Oktoberfest – so feierte man 1908!

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O’zapft is! So heißt es jedes Jahr an einem Samstag Mitte September. Das Oktoberfest – jedes Jahr ein fester Programmpunkt in München. Ach was in München -inzwischen gibt es das Oktoberfest in gaaanz vielen Orten, nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt. Man feiert halt gerne zusammen, fesch in Dirndl und Lederhosen, das Bier schmeckt und die Stimmung steigt…

Wies’n gibt es allerdings nur eine und sie ist das Original. Wie es dort anno 1908 zuging, das wird in einem Artikel einer Gartenlaube von einem Münchner (natürlich) namens Fritz von Ostini, Humorist und Schriftsteller, erzählt. Hier die Zusammenfassung mit den Bildern:

Wer ging damals zum Oktoberfest? Die Kurzfassung: ganz München. Hier die Erzählung dazu:

„Wenn bei uns in München allherbstlich die Bretterstadt des Oktoberfestes zu Füßen der ehernen Mutter Bavaria auf der Theresienwiese aufgerichtet ist, die Wimpel im Winde flattern, die Büchsen an den Schießständen knallen und die goldbraune Flut des Märzenbieres aus hundert Fässerschlunden sich ergießt, dann ist’s heute wie ehemals. Dann strömt wirklich ganz München aus seinen Türen zum Festplatz und dort sitzt, wie vor fünfzig Jahren, die Exzellenz neben dem Steinträger, und wer für jeden klassenbewußten „Proletariar“ der bei der Auffahrt des Hofes sein „Hoch“ mitschreit, eine Doppelkrone bekäme, wäre ein gemachter Mann.“

Die Doppelkrone war übrigens ein goldenes Zwanzigmarkstück (was damals ungleich mehr wert war als heute…). Die Exzellenzen spielten damals noch eine wichtige Rolle. Denn ein Höhepunkt des Festes war damals die Verleihung landwirtschaftlicher Preise an Züchter vom Regenten Prinz Luitpold von Bayern, wir kommen später noch ausführlicher darauf zurück.

Volk und Adel vertrugen sich also beim Oktoberfest, aber bei allem Gerede über landwirtschaftliche Interessen, monarchische Gefühlen und der Verträglichkeit sozialer Gegensätze, verschafft die „ungeheure Beliebtheit“ des Oktoberfests laut Verfasser:

„Der tolle und in seiner Art großartige Jahrmarktstrubel, die süße Schale, die den fruchtbaren Kern umschließt. Da tut jeder mit. Es ist unsinnig, zu ungewohnter Stunde, schweres und eiskaltes Bier zu trinken und sich mit diesem Trank im Leibe dann auf allen möglichen Kreisbewegungensmaschinen und Schaukeln zu vergnügen, es ist unsinnig, auf alle möglichen fragwürdigen Sehenswürdigkeiten hineinzufallen, die immer gleich sind seit Menschengedenken; es ist vor allem unsinnig für die meisten, da draußen auf der Wiese so unmenschlich viel Geld an so flüchtige Freuden zu vergeuden – aber „süß ist’s Unsinn zu treiben zur rechten Zeit“

Sagte schon der alte Horatius und der muß es ja wissen. Die Kurzform: Ein Besuch ist eigentlich unsinnig, aber schön. Und teuer – anscheinend schon damals! Aber man tat und tut es trotzdem gerne – jedes Jahr wieder!

alle drei Bilder: aus Gartenlaube Jg. 1908, Quelle Bürgerleben

Das Oktoberfest wuchs übrigens schon damals – so wie die Großstadt München zu dieser Zeit wuchs:

„Das Oktoberfest gewinnt eher an Umfang und Beliebtheit, als das es abnähme. Es wächst mit der Großstadt, und wenn sein äußeres Gewand auch um ein gar Vielfältiges prächtiger geworden ist, der Geist, der dort herrscht ist fast unverändert der alte geblieben.“

Wie war dieser Geist des Oktoberfestes eigentlich entstanden? Über die Geschichte gibt es genügend andere Artikel, deshalb hier die Kurz- der Kurzform (Stand 1908):

„Im Oktober 1810 wurde das Münchner Volk zuerst zu diesem Fest geladen, das gleichzeitig dem Geburtstag unseres ersten Königs Max Joseph und der Vermählung des Kronprinzen, des späteren König Ludwig I., galt. Die Hauptnummer im ersten Festprogramm bildete ein Pferderennen – mit dreißig Nennungen.“

Also 30 Teilnehmern. Für die Sieger wurden Preise ausgesetzt:

„Die Preise für die Oktoberfestrennen bestehen …von jeher aus seidenen Fahnen, an denen, in Bändern eingenäht, eine entsprechende Anzahl von Goldstücken hängt.“

Vielleicht auch aus diesem Grund nahmen im Folgejahr schon sechzig Konkurrenten teil, vom Volk „Rennbuben“ genannt. Im dritten Jahr kam die eingangs erwähnte landwirtschaftliche Schau zum Fest dazu und im vierten Jahr? Fiel das Fest aus. Ja, es gab immer schon mal Jahre, in denen das Fest nicht stattfand, übrigens auch wegen Seuchen: Cholera.
1813 war der Grund die Verwicklung von Bayern in die napoleonischen Kriege, im Text heißt es dazu:

„Bayern trauerte um dreißigtausend Landeskinder, die für die korsische Gottesgeißel im russischen Feldzuge gestorben waren.“

Aber in den Folgejahren wurde wieder gefeiert und das Programm dabei umfangreicher. So wird von 1820 erzählt:

„Ein Jahr später flog eine kühne Dame gelegentlich des Festes im Luftballon auf, und so ist es immer Sitte geblieben, daß Leute, die besondere Kunst zu zeigen haben und damit Geld verdienen wollen, mit Vorliebe mit ihrem Kram zum Münchner Oktoberfest ziehen.“

Naja, was hier etwas despektierlich „Kram“ genannt wird, war immerhin die erste deutsche Ballonfahrerin Wilhelmine Reichert und dieser Auftritt auf dem Oktoberfest ihr letzter als Ballonfahrerin. In diesem Artikel  könnt Ihr mehr zu ihr nachlesen (zur Beruhigung – sie lebte nach diesem Auftritt weiter…).

Damals, also 1908, spielte die Landwirtschaft noch eine viel größere Rolle und so war die landwirtschaftliche Ausstellung für viele Bauern aus der näheren und ferneren Umgebung ein schöner Anlaß, das Oktoberfest zu besuchen:

„Das Oktoberfest hat sich immer mehr zu einem großen landwirtschaftlichen Fest ausgebildet, und in der zweiten Festwoche sind Hundertausende von bayrischen Bauern in der Stadt, um diese Viehausstellung und die neuesten landwirtschaftlichen Maschinen zu beschauen und sich nach einem Jahr harter Arbeit in der Großstadt ein paar Tage zu vergnügen.“

Puh, gut das mit der Landwirtschaftsausstellung ein handfester Grund für einen Besuch vorlag! Bis heute finden übrigens beide Veranstaltungen parallel auf der Theresienwiese statt – die „Wiesn“ im Norden, die Landwirtschaftsausstellung im Süden. Letztere ist allerdings seit einiger Zeit nur alle vier Jahre (in den Jahren dazwischen ist dort die „Oidn Wiesn“ -für alle Nicht-Bayern: alte Wiesn).
Für die Züchter gab es Preise, die ihnen der Regent nach der Verleihung und dem Aufmarsch der Preisträger „in alte Bauerstracht gekleidet“ höchstpersönlich übergab.

Dabei spielte sich „manche drollige kleine Szene“ ab, „wenn irgendein Bäuerlein oder eine stramme „Kuhdirn“ den Landesherrn „allzu vertraulich begrüßt“ wie es im Text heißt. Jeder Teilnehmer erhielt übrigens einen Preis – und den Handschlag des Regenten dazu.
Nach dem Defilee der Preisträger wurde das Pferderennen veranstaltet, danach strömte der „Menschenstrom dem eigentlichen Festplatz zu“ – also in den Norden!

Und dann beginnt der Kampf um den Platz in den Bierbuden“ Dazu wird erzählt:

„Diese lagen früher alle in einem Kreise hinter dem Königszelt, aber es sind ihrer immer mehr geworden, und heute decken sie einen großen Teil des Festplatzes.“

Bierbuden? Dazu heißt es aber gleich anschließend:

„Der Ausdruck „Bierbuden“ paßt auch längst nicht mehr. Bretterpaläste, bald hübsch, bald mehr phantastisch und durchweg riesenhaft in ihren Ausmaßen, erheben sich zwischen Fahnenmasten und stattlich dekorativen Föhren und Fichten, und weite „Gärten“ umgeben jeden einzelnen Bierpalast.“

Ja, aus den Buden waren Paläste geworden, deren Gestaltung ein Wettbewerb war:

„Die Brauereien wetteifern an Prunk und Originalität ihrer Bauten. Unsere angesehensten Baumeister haben sie entworfen: Die Riesenburg des Augustinerbräus, den turmgezierten Barockbau des Leist-Bräus, die reichgegliederte Anlage des „Winzerer Fähndels“ usw.“

Manche „Bräus“ sind inzwischen nicht mehr auf dem Markt, andere wie das „Augustinerbräu“ schon. Leist-Bräu wurde wohl im Schottenhamel ausgeschenkt, es kam von der Franziskaner Brauerei. Das „Winzerer Fähndl“-Zelt wurde erst 2018 in „Paulaner Festzelt“ umbenannt.

So lange gab es diese Paläste bis dato allerdings noch nicht:

„Noch bis zur Mitte der (1880er) achtziger Jahre bestand jede einzelne Bierquelle aus einer ganz schlichten Bretterbude der Schenke, mit einigen Reihen von Tischen und Bänken aus ungehobelten Brettern, die ohne Schutzdach im Freien standen.“

In etwas abfälligen Ton wird über die Kehrseite der Wiesn berichtet – viele Kleinhändler nutzten die Wiesn dazu, ihre Waren feilzubieten – an sich nicht ehrenrührig:

„Bezeichnend für das Münchner Oktoberfest ist die alljährlich noch wachsende Zahl von Hausierern und Kleinunternehmern, die Zuspeise zum Bier oder anderes feilbieten. Ein halbes Dutzend dieser Quälgeister kommt wohl in der Minute an den Tisch, und oft stecken dem verzweifelten Festgast dreie zugleich ihre altbackenen Salzbrezeln unter die Nase. Ein halbes Dutzend Brezeln bildet oft den ganzen Betriebsvorrat eines solchen Kleinhändlers. Oder ein viertel Dutzend gebratener Heringe, ein Blechteller neuer Nüsse, ein paar spiralförmig aufgeschnittene Radi.“

Das klingt nach Armut, damals noch viel präsenter. Die „Zuspeisen“ sind teilweise heute ähnlich, wobei mir bei meinen Wiesn-Besuchen noch keine gebratenen Heringe (aus der Isar?) unterkamen. Der heute noch beliebte „Steckerlfisch“ wird im Text gleichfalls genannt.
Auch nach Armut klingen diese Zeilen:

„Dazwischen Bettler ohne Ende, Blinde mit Drehorgeln, Kinder, die mit ihren hohlen Wangen die Herzen rühren und geschenkte „Zehnerl“ sofort an der nächsten Ecke in Zuckerzeug umsetzen.“

Neben dem allgemeinen Treiben werden die damaligen Buden und Attraktionen beschrieben, die tatsächlich anders als heute, aber typisch für diese Zeit waren. Für uns erscheinen sie teilweise abstoßend. Nicht nur bei diesem Volksfest wurden in Schauen Klein- und Riesenwüchsige sowie Menschen mit Behinderungen vorgeführt, dazu Menschen aus fernen Ländern – damals Exoten- wie Tiere „ausgestellt“:

„…Und die Mastkinder und Riesendamen, die Menagerien, gelehrten Hunde, Indianer und Kongoneger, die Wachsfigurenkabinette, Schieß- und Wurfbuden, Photographen, Dioramen, Glasbläsereien, Zauber- und Kasperltheater, die anatomischen Museen mit ihren „lehrreichen“ Scheußlichkeiten, die Hippodrome, Taucherbuden, Albinos und Zwerge, die kleinen Winkelzirkusse und Tierdresseure, Athleten, Damen ohne Unterleib, die Gedankenleserinnen, die Tätowierten, Bärenweiber, Panthermädchen und die Flohtheater halten ebensogut ihre Ernte wie Hagenbeck mit seinen schönen Tierkarawanen oder die unvermeidliche Gesellschaft schwarzhäutiger an Afrikas Küsten zusammengelesener Äthiopier…die als eine Karawane aus Dahome, bald Gruppe von Rubiern, Beduinen…Zulus oder weiß Gott was angepriesen wird und sich in den „landestypischen Sitten und Gebräuchen“ vorstellt.“

Ja, Geschmäcker ändern sich, in diesem Fall: zum Glück!

„Das starke süffige Märzenbier, das die verschiedenen Münchner Brauereien für das Oktoberfest einbrauen, hat eine ganz besondere Wirkung – auf den Geldbeutel. Es macht Kleingeld locker sitzen und nicht nur bei denen, die große Münzen zum Nachschieben haben. Beim Oktoberfest sieht auch der „kleine Mann“ den Groschen nicht an…“

Stimmt für heute wohl genauso (auch wenn es heute Wiesnbier heißt) wie die Feststellung:

„Das zu ungewohnter Zeit in ungewohnten Mengen genossene Bier schafft Appetit. Und das Essen schafft wieder Durst in schönem Wechselspiel. Und so kommt die Menge nach und nach in eine seltsame gehobene Stimmung.“

Ja, Stimmung muss sein und dazu gehört auch die Geräuschkulisse. Damals hörte sie sicher etwas anders an, aber sie war eines auch: laut:

„Von allen Seiten dröhnende Blechmusik, das Getute und Georgel und Gequick und Geseufze von Myriaden von Drehorgeln und Orchestrions, das der Wind aus dem Schaubudenviertel, von den Schaukeln und Karussellen herüberweht, kommt dazu. Eine populäre Melodie – und die ganze Gesellschaft singt mit.“

Und man wundert sich dabei immer wieder, bei welchen Liedern man plötzlich sehr textsicher ist!
Zum Abschluß wird die Abendstimmung beim Oktoberfest ganz poetisch beschrieben:

„Nun ist’s Abend und die Lichter auf der Festwiese brennen, Lichter von allen Arten…Diese Lichtsinfonie ist vielleicht das Schönste am ganzen Fest, zauberisch oft, wenn ein schöner Herbstabend einen dunkelblauen Himmel darüber wölbt und die phantastischen Bauten der Bierpaläste, die Flaggen- und Föhrenbäume bunt angestrahlt in jenes saphirne Dunkel hineinragen.“

Hach wie schee! Was uns zu der letzten wichtigen Frage führt: Wann war 1908 Schluss abends? Der Text erzählt dazu:

„Abends um neun Uhr etwa wird’s still auf der „Wiese“, wie der Platz in München kurzweg genannt wird. Die Lichter erlöschen eins nach dem anderen, die letzten Zecher gehen – oder wanken nach Hause oder kneipen in der Stadt weiter. Die Artisten und Schausteller kriechen in ihre Wagenburgen. Und der Nachtwind fegt den schwülen Bierdunst vom Festplatz. Morgen aber wieder lustig!“

Und für das Protokoll: Ich war mehrfach auf der Wiesn, das letzte Mal ist aber schon einige Jahre her. Das merkwürdigste Oktoberfest, das ich je besucht habe, war in Minnesota in den USA. Es gab Menschen in Trachten, Brezeln, bayrische Dekoration, aber: KEIN BIER. Okay, es war vom College organisiert (kleiner Hinweis: Alkohol ist in den USA für alle unter 21 Jahre verboten).

Für alle neuen Leser: Alle Originalzitate des Artikels sind kursiv geschrieben.

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  • Simone
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    Und „Oide Wiesn“ statt „Oidn Wiesn“. Wiesn ist Singular. Aber schöner Artikel! Danke aus München

  • Martin
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    Es heißt ›ozapft‹, nicht ›oa’zapft‹.

    • Grete Otto
      Antworten

      Danke für den Hinweis – stimmt! Werde es korrigieren…Herzlicher Gruß Grete

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