DIE FRAUEN DER POLARHELDEN

 In Gastbeitrag, Sport, Unkategorisiert

Ein Gastartikel von Angela Marina Reinhardt

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Vorwort

Scott, Shackleton, Peary, Nansen: Das »Goldene Zeitalter der Polarforschung« wurde geprägt durch Männer, deren Namen inzwischen fast ikonischen Charakter haben. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert stiegen sie in den Olymp des kollektiven Gedächtnisses auf, und noch heute kann man eine Fülle an Informationen über diese »Polarhelden« finden. Doch um sie soll es hier einmal nur an zweiter Stelle gehen.

Hier stelle ich einige der Gefährtinnen jener Forscher ins Zentrum. Frauen, deren Leben, ob sie nun wollten oder nicht, vom Eis geprägt wurde. Aus Liebe zu ihren Partnern mussten sie selbst zu »Polarheldinnen« werden: manche in sicherem Abstand zu eisigen Gefilden wie die Sängerin Eva Sars, manche mittendrin in der arktischen Wildnis wie Josephine Peary, die in Nordgrönland ihr erstes Kind bekam.

Die Portraits von fünf außergewöhnlichen Paaren sind es geworden.

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Josephine PearySammlung Bürgerleben
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Robert Edwin Peary im PolaranzugSammlung Bürgerleben

Josephine & Robert Edwin Peary

Josephine »Jo« Diebitsch Peary wurde 1863 als Tochter deutscher Einwanderer in den USA geboren. Sie verliebte sich bei einem Tanzkurs in Robert Edwin Peary – allgemein »Bert« gerufen – , der wie besessen war von der Idee, als erster zum Nordpol zu gelangen. Die beiden heirateten und teilten fortan den Traum vom Pol.

Jo folgte ihrem Mann insgesamt sechs Mal in die Arktis. 1893, während der zweiten Grönland-Expedition Pearys, brachte sie in der Expeditionshütte ihre Tochter Marie zur Welt, nach der Geburt von den Grönländern Ahnighito, d.h. »Schneebaby« getauft.

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Das Polarbaby Marie Pearygemeinfrei

Sieben Jahre später reiste Jo nach Grönland, um ihren Mann zu besuchen, der dort erneut eine Expedition durchführte. Peary hatte in der Zwischenzeit mit einer Grönländerin kurzerhand eine zweite Familie gegründet, dies fand Jo allerdings erst vor Ort heraus. Sie war am Boden zerstört, schrieb ihrem Mann (der per Hundeschlitten in der Wildnis unterwegs war) einen 26 Seiten langen Brief und beschloss, heimzureisen, ohne auf Pearys Rückkehr zu warten. Der arktische Winter vereitelte ihre Pläne, als das Schiff, das sie nehmen wollten, im Eis steckenblieb. Es folgten unangenehme Wochen.

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Josephine mit Kinderschwester und weiteren Frauen an an Bord eines Schiffes auf dem Weg zur ihrem MannSammlung Bürgerleben

In ihrem weiteren Eheleben scheint sich Jo Peary mit den Schwächen ihres Mannes abgefunden zu haben. Weiterhin unterstützte sie sein Ziel, den Nordpol zu erreichen. Und am 5. September 1909, hielt sie endlich Pearys Telegramm in den Händen: „I Have the D.O.P. (Damned Old Pole). Am Well. Will wire again (..:). Bert.“

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Josephine Peary mit ihren beiden Kinderngemeinfrei

Jo Pearys diplomatisches Geschick spielte eine entscheidende Rolle bei der Gewinnung von Unterstützern und Finanziers. Während »Bert« in den eisigen Regionen unterwegs war, hielt sie Vorträge, gab Interviews und pflegte Beziehungen zu Sponsoren. 1909 verkaufte sie erfolgreich einen Meteoriten, den Peary in der Arktis geborgen hatte, an das American Museum of Natural History – immer noch eine der Hauptattraktionen des Museums.

Bis heute ist ungeklärt, ob nun Robert Peary oder sein Konkurrent Frederick A. Cook der erste Mann am Pol war. Jo Peary jedenfalls hat nie am Sieg ihres Mannes gezweifelt und bis zu ihrem Tod 1955 für dessen Anerkennung gekämpft.

Kathleen & Robert Falcon Scott

 Kathleen Bruce wurde als jüngstes von elf Kindern in der Nähe von Sheffield geboren. Schon in jungen Jahren eine kreative Nonkonformistin, die jegliche Routine verabscheute, studierte sie später Bildhauerei an Kunstschulen in London und Paris. Aus diesen Bohème-Jahren erwuchs ein Freundeskreis, der sich heute beeindruckend liest: Der Bildhauer Auguste Rodin war ihr Lehrer, die Tänzerin Isadora Duncan eine gute Freundin, George Bernhard Shaw und auch Pablo Picasso gehörten zu ihren Bekannten.

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Als Kathleen auf einer Teeparty im Sommer 1907 den britischen Marineoffizier und Polarforscher Robert Falcon Scott kennen lernte, war sie bereits eine etablierte Bildhauerin. Und es beeindruckte sie kaum, dass Scott als Leiter einer dramatischen Antarktis-Tour (an der übrigens auch Ernest Shackleton teilnahm) bereits einigen Ruhm geerntet hatte. Im Gegenteil: Kathleen notierte, Scott habe auf sie »nicht sehr jung, vielleicht 40 und nicht sehr gutaussehend« gewirkt. Trotzdem funkte es gewaltig: Die beiden waren die nächsten zehn Tage praktisch unzertrennlich und beschlossen einen Monat später, zu heiraten.

Im Jahr darauf fand die Hochzeit statt, ein weiteres Jahr später wurde ihr erstes Kind Peter geboren. Für Kathleen stellte dies einen Höhepunkt ihres Lebens dar, denn sie war seit ihrer frühen Jugend fast besessen davon gewesen, eines Tages »einen Sohn« zu gebären.

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Scott jedenfalls, der Vater dieses Sohnes, rüstete sich 1910 für eine weitere Reise zum Südpol: Die Terra-Nova-Expedition. Kathleen begleitete ihren Mann bis nach Neuseeland, von wo er mit seiner Mannschaft aufbrach. Der Rest ist quasi Geschichte: Scott verlor den »Wettlauf zum Südpol«, er erreichte den südlichsten Punkt der Erde vier Wochen nach seinem Konkurrenten, dem Norweger Amundsen.

Auf dem mörderischen Rückweg durch die Antarktis verloren alle Expeditionsteilnehmer ihr Leben, bei dem erfrorenen Scott fand man später sein Tagebuch und eine Reihe Abschiedsbriefe. Der an seine Frau endete mit den Worten: »Du musst wissen, dass das Schlimmste an dieser Situation der Gedanke ist, dich nie wiederzusehen.«

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Ein Bild des Paares kurz vor seiner letzten ExpeditionSammlung Bürgerleben

Als die Nachricht vom Fund der Leichen von Scott und seinen Männern England Anfang 1913 erreichte, befand sich Kathleen auf See zwischen Kalifornien und Tahiti. Sie sollte erst Tage später von Roberts Tod erfahren – ein furchtbarer Schlag. Ihre Trauer bewältigte sie durch künstlerische Arbeit und schuf Statuen von ihrem Mann, Premierminister Asquith und dem Kapitän der Titanic. In ihrem weiteren Leben arbeitete Kathleen als Privatsekretärin, heiratete den Politiker Hilton Young und brachte einen zweiten Sohn zur Welt. Doch trotz aller glücklicher Momente begleitete sie Scotts tragischer Tod ein Leben lang.

Über den Moment, in dem sie auf hoher See das Telegramm mit der Todesbotschaft erhielt, schrieb sie später in ihr Tagebuch: »Zum Glück glaube ich nicht fest an ein Leben nach dem Tod, sonst wäre ich ganz sicher heute über Bord gesprungen.«

Emily & Ernest Shackleton

Emily Mary Dorman, später Lady Shackleton, wurde 1868 in eine wohlhabende englische Familie hineingeboren. Sie war das jüngste von sechs Kindern und wuchs in einer Zeit auf, in der es für Britinnen ihrer Schicht unüblich war, zu arbeiten.

1897 lernte Emily den sechs Jahre jüngeren Iren Ernest Shackleton kennen. Obwohl ihre Familie die Beziehung nicht befürwortete und auch Emily nicht so recht an die Verbindung glaubte, kämpfte Ernest um die Frau, in die er sich leidenschaftlich verliebt hatte. Nachdem er an Scotts erster Südpol-Expedition teilgenommen und knapp überlebt hatte, erhörte ihn auch Emily und die beiden heirateten 1904 in der Westminster Abbey in London.

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Würde diese Geschichte hier enden, hätte sie eindeutig ein Happy End.

Doch dies ist nicht der Fall. Emily musste schon kurz nach der Hochzeit feststellen, dass Ernests größte Leidenschaft nicht mehr ihr galt, sondern dem ewigen Eis. So blieb sie mit der wachsenden Kinderschar daheim, während Shackleton auf Expeditionstour ging. Um Nachrichten von ihrem Mann zu erhalten, war sie auf spärliche Telegramme angewiesen. Und damit nicht genug: Shackleton galt als miserabler Geschäftsmann, der sich kaum um die Existenzsicherung seiner Familie scherte. Mehrfach standen die Shackletons kurz vor dem Bankrott und Emily musste ihre exzellenten Kontakte spielen lassen, um die finanzielle Lage wieder zu entspannen. Als Ernest 1922 an einem Herzinfarkt starb, hinterließ er seiner Frau einen Berg Schulden.

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Emily Shackleton und ihre drei Kinder (1914)gemeinfrei

Die von Shackleton erhaltenen Briefe, die dieser an Emily im Laufe der Jahre schrieb, zeugen allerdings von viel Liebe und sprudeln über vor Enthusiasmus. Die Ehe mit einem derartigen Menschen der Extreme wird für Emily vermutlich ein Wechselbad der Gefühle gewesen sein.

1914 brach Ernest Shackleton zu seiner berüchtigten Antarktis-Expedition mit der »Endurance« auf, in der er beabsichtigte, als erster Mensch den Kontinent zu durchqueren. Trotz widrigster Umstände bewies er dabei große Führungsqualitäten und meisterte mit seinen Männern zahlreiche Überlebenskämpfe. Als die »Endurance« sank und die Crew auf Elephant Island strandete, beschloss Shackleton, Hilfe zu holen. Mit fünf Männern überquerte er die Scotia-See und erreichte Südgeorgien nach 800 Seemeilen. Um Hilfe zu bekommen, mussten sie weitere 50 Kilometer durch gefährliches Gelände zurücklegen. Die Rettungsmannschaften erreichten schließlich die Überlebenden, und die Expedition wurde zur Legende.

So unglücklich Shackletons Händchen auch fürs Finanzielle gewesen sein mag und so mittelmäßig seine Talente als Ehemann und Vater, im Olymp der Polarhelden hat er seinen Platz. Von Sir Raymond Priestly, ebenfalls Antarktisforscher, ist folgendes Zitat überliefert: »Was die Wissenschaft anbelangt, gebt mir Scott, für Schnelligkeit und Tüchtigkeit gebt mir Amundsen, aber wenn es zu einer Katastrophe kommt und die Lage hoffnungslos ist, dann fallt auf die Knie und fleht um Shackleton.«

Else & Alfred Wegener

Im Herzen Hamburgs wurde 1892 eine Frau geboren, die später eine zentrale Rolle in der Geschichte der Polarforschung spielen sollte: Else Köppen. Else wuchs in einer Welt der Wissenschaft auf, als Tochter des Meteorologen Wladimir Köppen. 1908 lernte sie durch ihren Vater den jungen Alfred Wegener kennen, der ihr Leben entscheidend prägen sollte. Eine Zufallsbegegnung mit dem Polarforscher bei einem Grönland-Vortrag führte zu einem regen Briefwechsel, dann zu einer Beziehung und schließlich zur Verlobung.

Aus Liebe folgte Else ihrem Verlobten während dessen Grönland-Expedition von 1912/13 nach Oslo. Als Privatlehrerin fand sie dort Arbeit, um ihm nahe zu sein. Nach Alfreds Rückkehr heirateten die Wegeners im Jahr 1913 und zogen nach Marburg, wo Alfred als Privatdozent arbeitete. Elsa gebar drei Töchter: Hilde, Käthe und Charlotte. Zudem unterstützte sie Alfred in seiner Forschung, indem sie u.a. die dänische Ausgabe seines Berichts »Durch die weiße Wüste« übersetzte.

Alfred Wegener, 1910 (30 Jahre)
Alfred Wegener (Bild 1910)gemeinfrei

Alfred Wegener, 1880 in Berlin geboren, stammte aus einer Pastorenfamilie. Zusammen mit seinem Bruder und engstem Mitstreiter Kurt Wegener hatte er seit frühester Jugend nur ein Hauptinteresse: Die Polarforschung! Von Wegener stammt die Theorie der Kontinentalverschiebung, die bis heute die Grundlage für unser Verständnis der Erdgeschichte bildet.

Im Jahr 1924 zogen die Wegeners nach Graz, wo Alfred Professor für Meteorologie wurde. Else, stets an seiner Seite, unterstützte ihn in seinen Ambitionen, stimmte auch den Plänen für eine neuerliche Grönlandexpedition zu.

Eine schicksalhafte Reise: Im Frühjahr 1931 erhielt Else die traurige Nachricht vom Tod ihres Mannes. Während seiner vierten Grönlandexpedition im November 1930 verunglückte Alfred Wegener tödlich, als er zusammen mit einem Begleiter die Versorgung für die Station »Eismitte« im Zentrum des grönländischen Eisschildes sicherstellen wollte. Die Strapazen und die harschen Wetterbedingungen führten zu seinem tragischen Ende.

Im Willen, Alfreds Vermächtnis weiterzutragen, begann Else zu schreiben. Sie veröffentlichte mit Co-Autoren den Bericht »Alfred Wegeners letzte Grönlandfahrt« und weitere Bücher. Ihr Engagement für die Meteorologie führte dazu, dass sie 1992 zum Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung ernannt wurde. Wenige Monate später starb Else Wegener im Alter von 100 Jahren.

Eva & Fridtjof Nansen

Eva Sars, damals bereits eine gefeierte Sängerin in Norwegen, und Fridtjof Nansen, ein junger Zoologe und Pionier des Skisports, begegneten sich 1888 beim Skifahren in den Bergen bei Oslo. Eva, die jüngste Tochter einer der angesehensten Familien Oslos, kannte Fridtjof bereits vom Hörensagen durch ihren älteren Bruder, einen Zoologieprofessor. Aber auch ohne diese familiäre Verbindung hätte sie von Nansen wissen können, der als Frauenheld fast ebenso bekannt war wie als Ski-Ass und wissenschaftliches Talent.

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Eine schöne junge Frau: Eva Sarsgemeinfrei

Obwohl Eva sich nicht sofort verliebte, konnte sie Fridtjofs Charme nicht lange widerstehen. Und zu aller Überraschung war der junge Draufgänger fast noch mehr in Eva verliebt als sie in ihn.

Einige Zeit nach Nansens erster Grönlanddurchquerung – auf Skiern von Ost nach West – heirateten die beiden im Spätsommer 1889. Als Eva kurz darauf schwanger wurde, schien der Weg zum Happy End geebnet – doch so einfach sollte es nicht werden.

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Porträt des Paares von 1889gemeinfrei

Denn Fridtjof träumte vom Nordpol und ordnete diesem großen Ziel alles unter, auch seine Ehe. Nansens Expedition mit der »Fram«, die legendäre Eisdrift und sein Versuch, den Nordpol auf Skiern zu erreichen, machten ihn zur Legende. Sie stellten aber auch die Liebe von Fridtjof und Eva auf eine harte Probe. Und während ihr Mann für Jahre im Eis verschwand, musste Eva Nansen entscheiden, wie es mit ihrer Gesangskarriere weitergehen sollte.

Die Geschichte dieses Paars erzähle ich meinen Roman »Eismusik – Fridtjof Nansens größte Liebe«, der unter dem Autorennamen Angela Lund 2023 bei Droemer erschienen ist. Hier findet Ihr unseren Buchtipp dazu.

Über die Autorin:

Angela Lund ist das Pseudonym der erfolgreichen Schriftstellerin Angela Marina Reinhardt. Die Autorin historischer Romane und Erzählungen widmet sich schwerpunktmäßig der Zeit um 1900, vor allem im Alpenraum und in Italien. Ihre Autorenseite ist: https://www.angelamarina.com/
Ab und zu zieht es sie aber auch die Fremde: Für ihren biografischen Roman »Eismusik« (erschienen im November 2023 bei Droemer) ist die Autorin tief in das Leben des norwegischen Polarforschers Fridtjof Nansen und seiner Frau Eva Sars, einer berühmten Sängerin, eingetaucht. Sie studierte bisher unveröffentlichte Aufzeichnungen, Fotografien und Briefe und recherchierte intensiv an den Wohnorten des Paares und anderen Originalschauplätzen – unter anderem an Bord des Polarschiffes »Fram«, das Nansen eigens für seine Reise ins ewige Eis bauen ließ.
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c Tom Lanzrath

Literatur:

Wer mehr über berühmte Polarpaare lesen will, wird hier fündig:

  • Sigri Sandberg, Anders Bache: Polarliebe – leidenschaftliche Briefe und Geschichten aus dem ewigen Eis. mareverlag
  • Kari Herbert: Polarfrauen – mutige Gefährtinnen großer Entdecker. Malik
  • Jo Lendle:  Alles Land. btb (Roman über Alfred Wegener)
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