruppFoto Elmar Samsinger

Bildung macht frei – Bildung macht fein

Ein erster Anlauf der Krupps in Berndorf eine öffentliche Schule zu errichten, wurde von der Behörde 1851 verboten. Darauf stellte die Firmenleitung privat einen Lehrer an, der die Arbeiterkinder in einem Haus der Fabrik unterrichtete. Die katholische Kirche wollte jedoch keine private, gar liberale Konkurrenz zulassen. Die Behörde stellte sich willig in den Dienst der Kirchenmänner und verwarnte Krupp wegen unberechtigter Erteilung von Privatunterricht.

Hermann Krupp protestierte und erreichte den vorläufigen Fortbestand des Unterrichts. Nach amtlicher Kommissionierung erteilte die Behörde 1854 endlich die Konzession zum Betrieb der privaten Volksschule. Diese wurde 1861 um eine Industrieschuleerweitert. Nach Aufkündigung des Konkordats (Vertrag zwischen Staat und Kirche) durch den Kaiser im Jahr 1870 regte die Gemeinde Berndorf 1873 die Umwandlung der Krupp´schen Privatschule in eine öffentliche an, was auch geschah. Das Schulgebäude wurde rasch zu klein. Hermann Krupp baute daher 1878 die zweite Volks- und Bürgerschule in Berndorf und überließ sie unentgeltlich der Gemeinde. Er überlebte die Eröffnung nur wenige Monate.

Schon nach wenigen Jahren stellte sich wegen der wachsenden Bevölkerung und der Fabriksbelegschaft das Platzproblem erneut. Arthur Krupp beauftragte daher 1894 seinen Hausarchitekten Oberbaurat Ludwig Baumann, eine dritte Knaben- und Mädchenschule zu errichten. Das stattliche Gebäude im neobarocken Stil für Volks- und Bürgerschule rundete das von Krupp finanzierte Stadtzentrum ab. Dieses bestand neben den beiden Schulen aus der katholischen Pfarrkirche samt Pfarramt, dem Arbeitertheater und dem Stadtamt. Über der Stadt errichtete sich Krupp eine prachtvolle Villa, die nach dem zweiten Weltkrieg wahrscheinlich von Kommunisten abgefackelt wurde.

In die frei gewordene zweite Schule quartierte man einen Kindergarten ein, der für die Eltern der Arbeiterkinder eine große Entlastung bedeutete. Dazu kam noch eine Gewerbliche Fortbildungsschule. Im Jahr 1900 erweiterte die Gattin des Industriellen, Margret Krupp, das Bildungsangebot für Mädchen durch Einrichtung einer Haushaltsschule. Die Ausbildung sollte Schülerinnen in die Lage versetzen, ihre berufstätigen Eltern zu entlasten und gleichzeitig für die Herausbildung von häuslich tüchtigen Mädchen zu sorgen.

Da nun nicht wenige Schüler auch eine höhere Ausbildung anstrebten, organisierte Arthur Krupp durch Zusammenlegung von zwei Arbeiterhäusern und Anstellung eines Lehrkörpers die Gymnasiale Privatschule in Berndorf. Nach Erfüllung aller Auflagen erteilte die Behörde 1908 schließlich die Bewilligung zur Aufwertung des Gymnasiums in ein Privat-Realgymnasium. Im selben Jahr wurde diesem das Öffentlichkeitsrecht einer staatlich anerkannten Lehranstalt verliehen.

Die Berndorfer Schulpaläste

Doch der rastlose Arthur Krupp war mit dem erreichten noch nicht zufrieden. Er beauftragte seinen Hausarchitekten Ludwig Baumann mit der Planung eine neue Kruppstadt am Berndorfer Grießfeld, das ihm gehörte. Im Zentrum sollte eine große, neobarocke Kuppelkirche thronen, flankiert von einer Knaben- und einer Mädchenschule und umgeben von Arbeiter- und Angestelltenhäusern. Die beiden 1909 eröffneten Schulpaläste finanzierte die Gemeinde, der Unternehmer übernahm die erheblichen Kosten der Ausstattung.

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moderne MädchenschuleSammlung Reinhard Muschik
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moderne Hygiene in der Knabenschule 1909Sammlung Reinhard Muschik

Arthur Kupp hatte sich für seine Schulpaläste etwas Besonderes überlegt. Einer Überlieferung zufolge, erinnerte er sich an seine Schulzeit und die langweilig-lieblosen Klassenzimmer in denen er paukte. Das wollte er den Kindern seiner Fabriksarbeiter ersparen. Er beauftragte daher die Architekten Max Hegele und Hans Peschl, die Maler Wilhelm Ladewig und Rudolf Jüttner, sowie Stuckateure und Tischler, die Klassenzimmer in verschiedenen Baustilen zu dekorieren. Wie staunten die Kinder der Buben- und Mädchenschule, als sie sich plötzlich im alten Ägypten wiederfanden oder in Pompei, im Orient, in der Zeit gotischer Kathedralen und barocker Schlösser. Man konnte sogar dem Stil Napoleons begegnen. Da wurde Lernen zum Abenteuer.

Die Stilklassen bieten jedoch nicht die reine kunstgeschichtliche Lehre, sondern sind Stilpasticci, wie sie für den Historismus typisch waren. Alle beteiligten Architekten und Handwerker waren auch am Bau der Wiener Ringstraße beteiligt, die das historistische Gesamtkunstwerk der Reichshaupt- und Residenzstadt war. Die Räume der Schulpaläste sind unterschiedlich aufwendig dekoriert. Am spektakulärsten ist das Ägyptische Lehrzimmer, aber auch das Byzantinische, Maurische, Romanische, Gotische oder Renaissance-Klassenzimmer machen großen Eindruck. Schlichter gestaltet sind Barock, Rokoko und Empire. Hier brauchten die Schüler jedoch nur vor die Haustüre zu treten, um entsprechende Klöster, Kirchen und Schlösser zu sehen. Besonderes Augenmerk richteten die Architekten bei ihren Kompositionen auf die Eingangsportale mit kunstvollen Türschnallen, die in der Berndorfer Fabrik gefertigt wurden. Spektakulär gestaltet wurden auch viele Zimmerdecken und die sie umrahmenden Zierfriese.

Die beiden Schulen erfreuten jedoch nicht nur das Auge, sie waren zudem mit modernster Technik ausgestattet. Alle Räume wurden elektrisch beleuchtet und hatten Zentralheizung. Von den sanitären Einrichtungen konnten die Eltern der Schüler nur träumen, die in den Arbeiterhäusern nur eine Waschküche besaßen. In beiden Schulen gab es hygienische Brausebäder mit 24 Duschen. Einmalig für die Zeit, richtete Krupp in der Knabenschule eine Schulsanitätsstation und in der Mädchenschule eine moderne Schulzahnklinik ein, die Schüler kostenlos behandelten.

Der Unternehmer Arthur Krupp ermöglichte mit den Berndorfer Stilklassen seinen Arbeiterkindern, die nicht nach Ägypten, Konstantinopel, Rom oder Versailles reisen konnten, auf anschauliche Weise bürgerliche Allgemeinbildung und Stilgefühl zu entwickeln. In den liebevoll erhaltenen Klassenzimmern wird bis heute unterrichtet, man kann sie außerhalb der Schulzeit auch besichtigen.

Über den Autor

Elmar Samsinger, Jahrgang 1954, stammt aus Innsbruck und lebt seit 1999 aus beruflichen Gründen in Wien. Er publizierte eine Reihe von Büchern zur k.u.k. Monarchie und zu den vielfältigen Beziehungen Österreich-Ungarns zur Levante.

Dazu kuratierte er Ausstellungen in Wien, Meran, Triest und Istanbul. Er wirkte als Berater in Dokumentationen von ARTE und ORF III.

Zur Eröffnung der Stilklassen verband Arthur Krupp die Hoffnung, dass die Lehrer den Kindern die entsprechenden Erläuterungen zu den einzelnen Stilen geben werden. Diese Rolle übernimmt nun das vorliegende Büchlein des Autors, das ganz im Sinne von Krupp durch die Stilklassen führt und zudem zahlreiche eindrucksvolle Fotografien von Christian Handl enthält. Das Buch ist 2022 im Berndorfer KRAL-Verlag erschienen.

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