Bauten der Belle Epoque in Leipzig

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Ein Gastartikel von Sabine Knopf

Leipzig in der Kaiserzeit: Eine stürmische Entwicklung

Im Jahr 1870 erlangte Leipzig mit einer Einwohnerzahl von 100.000 Menschen den Status einer Großstadt. 1914 lebten hier bereits 600.000 Menschen. Diese stürmische Entwicklung spiegelt sich noch heute im baulichen Erscheinungsbild der Stadt wider. Fast alle wichtigen Gebäude stammen aus jener Zeit. Die Industrialisierung brachte neue Arbeitsplätze und den Zuzug von Auswärtigen. In unvorstellbar kurzer Zeit entstand eine moderne Infrastruktur. Rathäuser, Bankgebäude, Geschäftshäuser, Postämter, Krankenhäuser, Schulen, Museen, Theater, Kirchen und Universitätsgebäude wurden gebaut. Zahlreiche Vororte wurden seit 1891 eingemeindet. Auch die Elektrizität fand bald Eingang in den Alltag, zunächst als Straßenbeleuchtung. 1895 entstand das erste Elektrizitätswerk. Bereits vor der Aufnahme der öffentlichen Stromversorgung bauten sich größere Firmen sogenannte Kraftzentralen mit Dampfmaschine und Dynamo, um ihre Produktionsstätten zu erleuchten und die Maschinen anzutreiben. Eine solche Kraftzentrale hat sich im Hof des Gebäudes des Reclam-Verlages bis heute erhalten.

Unter den beiden Oberbürgermeistern Otto Georgi und Bruno Tröndlin erlebte die bis dahin von mittelalterlichen und barocken Bauten geprägte Altstadt eine Umgestaltung zu einem modernen Geschäftszentrum. Eine Vielzahl älterer Wohnhäuser musste weichen, um den neuen Messepalästen Platz zu machen, in welchen die zweimal im Jahr anreisenden Aussteller nun ihre Warenmuster präsentierten und Lieferungsverträge abschlossen, anstatt – wie früher- die Güter direkt zu verkaufen.

Auch andere Geschäftshäuser, wie für den Rauchwarenhandel am Brühl, entstanden, die Bauten der Verlage und der graphischen Industrie und die Fabriken in den Vororten. Neue Wohnviertel mit eindrucksvollen Bauten wurden in den Vorstädten errichtet. Leipzig war zu jener Zeit die viertreichste Stadt Deutschlands. Wesentlich trugen dazu die zweimal im Jahr stattfindenden Handelsmessen bei. Daher soll ein erster Blick einigen ihrer Bauten gelten.

1. Messepaläste

Beginnen wir im Zentrum. Noch heute haben sich über 20 Messepaläste erhalten.

Der früheste war das sog. „Städtische Kaufhaus“, Neumarkt 9-19. Es entstand durch einen Umbau der alten barocken Stadtbibliothek unter der Leitung des Stadtbaudirektors Hugo Licht. In Anlehnung an den Vorgängerbau wurde die Fassade des Messehauses in neobarocken Formen gestaltet. Eine Bronzestatue von Kaiser Maximilian I. von Carl Seffner, das wichtigste bildkünstlerische Detail der Fassade, erinnert an die Verleihung des Messeprivilegs 1497. 1894 fand hier erstmals eine Mustermesse statt. Das Gebäude war ein Pilotprojekt für die neuartige Messeform. Leipzig hatte damit den Übergang von der Warenmesse zur Mustermesse vollzogen. Später wurde das Gebäude noch in zwei Bauabschnitten erweitert. Die gesamte Bauzeit dauerte von 1893 bis 1901.

Seit der Rekonstruktion in den 1990er Jahren wird das Haus von der Universität, Arztpraxen und Geschäften genutzt. Im östlichen Lichthof befindet sich das elegante Restaurant „Kaiser Maximilian“.

Ein Glanzpunkt der Innenstadt ist das von Theodor Kösser erbaute Messehaus „Mädler-Passage“, Grimmaische Str. 2-4/ Neumarkt 14. Bauherr war der Kofferfabrikant Anton Mädler, der dafür „Auerbachs Hof“ abreißen ließ. Das durch Goethes „Faust“ I weltberühmt gewordene Lokal „Auerbachs Keller“ wurde zum Lutherkeller, Goethekeller und Faßkeller umgebaut und ein weiteres Restaurant bereichert.

Den Eingang zum Lokal betonen zwei Figurengruppen aus Bronze von dem Bildhauer Mathieu Molitor aus dem Jahr 1913. Sie zeigen Szenen aus Goethes „Faust“. Der gern zitierte Ausspruch aus Goethes Drama, Leipzig sei ein „Klein-Paris“, lässt sich beim Bummeln durch die Passagen mit Läden und Restaurants, die das Haus durchziehen, nachvollziehen. Eines der Vorbilder dieser Anlage war übrigens die Mailänder Galleria Vittorio Emanuele II.

Das 1912-1914 errichtete Messehaus Mädler-Passage hat den Namen der Familie Mädler in Leipzig lebendig erhalten. An den Industriellen, der einst eine schloßähnliche Villa im Vorort Leutzsch besaß, erinnert ein Gedenkzimmer in „Auerbachs Keller“.

Durch die Reichstraße gelangt man zum Messehaus „Specks Hof“. Das Gebäude wurde nach der Besitzerfamilie des Vorgängerbaus, Speck von Sternburg, benannt. „Specks Hof“ wurde in drei Bauabschnitten zwischen 1908/09, 1911 und 1928/29 von dem Architekten Emil Franz Hänsel errichtet. Es zählt allgemein zu den architektonisch bedeutendsten Geschäftshäusern Leipzigs.

Neben der edlen Fassade beeindrucken auch hier die künstlerisch ausgestalteten Passagen, die das Haus durchziehen. Ein Passagenarm führt in den 600 qm großen Lichthof des benachbarten Hansahauses, der mit weißen und grünen Meißner Kacheln verkleidet ist. Die Eingangstüren sind mit Köpfen von Merkur, dem Gott der Kaufleute, geschmückt.

Diese Passagen sind typisch für die Stadt Leipzig und setzen die Tradition der alten Kaufmanns- oder Durchgangshöfe fort. Hier passiert man freilich nicht nur einen Durchgang, sondern betritt eine schöne Gegenwelt, die zum Verweilen in Läden, Cafés. Restaurants und Galerien einlädt.

Ebenfalls als Messe- und Geschäftshaus errichtet wurde 1908/09 ein Jugendstil-Gebäude, das seit 1996 im Erdgeschoß das „Café Riquet“, Schuhmachergäßchen 1-3, beherbergt. Der Bau mit seinen Jugendstilmosaiken an der Fassade (Pfau und Chinese) und einem Dachtürmchen in Pagodenform nimmt eine Sonderstellung unter den Leipziger Bauten ein. Zwei in Kupfer getriebene Elefantenköpfe über dem Eingang verkörpern das frühere Markenzeichen der Firma Riquet. Jean George Riquet, der hugenottischer Abstammung war, hatte 1745 eine Colonial-Grosso-Handlung in Leipzig gegründet. Er handelte mit Kakao, Tee und anderen Orientwaren. Die Firma produzierte später auch selbst Kakaowaren. Der Architekt Paul Lange bediente sich ostasiatischer Motive, um die lange und reiche Tradition der Firma Riquet bildkünstlerisch umsetzen.

2. Geschäftshäuser des Pelzhandels

Vom Schuhmachergäßchen gelangt man in die Nikolaistraße. Hier, aber auch in der Ritterstraße und am Brühl, befinden sich noch einige der früheren prächtigen Geschäftshäuser Leipziger Pelzhändler. Obwohl viele Bauten im zweiten Weltkrieg zerstört wurden, vermitteln die noch erhaltenen eine Ahnung von der Bedeutung Leipzigs als eines Zentrums des Rauchwarenhandels. Am sogenannten Zeppelinhaus (1912/13), Nikolaistraße 27/29, das Gustav Pflaume für den Rauchwarenhändler Felix Reimann erbaute, sind vor allem das goldfarbene Ziergitter und der Durchgang zum Hof, sehenswert. Seinen Namen hat es von einem Porträtrelief des Grafen Zeppelin.

Das Selters-Haus, Nikolaistraße 47, 49 und 51, entstand 1908. Der Architekt Alfons Berger entwarf den Bau für den bedeutenden Rauchwarenhändler und japanischen Konsul Alfred Selters. Die künstlerische Ausgestaltung des Baus stammt von dem Dresdner Architekten Georg Heinsius von Mayenburg, der den Dresdner Bildhauer Ernst Hottenroth mit den Entwürfen der ornamentalen und figürlichen Schmuckelemente beauftragte. Die Fassade, die von Pelztierskulpturen und Putten geschmückt ist, weist auf den Charakter des Geschäftshauses hin. Besonders dekorativ ist ein farbiger Majolikafries, der Putten mit Pelzwaren, wie Muff, Mütze, Schal und Handschuhen zeigt.

3. Hauptbahnhof

Mit seinen 23 (ursprünglich 26) Gleisen ist Leipzigs Hauptbahnhof am Willy-Brandt-Platz noch immer der größte Kopfbahnhof Europas. Er wurde 1909-1915 anstelle von drei älteren Bahnhofsbauten errichtet. Die Architekten William Lossow und Max Hans Kühne stammten aus Dresden. Die Übersichtlichkeit und Großzügigkeit des Baus beeindrucken bis heute. Das 298 m lange Empfangsgebäude besitzt zwei Eingangshallen, die daran erinnern, dass die Verwaltung des Bahnhofs einst in eine sächsische und eine preußische geteilt war. Die mit Sandstein verkleidete Fassade weist eine Reihe von interessanten Plastiken auf. Sie zeigen unter anderem für Leipzig einstmals typische Berufe, wozu Buch- und Pelzhandel gehörten.

Auch die beiden Eingangshallen sind im Inneren beeindruckend. Auf dem Querbahnsteig befanden sich früher zwei repräsentative große Wartesäle mit Restaurants. Für Wilhelm II. gab es, wenn er sich in Leipzig aufhielt, sogar eigene prunkvolle Kaiserzimmer, die später von der Reichsbahndirektion genutzt wurden.

Die Querbahnsteige wurden 1995-1997 trotz massiver Proteste im Vorfeld zu einem modernen Einkaufszentrum umgebaut. Der Denkmalscharakter des Bahnhofs blieb jedoch weitgehend erhalten.

Dem Bahnhof gegenüber wurde etwa zur gleichen Zeit von den Architekten William Lossow und Max Hans Kühne das schönste und teuerste Hotel der Stadt, das „Astoria“ errichtet, in dem viele Berühmtheiten zu Gast waren, u.a. auch Thomas Mann, Hugo von Hofmansthal oder Enrico Caruso, später auch Queen Elizabeth. Die Reliefs mit allegorischen Figuren, die einst zwischen den Fenstern im ersten Stock angebracht waren, wurden leider 1954/57 entfernt.

 

4. Bankgebäude

Das Kaiserreich liebte monumentale Bauten, zu denen auch Bankpaläste gehörten. Zu den schönsten in Leipzig zählt das Gebäude der Deutschen Bank, Martin-Luther-Ring 2. Es wurde 1898-1901 von Arwed Rossbach erbaut.

Ursprünglich war es für die Leipziger Bank bestimmt gewesen. Nach deren Konkurs 1901 übernahm die Deutsche Bank am 23.6.1902 das noch unvollendete Haus. Der Architekt verwendete für den Bau Elemente der italienischen Renaissance und des Barock. Das Gebäude ist reich mit plastischem Schmuck dekoriert. In der Attika über dem Eingang thront die Stadtgöttin Lipsia mit der Mauerkrone und einem Schwert, neben ihr sitzt Merkur, die Kaufmannschaft symbolisierend. Auf der anderen Seite sieht man eine weibliche Figur mit den Attributen des Gewerbefleißes, neben ihr einen zu ihr aufschauenden Jüngling, den sie mit einem Lorbeerkranz bedenkt. Bemerkenswert ist auch die original erhaltene Eingangs- und die Schalterhalle. Rossbach prägte das das Stadtbild Leipzigs maßgeblich mit.

Im Stil der florentinischen Renaissance gehalten ist das Gebäude der ehemaligen Reichsbank, das der Deutschen Bank schräg gegenüber liegt (Petersstrasse 43). Es wird heute als Musikschule genutzt. In einem seitlichen Anbau befand sich früher die Kaffeehandlung des Hoflieferanten Max Richter. Das sehenswerte Ladenlokal, heute Kaffee arko, besitzt noch immer die originale Einrichtung aus der Kaiserzeit (Kronleuchter, Kaffeemühlen, ein Segelschiff, Holztäfelungen und eine goldene Wendeltreppe). Im Laden gibt es auch ein winziges Café mit Blick auf die belebte Petersstrasse und die Messehäuser Stentzlers Hof und Drei Könige. Sie stammen alle etwa aus der gleichen Zeit. Max Richter, der Begründer des Geschäfts, unterhielt auch eine Kaffeerösterei im Vorort Plagwitz, von wo er noch ein Versandgeschäft und einen zweiten Laden mit ähnlicher Ausstattung betrieb.

Eine bauliche Kostbarkeit ist noch das Wohn- und Geschäftshaus von Heinrich Louis Klinger in der Peterstraße 48, das Arwed Rossbach 1887/1888 im Neorenaissance-Stil für den Seifenfabrikanten errichtete. Sein berühmter Sohn, der Maler Max Klinger verbrachte die meiste Zeit seines Lebens im Vorort Plagwitz, wo er auch ein eigenes Wohn- und Atelierhaus auf einem Grundstück der Eltern besaß. Seine langjährige Geliebte, die Schriftstellerin Elsa Asenijeff, empfing mit ihm dort berühmte Gäste, wie Brahms und Reger. Sie selbst lebte im Musikviertel.

5. Weitere Wohn- und Geschäftshäuser im Zentrum

Nördlich der Thomaskirche kann man am westlichen Rand der Innenstadt eine Reihe schöner Entdeckungen machen. Wir gehen zunächst zum ehemaligen Kaufhaus Franz Ebert, Thomaskirchhof 22, mit seinen goldglänzenden Türmchen. Das Geschäftshaus wurde 1903/04 von dem Architektenbüro Schmidt & Johlige errichtet und war viele Jahre eine Verkaufsstelle für vornehme Damenkonfektion.

Darauf weisen zwei vergoldete weibliche Sinnbilder am Eingang hin. Die eine dieser Damen, die einen Spiegel in der Hand hält und deren Attribut ein Pfau ist, verkörpert die Eitelkeit, die zweite, im goldenen Korsett, die Genußsucht. Der dargestellte Adler ist dabei ein Symbol des Stolzes und der Unmäßigkeit (Luxuria). Zur damaligen Zeit war dies wohl schon ironisch gemeint.

Der Jugendstilbau weist auch neobarocke Elemente auf. Später betrieb die IG Farben hier eines ihrer Indanthren-Kaufhäuser und ab 1949 saß hier das „Kaufhaus Fortschritt“, später das „Modehaus Topas“. Seit 1990 nutzt die Commerzbank das Gebäude als Filiale.

Eines der wenigen reinen Jugendstilwohnhäuser im Zentrum findet man am Dittrichring 10. Das noble Gebäude wurde von Paul Möbius für den Baumeister Otto Hauschild erbaut und ist in einem für den Architekten charakteristischen Stil mit monumentalen Tendenzen gestaltet.

Im Barfußgäßchen sieht man, vom Dittrichring kommend, rechts ein beeindruckendes Wohn- und Geschäftshaus (Nr. 11-15), das heute den Namen Trifugium trägt. Auch dieses Gebäude von 1903/04 verkörpert die für Leipzig typische Mischung aus Jugendstil- und Historismus-Elementen. Der Architekt war Arthur Hänsch. Schöne Jugendstildetails, wie die floralen Eingangstüren, geben dem Bau eine gewisse Noblesse. Um 1905 befanden sich hier ein Juweliergeschäft und die Leipziger Kredit-Bank.

Gegenüber steht das sogenannte Lipsia-Haus, Barfußgäßchen 12, ein neobarockes Gebäude von zurückhaltender Eleganz, das, wie andere Wohn- und Geschäftshäuser aus jener Zeit, wichtig für Leipzigs Entwicklung zu einem modernen Handelszentrum war. Das Gebäude entstand 1908/09 für eine Lebensversicherungsgesellschaft. Architekt war Wilhelm Becker. Am Ostgiebel findet sich ein Schriftzug mit dem Namen des Hauses sowie die Figuren der Lipsia mit Buch und Mauerkrone und des Merkur. Im Erdgeschoss befand sich einst ein Kino mit dem Namen „Welttheater“. Im Haus wurde erstmals in Leipzig ein Paternoster eingebaut. Davor steht der Lipsiabrunnen von Max Lange.

6. Das Neue Rathaus und zwei Märchenbrunnen

Das monumentale Gebäude im Stil der deutschen Renaissance von Hugo Licht entstand 1899-1905 auf dem Gelände der abgebrochenen Pleißenburg. Es löste in seiner Funktion das Renaissance-Rathaus am Markt ab, das für die wachsende Großstadt inzwischen zu klein geworden war.

Wem das Gebäude des Neuen Rathauses am Martin-Luther-Ring zu wuchtig erscheint, um sich damit anzufreunden, sollte seine Aufmerksamkeit auf einige schöne Details lenken. Über dem Haupteingang erhebt sich ein reich verzierter Volutengiebel, der von der Stadtgöttin Lipsia bekrönt wird. Sie verkörpert das bürgerliche Selbstverständnis der Entstehungszeit. An der Fassade am Oberbürgermeisterflügel (Südwestecke) sind als bauplastischer Schmuck die Quellen des Leipziger Reichtums dargestellt.

Zwischen zwei Obelisken stehen hier die die fünf allegorischen Figuren Buchdruckkunst von Adolf Lehnert, Justiz von Johannes Hartmann, Wissenschaft von Joseph Màgr, Musik von Hans Zeisig sowie Handwerk von Arthur Trebst. Das Figurenprogramm wird durch sechs Flachreliefs von Felix Pfeifer ergänzt. Ansonsten kann man an der Fassade zahlreiche Reliefs mit Märchen- und Sagendarstellungen sowie Fabelwesen erkennen. Eine Menschenfresserkopf an der Nordostecke unweit des Eingangs zum Ratskeller verschlingt einen Leipziger Bürger. Dies soll ein Symbol für die erdrückende Steuerlast sein. Im Inneren sind das repräsentative Treppenhaus sowie die reich ausgestatteten Wandelhallen und Festsäle sehenswert.

Neben dem Rathaus wurde drei Jahre nach dessen Eröffnung der Rathaus- oder Rattenfängerbrunnen aus Spendengeldern Leipziger Bürger errichtet.

Er stammt von dem Dresdner Bildhauer Georg Wrba, der auch Bauschmuck zum Neuen Rathaus schuf. Der Brunnen zeigt an seiner Spitze die Figur des Rattenfängers von Hameln. In einem Märchenkranz sind Figuren aus deutschen Märchen zu sehen, damals ein sehr beliebtes Thema in Architektur, Bildhauerkunst und Malerei. Man wollte damit eine schönere Gegenwelt zur rasch sich verändernden Zeit mit ihren sozialen Veränderungen darstellen.

Ein weiterer Märchenbrunnen befindet sich nur wenige Schritte entfernt davon in einer Grünanlage am Dittrichring.

Er stammt mit seinen Figuren von dem deutsch-böhmischen Bildhauer Josef Màgr. Die Bronzereliefs und -figuren wurden im zweiten Weltkrieg eingeschmolzen. Später haben zwei Leipziger Bildhauerinnen diese wieder ergänzt. Im Original erhalten blieb die Anlage mit der in Stein gehauenen Hexe. Von Josef Magr stammt auch der Figurenschmuck aus der Märchenwelt zu einem Wohnhaus an der Philipp-Rosenthal-Str. 21 (hinter dem Bayrischen Platz).

Gleich hinter dem Neuen Rathaus beginnt das Musikviertel. Es zählte einst zu den vornehmsten, Vierteln außerhalb des Stadtkerns. An der Karl-Tauchnitz-Straße entstand ein Kranz von Villen aus der wilhelminischen Ära.

Die Gebäude haben schlößchenähnlichen Charakter. Hier wohnten meist reiche Verleger, Druckereibesitzer, Fabrikanten, Rechtsanwälte, Bankiers und Inhaber großer Handelshäuser.

Hervorheben sollte man die Villa von Edgar Herfurth, des Inhabers der auflagenstarken „Leipziger Neuesten Nachrichten“, in der Karl-Tauchnitz-Str. 11. Ursprünglich wurde das Haus von dem in Amerika nach Gold schürfenden Geologen Hermann Credner errichtet. Nach seinem Tod übernahm der Zeitungskönig Herfurth das Haus. Heute befindet sich hier die „Galerie für zeitgenössische Kunst“.

Wie sein Bruder Paul Herfurth besaß Edgar Herfurth noch einen Landsitz außerhalb der Stadt. Wegen des Braunkohleabbaus vor den Toren Leipzigs blieb leider nur das Anwesen von Paul Herfurth im nahen Markkleeberg erhalten. Es entstand nach dem Vorbild des französischen Schlosses Trianon in Versailles, ist heute ein Kulturzentrum und als „Weißes Haus“ bekannt.

Außer den Villen und Wohnhäusern oftmals prominenter Bewohner findet man im Musikviertel das ehemalige Gebäude des Reichsgerichts (erbaut 1888-1895) am Simsonplatz, heute Bundesverwaltungsgericht. Es ist ein imposanter Kuppelbau von Ludwig Hoffmann und Peter Dybwad. Die Kuppel wird von einer Verkörperung der Wahrheit bekrönt. Die Nordseite schmücken Skulpturen von Persönlichkeiten der deutschen Rechtsgeschichte.

Das Innere des Gebäudes ist funktional und gestalterisch auf die ursprünglich angestrebte Nutzung als Reichsgericht ausgelegt. Die Skulpturen, Plastiken und aufwändigen Wandmalereien beschäftigen sich mit den Themen Untersuchung, Urteil, Vollstreckung und Gnade. Besonders prachtvoll gestaltet ist der Große Sitzungssaal, dessen Wände mit Sinnbildern und Wappen aller damaligen Bundesstaaten geschmückt sind. Sämtliche Glasmalereien in dem Gebäude stammen von Alexander Linnemann aus Frankfurt am Main.

Wenige Schritte davon entfernt sieht man in der Beethovenstraße 6 die nach schweren Kriegszerstörungen wieder wundervoll restaurierte Universitätsbibliothek (Bibliotheca Albertina). Wie das Gebäude der Deutschen Bank stammt sie ebenfalls von Arwed Rossbach. Sehenswert ist neben der Fassade im Stil der italienischen Renaissance mit Figuren aus der Wissenschaftsgeschichte vor allem das prächtige in Marmor gehaltene Treppenhaus. Die ehemals vorhandenen Fresken von Friedrich Preller zur „Odyssee“ sind leider Kriegsverlust. Von Rossbach stammt auch das Wohnhaus Beethovenstraße 8 neben der Universitätsbibliothek, ein markantes Eckgebäude mit barocken und renaissancistischen Schmuckelementen an der Fassade. Der Architekt entwarf es für seinen Stukkateur, dennoch wird es allgemein „Rossbachhaus“ genannt.

Hier wohnten einst Angehörige des Reichsgerichts, Verleger und Mitglieder des Gewandhausorchesters. Die Kriegsruine des zweiten Gewandhausbaus wurde nach 1945 leider abgerissen.

 

8. Bachviertel und Westvorstadt

Das Viertel hat seinen Namen nicht von der Bachpflege des hier ansässigen Thomanerchors erhalten, sondern von der Sebastian-Bach-Straße. Es ist das früheste Nobelviertel der Stadt. Begehrte Wohnungen befinden sich vor allem in den herrschaftlichen Häusern und Villen an der Ferdinand-Lassalle-Straße (früher Bismarckstraße) und im hinteren Teil der heutigen Käthe-Kollwitz-Straße. Fünf Villen wurden hier allein von Mitgliedern der Verlegerfamilie Meyer, den Inhabern des Bibliographisches Instituts, bewohnt. Im Musikviertel gab es noch zwei weitere Meyer-Wohnhäuser.

Die durch ihre Reiseführer bekannte Verlegerfamilie Baedeker besaß im Bachviertel ebenfalls eine 1901 von Bruno Eelbo umgebaute Villa.

Auch die weltberühmten Klavierfabrikanten Blüthner hatten sich hier niedergelassen. Einen Traum erfüllte sich der Architekt Oscar Mothes mit seiner Julburg (Käthe-Kollwitz-Straße 70). Sie ist nach Mothes‘ Ehefrau Julia benannt und trägt mit ihren Wehrtürmen, Spitzbogenfenstern, Maßwerkformen und Holzerkern tatsächlich burgenähnlichen Charakter trägt.

Der Baustil entsprach den Vorlieben des Architekten. Oscar Mothes entwarf neogotische Kirchenbauten sowie Profan- und Schloßbauten, er war zudem Konservator und Erneuerer mittelalterlicher Kirchen. Er gründete den Verein für die Geschichte Leipzigs, aus dem später das Stadtgeschichtliche Museum hervorging. In einem Anbau richtete er sich sein Architekturbüro und sein Archiv ein.

Am Wasser (der weißen Elster) befand sich eine Grotte und eine Bootsanlegestelle. Über eine Geheimtreppe konnte Mothes, von seiner Frau unbemerkt, aus seinem Arbeitszimmer in den Weinkeller im Haus gelangen. Mothes’s Schwager, der Schulbuchverleger Otto Friedrich Dürr, der eine berühmte Schillersammlung besaß, wohnte ebenfalls im Haus. In der DDR befand sich hier die Fachschule für Museologie, heute wird das Haus von einer Rechtsanwaltspraxis genutzt.

Einen besonders schönen Blick auf die Rückseite des Gebäudes hat man von der Heiligen Brücke, die hier über den Elstermühlgraben führt.

In den etwas weniger vornehmen Seitenstraßen des Bachviertels lebten der sozialdemokratische Politiker August Bebel (Hauptmannstraße 5) und eine junge Lehrerin namens Clara Eißner, die spätere Frauenrechtlerin Clara Zetkin (Moschelesstraße 10). An dieser Stelle sollte man daran erinnern, dass sowohl die Sozialdemokratie als auch die Frauenbewegung ihre Ursprünge in Leipzig hatten.

In der an das Bachviertel angrenzenden Westvorstadt befanden sich am heutigen Nikischplatz zwei bemerkenswerte Bauten, das von Fritz Drechsler entworfene Künstlerhaus im Jugendstil und das sogenannte Märchenhaus an der Ecke zur Thomasiusstraße.

Hier wohnte der berühmte Gewandhauskapellmeister Arthur Nikisch viele Jahre. Leider sind beide Gebäude im zweiten Weltkrieg zerstört worden.

9. Waldstraßenviertel

Als Freilichtmuseum des Historismus wird oft das Waldstraßenviertel bezeichnet, früher nannte man es wegen seiner zahlreichen jüdischen Bewohner auch „Neu-Jerusalem“.

In diesem Stadteil sind ganze Straßenzüge im reinsten Stil der italienischen Renaissance gehalten (Hinrichsenstraße, Leibnizstraße). Weiter nördlich finden sich Wohnhäuser in einem Stilmix aus Historismus und Jugendstil, wie er für Leipzig typisch war. Einige Bauten sind von dem Architekten Paul Möbius im Jugendstil errichtet worden. Er verschmolz monumentale Tendenzen aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg mit floralen Ornamenten, wie man am Gebäude Tschaikowskistraße 31 sehen kann. Unweit davon befindet sich die nur einseitig bebaute Liviastraße. Hier sollte man die großbürgerliche Liviastr. Nr. 6, erbaut von Emil Franz Hänsel (1870-1943), erwähnen. In diesem Bau verwendete der Architekt Formenzitate aus dem Empire und verschmolz diese mit Elementen des Jugendstils. In dem Haus lebten u.a. Mitglieder der Verlegerfamilie Weber, die die „Illustrirte Zeitung“ in Leipzig herausbrachten.

Die von Raymund Brachmann gestaltete Villa Haunstein, Liviastraße 8, folgt dagegen englischen Vorbildern und mutet wie eine kleine Burg an. Im Inneren finden sich Wandmalereien aus der Sage von König Rother. Ansonsten besitzt das Haus reichen Fassadenschmuck. An der Vorderseite sieht man Porträtreliefs des Bauherrn mit seiner jungen Frau zur Zeit der Eheschließung, worauf Rosen und Ringe anspielen. Auch im Waldstraßenviertel lebten zahlreiche Berühmtheiten, wie der Philosoph Friedrich Nietzsche als Student oder die Dichterin Claire Goll, als ihr damaliger Ehemann Heinrich Studer in Leipzig studierte.

10. Villenvorort Leutzsch

Am nördlichen Rand des Auewaldes entstand um 1900 ein Villenviertel, in dem sich Industrielle, Bankiers, Rauchwarenhändler, Künstler, Professoren und andere Persönlichkeiten ihren Traum vom Wohnen im Grünen erfüllten. In diesem Vorort, damals die zweitreichste Gemeinde in Sachsen, begann bereits 1911 die öffentliche Stromversorgung. Der Vorort zählte damit zu den technisch am weitesten entwickelten Ortschaften Deutschlands. Davon zeugt heute noch ein wieder restauriertes Trafohäuschen im Jugendstil, das 1910 von dem Ortsbauinspektor Paul Rudert entworfen wurde.

Der Architekt Paul Möbius errichtete in Leutzsch vier sehenswerte Villen im Jugendstil. Unter ihnen zieht die Villa Buchheim, Am langen Feld 7, mit ihrem Schwanenfenster im Salon besondere Aufmerksamkeit auf sich. Die Villa wurde 1901/02 für den Internisten Paul Buchheim erbaut. Die äußere Gestaltung mit holzverkleideter Fassade und Treppenturm entsprach den Wünschen des Bauherrn.

Weitere Möbius-Villen in Leutzsch finden sich in der Laurentiusstraße 1 (Villa Queck), Rathenaustraße (Villa Loose) und in der Paul-Michael-Straße 6 (Villa Görke). Die 1903/04 für einen Rüschenfabrikanten Villa Görke gelangte 1926 in den Besitz des Buchhändlers Paul Räth. Räth war Inhaber einer Lehrmittel-Werkstätte und einer Erdglobenfabrik.

Die monumental wirkende, zweigeschossige Villa gilt als eines der schönsten Zeugnisse des Leipziger Jugendstils. Die für Möbius‘ Bauten charakteristische Formensprache kommt hier besonders gut zur Geltung. Die Holzpaneele, Türen, Bleiverglasungen, Stuckdecken und Beschläge im Innern greifen die Jugendstil-Ornamentik der Fassade auf.

Als Schlußpunkt unseres Rundgangs sollte man noch die Villa Mädler erwähnen. Der Kofferfabrikant ließ sich 1904von dem Architekten Julius Zeißig ein schloßähnliches Gebäude mit Jugendstil- und Renaissanceelementen errichten. Das Gebäude ist nach verschiedenen Nutzungen heute wieder ein Wohnhaus. Von einer jungen Unternehmerfamilie wurde es zu einem kulturellen Zentrum umgestaltet, in dem Ausstellungen, Lesungen, Konzerte, Feste stattfinden.

Unsere Gastautorin Sabine Knopf haben wir bereits in im Artikel „Leipzig – einst Buch- und Verlagsmetropole von Weltrang“ vorgestellt, dort erzählt die Autorin und profunde Leipzig-Expertin die Geschichte der Buchstadt Leipzig. Sie hat bereits mehrere Bücher zur Geschichte von Leipzig geschrieben – schön, dass sie die Zeit fand, uns Leipzig als Stadt der Belle Époque vorzustellen.

Weitere Links

Für alle Interessierten wird im Artikel „Königreich Sachsen – vom Prunkstaat zur Industriehochburg“ die Entwicklung von Sachsen erzählt.

Hier die Links zu weiteren Artikeln rund um Städte der Belle Époque:

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  • Alexander
    Antworten

    Danke für diesen Artikel. Es war eine Freude beim lesen. Und dann die Bilder… Herrlich!

    • Grete Otto
      Antworten

      Vielen Dank für das nette Feedback, gebe ich gerne an unsere Gastautorin Sabine Knopf weiter!

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