Die Paulskirche – wie eine Frankfurter Kirche zur „Wiege der Demokratie“ wurde
Ein Gastartikel von Annette Evans
Demokratie sehe ich als einen reißenden Fluss, ständig in Bewegung, unstetig, gefährliche Strömungen und unsichtbare Gefahren bergend, aber auch als einen glitzernden Strom, der Freiheit und Frieden vereint, Menschen verbindet, so bunt in ihren Sprachen und Kulturen.
Geschichte und Bau
2023 feiern wir 175 Jahre Deutsche Nationalversammlung in Frankfurt. Das erste 1848 freigewählte Parlament Deutschlands tagte in der Paulskirche in Frankfurt am Main von 1848-1849. Doch was verbirgt sich dahinter? Ein kurzer geschichtlicher Abriss…
An der Stelle der heutigen Paulskirche stand ab Mitte des 13. Jahrhunderts bis zum Abriss 1782 die Barfüßerkirche mit Kloster.
Interessantes Detail: Hier initiierte der städtische Musikdirektor Georg Philipp Telemann 1716 das erste öffentliche Konzert Deutschlands: Mit dem Kauf eines Tickets (hier noch Erwerb eines Textbuchs) konnten die Frankfurter Bürger:innen seiner „Brockes-Passion“ lauschen.
Nach langen Planungen, unruhigen Zeiten durch die Französische Revolution, einer europäischen Neuordnung und auch noch dem Geldmangel in der Stadtkasse geschuldet, wurde die Paulskirche endlich nach einer Bauzeit von gut 40 Jahren als evangelische Hauptkirche im Stil des Klassizismus in Frankfurt 1833 eingeweiht. Die wichtigsten Bauherren waren der ehrgeizige Stadtbaumeister Johann Georg Christian Hess; sein Sohn, Johann Friedrich Christian Hess beendete das sakrale Monument. Im farbenprächtigen Mainsandstein erbaut, bot die Kirche circa 2000 Gläubigen Platz.
Frankfurt als „Heimliche Hauptstadt“
Die Stadt Frankfurt war seit dem Wiener Kongress 1815 eine freie Stadt und wurde Sitz des Deutschen Bundes, ein loser Bund von 35 Fürstenstaaten und vier freien Städten. Somit wurde Frankfurt eine heimliche Hauptstadt. Hier trafen sich die Fürsten der 39 Staaten regelmäßig im luxurösen Palais Thurn & Taxis. Das Sagen hatten die Großmächte Preußen und Österreich unter Vorsitz des Fürsten von Metternich. Unter seiner Fuchtel wurden jedoch jegliche Bestrebungen der Deutschen nach einer nationalen Einheit und Menschenrechten rigoros und brutal bekämpft. Bespitzelung, Verfolgung, aber auch Hungersnöte und Ernteausfälle bestimmten die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Deutschen flohen in Scharen in die Schweiz und nach Amerika.
Vormärz – wichtige Ereignisse
Drei wichtige Ereignisse des sogenannten „Vormärz“ möchte ich nur kurz erwähnen:
Das von der Urburschenschaft auf der Wartburg organisierte „Wartburgfest“ 1817 mit circa 500 Studenten. Hier wurden zum ersten Mal schwarz-rot-goldene Fahnen geschwenkt. Wichtige Forderungen waren ein gesamtdeutschen Nationalstaat, eine einheitliche Verfassung und Menschenrechte. Diese Forderungen werden im Laufe der nächsten Jahrzehnte immer lauter.
1832 kam es auf dem Hambacher Schloss zur damals größten politischen Massenveranstaltung mit circa 30.000 Frauen und Männern aus Deutschland, aber auch aus Polen und Frankreich – in der Tat ein europäisches Volksfest.
Nicht zu vergessen, der Frankfurter Wachensturm 1833. Dies war eine politische Aktion, die zum Ziel hatte, politische Gefangene aus der Hauptwache und der Konstabler Wache zu befreien und die Republik im nahegelegenen Palais Thurn & Taxis auszurufen. Dieser Versuch misslang, war aber ebenfalls richtungsweisend für die weiteren Ereignisse, auch in Bezug auf die Märzrevolution von 1848…
Die Schicksalsjahre 1848/1849
Mal wieder brachte ein Ereignis in Paris im Februar 1848 Unruhe ins politische Geschehen: Das französische Bürgertum stürzte den König Louis Philippe – die zweite Republik wurde ausgerufen. Dies brachte das Fass zum Überlaufen: Eine Welle von Revolutionen erfasste Europa! In Deutschland bewilligten unter Druck die Mehrheit der Fürsten in Abstimmung mit dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV eine Einberufung einer deutschen Nationalversammlung; in Frankfurt hob der Bundestag die Pressezensur auf.
Vom 31. März bis 3. April 1848 erarbeitete das Vorparlament in der Paulskirche den Ablauf einer Wahl. Die Paulsgemeinde zögerte nicht und übergab den Abgeordneten ihr Gotteshaus – auf dass das erste freigewählten Parlament hier eine Verfassung für das deutsche Volk erarbeitete!
Philipp Veits Gemälde „Germania“ verdeckte die Orgel, eine Zwischendecke für eine bessere Akustik wurde eingezogen – die Arbeit konnte beginnen!
Die Paulskirche – Tagungsort des ersten Parlaments
Am 18. Mai 1848 zogen die ersten 348 von insgesamt 585 Abgeordneten unter Kanonendonner und Glockengeläut feierlich in die Paulskirche ein. Die verschiedenen politischen Strömungen nannten sich schon bald nach den Orten, in denen sie sich nach den Verhandlungen trafen – (z.B. die Linke im „Deutschen Hof“ -heute Fressgasse, die Konservativen im „Café Milani“ – Rossmarkt)
Am Rednerpult hielt Präsident Heinrich von Gagern (rechtsliberale Casino-Fraktion) die Eröffnungsrede…Vor ihm linkerhand nahmen die „Linken“ Platz. Sie forderten eine Republik und wollten die monarchische Staatsform abschaffen.
Die Plätze rechts außen gehörten den äußerst Konservativen. Sie plädierten für weniger einschneidende Veränderungen, darunter auch zwei Fürsten.
Zwischen den beiden extremen Blöcken saßen die Abgehordneten der Mitte, die „Constitutionellen“. Der uns bekannte Germanist Jakob Grimm, der Dichter Ernst Moritz Arndt und Heinrich von Gagern gehörten zum Beispiel der rechtsliberalen Fraktion an. Es war eine bürgerliche Versammlung, rund 75% waren Akademiker.
Und wo finden wir diese Sitzordnung heute wieder? Im Bundestag in Berlin….
Frauenpower
Weibliche Abgeordnete oder Rednerinnen fehlten, sie erhielten 1848 noch kein Wahlrecht (Frauen dürfen seit 1919 in Deutschland wählen). Allerdings waren die „tickets“ für die mit 200 Plätzen reservierte Frauenloge immer ausverkauft. Sie unterstützten die Diskurse durch lautstarke Rufe, schwenkten ihre Tücher und Hüte. Nicht selten übernahmen die Ehefrauen von Abgeordneten eine Beraterfunktion, unterstützten Flüchtlinge im Ausland oder kämpften – oft als Männer verkleidet – an der Seite ihrer Gatten in der Revolution. Die Gründerin der deutsche Frauenbewegung Louise Otto-Peters war offiziell eine der wenigen weiblichen Journalistinnen, die täglich über die lebhaften Debatten in der Paulskirche berichtete. Sie gab 1848 die erste „Frauen-Zeitung“ heraus. Es wird geschätzt, dass es 1849 etwa 1700 Zeitungen gab; aber vor allem Karikaturen (siehe Bild „Professorenparlaments“) stellten diese spannende Zeit kritisch dar. Eine große Bewunderin des Präsidenten Heinrich von Gagerns war Clotilde Koch-Gontard. Sie hielt in ihrem Haus am Hirschgraben einen politischen Salon, wo sich die liberale Bewegung traf. Für sie war Clotilde die sogenannte „Parlamentsmutter“.
Das Ziel eint
Obgleich die verschiedenen Fraktionen über die unterschiedlichsten Möglichkeiten eines geeinten Deutschlands diskutierten, und als „Professorenparlament“ Gefahr liefen, den Kontakt zum Volk zu verlieren, hatten alle ein Ziel: Eine einheitliche Verfassung für das deutsche Volk zu erarbeiten.
In den Septemberunruhen 1848 zeigte sich aber auch die Schwäche des Paulskirchenparlaments, es verfügte über kein Militär und war sich in vielen Fragen uneinig, Preußen hatte letztendlich das Sagen.
Verdienste des Parlaments aus heutiger Sicht
Das deutsche Volk hatte bereits im Vormärz Menschenrechte sowie eine Verfassung für das deutsche Volk gefordert. Obwohl alle Versuche niedergeschlagen wurden (Pressezensur, Berufsverbote, Überwachung von Universitäten) verloren die Menschen nicht den Mut.
Dieser lange steinige Weg führte zu den ersten freien Wahlen; das frei gewählte Parlament konnte seine Arbeit aufnehmen und am 28. März 1849 wurde schließlich die Reichsverfassung vollendet, enthalten auch das Wahlrecht.
Trotz Scheitern ein Vorbild für spätere Zeiten
Die Mehrheit des Parlaments plädierte für eine konstitutionelle Monarchie mit dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. an der Spitze. Dieser sehr konservative Monarch lehnte jedoch im April 1849 die ihm angetragene Krone und somit die Verfassung ab.
Zitat: „Von Gottes Gnaden habe ich diese Krone, und wehe dem, der daran tastet.“
Das Paulskirchenparlament wurde alsbald aufgelöst, Preußen hatte die Vorherrschaft und ab 1852 war die Paulkirche wieder ein Gotteshaus bis zu ihrer Zerstörung im März 1944.
Wichtig für uns ist die Tatsache, dass diese Verfassung Vorbild für den Gesetzesentwurf von 1919 wurde und für unser Grundgesetz 1949. Sie bildet somit den Grundstein unserer heutigen Demokratie. Mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 und der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 wurde auf friedlichem Weg das Ziel der Abgeordneten, ein geeintes Deutschland zu schaffen, Wirklichkeit. Das ist Grund zum Feiern!
Die Paulskirche nach 1948 – Ein Haus für alle
Seit dem Wiederaufbau in schlichtem Gewand ist die Paulkirche eine nationale Gedenkstätte, ihre Türen stehen allen offen. Seit 1949 finden hier Preisverleihungen statt (z.B. Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Goethepreis…), aber sie ist auch ein idealer Ort für die lebendige Debatte. Anschauliche digitale Tafeln im Untergeschoss erklären mit reichlich Bildmaterial die Geschichte der Paulskirche bis in die Gegenwart. Seit 1991 schmückt ein zeitgenössisches 14-teiliges Kunstwerk von Johannes Grützke die Wandelhalle. Er gestaltete „Den Zug der Volksvertreter zur Paulskirche“ zwischen 1988-1991. Es lohnt sich, dieses Kunstwerk zu entdecken!
Über die Autorin:
Annette Evans kennt sich mit Geschichte bestens aus, insbesondere der Historie der Stadt Frankfurt! Als diplomierte Gästeführerin bringt sie Frankfurts Besuchern die Geschichte der Stadt nahe. In diesem Tipp stellen wir sie vor und auch den Link zu ihrer Webseite – dort kann man ihre Frankfurt-Führungen zu verschiedenen Themen buchen.