Die Photographin: damals (1908) ein neuer Frauenberuf
Kein Beruf hat auch in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten so einen Wandel erfahren wie die Fotografie. Die analoge Fotografie wurde von der digitalen abgelöst, Mobiltelefone bekamen als weitere Funktion eine Kamera – die mittlerweile oft wichtiger ist als die Telefonie-Funktion. Ging man früher für Porträts ins Atelier, so fotografiert man sich heute (ständig) selbst und postet dies in diversen sozialen Medien. Viele jedenfalls.
Heute verschwinden Fotoläden und Ateliers eher aus dem Stadtbild, früher gehörten sie dazu. Aber natürlich werden professionelle Fotos nach wie vor gebraucht, ob nun für Presse, gesellschaftliche und persönliche Anlässe oder auch Werbung und Dokumentation. Deshalb werden auch heute Fotografinnen und Fotografen ausgebildet, weiter unten gehen wir noch einmal darauf ein.
Die Zeitschrift „Daheim“ stellte 1908 in einer Rubrik neue Frauenberufe vor, so auch „Die Photografin“. Wie lief nun laut Daheim eine Ausbildung zur Fotografin damals ab?
Junge Mädchen mit guter Schulbildung müssen zwei Jahre eine photographische Lehranstalt besuchen, wie sie der Lette-Verein, Berlin W., Viktoria Luise-Platz, eingerichtet hat. Dort lernen sie die verschiedenen Photographier- und Kopierarten, das Retuschieren, ferne die sogenannte Kunstretusche und das photo-mechanische Verfahren.
Nachdem vor nur wenige Monate dauernden kurzen Ausbildungen von Schülerinnen durch kleine Ateliers gewarnt wird (kein tüchtiger Photograph stellt Hilfskräfte an, die ihm nur in einem Spezialfache dienen können…) , heißt es weiter:
Im Lettehaus können nur junge Mädchen aus höheren Schulen ausgebildet werden, und der Andrang soll sehr groß sein. Das Honorar für den zweijährigen Kurs beläuft sich auf 440 M. (Mark). Das Lettehaus nimmt Pensionärinnen auf, empfiehlt auch Pensionen.
Das Lettehaus war einer der ersten Schulen, in denen Frauen eine berufliche Ausbildung absolvieren konnten. Das Haus gibt es noch heute und es werden auch heute noch Fotografinnen dort ausgebildet. Übrigens – es paßt einfach zu gut zum Thema, war die Überschrift des neuesten Artikels auf der Webseite zur Fotografie Ausbildung: „Müssen wir heute noch Fotografie ausbilden? Ja!“ Hier der Link dazu.
Vor zwei Jahren feierte das Lettehaus sein 150-jähriges Jubiläum. Wilhelm Adolf Lette gründete 1866 den Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts, weil er genau das eingangs geschilderter Problem bürgerlicher Frauen erkannte, die ihren Lebensunterhalt verdienen mussten, für die es jedoch kaum Ausbildungsmöglichkeiten gab.
Nach seinem Tod führte seine Tochter, Anna Schepeler-Lette den Verein weiter. Immer mehr Ausbildungsrichtungen wurden angeboten und 1902 das neu gebaute „Lettehaus“ bezogen. Eine photographische Ausbildung für Frauen existierte dort schon seit 1890.
Kleine Fußnote: Ab 1910 gab es dann dort auch Fotografie-Klassen für Männer. Und auch heute werden Männer dort ausgebildet – nicht nur in Fotografie 😀
Und wie waren damals die Aussichten für die angehenden Photographinnen und was verdienten sie dann so?:
Die Aussichten sind nicht ungünstig, aber auch nicht hervorragend gut. Oft nehmen die jungen Mädchen nach der Ausbildung erst eine Volontärstellung an, die ihnen dann größere Bewegungsfreiheit in den einzelnen Betrieben gestattet ist und sie sich schneller praktische Fertigkeit aneignen. Der Letteverein empfiehlt das für den Andrang geradezu.
Die Gehilfinnen für alles und die Retuscheurinnen erhalten etwa 50-150 Mark monatlich oder bei freier Station 20 -50 M. Die Reproduktionsretuscheurinnen, die aber sehr gut zeichnen müssen, stehen sich besser, da sie meistens gleich ein Gehalt von 50 – 174 M monatlich beziehen.
Röntgenschwestern nennt man die im Photographieren mit Röntgenstrahlen ausgebildeten Schülerinnen, an deren Können übrigens sehr hohe Ansprüche gestellt werden. Sie arbeiten sowohl in Krankenhäusern als auch in wissenschaftlichen Instituten und beziehen ein Gehalt von etwa 100 M monatlich bei freier Dienstwohnung ohne freie Station. Die Aussichten schienen zuerst recht günstig, doch wird in letzter Zeit geklagt, daß die jungen Mädchen lange auf eine Stelle warten müssen.
„Freie Station“ bedeutet übrigens „Freie Kost und Logis“ – es steht wohl heute so noch in manchen Arbeitsverträgen – ich persönlich kannte den Ausdruck nicht.
Was die Verdienste angeht, sind sie im damaligen Vergleich von Gehältern für Frauen gar nicht so schlecht. Diese fingen mit ca. 60 Mark für weibliche Arbeiterinnen an, Lehrerinnen verdienten ähnlich bzw. später besser als die Fotografinnen und für Beamtinnen waren die genannten Gehälter gleichfalls im ähnlichen Bereich (nur oft noch mit mehr „Benefits“).
Und für alle, deren Hauptstärke eher war, gut auszusehen, gab es diese Ausbildung, wie der Daheim-Text weiter ausführt:
Größere photographische Ateliers stellen sprachenkundige Empfangsdamen an, an deren photographische Kenntnisse weniger hohe Ansprüche gemacht werden, so daß sie in etwas einem halben, höchstens einem Jahr ausgebildet werden können. Sie bekommen ein Gehalt von ca. 75 bis 130 M monatlich, stehen sich aber kaum besser als ihre Kolleginnen, da sie sehr gut gekleidet sein müssen – Auf ihre äußere Erscheinung wird bei der Wahl besonderer Wert gelegt.
Der Artikel endet mit einem Tipp an alle potentiellen Photographinnen, die von der Selbstständigkeit träumen:
Will die Photographin sich selbstständig machen, so möge sie die Großstädte meiden. Die Konkurrenz ist da zu groß. – In Mittelstädten und kleinen Orten sind die Aussichten leidlich gut. – Ein Kapital von etwa 2-3000 M gehört dazu, denn gute Maschinen sind sehr teuer, und der ganze Apparat sollte gleich von Anfang an tadellos sein.
Alles in allem klingt die Berufsbeschreibung der Photographin im Daheim-Artikel realistisch – es wird nicht schön gefärbt. Ob es weitere Berufsschulen zu dieser Zeit gab, die eine Ausbildung zur Fotografin anboten, ist mir leider nicht bekannt. Da aber auf die Letteschule, wenn auch wie der Verlag in Berlin stationiert, recht ausführlich und ausschließlich eingegangen wird, würde ich mal vermuten, nicht so viele.
Für die Bilder möchte ich mich herzlich beim Lette-Verein und dessen Archiv bedanken: Heute eine Stiftung, wird von dieser nicht nur die schon erwähnte Ausbildung für Fotografie angeboten, sondern auch auch für weitere Bereiche wie Graphikdesign, Medieninformatik und Modedesign.
Wir hatten schon eingangs das Preisausschreiben mit den Erzählungen der Frauen über ihre Berufstätigkeit erwähnt. Das Preisausschreiben erschien in der Wochenzeitschrift „Die Gartenlaube“ und hatte das Thema „Vor den wirtschaftlichen Kampf gestellt…!
Die Resonanz darauf war wohl sehr groß und so erschien eine Auswahl von Beiträgen 1906 als Buch mit dem gleichen Titel. Die Gartenlaube schreibt dazu in der Einleitung:
„Der Wert der auf dieses Preisausschreiben eingesandten Arbeiten ist für alle Frauen, die sich in ähnlicher Lage befinden, so groß, daß wir es für unsere Pflicht halten, die besten und lehrreichsten der Öffentlichkeit zu übergeben“.
Mich haben die Berichte sehr beeindruckt und zum Teil sehr berührt. Oft standen die Frauen mit ihren Kindern und Anhang plötzlich ohne Geld da. Vieles was heute selbstverständlich ist, wie z.B. eine Krankenversicherung, Rente oder andere soziale Absicherungen gab es damals noch nicht. Die Mehrzahl der berichtenden Frauen, die plötzlich für sich und ihre Familie den Lebensunterhalt verdienen mußten, hatte nie einen Beruf erlernt. Zum einen hatten es die Eltern nicht für nötig befunden, für eine Ausbildung zu sorgen, da die bürgerliche Frau ja nicht arbeiten „mußte“, wenn sie einmal verheiratet war.
Zum anderen waren es auch finanziellen Gründe, denn eine Ausbildung kostete Geld.
Wie wir oben lasen, betrugen die Kosten für eine Ausbildung zur Fotografin in der Lette-Schule 400 Mark jährlich, damals kein kleiner Betrag.
Zeitlich liegen diese 1906 veröffentlichten Schicksalsberichte einige Jahre davor, weil etliche Frauen im Rückblick berichteten. Trotzdem gab es auch in den ersten zehn Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts noch genügend Mädchen, die außer vielleicht einem Besuch eines Mädchenpensionats, keine wirkliche Ausbildung bekamen. Es änderte sich zum Glück in den darauffolgenden Jahren immer mehr und höhere Schulbildung, Ausbildung und Studium wurden auch für Mädchen immer üblicher.
Bei den Berichten war Fotografin als Beruf leider nicht dabei, aber eine Lithographin, deren Beitrag hier zu lesen ist. Als weitere Geschichten sind erschienen: Vom Sprachunterricht zum Kunstgewerbe, Ein Besorgungsinstitut, Am Telefon , Die Lehrerin und in meinem Journal für moderne Frauenzimmer findet Ihr auch noch eine Geschichte, in der eine zunächst wohlhabende Bürgerstochter, die plötzlich vollkommen mittellos ist, ihr Glück in England versucht…