Totentanz im Stephansdom (Edith Kneifl)

 In Historischer Krimi

Totentanz im Stephansdom – ein historischer Kriminalroman von Edith Kneifl

Wien ist eine beliebte Kulisse für historische Krimis und auch Schauplatz von Edith Kneifls rund um den Privatdetektiv Gustav von Karoly angesiedelte Fälle. In diesem Band stürzt der Dombaumeister in der Silvesternacht von 1900 vom Nordturm des Stephansdoms? Mord oder Selbstmord? Immer mehr pikante aber auch unappetitliche Details kommen ans Licht. Eine Rolle spielen ein Heim für gefallene Mädchen (an dessen Insassinnen nicht nur der Dombaumeister Gefallen fand), die verbotene Freimaurerloge, bei der auch Karoly Mitglied ist und mehrere fortschrittliche Frauen, welche sich sozial engagieren und Karoly die Schattenseiten der Gesellschaft zeigen.

Gustav von Karoly genießt auf der anderen Seite das bürgerliche Wiener Leben, sitzt gerne im Kaffeehaus, diskutiert mit seinem Spezl Polizeioberkommisär Rudi Kasper (der einen Hang zu ordinären Frauenzimmern hat), über Gott, die Welt und die anstehenden Fälle und ist -wie sollte es bei einem Privatdetektiv anders sein- ständig knapp bei Kasse. Zum Glück springt sein adeliger Vater, dessen unehelicher Sohn er ist, ab und zu ein und in diesem Fall ein adeliger Auftraggeber, der ihm für die Aufklärung des Falls ein fürstliches Honorar verspricht.

Das Leben der oberen bürgerlichen Mittelschicht und auch ein Blick auf das Leben der Adeligen ist gut dargestellt – allerdings geht darüber manchmal die Spannung etwas verloren, teilweise plätschert die Krimihandlung so nebenbei daher. Aber der sympathische Hauptcharakter Gustav mitsamt seinen Liebes-Irrungen und -Wirrungen ist amüsant. Obwohl ich nicht ganz nachvollziehen konnte, warum er mit der guten Partie Helene, die er von Anfang an eigentlich nicht mag, Verabredungen eingeht und sich für ihren Champagnerdurst verschuldet – vielleicht um seine alte Liebe zu vergessen?

Textauszug (S. 167-172):

Im Fasching fanden in Wien jede Menge Jours, Diners und Hausbälle in den großbürgerlichen und adeligen Palais statt. Diese privaten Vergnügungen waren momentan mehr angesagt als offizielle Bälle. Der Polizeiball war jedoch ausgesprochen gut besucht.

Im Vestibül der Sophiensäle hatten sich jede Menge Sonnenkönige versammelt. Auch Louis XV. und seine Mätresse, die Pompadour, waren mehrmals vertreten, ebenso d’Artagnan und die drei Musketiere sowie Kardinal Richelieu, und zu Helenes Leidwesen mindestens ein Dutzend Marie Antoinettes.

Gustav hatte sich mit seinem Kostüm keine allzu große Mühe gegeben. Er tauschte an der Garderobe seinen Frack gegen eine schwarze Kutte aus und band eine dicke Schnur um seine Taille. Ursprünglich hatte er sich als Henker verkleiden wollen. Seine Tante hatte ihm lachend davon abgeraten. Angesichts von Helenes Kostümwahl war er froh, dem Rat seiner Tante gefolgt zu sein. Marie Antoinette und ihr Henker wären keine besonders geschmackvolle Paarung gewesen.

Helene zeigte sich anfangs nicht gerade begeistert davon, am Arm eines Mönchs im Ballsaal zu erscheinen. Als ihr aufging, dass Gustavs einfache Kostümierung ihre Schönheit und ihren Glanz erst recht zur Geltung brachte, hörte sie auf zu meckern. In der Nähe des Eingangs trafen sie auf Polizei-Oberkommissär Rudi Kasper. Er trug seine Uniform und hatte seine Halbstiefel ebenso auf Hochglanz poliert wie seinen Säbel.

„Schneidig, schneidig.“ Gustav klopfte seinem Freund auf die Schulter. „Aber wer bist du? Polizeiminister Joseph Fouché?“ „Ich habe gedacht, ich sehe in meiner Galauniform genug verkleidet aus.“ Helene reichte dem Polizei-Oberkommissär ihre Hand zum Kuss.

Rudi dachte nicht im Traum daran, ihr die Hand zu küssen, sondern ergriff sie und schüttelte sie heftig. Wenn Blicke töten könnten, dachte Gustav angesichts von Helenes empörtem Gesichtsausdrucks und verkniff sich ein Grinsen.„Entschuldigen Sie uns bitte einen Augenblick“, sagte Gustav und nahm Rudi kurz beiseite.

„Kannst du mir was borgen? Du bekommst es morgen zurück. Ich habe nicht genügend Marie mitgenommen“, flüsterte er seinem Freund ins Ohr. Rudi schüttelte den Kopf. Kurze Zeit später spürte Gustav jedoch eine Hand unter seiner Kutte. Rasch steckte er das Geld in seine Hosentasche, lächelte seinen Freund dankbar an und ver- schwand mit Helene im Getümmel.

Im Grunde war ihm bereits beim Souper im Bristol die Lust, sich mit Helene zu vergnügen, gründlich vergangen. Kaum hatten sie an ihrem Tisch, den Rudi für sie reserviert hatte, Platz genommen, war Helene nach Champagner zumute. Gustav bestellte eine Flasche, bezahlte sie gleich und vergaß seinen Vorsatz, langsam zu trinken. Das erste Glas stürzte er buchstäblich hinunter.

Er vertrug nicht viel. Alkohol machte ihn leichtsinnig. Nach dem zweiten Glas besann er sich auf sein nicht unbeträchtliches Repertoire an Verführungskünsten. Einige übertriebene Schmeicheleien und Komplimente seinerseits genügten, um Helenes Stimmung zu verbessern.

„Sie sind ein ganz Schlimmer, Gustave“, sagte sie und tätschelte seine Hand. Sie tanzten zwei Walzer hintereinander, glitten elegant übers Parkett. Er konnte jedoch nicht verhindern, dass ihnen manchmal ein ungeschickter Musketier mit seiner Herzensdame in die Quere kam.

Einige Paare tanzten im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Umfallen. Die Frauen bekamen in ihren pompösen Kostümen noch weniger Luft als sonst und der penetrante Geruch der weißen Lilien, die zu Ehren der französischen Monarchie den Ballsaal schmückten, trugen das Ihre dazu bei, dass die Pompadours und Marie Antoinettes reihenweise in Ohnmacht fielen.

„Hier ist es zu voll. Und das Publikum ist nicht sehr ‚comme il fault‘. Diese einfachen Leute tran- spirieren so fürchterlich, finden Sie nicht, Gustave? Lassen Sie uns ein intimeres Plätzchen aufsuchen“, schlug Helene vor, als die Kapelle eine rasante Polka zu spielen begann.

Gustav, dem vom Champagner und den unzähligen Drehungen am Parkett leicht schwindlig war, führte sie bereitwillig in eines der Separees, die in den Logen eingerichtet worden waren. Selbstverständlich erwartete sie, dass er eine zweite Flasche Champagner bestellte. In Gedanken sah er sich bereits die Zeche am Polizeiball prellen. Von dem Geld, das ihm Rudi zugesteckt hatte, war nicht mehr viel übrig.

Kaum hatte der Kellner Flasche und Gläser gebracht, ihnen eingeschenkt und die Tür wieder hinter sich zugemacht, warf ihm Helene über den Rand ihres Fächers kokette Blicke zu. Gustav sah sich außerstande, Komplimente oder Liebesbeteuerungen von sich zu geben. Er täuschte kurzerhand Leidenschaft vor, nahm ihr den Fächer aus der Hand und bedeckte ihr Gesicht mit heißen Küssen. Anstatt seine Küsse zu erwidern, begann sie zu kichern.

Sogleich hielt er inne.
„Mache ich etwas falsch?“, fragte er bestürzt. „Nein, nein“, beteuerte sie nach wie vor kichernd. Gustavs Lippen berührten zärtlich ihren Hals. „Ihr Schnurrbart kitzelt so schrecklich“, prustete sie los und schüttelte sich vor Lachen.
Er beendete seine Zärtlichkeiten abrupt und griff nach dem Champagnerglas. Seine Manneskraft war im Schwinden begriffen. Trotzdem versuchte er, nachdem er sich gestärkt hatte, zu tun, was ein Mann in solch einer Situation denkt, tun zu müssen.

Er flüsterte ihr Koseworte ins Ohr und streichelte ihre prächtigen nackten Oberarme. Als sich seine Hände ihrem bemerkenswerten Busen näherten, spürte er, wie sie sich versteifte. Liebevoll massierte er mit seinen Fingerspit- zen ihren Nacken, hoffte, sie würde sich wieder entspannen.

Tatsächlich begann sie zu schnurren wie ein Kätzchen. Doch als er sich erneut über ihr aufreizendes Dekolletee beugte und ihre Brüste mit seinen Lippen berührte, stieß sie einen Schrei aus, der sämtliche Polizeiagenten Wiens auf den Plan rufen musste.

Erschrocken ließ er von ihr ab. „Sie lüsterner Mensch, Sie …“ Helene klopfte ihm mit ihrem Fächer neckisch auf die Hand. „Verzeihen Sie mir, Fräulein von Stemann. Die Leidenschaft hat mich übermannt.“ „Pah! Seien Sie nicht albern! Ihr Männer wollt doch immer nur das Eine …“ Ihr empörter Gesichtsausdruck widersprach dem Lächeln in ihren Augen.

„Ich denke, ich sollte Sie jetzt besser nach Hause bringen.“ „Ich will noch nicht nach Hause.“ Sie klang wie ein trotziges Kind. Kaum hatte er sich erhoben, sprang auch sie auf und umarmte ihn stürmisch. „Bald, sehr bald werde ich dein sein“, flüsterte sie in sein Ohr. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Befreite sich aus ihrer Umarmung und half ihr, ihre Kleidung in Ordnung zu bringen. Als er mit ihr das Separee verlassen wollte, fing sie wieder zu protestieren an. Er nahm sie bei der Hand und zog sie hinter sich her zum Ausgang.

Im Fiaker schmollte sie, schmiegte aber ihren Schenkel eng an seinen und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Bei Gustav regte sich nichts mehr. Als sie vor dem Eingangstor des Palais in der Himmelpfortgasse ankamen, half er ihr aus dem Wagen und wartete, bis der Diener das Tor öffnete. Dann trennte er sich von ihr mit einem formvollendeten Handkuss und ließ sich zurück zu den Sophiensälen fahren.

Er hatte vor, sich dort sinnlos zu betrinken.

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***

Gretes Fazit

(für alle, die…mögen) :

+ Wiener Gesellschaft & Schmäh – fin de siecle Stimmung

+ Liebeständeleien

+ unblutig für gemütliche Sofastunden

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Über die Autorin

Als Edith Kneifl 1992 den Glauser-Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman des Jahres erhielt, war das gleich eine doppelte Premiere: Zum ersten Mal wurde eine Frau mit dem renommierten Preis ausgezeichnet, und zum ersten Mal ein österreichischer Kriminalroman.

Mittlerweile hat sich Kneifl längst als die Wiener Krimi-Queen etabliert. Die Romane der 1954 in Wels geborenen und heute in Wien lebenden freien Schriftstellerin sind vielfach ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt.

Zahlreiche Literaturpreise und -stipendien, darunter die ROMY 2003 für die Verfilmung des Romans „Ende der Vorstellung“ und 2018 der Ehrenglauser. 22 Kriminalromane und ca. 50 Kurzgeschichten sind bisher von ihr erschienen.

In ihrer beliebten Serie rund um den charmanten Privatdetektiv Gustav von Karoly zur Zeit des fin de siecle in Wien sind fünf Krimis erschienen, der vorgestellte Titel ist der 3. Band der Serie.

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