Ein Besorgungsinstitut

 In Frauenleben, Originaltexte Preisausschreiben Gartenlaube

Ein Besorgungs-Institut

Dies ist eine weitere wahre Geschichte aus einem Buch, welches 1906 mit dem besten Einsendungen aus dem Preisausschreiben der Zeitschrift Gartenlaube zum Thema „Vor den wirtschaftlichen Kampf gestellt“ erschien. Wer mehr dazu erfahren möchte, kann dies am Anfang dieser Geschichte lesen.

Er ist schwer, sehr schwer, der Kampf ums tägliche Brot und nur wenige bestehen ihn in Ehren, wer könnte hier Regeln aufstellen, bestimmte Ratschläge geben! Unmöglich! Die Art des Kampfes und die Zähigkeit, mit der er geführt wird, wird lediglich Sache des Charakters, des Bildungsgrades und — last not least — der mehr oder weniger guten Gesundheit sein. Nur erzählen kann man — Erfahrungen mitteilen — und jede ähnlich veranlagte Mitschwester mag sich ein Wörtlein zu Nutz und Frommen davon herausnehmen.

Ich verlor noch als Kind die Eltern, Verwandte ließen mich eine gute Schule durchmachen und gaben gern ihren Segen, als ich mich im Alter von 17 Jahren mit einem Manne in guter Position verheiraten konnte. Nach siebenjähriger Ehe stand ich mit einem kleinen Buben allein und völlig mittellos: Die Krankheit meines Mannes hatte alles verschlungen. Nun hieß es: Nicht den Kopf verlieren, frisch in den Kampf und alle Fähigkeiten zusammengerafft und nutzbringend angewendet!

Mit welcher Gründlichkeit da beim Betrachten der erworbenen Fertigkeiten zu Werke gegangen wird, mit welcher innigen Freude man in solchen Lebenslagen aber auch den Segen verspürt, den eine fleißige Schulzeit über ein ganzes Leben auszubreiten vermag, das kann nur der verstehen, der sich je in ähnlicher Lage befand.

Was konnte ich also? Die Wirtschaft führen, kochen, die üblichen Handarbeiten, etwas Klavier spielen, etwas singen, dazu etwas englisch und französisch.

Zunächst verfiel ich auf die Sprachen. Aber in welcher Form verwerten? Als Lehrerin? Dafür fehlte die Ausbildung. Als Reisebegleiterin? Dafür die Übung. Also die Korrespondenz, dazu reichte es. Ich erhielt eine Stellung im Geschäft mit einem Anfangsgehalt von monatlich 75 Mark. Ich arbeitete mich ein, der Chef war zufrieden. Aber 75 Mark! was sollte ich damit beginnen? 25 Mark erhielten die Leute für Pension, deren Obhut ich fürs erste mein Kind anvertrauen musste. Ich schränkte mich ein, so gut es nur ging, doch, des strengen Dienstes ungewohnt, sah ich mich bei der ungenügenden Verpflegung bald gezwungen, die Stellung aufzugeben. Die Erfahrung hatte mich gelehrt, dass die elementarste Grundbedingung für das Leben „essen und trinken“ heißt, und dagegen hatte ich arg gesündigt.

Diesen Fehler glaubte ich nun im Haushalt am besten vorbeugen zu können und wandte mich dieser Richtung zu. Eine Repräsentantinnenstelle zu erlangen, gelang mir nicht, dagegen wurde ich nun „Stütze der Hausfrau“. Ich wusste bald aus eigener Anschauung, welch dehnbarer Begriff doch diese „Stütze der Hausfrau“ sein kann; in diesem Falle hieß es ins Deutsche übertragen „Dienstmädchen“. Arbeitszeit von morgens 6 Uhr bis abends 12 Uhr. Behandlung: unwürdig. Verdienst: 25 Mark pro Monat; also die Pension. Auch dies war also nur ein Übergang. Nun ging ich etwas vorsichtiger zu Werke und nahm nach längerem Suchen eine Stellung im Hause eines alleinstehenden Herrn an. Meine Tätigkeit bestand hier im Leiten des Haushaltes und Erledigung der geschäftlichen Arbeiten, in welche ich mich bei guter Anleitung schnell hineingefunden hatte. Hier konnte ich auch mein Kind zu mir nehmen und hatte bei guter Einteilung der Arbeiten die Nachmittage noch zu meiner Verfügung. Alles hatte sich also zu meiner Zufriedenheit geregelt, nur der Geldpunkt nicht. Gehalt beziehe ich nicht, da dies mit der Pension für meinen Buben kompensiert wurde. Für Essen und Trinken war gesorgt — woher aber Geld nehmen für Kleidung, Schule (das Kind war inzwischen schulpflichtig geworden), ganz abgesehen von allen Extra-Ausgaben? Bisher waren wir noch gesund gewesen, wenn aber Krankheiten kamen, was dann? An die Zukunft durfte natürlich überhaupt nicht gedacht werden! Gab es denn für eine Frau keine andere Nebenbeschäftigung als Handarbeiten?

Da fiel mir ein, dass ich — soweit ich meinen Bekannten Glauben schenken durfte — ein gewisses Talent im Einkäufen, Vermitteln, Besorgen, kurz: ein Anpassungsvermögen an die Wünsche anderer besitzen sollte. Hierauf musste sich etwas aufbauen lassen. Als Berlinerin war ich unzählige Male in die Lage gekommen, auswärtigen Bekannten etwas zu besorgen, und stets waren mir in Bezug auf geschmackvolle Auswahl und preiswürdige Einkäufe eitel Lobeserhebungen zuteil geworden. Ich sah aus allem, wie nützlich eine sachverständige Vermittlerin in Berlin den außerhalb wohnenden Damen werden könnte. Wie viele Damen gibt es, die diese Reise nach Berlin scheuen, auch Verwandte infolge der daraus entstehenden Verpflichtungen nicht in Anspruch nehmen, aber gern gegen eine geringe Entschädigung die vorteilhafte Kaufgelegenheit der Residenz benutzen möchten!

Hierauf also lenkte ich mein ganzes Augenmerk, und der Erfolg war überraschend. Zunächst habe ich unter den mir von früher her bekannten Damen der Provinz meine Kundinnen gefunden; es werden mir bei den Einkäufen seitens der Geschäfte und seitens der Damen je fünf Prozent vergütet. Die Damen bezahlen nur Geschäftspreise ohne jeden Aufschlag und entrichten gern die kleine Gebühr.

Nun bin ich schon in der Lage, für mein kleines „Besorgungs-Institut“ etwas Reklame zu machen, und ich hoffe, eiserner Fleiß und Ausdauer werden mich in die Lage bringen, meine Idee so weit zu verwirklichen, dass sie mir später einmal zu einer gesicherten Existenz verhelfen wird. Eins möchte ich noch hinzufügen: Nicht allein die Damen nehmen meine Vermittlung in Anspruch, auch die Herren wenden sich gern an mich, um von mir ihre Wünsche bez. Toilettenfragen, insbesondere aber betreffs Geschenke für die weiblichen Angehörigen ohne Kopfzerbrechen in bequemer und geschmackvoller Weise befriedigt zu sehen. Und viele Anerkennungen beweisen mir zu meiner Freude, dass ich „mein Geschäft“ verstehe. So sehe ich frohen Mutes in die Zukunft, die mir oft recht dunkel erschien, und versuche es ehrlich, meinen Mitmenschen zu nützen und den Beweis zu liefern, dass eine Frau auch ohne Ernährer nicht zu verzagen braucht.

Nur nicht kleinmütig! Es gibt so viele gute Menschen, die Strebsamkeit unterstützen, man muss nur zu beweisen suchen, dass man der Unterstützung wert ist.
Wenn einer meiner Mitschwestern meine Idee nicht unpraktisch erscheint, so versuche sie es getrost, ich wünsche ihr einen gleich guten Erfolg! Mag die Sache an sich auch zunächst recht geringfügig erscheinen: Sich nur nicht beirren lassen, es hat sich schon mancher durch noch einfachere Mittel emporgearbeitet!

Hier geht es zu den weiteren schon veröffentlichten Geschichten: „Die Lithographin“ , „Vom Sprachunterricht zum Kunstgewerbe“„Mit dem Kochlöffel“ , „Am Telefon“ , „Ein Besorgungsinstitut“ und  „Die Lehrerin“

Empfohlene Artikel

Kommentieren