Das Eislaufkostüm damals und ein Selbstversuch heute

 In Gastbeitrag, Grete Otto, Unkategorisiert, Winter
vorschau-eislaufkostuem-fb-

Historische Kleidung – auf dem Eis?

Als Geschichtsbloggerin trage ich gerne ab und zu selbst historische Kleidung – die meisten von einem Profi geschneidert, andere selbst gestaltet. Damit bin ich übrigens nicht alleine – insbesondere auf Insta gibt es einige Damen und Herren mit vielen followern, die gerne (und perfekt) historische Kleidung nähen und sie in gut gemachten Videos und Reels vorführen (einige gute Profile findet Ihr am Ende des Artikels).

Ist es ein Freizeittrend, sich in historisch meist akkuraten Toiletten zu kleiden und diese auf bestimmten Events zu präsentieren? Vielleicht! Die Szene ist gemischt, es gibt Anlässe für Barock, Regency, Biedermeier und die Belle Époque. Letztere ist meine Lieblingsepoche und bisher bin ich auch nur auf solchen Veranstaltungen unterwegs. Dazu in einem Verein (Plaisir d’Histoire), in dem gezielte Anlässe organisiert werden, die meist unter einem Motto stehen. Dieses Mal stand auf dem Programm: Gemeinsames Eislaufen auf der Dolder Eisfläche in Zürich.

Einige Damen meinten gleich: Dafür schneidere ich mir ein Eislaufkostüm. Ich auch, sagte ich begeistert, bevor mir einfiel, dass ich dazu (noch!) nicht gut genug schneidern kann. Aber ein Kostüm mit vorhandenen Basisteilen entsprechend historisch zu gestalten – dazu sollten meine Nähkenntnisse doch ausreichen!

Herrlich! Bei leichtem Schneerieseln im historischen Eislaufkostüm über das Eis zu gleiten! Soweit meine Fantasie. Zurück in der Realität fiel mir ein, dass ich seit zehn Jahren nicht mehr Eislaufen war, zuletzt mit meinen (damals noch kleinen) Jungs. Hach! Und dazu noch im langen Rock? Aber: Wer nichts wagt, der nichts gewinnt!

Denn: Eislaufen hat zu allen Zeiten fasziniert. Dass unsere Vorfahren großen Spaß am Eislaufen hatten, belegen viele Fotos von eislaufenden Scharen in den Winterausgaben der Zeitungen und die Eislaufkostüme, die zu Zeiten der Belle Époque jedes Jahr im Herbst/ Winter in den Modeteilen von Frauenzeitschriften zu sehen waren. Es gab zu jedem Anlass eine „Toilette“ und NATÜRLICH auch für das Eislaufen!

daz-2.-s.221-im-tiergarten-sm2
Foto "Im Tiergarten" (ca. 1907)Sammlung Bürgerleben

Ein Blick zurück – erst geliebt und dann verboten (nur für Frauen…)

Schon die flämischen Meisterwerke aus dem 16. und 17. Jahrhundert zeigen eislaufende Menschen, darunter auch Frauen und Kinder. Zwei Jahrhunderte später – das erzählt zumindest ein Artikel von 1913 zum Thema, war Schlittschuhlaufen für Frauen verboten. Zu unanständig! Was daran so unanständig war, wird nicht weiter ausgeführt, aber in seinem Werk „Versuch einer Enzyklopädie der Leibesübungen“ von 1794 verstand es der fortschrittlich eingestellte Verfasser Vieth auch nicht und fand, ein Mädchen auf Schlittschuhen wäre ein angenehmerer Anblick als eine Amazone zu Pferde. Warum nicht beides, fragte man schon 1913 und missbilligte diese Art von Vorurteilen. Man befand nun das Vergnügen des Schlittschuhlaufens als „…die harmloseste, gesündeste von allen Vergnügungen, die jungen Männern und jungen Mädchen gemeinsam zu genießen erlaubt sind“.

hendrick-avercamp-1610-eislaufen-in-einer-stadt-sm
Hendrick Avercamp "Eislaufen in einer Stadt" (ca. 1610)gemeinfrei
pieter-brueghel-juengere-winterlandschaft-mit-schlittschuhlaeufern-und-einer-vogelfalle-sm
Pieter Brueghel der Jüngere "Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern und einer Vogelfalle" (ca. 1601)gemeinfrei

Und da sind wir auch schon bei einem weiteren Punkt, warum Schlittschuhlaufen zur Zeit der Belle Époque (also von ca. 1890-1914) so beliebt war und es dazu extra Kostüme (im Sinne von Outfits) gab. Das Eis war ein zwangloser Ort, für junge Frauen und Männer sich kennenzulernen und die eine oder andere Runde darauf gemeinsam zu drehen…

daz-2.-s.221-gemischte-gesellschaft-sm
Gemischte GesellschaftFoto von ca. 1908 aus der Deutschen Alpenzeitung

Ein Zeichen auf dem Eis

Zurück in die Vergangenheit: Mitte des 19. Jahrhundert setzte die beliebte Sängerin Henriette Sontag in Berlin ein Zeichen. Die tonangebende Dame der Berliner Gesellschaft scherte sich nicht um Vorurteile, sondern ging auf’s Eis und brach es so (Achtung Wortspiel) für das weibliche Schlittschuhlaufen. Sie fand Nachahmer und schon bald tummelten sich nicht nur bürgerliche Frauen beim Schlittschuhlaufen, sondern auch gekrönte weibliche Häupter. So wagte sich z.B. Kronprinzessin Victoria (die Mutter Wilhelm II., später Kaiserin Friedrich genannt) und deren vier Töchter mit Schlittschuhen auf das Eis – um sich dort endlich mal auszutoben?

sz.-0809-s.-669-viktoria-luise-1.jpeg
Die Enkelin Victoria Luise (Kreuz) von Königin Friedrich liebte Schlittschuhlaufen gleichfalls - wie hier auf dem Bild von 1908 zu sehen ist.Sammlung Bürgerleben

Ein Trend beginnt

Schaut man sich die Modeillustrationen der Eislaufkostüme an, spiegeln sie die jeweiligen Modetrends dieser Jahre wider. Eines hatten sie allerdings alle gemeinsam: Im Gegensatz zur sonstigen Rocklänge, oft mit Schleppe oder auf dem Boden schleifend, waren diese Kostüme fussfrei. Das hatten sie übrigens mit anderen Sport-Toiletten aus dieser Zeit gemeinsam, z.B. für Wandern und Radfahren. Richtig vermutet, das hatte vor allem praktische Gründe, denn das eleganteste Eiskostüm konnte nicht wettmachen, wenn seine Trägerin sich permanent in ihrem Rock verhedderte und mehr oder weniger elegant auf dem Eis landete.

1890_bazar-s.8-eislaufkostuem-maedchen
Modeillustration von 1890 (Bazar)Sammlung Bürgerleben
1898_bazar_nr.10-s.1-radfahrkostueme
Radfahrkostüme waren kürzer und praktischer geschnittenaus Zeitschrift "Bazar" 1898

Angefangen 1890 sind in den ersten Jahren noch vorrangig Illustrationen mit Kostümen für junge Mädchen zu sehen. Wahrscheinlich, weil es sich für bürgerliche Damen in diesen Jahren noch nicht so recht „schickte“, Sport zu treiben. Die Frauen aus dem Volk hatten da weniger Berührungsängste und waren entsprechend auch schon länger auf dem Eis zu finden…

Sisi und weitere Vorreiterinnen

Eine Vorreiterin hinsichtlich sportlicher Betätigung war übrigens Kaiserin Sisi in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie hatte ihren eigenen Turnsaal, wanderte gerne und war eine hervorragende Reiterin (hier findet Ihr einen Artikel dazu). Ob sie auch Schlittschuh lief, ist nicht überliefert.

Und es gab weitere Frauen, die zu dieser Zeit Sport trieben, ob Reiterinnen, Bergsteigerinnen oder auch Radfahrerinnen. Zu dieser Zeit noch eine kleine Minderheit, sollten es im Laufe der kommenden Jahre immer mehr werden!

sisi-reiterin-ii
Lithographie Sisi als ReiterinSammlung Petra Herzberg

Im (Eis-)Lauf der Mode

Das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts

Zurück zu den Eislaufkostümen, in den Illustrationen Anfang der 1890er Jahre sieht man bei den Röcken noch die Turnüren im Profil. Oft ist ein kleiner Muff für die Hände dabei, man trägt Fellkappen. Ansonsten sind die Kostüme „Promenadentoiletten“ sehr ähnlich: mit einer sehr figurbetonten Silhouette, bestehend aus einem langen Rock und passender Jacke. Ab 1893 haben die Jacken „Keulenärmel“ – voluminöse Puffärmel als ein entscheidendes Modemerkmal dieser Jahre. Pelz ist jetzt auch als Verzierung an Rock und Jacke zu sehen. Ja, damals war er (leider) noch echt…Die Röcke fallen nun gleichmäßig glockenförmig von der Taille zum Fuß. Neben Kappen sind jetzt auch Hütchen zu sehen, teilweise mit Schleier – zum Schutz und gegen den Fahrtwind? Die Farben waren herbstlich-winterlich, also eher dunkle Töne, z.B. braun und grau, aber auch dunkelgrün, wie die Illustration von 1896 zeigt.

Eislaufkostüme in der Zeit von 1890-1897

Für nicht ganz so sportliche Damen gab es einen Schlittschuhstuhl, der geschoben wurde. In diesem wurde einem wahrscheinlich schnell recht kalt  – trotz „Pelzpaletot“.

Und auch eine damalige „Pinguin-Variante“ für Anfänger existierte schon: ein Gestell zum Festhalten.

bl-pk-eislaufstuhl-sm
Die bequeme Variante...Sammlung Bürgerleben
uelm13-wahrsch.-eislaufgestell-sm
So sah der Lernpinguin damals aus... (Bild ca. 1913)Sammlung Bürgerleben

Zum Ende des 19. Jahrhunderts werden die Puffärmel wieder kleiner, statt Kappen trägt man nun vorrangig Hüte. In Bild unten sieht man zwei Damen mit figurbetonten Kostümen, die man wahlweise als Eislauf- oder Promenadenkostüm tragen kann – sie sind also nicht kürzer, die rechte Dame muss deshalb auch ihren Rock schürzen – das war auf Dauer sicher recht anstrengend.

1897_bazar-s.27-eislaufkostueme-sm
Beim Promenadenkostüm musste der Rock beim Eislaufen geschürzt werdenSammlung Bürgerleben (Illustration aus Bazar 1897)

Obwohl meistens ein Pelzkragen den Hals wärmt, wirken die gezeigten Kostüme aber nicht besonders warm, insbesondere die sehr enganliegenden figurbetonten Jacken. Aber gut, schließlich bewegte man sich auf dem Eis und unter den Röcken trug man neben den Unterhosen auch warme Unterröcke, welche die Silhouette unterstützten.

Die Schlittschuhe wurden übrigens generell an die Schuhe geschnallt, erst ab den 30er Jahren begannen sich Schlittschuhe, d.h. Schuhe mit Kufen im Ganzen, für ein größeres Publikum durchzusetzen. Das war auch die Zeit, in denen erste Kunsteisbahnen entstanden.

1903-sz-03-04-nr.27-eislaufkostueme-bearb-sm
Ein Blatt aus einer Frauenzeitschrift mit Eislaufkostümen (1903) - praktisch: Die Rückansicht ist auch dabeiSammlung Bürgerleben

Die ersten zehn Jahre im neuen Jahrhundert – Silhouetten und Reformen

Anfang des 20. Jahrhunderts bestimmt die sogenannte S-Silhouette die Damenmode. Dabei werden Brust und nach vorne gedrückt (meist mit Hilfe entsprechender Korsetts), die Kostüme sind tailliert und schwingen weit nach hinten. Als parallele Entwicklung kam die weibliche Reformkleidung auf, bei der die Kleider ohne Korsett getragen wurden, lose am Körper herunterfielen und meist nur die Brust betonten – ähnlich wie im Empire-Stil. Auf der Eisfläche kleidete man sich aber eher weiterhin figurbetont – so zumindest in den Modeillustrationen…Die dazu passenden Hüte wurden ausladender und -nicht nur für die Eisfläche- mit Hutnadeln festgesteckt, dass sie auch hielten.

Späte Belle Époque – schmale Röcke, große Hüte

Ab 1910 wird die Silhouette schmaler, die Röcke fallen eng am Körper herab. Trippelröcke werden sie spaßeshalber genannt und tatsächlich kann man sich damit nur in kleinen Schritten fortbewegen…Nicht unbedingt praktisch in einer Zeit, in der mehr und mehr Frauen berufstätig wurden. Andererseits war „praktisch“ sowieso kein wichtiges Kriterium für die damalige Damenmode, es musste vor allem elegant aussehen!  Nur die Sportmode war eine Ausnahme und nahm damit eine gewisse Vorreiterrolle ein.

Auch auf dem Eis wurden die Röcke schmaler – aber hier halfen Schlitze und Falten, die eine gewisse Bewegungsfreiheit ermöglichten. Neben weitausladenden Hüten sah man gegen Ende der Belle Époque auch turbanartige Hüte mit Federn, die schon schon die 20er Jahre ahnen lassen…Davor sollte es jedoch noch einen Weltkrieg geben. In dieser Zeit hatte man andere Probleme, als sich unbeschwerte Eislaufkostümkreationen zu überlegen. Die meisten jungen Männer waren an der Front und hatten keine Zeit für Schlittschuhlauf, so wie auch die Frauen, die sie an ihren Arbeitsstellen ersetzen mussten. Die Röcke wurden kürzer, die Mode praktischer und nach dem Krieg war die Zeit der Eislaufkostüme endgültig vorbei.

1910_wdf-10-s.791-eislaufkostueme
Modeillustration von 1910 (aus "Welt der Frau")Sammlung Bürgerleben
1912_wdf-12-s.801-eislaufkostueme
Eislaufkostüme in Modeillustrationen 1912 (aus "Welt der Frau")Sammlung Bürgerleben

In Zürich auf dem Eis…

Zurück ins hier und jetzt: Tatsächlich verzierte ich einen langen karierten Rock in winterlichen Farben mit damals typischen Ornamenten und einer Fellborte (politisch korrekt: aus Kunstfell). Dazu passte ein grauer Blazer mit Stickerei, den ich mit einem selbst genähten Gürtel mit historischer Schnalle komplettierte. Eine auf dem Flohmarkt erstandene Kappe wurde mit passendem Putz verziert, der Rock bekam mit einem Unterrock seine Form (meine Hoffnung, dass er auch einen eventuellen Fall dämpfte) und fertig war das Eislaufkostüm! Die Konkurrenz war mal wieder gewaltig, aber am Ende waren wir eine fabelhafte Gruppe, die Frauen in Eislaufkostümen und die Männer in passenden Anzügen. Im Gespräch stellte sich heraus: Fast alle Eisläuferinnen hatten vorher geübt! Ja, ich auch, auf der Außenbahn der Frankfurter Eissporthalle hatte ich in Zivil ein paar Bahnen gezogen…

Und wer traute sich schließlich auf’s Eis der Dolder Kunsteisbahn (welche die erste der Schweiz ist, seit 1930 gibt es sie)? Wir Damen! Die Herren hielten sich vornehm zurück – auf der anderen Seite, wer hätte uns sonst fotografieren sollen? Fazit: Es hat Spass gemacht! Der Fall blieb aus, bei der läuferischen Eleganz ist noch Luft nach oben…

gruppenfoto-eis-markus
Spass beim Eislaufen auf der Dolder Eisfläche in ZürichFoto Marcus Oesterle

Ein paar Adressen

Wer jetzt Lust bekommen hat, mal in das Thema „Historische Outfits“ zu schnuppern, hier ein paar Insta-Profile:

Mehr Instagram-Profile zum Thema Geschichte findet Ihr übrigens in diesem Überblick.

Und für alle, die jetzt Lust bekommen haben, mal wieder ein paar Bahnen auf Schlittschuhen zu ziehen; hier ein paar Adressen von Eissporthallen:

Über die Autorin:

Grete Otto betreibt diese Seite, schreibt auch gerne mal selbst Artikel wie diesen (leider ist viel zu selten Zeit dazu), liebt Geschichte und dabei vor allem die Zeit der „Belle Époque“, kleidet sich für spezielle Anlässe gerne in historischen Gewändern und will jetzt wieder öfter Eislaufen gehen…

Wenn Ihr mehr erfahren wollt, könnt Ihr das in „Über mich“ nachlesen.

grete-kanderst23-bearb-grau-sm2
Neuste Artikel

Kommentieren