Leichenbretter – ein letzter Gruß an das Leben
Der Tod – bis heute ein Mysterium, was fasziniert und ängstigt! Über einen speziellen Brauch, der im Bayrischen Wald, aber auch Böhmerwald, Franken und der Schweiz gepflegt wurde, erzählt ein Artikel der Zeitschrift Gartenlaube vom November 1909:
So lange Menschen über die blühende Erde hinweg dem Tod entgegenschreiten, so lange Sterbliche wissen, daß sie sterben müssen, so lange ist es auch her, daß der Mensch die Erinnerung an sein gewesenes Dasein den Kommenden erhalten zu wissen wünscht. Die Trutzburgen gegen das Vergessenwerden, die ägyptischer Pharaonenstolz in den Pyramiden erbaute, und diese armen Holzbretter, die kleinen bayrischen Waldbauern erst als letzte Ruhebank und dann als Denkmal dienen, bedeuten im tiefsten Grunde das gleiche: einen letzten Gruß an das Leben, ein letztes Auflehnen gegen die Vernichtung, die ja nicht sehr so sehr im Tod als im Vergessenwerden liegt.
So allgemein der Anfang gehalten ist, so konkret wird im Anschluss das „Leichenbrett“ erklärt:
Das Leichenbrett, Rebrell oder Totenbrett ist der durch primitivste Schnitz- und Malkunst nachträglich denkmalartig umgestaltete Schragen, auf den der Tote (gewöhnlich sofort nach dem Absterben) gelegt wurde.
Der Einsatz dieser Leichenbretter war je nach Gegend unterschiedlich. So wurden sie entweder nach dem Begräbnis für einige Wochen neben die Haustür gelehnt – als Zeichen, dass in diesem Hause Trauer war. Sie kamen aber auch -wie die Bilder zeigen- an die Außenwand der nächsten Kapelle „oder irgendeiner einsam gelegenen Kirche“ und wurden teilweise sogar praktisch eingesetzt:
Oder sie werden irgendwohin getan, wo sie gerade mitten im weltlichen Verkehr stehen: zum Beispiel ist es in manchen Orten Sitte, solche Totenbretter als Stege über den Bach zu legen oder sie hart am Wege neben einem Kruzifix aufzustellen oder sie außen an den Gartenzaun oder die Scheune zu lehnen. Da sie meist eine Bitte um ein Vaterunser enthalten und eine Mahnung an den Tod für diejenigen, die ihn im Welttrubel vergessen, sind diese häufig passierten Stellen nicht übel gewählt.
Wie schon im Artikel angedeutet, waren die Bretter beschriftet und geschmückt:
Die Inschriften, die Namen, Alter und Todestag des Verstorbenen anzeigen, aber freilich mitunter nur aus drei Kreuzlein bestehen, wenn die Hinterbliebenen gar niemand Schriftkundigen zur Hand hatten, sind häufig gereimt und wirken oft mehr erheiternd als wehmütig:
„Noch lachte mir des Lebens schönster Morgen. Den reiche Tugend hielt mein Herz geborgen…“
versichert uns ein unglücklicher Jüngling feierlichst, während ein Philosoph dagegen ein besonders vergnügtes Verswort anschlägt:
„Nun hab ich’s überwunden.
Nun bin ich sorgenfrei.
Diese langen Lebensstunden
Sind Gott sei Dank vorbei.“
Auffallend für mich ist der entspannte Ton des Textes – Humor war erlaubt. Vielleicht weil der Tod damals noch viel gegenwärtiger war?
Ähnlichkeit haben manche Leichenbretter übrigens mit den „Marterln“ – wie es auch im Text heißt: „das kleine giebelige Schutzdach, das über dem Brett angebracht ist, und das auf einzelnen unserer Bilder zu erkennen ist, ferner die grellen Farben…
Wer nicht weiß, was „Marterln“ sind, auch Bildstöcke genannt: kleine Denkmäler am Wegesrand, die besonders in Süddeutschland und den angrenzenden Alpenländern verbreitet sind. Darstellungen können Bildnisse oder Plastiken von Maria und Jesus sein, aber auch Erinnerungen an Verstorbene oder Unglücke.
Und heute? Gibt es keine Leichenbretter mehr (oder sind Euch noch Orte bekannt, an denen dieser Brauch noch praktiziert wird?). Dafür erinnern und mahnen uns Kreuze an der Strasse, für geliebte verlorene Menschen. Auf sozialen Portalen gibt es Gedächtnisseiten für Verstorbene. Jede Zeit entwickelt ihre eigene Symbolik, auch im Umgang mit den Toten.