Ein Paradies zum Schlafen – das Schlafzimmer in bürgerlichen Wohnungen 

 In Alltagsleben, Firmen mit Tradition, Unkategorisiert, Werbung des Monats, Wohnen

 

oder wie die Marke „Paradies“ entstand

Das Schlafzimmer Anfang des 20. Jahrhunderts

Manche Dinge ändern sich nicht – z.B. das wir (bei durchschnittlicher Lebenserwartung) 24 Jahre in unserem Leben schlafen! Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das Bewusstsein für eine gesunde Lebensweise immer stärker und das drückte sich auch im Stellenwert und der Beurteilung der Schlafräume in den Wohnungen aus. Im „guten Ton“, einem populären Benimm-Buch, heißt es:

„Dem Schlafzimmer, welches aus Gesundheitsrücksichten seiner Lage nach das beste Zimmer der ganzen Wohnung sein sollte, weil der längere notwendige Aufenthalt daselbst nicht nur ein angenehmer, sondern auch ein dem Körper nützlicher und wohltuender sein soll, wird in Deutschland, trotzdem sich hier die Verhältnisse gebessert haben, im allgemeinen leider noch zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet.“

Gleich wird auch erklärt, wie das ideale Schlafzimmer aussehen sollte:

„Das Schlafzimmer muß vor allen Dingen gute Luft haben, geräumig sein und von der Sonne beschienen werden.“

Und so sahen Beispiele von Schlafzimmern aus (Bilder aus dem Buch „Wohnung der Neuzeit“, es wurden eher die „Herren“ als Auftraggeber genannt):

Nicht nur im „Guten Ton“ wird darauf hingewiesen, dass im Schlafzimmer aus hygienischen Gründen möglichst keine Teppiche liegen sollten, nur in den Haushalten „wo genügende Bedienung deren Reinhaltung sichert und wo ein besonderes Ankleidezimmer die unvermeidliche Beschmutzung ausschließt…“ könne man sie verwenden. 

„In einfachen, bürgerlichen Haushaltungen ist das Schlafzimmer dazu bestimmt, außer den Betten alle für das Ankleiden notwendigen Möbel, auch wohl gar noch ein Kinderbett aufzunehmen.“

Oft stand im Schlafzimmer noch der Toilettentisch der Frau, an dem sie sich ankleidete und zurechtmachte. 

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WaschtischQuelle: Bürgerleben

Das klingt alles ähnlich wie heute, auch, dass das Schlafzimmer bis heute ein privater Raum ist: 

„Besuche im Schlafzimmer zu empfangen, ist in Deutschland nicht Brauch“;  selbst dem Arzte wird man nur in ernsteren Krankheitsfällen den Eintritt gestatten“. 

In anderen Ländern dagegen schon, z.B.:

„In Österreich hingegen, wo selbst in feineren Bürgerfamilien das Schlafzimmer als Wohnraum benutzt wird, empfängt man in demselben auch trotz des Empfangszimmers Besuche.“

 

Ein Bettenfabrikant der ersten Stunde

Was ist jedoch das wichtigste Möbelstück im Zimmer? Natürlich das Bett. Ein Anbieter, der sich auf Betten spezialisiert hatte und auch gerne mit auffallenden Werbungen in Zeitschriften präsentierte, war die Firma „Paradiesbettenfabrik M. Steiner & Sohn“ aus Frankenberg in Sachsen. Gegründet im Jahre 1847, feierte sie im Jahr 1907 ihr 60-jähriges Bestehen und verwies auf eigene Filialen in Großstädten wie Berlin, München und Frankfurt. Auch im Ausland war man präsent, so in Brüssel und Zürich. 

Steiner bot alle Artikel, die zum Bett dazugehörten an: 

Bettstellen (aus Metall und Holz), Matratzen (Sprungfeder- und Polster-), Kopfkissen und Steppdecken. Wie oft bei Markenartikeln wurde auch hier gewarnt: 

„Nur echt mit Schutzmarke, denn es existieren minderwertige Nachahmungen.“

 Schon Steiner wußte um den Stellenwert des „eigenen Betts“ und die skizzierte Entwicklung, dass Schlafzimmern ein höherer Stellenwert beigemessen wurde, spielte dem Bettengeschäft natürlich in die Karten. 

Wieviele Gedanken man sich um die Hygiene beim Schlafen machte, kommt auch im Artikel über das Schlafzimmer im Buch „Im deutschen Hause“ von Luise Holle zum Ausdruck. Wie schon im obigen Benimmbuch wird immer wieder die Wichtigkeit des Lüftens sowie der Hygiene und Sauberkeit betont. Man bekommt den Eindruck, bei den Empfehlungen zur Einrichtung ist das wichtigste Kriterium, wie gut die entsprechenden Möbel zu reinigen sind. So heißt es zu den Bettgestellen: 

„Seit Jahren ist der guten, alten Holzbettstelle in der Metallbettstelle eine mächtige Rivalin erwachsen. Aus dem einfachen Eisenbett hat sich in den Messingbettstellen zu einer allen Ansprüchen genügenden, eleganten Bettstatt entwickelt.“

Es wird vermutet, dass sich Metallbettstelle in der Zukunft durchsetzen werden, denn: 

„Die Metallbettstelle ist jedenfalls gesundheitlich ideal, sie hält die Körperausdünstung nicht zurück, gewährt den größten Schutz gegen Insekten und kann auf’s leichteste gesäubert werden.“

Hauptsache hygienisch einwandfrei!

Ich würde diese leichte „Hygiene-Fanatik“, die nicht nur in diesem Artikel zum Ausdruck kommt, der damaligen Entwicklung zuschreiben, dass die Bedeutung der Hygiene für die Gesundheit noch gar nicht so lange bekannt war und sich dazu ein entsprechendes Bewusstsein Ihrer Wichtigkeit entwickelte, die manchmal über ihr Ziel hinausschoss. Hygiene war plötzlich das Thema, unter dem sich alle anderen Aspekte unterzuordnen hatten. Hauptsache hygienisch! – sozusagen.
Im Zusammenhang mit dem neu erwachten Gesundheitsbewusstsein wurde auch die Kleidung, insbesondere die Damenkleidung, reformiert. Es entwickelte sich das Reformkleid, welches ohne einzwängendes Korsett getragen wurde, sowie Reform-Unterwäsche und weitere „reformierte“ Kleidungsstücke. „Reform“ kam gut an, klang modern und so griff die Paradiesbettenfabrik Steiner den Reformgedanken gleichfalls dankbar auf – in der Jubiläumswerbung zum 60-jährigem Bestehen heißt es: 

„Steiners Paradiesbetten sind in allen ihren einzelnen Teilen in Rücksicht auf Hygiene (zuerst!), Zweckmäßigkeit, Behaglichkeit und Eleganz „reformiert und unterscheiden sich dadurch von allen Nachahmungen, welche unter dem Namen Reformbetten offeriert werden.“

Das damalige „Reform“ war die heutige „Nachhaltigkeit“, beides gerne trendgemäß in der Werbung eingesetzt. 

Den Namen „Paradies“ liess sich Steiner für seine Betten übrigens schon 1903 schützen – als eine der ältesten Markennamen in der Textilbranche überhaupt.
Und wie schlief man vor diesen Reformen? Das wird in den Artikeln dieser Zeit eher als negativ dargestellt und eben nicht mehr zeitgemäß. Schlafzimmer waren oft dunkle Räume ohne viel Lüftungsmöglichkeiten, mit schweren Teppichen und Vorhängen. Auch der Aufbau der früheren Betten wird moniert: „die früher beliebten Federunterbetten hat man überall als gesundheitsschädlich erkannt und abgeschafft“. 

Das war vielleicht in bürgerlichen Haushalten so, deren Schlafzimmer mit Heizung oder Ofen ausgestattet waren. In einfacheren Mietwohnungen oder auch auf dem Land bis weit in das 20. Jahrhundert hinein (und darüber hinaus) in Schlafzimmern oder -räumen oft keine Heizung zu finden. Dort wurden diese Federunterbetten und auch dicke -oberbetten gerne weiter verwendet. Die Adressaten und Leser von Benimmbüchern und Ratgebern für das häusliche Leben waren natürlich Bürgerliche, welche die Wahl und die Mittel hatten, ihre Schlafzimmer entsprechend einzurichten. 

 

Die Ausstattung der Betten

Zurück zur Bettenausstattung: was Matratzen anging, gab es damals schon verschiedene Optionen, sowohl Sprungfeder- als auch Polstermatratzen. Die Füllungen der Matratzen konnten Alpengras, Indiafaser oder Seegras sein oder auch Roßhaar. Letzteres wäre im Winter aber oft zu kühl:

„Um diesen Übelstand zu beseitigen, ist es sehr praktisch, die Matratze auf der einen Seite mit einer Roßhaarschicht, auf der anderen mit einer Wollschicht zu polstern.“

So könne man je nach Belieben und Jahreszeit die warme oder kühle Seite der Matratze verwenden. 

Was die Deckbetten angeht, so wurden die dicken Federbetten, bis dato oft in Verwendung, im häuslichen Ratgeber von Luise Holle verpönt – richtig, sie waren nicht hygienisch genug! 

Statt dieser Federbetten riet sie zu Steppdecken („wenn sie mit reiner Watte, nicht sogenannter Abfallwatte gefüllt sind“) oder auch Wolldecken. 

Und hier kommt auch die Firma ins Spiel, die später die Marke Paradies übernehmen sollte. Schon 1854 gründete Wilhelm Kremers in Vluyn am Niederrhein ein Watte- und Steppdeckenfabrik. In der zweiten Generation wurde sie von den Brüdern Heinrich, Gottfried und Jakob Kremers weitergeführt und 1870 folgerichtig „Gebr. Kremers“ benannt. Auch die Kremers profitierten sicher vom neu erwachten Hygiene- und Bettenbewußtsein und konnten ab 1900 expandieren – ihre Steppdecken (bestimmt mit reiner Watte gefüllt ?) waren gefragt und sie konnten über den Niederrhein hinaus Kunden in den großen Städten Deutschlands sowie in Belgien und den Niederlanden gewinnen. 

Um die Bettenausstattung abzuschließen, auch bei den Kopfkissen wurde von Federfüllung abgeraten, sie wäre für den „schweren Kopf“ am Morgen verantwortlich – mir fallen noch weitere Gründe dafür ein…

Geraten wurde gleichfalls zu Roßhaar oder Wolle mit „steppdeckenartigem“ Überzug. 

Und die Bettwäsche? Ich liebe schöne Bettwäsche und könnte ständig neue kaufen. Gäbe es da nicht ein Platzproblem – ähnlich wie bei Schuhen…Irgendwann sind die Schränke und Regale voll.

Damals war Bettwäsche meistens aus Leinen, was heute wieder „in“ ist, Baumwollstoffe wie Damast und Satin „beginnen sich Eingang zu verschaffen“, wie es im Artikel von Luise Holle heißt. Verziert wurde mit Stickereien, eingesetzten Spitzen und Hohlsaum. Verschlossen wurde die Wäsche mit Knopfstreifen und Doppelknopflöchern – der Knopfstreifen wurde zum Verschließen eingeknöpft. 

Wie es mit der Marke Paradies weiterging? Bis zum Ende des 2. Weltkrieges existierte die Aktiengesellschaft. Ihre weitere Entwicklung ist dann auch eine typisch deutsch-deutsche Geschichte. Die in Sachsen liegende Produktionsstätte wird enteignet und als volkseigener Betrieb „VEB Lisema“ weitergeführt. Der Firmenmantel wird zunächst nach Neumünster (1951) im Westen Deutschlands und dann nach München (1953) verlagert, wo das Unternehmen in eine GmbH umgewandelt und danach in „Tittmann GmbH“ (1960) umbenannt wird. 

1965 übernimmt dann die nunmehr von der vierten Generation geführte Firma „Kremers“ die Marken und Namensrechte der Marke „Paradies“ und heißt seit 1996 „Paradies GmbH“. 

Ja, Schlafen wie im Paradies ist einfach eine schöne Vorstellung!

 

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