Das alte Wiesbaden in Farbe

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Ein Gastbeitrag von Henning Jost

Schon den alten Römern waren die heißen Quellen des späteren Wiesbaden bekannt. Die Siedlung (Aquae Mattiacorum), die in der Nähe der Quellen entstand, dürfte bereits im ersten Jahrhundert nach Christus entstanden sein. Den Namen Wisibada (das Bad in den Wiesen) erwähnte Einhard, der Biograf Karls des Großen, um 828/830 erstmals, es ist die früheste Überlieferung des Namens Wiesbaden.

Der Kochbrunnen wurde 1366 erstmals erwähnt. Im 19. Jahrhundert wurde er zum Zentrum der Wiesbadener Trinkkur. Mit einer Temperatur von 66 Grad ist die Natriumchlorid-Therme bis heute die bekannteste Quelle der Stadt. 1806 wurde Wiesbaden Hauptstadt des neugegründeten Herzogtums Nassau.

Im Deutschen Krieg 1866 zwischen Preußen und Österreich und ihren Verbündeten stand Nassau an der Seite Österreichs. Das siegreiche Preußen annektierte Nassau, wodurch Wiesbaden in der Folge den Status als Landeshauptstadt verlor.

1867 wurde der Regierungsbezirk Wiesbaden gebildet, und Wiesbaden wurde Sitz des Mainkreises, später nach dessen Teilung Sitz des Landkreises Wiesbaden, blieb selbst aber kreisfreie Stadt.

Unter der preußischen Herrschaft wurde Wiesbaden als Kurbad und Verwaltungssitz weiter ausgebaut. Wiesbaden wurde zur „Weltkurstadt“ und als Nizza des Nordens bezeichnet. Es ist nicht übertrieben, wenn man von dem Wiesbaden zwischen den Jahren 1870 und 1914 als dem Kurort des Kontinents spricht. Es war mondäner als Nizza oder Monte Carlo und stand in seiner Bedeutung weit über Baden-Baden oder Karlsbad. Kaiser Wilhelm II. besuchte Wiesbaden regelmäßig zur Sommerfrische. Auf dem Kochbrunnenplatz der Stadt wurde 1887/88 eine neue Trinkkuranlage errichtet; um den Platz selbst entstanden zahlreiche Hotels. Hatte Wiesbaden im Jahre 1883 noch rund 80 000 Kurgäste, stieg die Zahl zehn Jahre später auf rund 100 000 Besucher. Bis zum Jahre 1914, dem Höhepunkt der Entwicklung, verdoppelte sich die Zahl noch einmal.

Mit der beginnenden Industrialisierung und der Intensivierung des Kurbetriebes setzte auch in Wiesbaden ein starkes Bevölkerungswachstum ein, was innerhalb von 70 Jahren praktisch zu einer Verzehnfachung der Einwohnerzahl führte (1840: ca. 12 000 Einwohner, 1910 ca. 110 000 Einwohner).

Umfangreiche Stadterweiterungen wurden notwendig. Aber auch das Bild der Innenstadt wandelte sich infolge des Aufschwunges sehr stark. Praktisch die gesamte ältere Bausubstanz –sofern sie nicht schon im Zeitalter des Klassizismus abgerissen worden war – wurde durch Neubauten ersetzt. Selbst die noch keine hundert Jahre alten Bauten des Klassizismus, wie zum Beispiel das Alte Kurhaus von Christian Zais, mussten größeren und prächtigeren Gebäuden weichen.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 kam der Kurbetrieb zum Erliegen. Sämtliche ausländischen Kurgäste wurden aus der Stadt ausgewiesen und in den öffentlichen Gebäuden wurden Lazarette der Armee eingerichtet. Nach der Niederlage fiel Wiesbaden unter die alliierte Rheinlandbesetzung und wurde 1918 von der französischen Armee besetzt. Von diesem Aderlass hat sich Wiesbaden nach dem Ersten Weltkrieg nie mehr erholen können. Die Versuche, den Kurbetrieb wieder in vollem Umfange zu reaktivieren waren in der Zwischenkriegszeit und im beginnenden Dritten Reich nicht von Erfolg gekrönt. Im Folgenden möchten wir einige Bilder zeigen, die uns noch einmal das Wiesbaden der glanzvollen Epoche vor Augen führen.

Was viele nicht wissen: In Wiesbaden sind bereits im Jahre 1904 einige der ersten Farbfotografien in Deutschland entstanden. Der Farbfotopionier Adolf Miethe hatte das Verfahren kurz zuvor der Öffentlichkeit vorgestellt. Hierbei wurde ein Motiv nacheinander auf drei schwarz-weiß Fotoplatten belichtet, vor denen jeweils Farbfilter in rot, grün und blau vorgesetzt wurden. Mit Hilfe eines Schlittens wurden die Platten für die Aufnahmen nacheinander in die Belichtungsebene geschoben. Die Positive wurden hinterher durch Projektion der Filmplatten in den gleichen Filterfarben und Überlagerung hergestellt. Durch die Drei-Farben-Fotografie war so die Fotografie in natürlichen Farben möglich (die hier gezeigte Aufnahme des Kurhauses ist mit dem Miethe-Verfahren abgefertigt worden). Fast gleichzeitig wurde in Frankreich von den Gebrüdern Lumière das Autochrom-Verfahren entwickelt. Das Kornrasterverfahren basierte auf beschichteten Glasplatten, in denen rot-, grün- und blaugefärbte Stärkemehlkörnchen als Lichtfilter fungierten. (als Beispiele für dieses Verfahren werden hier die Bilder des Staatstheaters und des Café Orient gezeigt). Leider war bei beiden Farbfotoverfahren die Erstellung einer Farbaufnahme mit enormem Aufwand verbunden, sodass in der Anfangszeit praktisch nur Aufnahmen professioneller Fotografen zu gewerbsmäßigen Zwecken entstanden. Von Wiesbaden ist hier eine ganze Reihe von Aufnahmen überliefert, die im Wesentlichen zwischen 1908 und 1914 entstanden und seinerzeit als Ansichtskarten erschienen waren.

Erst mit Vorstellung von „Agfacolor Neu“ im November 1936 kam ein Verfahren auf den Markt, das praktikabler in der Handhabung war. Zunehmend entstanden nun farbige Aufnahmen von Hobbyfotografen, aber auch Berufsfotografen nutzten das neue Medium jetzt häufiger (das hier gezeigte Bild der Wilhelmstraße entstand im Agfa-Verfahren). Es ist reizvoll, die Ansichten mit der heutigen Situation zu vergleichen und die Veränderungen zu entdecken.

Das Wiesbadener Kurhaus im Jahre 1927: Aquis Mattiacis ist der lateinische Name, den eine römische Legion der Stadt Wiesbaden auf Grund ihrer warmen Quellen gab. Stolz prangt er bis heute am Portikus des 1907 eingeweihten neuen Kurhauses.

Bilder ins Innere des neuen Kurhauses

Der klassizistische Vorgängerbau war 1904 abgerissen worden, um für den Neubau nach Plänen des Architekten Friedrich von Thiersch Platz zu machen, der im darauffolgenden Jahr begann. Kaiser Wilhelm II., der regelmäßig jeden Mai nach Wiesbaden zu Besuch kam, nannte es bei seiner Eröffnung „das schönste Kurhaus der Welt“.

Die Wilhelmstraße im Jahre 1939 ab Wilhelmstraße 30 (ganz links) gesehen. Das Gebäude wurde 1907/08 erbaut, es folgt Wilhelmstraße 32. In dem üppig dekorierten, neobarocken Bau mit Jugendstilelementen befand sich das Hotel Bellevue. Die folgende Wilhelmstraße 34 wurde 1871/72 als Hotel Spehner errichtet (später Hotel Bristol).

Das Staatstheater im Jahre 1913: Ab 1892 erbaut, war der wilhelminische Prachtbau am 16. Oktober 1894 im Beisein von Kaiser Wilhelm II. eröffnet worden. Die Dachgestaltung zeigt sich heute leider sehr vereinfacht, da es nach einem Brand 1923 mit einem reduzierten Kuppelbau wiedererrichtet wurde. Das Schillerdenkmal vor dem Theater wurde 1905, zum 100. Todestag des Dichters, aufgestellt. Geschaffen wurde es von dem Bildhauer Joseph Uphues.

Der Kaiser-Friedrich-Platz im Jahre 1927. Links das nach Plänen von Christian Zais 1818 errichtete Hotel und Badehaus Zu den Vier Jahreszeiten, im 19. Jahrhundert das erste Haus am Platze. Der schöne klassizistische Bau wurde 1945 zerstört und nicht wiederaufgebaut. Rechts das Hotel Nassauer Hof, welches bereits 1819 von der Familie Goetz gegründet wurde. Nach mehreren Erweiterungen und Umbauten erhielt er 1898 die hier sichtbare Form. 1945 teilzerstört, ist der äußere Eindruck des Nobelhotels heute durch die modernen Dachaufbauten sehr beeinträchtigt.

Das Portal der in den Jahren 1887/88 erbauten Trinkkuranlagen am Kochbrunnenplatz im Jahre 1927. Der Kochbrunnen ist die heißeste und bekannteste Thermalquelle der Stadt. Die Wandel- und Trinkhallenanlage nach Plänen von Wilhelm Bogler ersetzte bereits eine gusseiserne Vorgängeranlage. Die schöne Anlage überstand zwar das Bombardement, wurde aber in den Folgejahren vernachlässigt. So kam es 1955 zu dem fatalen Entschluss, die Anlage zu beseitigen. Die Abbrucharbeiten begannen im Juli des gleichen Jahres und wurden von Bevölkerung und Presse damals weitgehend begrüßt.

Der Schlossplatz im Jahre 1913. Links angeschnitten das Schloss, gefolgt vom Lyzeum, ganz rechts das Rathaus. Im Mittelpunkt der Aufnahme ist die Marktkirche zu sehen. Der neugotische Bau nach Plänen von Karl Boos wurde von 1852 bis 1862 errichtet und ersetzte die 1850 abgebrannte Mauritiuskirche. Das Lyzeum, 1901 als Höhere Töchterschule von Felix Genzmer entworfen, beherbergte 950 Schülerinnen. Im Februar 1945 wurde das Gebäude durch einen Volltreffer total vernichtet, der Platz ist bis heute nicht wieder bebaut. Nicht viel besser erging es 1945 der prachtvollen Neorenaissancefassade des Neuen Rathauses. Das von 1884 bis 1887 nach Plänen von Johann Georg Hauberrisser erbaute Gebäude wurde insbesondere an der Hauptfassade schwer beschädigt und präsentiert sich daher heute mit neuer, stark vereinfachter Fassadengestaltung. Die Wiederherstellung wurde -besonders in den 1980er Jahren- immer wieder einmal diskutiert.

Blick über den Neuen Marktplatz, 1900 bis 1902 von Felix Genzmer angelegt, zur Rückfront des Neuen Rathauses und zur Marktkirche, dazwischen lugt das Kavaliershaus hervor. Der Säulenbrunnen im neobarocken Stil im Vordergrund diente als Entlüftungsschacht des unter dem Platz angelegten Marktkellers.

Das Café Orient wurde 1899 im Auftrag von Alfred Georgi, dem ehemaligen Hofkoch von Wilhelm II., Unter den Eichen errichtet und zum Kaisergeburtstag am 27. Januar 1900 eingeweiht. Die frühe Farbaufnahme ist um 1908 entstanden. Die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte des beliebten Ausflugszieles der Oberschicht verlief durchaus wechselvoll. 1964 wurde das schöne, im maurischen Stil erbaute Gebäude abgebrochen und durch ein Wohnhochhaus ersetzt. In den letzten Jahren gab es immer mal wieder Vorschläge das interessante Gebäude an anderer Stelle wieder aufzubauen, die aber nicht weiter verfolgt wurden.

Der Wiesbadener Kurpark wurde bereits 1816 durch eine Kastanienallee mit der beliebten Ausflugsgaststätte Dietenmühle verbunden. In den 1860er-Jahren wurde sie in ein Sanatorium (Kaltwasserheilanstalt) umgewandelt. Die schöne Farbaufnahme ist um 1908 erstanden.

Der Neroberg, 245 Meter hoch, ist Wiesbadens Hausberg und bis heute ein beliebtes Naherholungsziel. Eigentlich hieß er Ersberg, der Name Neroberg wurde erst im 19. Jahrhundert als Anspielung auf Wiesbadens römische Vergangenheit erfunden. Auf dieser Farbaufnahme des Jahres 1913 sehen wir im Hintergrund links das Neroberghotel, rechts die Griechische Kapelle. Zur Orientierung: Die von links gesehen zweite Villa ist die Weinbergstraße 13. Das 1902/03 erbaute Gebäude ist bis heute unverändert erhalten.

Über den Autor

Henning Jost, Jahrgang 1977, ist begeisterter Sammler früher Fotografien und Ansichtskarten von deutschen Städten und Regionen. Er beschäftigt sich mit deren Geschichte und erweckt in seinen Bildbänden anhand der farbigen Bilddokumente die alten Stadt- und Ortsansichten wieder zum Leben.

 

 

 

Nachdem seit 2001 und in den Folgejahren zunächst drei Bände über seine Heimatgemeinde Dreieich erschienen waren, folgten seitdem 15 überregionale Bildbände – einer davon zu Wiesbaden.

Als weitere Artikel in der Reihe „Städte der Belle Époque“ sind „Bauten der Belle Époque in Leipzig“ sowie „Geschichten aus dem Cafe des Westens“ (Berlin) erschienen.

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