Ein Blick ins Land – Großherzogtum Baden II

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Die Geschichte des Großherzogtum Baden ist spannend, in diesem Artikel  habe ich sie erzählt.
Fast noch spannender ist aber: Wie war eigentlich das Leben im Land? Was unterschied den Schwarzwälder vom Odenwälder, mit welchen Tätigkeiten verdienten die Bewohner ihr Geld und wie sah es in den größten Städten Badens Anfang des 20. Jahrhunderts, zur Kaiserzeit aus? Davon will ich im folgenden berichten. Hilfreich waren hier vor allem Originalquellen – d. h. Bücher und Bilder aus dieser Zeit.

Für alle lokal Interessierten habe ich die beschriebenen Gegenden und Städte noch einmal extra verlinkt:

Der Schwarzwald (und der Hotzenwald)
Der Odenwald und das fränkische Bergland

Die Städte:
Karlsruhe
Mannheim
Freiburg
Pforzheim
Konstanz
Baden-Baden (damals Baden)
Heidelberg

Am meisten würde mich aber freuen, Ihr lest einfach den ganzen Artikel 🙂

Der Schwarzwald
Der Schwarzwälder an sich wohnt ländlich im Schwarzwaldhaus, trägt Tracht, produziert Kuckucksuhren (mit) und ißt sonntags, richtig, Schwarzwälder Kirschtorte. So weit das Klischee heute, auch was das „Früher“ angeht.
Die „Landeskunde des Großherzogtums Baden“ von 1904 erzählt folgendes:

Über die Besiedlungsdichte:
„ Die Volksdichte ist im Schwarzwald naturgemäß eine geringe; in den Ämtern von St. Blasien mit 37,8, Bonndorf mit 40,9 und Neustadt mit 43,4 Personen auf 1km2 die geringste in Baden.“

Der Grund für die geringe Besiedlung wird auch gleich mitgeliefert:

„Übrigens hat der praktische Verstand des alemannischen Bauern von selbst einer Übervölkerung vorgebeugt. Denn in den meisten Gebieten, in denen wegen geringer Ertragsfähigkeit des Bodens zur Ernährung einer Familie schon eine große Bodenfläche erforderlich ist, hat er die Unteilbarkeit der Hofgüter eingeführt, und die Regierung hat sie mit Recht sanktioniert (in diesem Zusammenhang: dem stattgegeben). Danach tritt der jüngste Sohn oder in Ermangelung von Söhnen die älteste Tochter als Erbe in das ungeteilte Gut ein. Die Geschwister werden zu Tagelöhnern des Hofbauern oder lassen sich außerhalb der Heimatgemeinde nieder; ein Umstand der den wesentlichen Anstoß zur Schwarzwälder Hausindustrie und dem Schwarzwälder Handel gegeben hat, dazu die Entstehung eines ländlichen Proletariats verhindert hat.“

Nur in einigen Gegenden, wie z.B. dem Hotzenwald, auf den wir später noch zu sprechen kommen,  wurde der Boden unter den Kindern geteilt.

Über das Schwarzwaldhaus:

Der Waldreichtum des Schwarzwaldes lieferte den Bauenden das Holzmaterial von selbst in die Hand. Und wenn es im Gneis- und Granitgebiete an Kalk und Lehm fehlt, nützen dem Bauer die Steine nichts, er muß doch aus Holz bauen. Wo aber acht bis neun Monate Winter herrscht und der Schnee den Verkehr mit weiter Wohnenden abschneidet, da hält der Schwarzwälder sein Hab und Gut unter einem Dache zusammen. Vom Wohnraume her muß er zum Vieh und zur Scheuer können. Daher gedeckte Gänge und Holzgalerien unter dem schützendem vorspringenden Dache, die von Raum zu Raum den Verkehr innerhalb des Hauses vermitteln. Daher der hohe mächtige Aufbau; unten im Erdgeschoß, das auf Stein ruht, die Stallungen für das Vieh, an der Hausseite der Aufstieg in das obere Stockwerk, in den breiten Flur mit der Küche und den Kammern, nach vorne mit der holzgetäfelten Wohnstube: in dieser der mächtige Kachelofen, den die behagliche Ofenbank umgibt; in dieser der Herrgottswinkel: zwischen seinen freundlichen Fenstern mit den zahlreichen kleinen Scheiben hängt in der Wandecke das blumengeschmückte Kruzifix; darunter zieht sich an der Wand die Holzbank; davor steht der große Tisch, darum die holzgeschnitzten Stühle. An die Kammern grenzt nach der Hinterseite des Hauses der riesige Scheunenraum. Der Schwarzwälder baut sein Haus nicht bloß, um es gegen die Wetterseite zu schützen, an eine Berglehne; er will auch von außen mit dem Heuwagen hereinfahren in den Vorratsraum, der hinter und über den Wohnräumen liegt. So bildet das Haus eine abgeschlossene Welt für sich, zu der wohl noch ein Backhaus und eine Sägemühle, öfter eine kleine Kapelle gehört. Und vor dem Hause steht der sprudelnde Brunnen. Das Haus nimmt aber auch die Verwandten des Bauern auf und das ganze Arbeitspersonal des Gehöftes. Wenn nicht im Freien gearbeitet werden kann, wird im Hause hergestellt, was man an Kleidern und Nahrung bedarf.

Die idyllische Beschreibung erklärt sehr gut die praktische Bewandtnis der Schwarzwaldhäuser. Sie wurden natürlich nicht so konstruiert, weil es gut in die Landschaft passte und schön aussah.

Und wovon lebte man im Schwarzwald?

Zum einen von der Landwirtschaft, dazu heißt es:
Der Feldbau kann nur unbedeutend sein. Der Sommer ist zu kurz und bringt die Früchte nicht zur Reife. Der Getreidebau macht gegenwärtige im nördlichen und mittleren Schwarzwald nur 18,6% der landwirtschaftlichen Fläche aus, im südlichen etwas mehr. Das wenige Ackerfeld muß auch für Futter für das Vieh tragen. Viehzucht, Wald- und Weidewirtschaft nähren den Bewohner; in geschützten Lagen auch Obstbau, dazu das Sammeln von Waldbeeren.

Der Anteil von Wald betrug im gesamten Schwarzwaldgebiet fast 50%, Angebaut wurden Hafer, Winterspelz (Dinkelsorte) und Roggen, dazu „von Handelsgewächsen im mittleren und südlichen Schwarzwald etwas Hopfen, Zichorie (Wegwarte – war Kaffeeersatz) und Zuckerrüben gebaut.“

Zum anderen von Industrien:
Am wesentlichsten ist die Verwertung des Holzreichtums. Es dient zur Heizung des Glasfeuers und wird zu Cellulose verarbeitet; Kohlenbrennen, Harzreißen (Harzgewinnung), Kienrußbrennen (Kohlenstoff, wurde zur Herstellung verschiedener Produkte benötigt, z.B. Druckerschwärze) und Zunderbereitung, Pech- und Pottaschesieden, Herstellung von Kolophonium (aus Baumharz gewonnenes Produkt, wurde z.B. zur Herstellung von Bogenharz und Lacken verwendet) und Terpentinöl bringen Verdienst.

Das Flößen ist stark im Abnehmen: die schönen Stämme werden in den Sägemühlen zugeschnitten. Hier wandte man sich der Anfertigung von groben Holzwaren, wie Kübeln und Schachteln zu, dort entwickelte sich die Bürstenmacherei. Aber das der winterlichen Abgeschiedenheit zuzuschreibende „grübelnde Wesen“ des Schwarzwälders verfiel auch noch auf eine feinere Ausnützung des Waldproduktes, auf die Uhrmacherei.

Dabei handelte es sich anfangs freilich nur um die Wag- oder Unruhuhren, ganz aus Holz, lediglich aus drei Rädern bestehend und ohne besondere Vorbildwirkung herzustellen.
Das geschnitzte Gehäuse, das Schlagwerk, der Kuckuck und die Wachtel kamen allmählich hinzu. So wurden Ansprüche und Leistungen größer, bis die Uhrenindustrie mit dem Ersetzen des Holzes durch Metall nicht mehr allein abhängig blieb von dem Boden, auf dem sie gewachsen. Von den Schlagwerken der Uhr ging die Anregung zur Herstellung der Spieluhren hervor, dann der Musikwerke.

Aus der Untätigkeit beim Weiden des Viehs mag sich als Nebenbeschäftigung das Strohflechten entwickelt haben.

Also es wurden nicht nur Uhren im Schwarzwald hergestellt, aber die Uhrenindustrie war ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

Trachten:
Und wie sah es mit der Tracht aus? Erstaunlicherweise wurde schon damals (also 1904) ihr Schwinden befürchtet:

In dem Maße, in dem Straßen und Eisenbahnen das Gebirge von allen Seiten erschließen, und die Wäldler in den großen Verkehr eintreten, schwindet auch die Eigenart der Sitten und Bräuche: mit diesem die Volkstracht. Ihre Grundbedingung ist die Hausindustrie. Wo der Bauer aufhört, Flachs zu spinnen und zu weben, wo er verkauft und kauft, dringt mit den wohlfeileren Fabrikwaren auch die modische Kleidung ein.

Diese Entwicklung war im 19. Jahrhundert sicher noch nicht weit fortgeschritten – es gab verschiedene Trachten und sie wurden getragen. Und sind bis heute erhalten, wenn sie auch inzwischen eher folkloristischen Charakter haben.

Aus der Monographie „Der Schwarzwald“ von Ludwig Neumann, erschienen 1902, sind übrigens die meisten der schwarz-weiß Fotos. Darin steht zur Tracht:

Noch werden in vielen Gegenden, von den Frauen mehr als den Männern, besonders an Sonn- und Feiertagen, sowie bei festlichen Anlässen, malerische Trachten getragen, deren Herstellung viele Kräfte beschäftigt und deren Erhaltung sich neuerdings rührige Vereine zur Aufgabe machen. Die Volkstrachten sind nicht überall schön, aber in ihrer von Thal zu Thal wechselnden Eigenart erregen sie das Interesse des Beschauers.

Schließlich findet man in der Beschreibung noch ein paar Worte über den Schwarzwälder „an sich“ und seine Religionen:

Alles in allem sind die Schwarzwälder ein gesundes, kernhaftes Volk, das zäh am Erprobten festhält. Vorwiegend sind sie katholisch, wie es sich aus den historischen Verhältnissen ergab. Nur die Baden-Durlachschen und die einst württembergischen Landesteile, wie Schiltach, Hornberg, St. Georgen, sind protestantisch.

Also eigentlich ganz nette Menschen – bis auf die „Hotzenwäldler“! Jetzt komme ich noch mal auf mein Studium im (vormals) badischen Konstanz zurück. Etliche Kommilitonen kamen aus dem Schwarzwald, aber niemand aus dem Hotzenwald. Wenn, dann lebte man „am Rande“ des Hotzenwaldes. Ein mysteriöses Gebiet, dieser Hotzenwald! Der zweifelhaften Ruf des Hotzenwäldlers existierte schon damals, unser Büchlein führt dazu aus:

Die Berggegend zwischen Rhein, Wehra und Schlücht ist das Hauensteinerland oder der Hotzenwald…Bei rauhem Klima, bei lang anhaltendem Winter hat der Hotzenwald nur Wald, Wiese und Weide; das wenige Ackerland muß auch noch das Futter für das Vieh tragen. Die gesamte Wirtschaft beruht auf der Viehzucht; nebenbei auf Verwertung der Heimatprodukte, auf Kohlenbrennen und Salpetersieden, auf Holzarbeiten, aber nur für eignen Bedarf, denn Österreich schloß keine Handelsverbindungen mit seinem Vorderland. Hier hätte das Anerbenrecht (s. oben Vererbung nur an einen Erben) gut getan!
Denn im Bergland ohne Absatzmärkte, im Kampf mit dem unergiebigen Boden und den Folgen der Güterzersplitterung ist der Hotze verbittert, rauflustig und prozeßsüchtig geworden. Ein ungemischt alemannisches Völkchen sind die Bergbauern, wortkarg und wetterfest, besiegt, aber ungebeugt nach unaufhörlichen wiedertäuferischen Lehren. Die alte Tracht aus der Reformationszeit mit Mutschenhemd und Pumphosen schwindet jetzt aber auch, wie die echten „Salpetrer“ im Aussterben sind.

Noch kurz eine Erklärung zu Salpetrer – insbesondere während des 18. Jahrhundert gab es aufständische Bauern aus dem Hotzenwald, die nach ihrem Anführer, dem Salpetersieder Johann Albiez, Salpeterer genannt wurden.
Ich muß die obige negative Darstellung aber relativieren – die Kommilitionen aus den Hotzenwald-Randgebieten waren sehr nett, zwar wetterfest, aber weder rauflustig, wortkarg noch verbittert!

Die Städte

1. Hauptstadt Karlsruhe – die Reißbrett-Residenz
Mit 134.000 Einwohnern war die Hauptstadt von Baden neben Mannheim einer der beiden Großstädte in Baden. Über die Entstehung von Karlsruhe hatten wir schon im Geschichtsteil berichtet. Als auf dem Reißbrett geplante Stadt war sie fächerförmig angelegt – mit dem Schloß im Zentrum. Als Residenzstadt war Karlsruhe Sitz der Regierung „mit zahlreichen Staats- und Hofbehörden“ und gleichzeitig Hauptwohnsitz der großherzoglichen Familie. Die Industrie prosperierte auch hier:

Die Industrie ist sehr lebhaft. K. hat eine Munitions- und Waffenfabrik, eine Maschinenbaugesellschaft, Nähmaschinen-, Zementwaren-, Glacéleder-, Zigarren, Silberwaren-, Werkzeugmaschinen-, Parfümerie-, Seifen-, Tapeten-, Kartoffelmehl-, Wagen- und Möbelfabriken, Erz- und Eisengießerei, Steinsägerei und -Schleiferei, Färberei, eine Gesellschaft für elektrische Industrie, Stein- und Buchdruckerei, Dampfroßhaarspinnerei, große Bierbrauereien, eine Münzstätte (Münzzeichen G) etc.

Wozu das in der Dampfroßhaarspinnerei gesponnene Roßhaar verwendet wurde? Als Polster- und Matratzenfüllung.

Auch in der Landeskunde von 1911 heißt es: „Karlsruhe ist in neuerer Zeit mächtig aufgeblüht“. Als Grund wird die günstige Verkehrslage genannt: „Dazu trägt bei der große Rheinhafen unfern von Maxau, besonders aber der Umstand, daß Karlsruhe es seit der Eisenbahnzeit verstanden hat, Kreuzungspunkt zahlreicher wichtiger Hauptverkehrslinien zu werden, sowohl von S. nach N. als von O. nach W.“ Also in alle vier Himmelsrichtungen!

In der damaligen Landeshauptstadt wurde übrigens 1893 das erste deutsche Mädchengymnasium eröffnet. Die ersten Jahre der zunächst aus privaten Mitteln finanzierten Schule waren eine Zitterpartie im doppelten Sinne: Würde sich die Schule finanzieren können und würden die Schülerinnen dann auch wirklich zur Abiturprüfung zugelassen? Sie wurden! Die Schule wurde 1898 der Höheren Mädchenschule angegliedert und damit zur öffentlichen Schule. Die ersten vier Schülerinnen bestanden 1899 ihr Abitur. Das Lessing-Gymnasium existiert übrigens nach wie vor, wenn auch nicht mehr als reines Mädchengymnasium.

Heute ist Karlsruhe zwar nicht mehr Landeshauptstadt, aber nach Stuttgart immer noch die zweitgrößte Stadt von Baden-Württemberg. Als Residenz des Rechts beherbergt die Stadt den Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht.

2. Mannheim (193 000 Einwohner) – größte Stadt und Verkehrsknotenpunkt

„Vor 200 Jahren noch ganz unbedeutend“ hieß es in der Landeskunde, ABER zum Zeitpunkt des Erscheinens 1911 ist die größte badische Stadt laut Neumanns Landeskunde:

mächtig aufgeblüht als Handels- und Verkehrsmittelpunkt:

M. ist der größte Warenumschlagsplatz Süddeutschlands, von dem aus die zu Schiff angekommenen Waren hauptsächlich nach Süddeutschland, der Schweiz und Österreich weitergehen. Handelsartikel sind vorzugsweise: Getreide, Mühlenfabrikate, Wein, Hopfen, Kolonialwaren, Steinkohlen, Eisen und Eisenwaren, Drogen, Holz, Lack, Farben, besonders auch Petroleum. Der Schiffsverkehr wird gefördert durch umfangreiche Hafenanlagen (Staatshafen mit dem großen Mühlauhafenbecken zwischen Neckar und Rhein, städtischer Industriehafen am Altrhein und Rheinauhafen am Rhein, zusammen mit 223 Hektar Flächeninhalt), die mit einem Kostenaufwand von 50 Mill. Mk. erbaut worden sind und als die größten derartigen Anlagen im Binnenlande gelten.

Dabei profitierte Mannheim von seiner günstigen Lage zwischen Rhein und Neckar-Eingang.
Wenig überraschend war es deshalb auch der Sitz mehrerer der größten rheinischen Schiffahrtsgesellschaften. „Ganz unbedeutend“ stimmt übrigens nicht, auch im geschichtlichen Teil kommt Mannheim als ehemalige Residenzstadt mit entsprechendem Schloß vor. Im zweiten Weltkrieg fast komplett zerstört, wurde es wiederaufgebaut. Das Schloß wird heute von der Universität Mannheim genutzt und kann auch besichtigt werden.

Gleichfalls war es damals schon eine bedeutende Industriestadt:

In der Industrie stehen voran die Metallverarbeitung, Maschinenindustrie und Eisengießerei mit über 100 Betrieben und 10,000 Arbeitern…

Neben diesen Schlüsselindustrien hatten aber auch weitere interessante Firmen in Mannheim ihren Sitz, so zählt Meyers Lexikon u. a. auf:

6 Hobelwerke, 8 Möbel-, Faß- und Bürstenfabriken, 4 Brikettfabriken, eine Spiegelfabrik mit 400 Arbeitern, eine Tapetenfabrik mit 200 Arbeitern, eine Korsettfabrik mit 400 Arbeitern, eine Zuckerraffinerie, bedeutende Bierbrauerei, Preßhefe-, Zigarren- und Bettfedernfabrikation, große Getreidemühlen, polygraphische Großbetriebe etc.

Auch heute noch ist die Metallindustrie in Mannheim sehr präsent, neben der Elektro- und Chemie-Industrie. Die Mannheimer Universität zählt zu den renommiertesten Wirtschaftsuniversitäten des Landes – sie wurde übrigens 1907 als Städtische Handelshochschule gegründet und dann 1967 in Universität umbenannt.

3. Freiburg – Schönste Universitätsstadt

In den Schilderungen von Freiburg Anfang des 20. Jahrhunderts wird zunächst die günstige Lage der Stadt gelobt: da wasserreich und durch ein Schwemmsystem und eine vollständige Kanalisierung „eine der gesündesten Städte“;  durch die umliegenden Berge und Täler auch klimatisch bevorzugt, heißt es in der Land- und Leute Monographie „Schwarzwald“ zur Stadt:

„Kein Wunder darum, daß Freiburg eine große Anziehungskraft ausübt.“

In Meyers Lexikon von 1907 wird die Stadt so beschrieben:

Die Stadt besteht aus der Altstadt, die vielfach noch mittelalterlichen Charakter trägt und z. T. enge, krumme, von klaren Bächlein durchflossene Straßen hat, aus den Vorstädten Wiehre und dem eleganten Herdern, dem Stadtteil Stühlinger und den Vororten Güntersthal und Haslach. Von den alten Stadttoren sind noch das 1901 stilgerecht renovierte Martins- und das Schwabentor vorhanden. Unter den kirchlichen Gebäuden (4 evangelische, 8 katholische, eine altkatholische, eine engl. Kirche und eine Synagoge) nimmt das Münster, jetzt erzbischöfliche Kathedrale, den ersten Rang ein. Dasselbe ist ein Meisterwerk gotischer Baukunst, wenn auch seine einzelnen Teile verschiedenen Zeiten angehören.

Hier werden schon gleich zwei Wahrzeichen der Stadt aufgezählt: das Freiburger Münster und die „Bächlein“, welche die Stadt durchfließen – auch „Bächle“ genannt. Schon damals war Freiburg gleichfalls für seine Universität, eine der ältesten Deutschlands, bekannt:

Unter den Bildungsanstalten nimmt die Universität, die, von dem Erzherzog Albrecht VI. von Österreich 1457 gestiftet, 1460 eröffnet ward und zu Ehren des Großherzogs Ludwig I. den Namen Albert Ludwig-Hochschule führt, den ersten Rang ein. Zu ihr gehören eine Bibliothek mit 250,000 Bänden und 600 Handschriften, ein reichhaltiges Naturalienkabinett, ethnographische und andre Sammlungen, ein botanischer Garten, ein klinisches Spital und andre Hilfsanstalten. Die Zahl der Dozenten belief sich 1903 auf 125, die der Studierenden im Sommer 1903 auf 1962. (Meyers Lexikon)

Unter diesen Studierenden waren übrigens schon Frauen – als erste Universität Deutschlands ließ Freiburg ab 1900 das Frauenstudium zu. Inzwischen (Stand 2017) sind es übrigens mehr als 25.000 Studenten und 430 Professoren (allerdings mit knapp 3000 wissenschaftlichen Angestellten als Unterstützung).
Freiburg war auch der Sitz zahlreicher Behörden, einiger Regimenter und der Sitz der oberrheinischen Kirchenprovinz. In der Schwarzwald-Monographie heißt es dazu:

In der That darf Freiburg als ein Pensionopolis bezeichnet werden, in welchem Beamte jeder Kategorie, Offiziere, Gelehrte, Kaufleute aus aller Herren Länder sich ein Heim geschaffen haben. Durch diesen Zuzug und seine Bedürfnisse hat sich das Ansehen der Stadt in den letzten Jahrzehnten sehr stark verändert und nicht minder auch ihr Geist, der in ihr waltet.

Ein sehr freier Geist, wie es noch später im sehr lobenden Text heißt. Kein Wunder, lebte und arbeitete der Verfasser, Ludwig Neumann doch selbst in Freiburg. Für damals und heute läßt sich feststellen: eine sehr lebenswerte Stadt mit freiem Geist!

4. Pforzheim – Schmuck- & Goldstadt

Als viertgrößte Stadt Badens wurde sie in der Badener Landeskunde so vorgestellt:

„Die Goldstadt Pforzheim bildet den nordöstlichen Eingang zum Schwarzwald an der Stelle, wo Enz, Nagold und Würm viele Wege erschließen“

Schon 1800 galt Pforzheim als weltweit bedeutendstes Zentrum der Schmuckherstellung. Und wer hatte es gegründet? Der langjährige Herrscher Karl Friedrich von Baden, über den im Geschichtsteil ausführlicher erzählt wird. Die Schmuckproduktion startete auf sein Betreiben 1776 in einem Waisenhaus. Man startete mit Uhren, später kam Schmuck dazu. Schnell wurde expandiert und exportiert – in alle Welt.
Und auch Anfang des 20. Jahrhunderts hieß es in Meyers Lexikon zur Schmuckherstellung in Pforzheim:

Sehr ausgedehnt ist die dortige Bijouteriewarenfabrikation. Für dieselbe arbeiteten 1904 in 494 Haupt- und 408 Nebenbetrieben ca. 22,000 Arbeiter. Verarbeitet wurden für ca. 3 Mill. Mk. Silber, für 25 Mill. Mk. Gold und für 5 Mill. Mk. Steine und Perlen. Die Gesamtproduktion belief sich auf ca. 120 Mill. Mk.

Auch heute kommen 75% des deutschen Schmucks aus Pforzheim und natürlich wird der Schmuck auch nach wie vor in alle Welt exportiert. Folgerichtig ist in der Stadt auch die einzige Goldschmied- und Uhrmacherschule Europas stationiert. Im zweiten Weltkrieg wurde die Stadt stark zerstört – erhalten wurde zum Glück das Wahrzeichen der Stadt, die Schlosskirche St. Michael, in der auch die Gruft ist, in der die bis 1860 die Mitglieder der badischen Markgrafenfamilien beerdigt wurden, als letztes Mitglied die auch im Geschichtstext erwähnte Frau des Großherzogs Karl, Stéphanie de Beauharnais.

5. Heidelberg – Stadt der Romantiker und Studenten

„Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren“ so fängt der Refrain eines bekanntes Liedes von 1925 an, in dem es um die Liebe im allgemeinen und die zu Heidelberg im Besonderen geht. Aber schon früher wurde die Stadt in Gedichten, Versen und Liedern verewigt, so von Goethe, Hölderlin, Gottfried Keller, Mark Twain und Kurt Tucholsky.

(Heidelberg)…in reizender Gegend des Neckartals, da, wo der Fluß aus dem Gebirge in die Ebene tritt, am Fuß des 566 m hohen Königsstuhls, erstreckt sich am linken Neckarufer zwischen Fluß und Gebirge in einer einzigen Hauptstraße, 3 km lang, von Osten nach Westen.

beschreibt Meyers Lexikon die Lage. Und kommt natürlich auch auf die zwei Institutionen zu sprechen, für die Heidelberg berühmt ist:

Die größte Sehenswürdigkeit Heidelbergs ist das Schloß, auf einem Vorhügel des Königsstuhls, unmittelbar über der Stadt und 101 m über dem Spiegel des Neckar…
Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde das Schloß erst durch die Franzosen 1689 und 1693 zum großen Teil zerstört, dann 1764 durch einen Blitzstrahl noch weiter verwüstet. Vorzüglich sehenswert sind: das Elisabethentor, die vier schönen Granitsäulen am Schloßbrunnen, die aus Karls d. Gr. Palast zu Ingelheim hierher gebracht sind, der Schloßgarten mit einer großen Terrasse, auf der das Erzstandbild Viktors v. Scheffel (modelliert von Heer) aufgestellt ist und von der man eine entzückende Aussicht auf das untere Neckartal und in die Rheinebene hat, der gesprengte Turm, der schöne achteckige Turm, der vormalige Schloßgarten, die noch erhaltene Schloßkirche im Friedrichsbau, wo sich auch die für die Geschichte des Schlosses, der Pfalz und der Stadt interessante städtische Sammlung befindet. Endlich zeigt man in einem besondern Kellergewölbe das bekannte, 1751
gebaute große Faß, das beinahe 7 m im Durchmesser und über 10 m in der Länge hat und 236,000 Flaschen faßt. Gegen die geplante Wiederherstellung des Schlosses macht sich neuerdings eine lebhafte Agitation geltend.

Wiederherstellung des Schlosses? Die ist bis heute (zum Glück) nicht passiert und wohl auch nicht mehr geplant – nach wie vor ist die romantische Ruine das Wahrzeichen Heidelbergs.
Die zweite große Bekanntheit der Stadt ist ihre Universität – die älteste Deutschlands!:

Von den Bildungsanstalten steht obenan die Universität…Die Universität zu H. wurde 1386 vom Kurfürsten Ruprecht 1. eröffnet, nachdem Papst UrbanVI. durch die Bulle vom 23. Okt. 1385 dazu seine Zustimmung gegeben hatte. Ihr erster Rektor war Marsilius von Inghen. Sie war nach dem Vorbild der Pariser Akademie errichtet und besaß schon damals vier Fakultäten…Nachdem die Universität unter Friedrich V. während des Dreißigjährigen Krieges schon harte Schläge zu erleiden gehabt, kam sie seit 1685 unter den Einfluß der Jesuiten und verlor durch den Lüneviller Frieden noch ihre wichtigsten (nämlich die überrheinischen) Besitzungen, so daß sie 1802 ihrer Auflösung nahe war. Nachdem H. 1803 an Baden gekommen, hob sie sich indes bald zu neuem Glanz unter dem Großherzog Karl Friedrich, der ihr die jetzige Einrichtung und den Namen Ruperto-Carola gab. Im August 1886 hat sie ihr 500jähriges Bestehen festlich begangen.

Soweit Meyers Lexikon von 1907 zur Universität, die heute noch Rupprecht-Karls-Universität nach ihren beiden Gründern heißt. Sie überstand auch zwei weitere Kriege und deren Irrungen und Wirrungen und zählt heute zu den renommiertesten Unis. Nicht nur in Deutschland, auch international genießt sie ein hohes Ansehen. Kein Wunder, dass es schon damals im Text hieß:

Die wesentlichsten Erwerbsquellen der Bewohner bilden die Universität und der bedeutende Fremdenbesuch.

Auch heute ist Heidelberg mit seiner Altstadt und dem romantischen Schloß darüber beliebtes Ziel von Touristen aus aller Welt als Inbegriff einer romantischen alten deutschen Stadt.

6. Konstanz: Brücken- und Grenzstadt

Mayers Lexikon (Ausgabe 1907) sagt über Konstanz:

…in anmutiger Lage am Ausfluß des Rheins aus dem Bodensee, 405 m ü. M., besteht außer der Altstadt noch aus dem ehemaligen Kloster, jetzt zu Kasernen umgewandelten Petershausen, den Stadtteilen Seehausen und Paradies, mit zahlreichen Gärten und Gemüsefeldern, auf dem rechten und der Kreuzlinger Vorstadt auf dem linken Rheinufer. Unter den Gebäuden der Stadt ist der Dom, eine 1052–68 erbaute romanische (das Quer schiff ist gotisch) Säulenbasilika, das hervorragendste.
Ein Wahrzeichen der Stadt ist das 1388 erbaute Kaufhaus, das während des Konzils als Konklave diente. Sein großer Saal, in dem 1417 der Papst Martin V. gewählt wurde, ist jetzt von Fr. Pecht und Schwörer mit Fresken aus der Konstanzer Kulturgeschichte geschmückt.

Heute heißt dieses Wahrzeichen wieder Konzil – tatsächlich wurde es lange Zeit von den Konstanzer Kaufleuten als Warenlager und Handelshaus genutzt, deshalb der damalige Name „Kaufhaus“. Und auf welche Sehenswürdigkeiten wird damals hingewiesen?

Ferner sind bemerkenswert: das Rosgartenmuseum, ein altes Zunfthaus mit einer vortrefflichen Sammlung von Gegenständen aus der Natur und der Geschichte von K. und der Umgegend; das Gasthaus Barbarossa, in dem Kaiser Friedrich 1183 den Frieden mit den lombardischen Städten schloß; das Hus-Häuschen (»Hußenherberge«) am Schnetztor, in dem Hus wohnte und gefangengenommen wurde, mit Reliefs von Hus und Hieronymus, der schöne Hafen mit Leuchtturm, das neue Reichspostgebäude, das städtische Krankenhaus und andre Neubauten…die heute keine Neubauten mehr sind.

Übrigens existieren alle aufgeführten Gebäude und Museen noch heute. Noch eine Bemerkung zu Jan Hus, dazu schauen wir kurz ins Mittelalter zurück: dieser tschechische Gelehrte und Reformator kritisierte die damalige Kirchenlehre und mußte sie vor dem Konstanzer Konzil verteidigen. Jedoch nicht erfolgreich – er wurde 1415 als Ketzer zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Das Hus-Haus (in dem er vor seiner Verhaftung nächtigte) erinnert an ihn.

Wichtig für die industrielle Entwicklung der Stadt:
1863 wurde Konstanz an die Stammstrecke der Badischen Staatsbahn Mannheim-Basel-Konstanz angeschlossen und noch im 19. Jahrhundert auch an die Schweizerische Bundesbahn: 1871 an die Strecke nach Romanshorn und 1875 nach Winterthur.
So wurde es zum Eisenbahn-Knotenpunkt – war also infratechnisch sehr gut erschlossen. Ein Bürgermeister, der viel für Konstanz Infrastruktur zu dieser Zeit tat, war Max Stromeyer. Noch heute ist eine Straße nach ihm benannt: Die gute Verkehrsanbindung der Stadt, auch per Schiff über den Bodensee, war ein wichtiger Grund für den wirtschaftlichen Aufschwung und die Ansiedlung vielerlei Firmen:

Die Industrie erstreckt sich auf Baumwollweberei und-Druckerei, Seidenweberei, Fabrikation wasserdichter Stoffe, von Säcken, Jutegeweben, Leinen und Segeltuch, Chemikalien, Herden,
Schlössern und Kassenschränken, Steppdecken, Öfen, Zement- und Tonwaren, Seife, Lichten, Tapeten, Weißwaren, Briefkuverten, Mineralwasser, Möbeln, Zigarren und Falzziegeln, auf Eisengießerei, Fabrikation landwirtschaftlicher Maschinen, Holzverkohlung etc. (Meyers Lexikon)

Zusammengefaßt wurde von Briefkuverts bis zu Zigarren alles mögliche in Konstanz produziert! Die Bevölkerung nahm stark zu und die Stadt prosperierte!
Heute gibt es in Konstanz immer noch Industrie (Chemie, Informationstechnologie), aber nicht mehr so vielfältige wie damals. Dafür hat sich der Tourismus gut entwickelt und die Stadt hat seit 1966 eine sehr schön am See gelegene Universität, die nicht nur im Süden Deutschlands sehr beliebt ist. Vielleicht weil sich der Uni-Strand nur wenige hundert Meter vom Hauptgebäude entfernt ist? Nein, es werden natürlich REIN fachliche Gründe bei der Entscheidung für Konstanz ausschlaggebend sein.

7. Baden-Baden – Weltbad

In Griebens Reiseführer heißt es über die Stadt: „Weltberühmter Bade- und Kurort in herrlicher, waldreicher Umgebung; jährlich 70.000 Fremde.

Und Meyers Lexikon sagt: Baden…ist einer der glänzendsten und besuchtesten Badeorte Europas. Obwohl die alte Hauptstadt Badens, ist die Stadt jetzt in ihrem größern Teile eine ganz moderne Anlage, reich an prachtvollen Hotels und in edlem Stil gebauten Villen und Privatwohnungen.

Und das war tatsächlich so! Als Treffpunkt für herrschaftliche und gut betuchte Gäste war es die „Sommerhauptstadt Europas“! Die Winterhauptstadt war übrigens keine geringere als Paris.

Berühmt sind natürlich vor allem die Thermen Badens: „seit den Zeiten der Römer bekannt, entspringen in der sogen. Hölle aus Gneis und Granit einer- und Tonschiefer anderseits und liefern etwa 750,000 Lit. in 24 Stunden.“ Klingt nach viel!
Über dem »Ursprung« befindet sich das ältere Dampfbad; das »Friedrichsbad« ist die eleganteste derartige Anstalt in Europa. Ebenfalls großartig ist das Kaiserin Augusta-Bad, zugleich Frauenbad. Wannenbäder mit Thermalwasser finden sich in den meisten Gasthäusern; für mittellose Kurgäste dient das Landesbad..“

Das Friedrichsbad wurde nach dem damaligen Großherzog Friedrich I. benannt und war ein Herrenbad, das Kaiserin Augusta-Bad, passend zum Namen, ein Damenbad. Das Friedrichsbad gibt es noch heute, wenn auch nicht mehr im originalen Zustand und für beide Geschlechter zugänglich…
Nach langer Bauzeit 1877 eingeweiht, galt es zu dieser Zeit als schönstes Thermen-Badehaus Europas. Das Augusta-Bad wurde 1962 abgerissen. Das Bad für „mittellose Kurgäste“ wird im Reiseführer in Klammern „Armenbad“ genannt und zur Einrichtung heißt es: „ist bezüglich seiner Einrichtung dem Friedrichsbad ähnlich, nur einfacher“.

Typisch für einen Kurort gab es natürlich eine Trinkhalle (die noch heute steht) und ein „Konversationshaus“ (das heute Kurhaus genannt wird) für die Kurgäste, welches „den Mittelpunkt des Badelebens bildet. Hier findet sich, namentlich am Abend, die Gesellschaft zusammen.“ erzählt der Reiseführer. Es werden allerlei Vergnügungen erwähnt (z.B. Theater, Kunsthalle, Pferderennen).
Eine für Baden-Baden heute wieder typische – ist jedoch nicht dabei: die Spielbank. Durch deren Einnahmen wurde der Ausbau zum exklusiven Bäderort Anfang des 19. Jahrhunderts zwar mit ermöglicht, sie wurde jedoch 1872 geschlossen – und blieb es bis 1933.

Baden lebte also vor allem von den Kurgästen – und das sehr gut. Der nahe Schwarzwald bot sich für Ausflüge und Spazierfahrten an. Ein Ausflugsziel war uns im Geschichtsteil begegnet, das alte Schloß Hohenbaden: „…wohlerhaltene Ruine im Norden der Stadt auf dem Battertberge, der die herrlichste Aussicht gewährt.“

Und last but not least: Badisch-Sibirien: Der Odenwald & das badische Frankenland

Widmen wir uns zunächst dem Odenwald:

Von ihren Herrensitzen zogen Reisige (Bedeutung: Begleiter zu Pferde, meist bewaffnet) und Edeldamen mit Roß, Meut und Falk’ einst aus, zu pürschen im wildreichen Odenwald. Wir reiten auf Schusters Räpplein bergan, friedlich zu empfangen des eigenartigen Waldgebirges entzückende Geschenke.

So poetisch ist der Einstieg im „Badischen Verkehrsbuch“ von 1912 zum Odenwald, weiter heißt es:

Der Odenwald ist kein öder Wald (wie der Name vorschlägt). Laubholz der mannigfaltigsten Art, fruchtbare Äcker, getreideschwere Felder, blumenreiches Wiesenland sind in harmonischer Gestaltung über ihn ausgebreitet…Groß ist das Gebirge nicht, nur etwa 60 Kilometer lang und 40 Kilometer breit. 628 Meter mißt die höchste Erhebung, der Katzenbuckel.

Nur ein Teil war auf dem Gebiet Badens:

Der Odenwald gehört zu zwei Dritteln Hessen, zu einem Drittel Baden

Wie der Odenwälder tickt bzw. damals tickte, verrät uns der Führer auch:

Der Odenwälder ist einfach, genügsam und lebensfroh. Gefälligkeit und Gastfreundschaft, gepaart mit Mißtrauen gegen das Unbekannte, Neue, sind ihm eigen. Zu Heimat und Kirche hält er mit starrer Zähigkeit. Alte Sitten und Gewohnheiten läßt er nicht. Trotzdem ist die Volkstracht am Verschwinden. Den Dreimaster tragen nur noch die ganz Alten.

Mmh, bleibt die Frage, welche Sitten und Gewohnheiten er nicht lassen kann? Sicherlich nur tugendhafte…Auch ein Teil der Bergstraße lag noch in Baden – so die „blühende Stadt“ Weinheim.

Die nördlichste badische Stadt war übrigens Wertheim. Schon im „Frankenland“ gelegen, beschreibt sie das Badische Verkehrsbuch so:

Da, wo das schöne Maintal von seinen bezaubernden Reizen die verlockendsten enthüllt, wo das schillernde Grün der Tauber sich mit dem leuchtenden Azur des Maines paart, wo die Berge des Odenwalds und es Spessarts sich über des Maines Flut Grüß Gott zurufen, hat Wertheim sein Plätzlein auf der Erden Rund erkoren.

Hatte ich erwähnt, dass der Herausgeber des Büchleins der „Badische Landesverband zur Hebung des Fremdenverkehrs“ war? Heute ist Wertheim vor allem durch sein großes Designer-Outlet bekannt.
Zum Fränkischen Hügelland heißt es bei Neumann (dem Verfasser der Landeskunde von 1911 und Freiburg-Liebhaber):

Das Fränkische Hügelland hat nur kleine Städte, da seiner meist ackerbauenden Bevölkerung lebhafte Gewerbstätigkeit und größerer Verkehr fehlen.

Und zur Fränkischen Ebene heißt es fast gleichlautend:

…Das ganze Gebiet bildet eine einzige Ackerbaulandschaft, das „Bauland“, die nicht sehr dicht besiedelt ist und nur wenig kleinere Städte aufweist. Dem Verkehr setzt sie keine nennenswerte Hindernisse entgegen, aber nur eine einzige wichtigere Verkehrslinie, die von Mannheim zum Main bei Würzburg, durchschneidet das Gebiet.

Die Übersetzung: eigentlich gut für Verkehr geeignet, aber dort will keiner hin.

Und das meint wohl auch der boshafte Ausdruck „Badisch Sibirien“, wie der nördliche Teil oft bezeichnet wurde. Der obige Text läßt es schon ahnen, wenn er auch prosaisch formuliert ist: Der Landstrich war eher dünn besiedelt und es gab wenig Industrie. Es dominierte die Landwirtschaft, aber die Böden waren karg und so wurde vor allem der fränkische Teil besonders von den Hungerkrisen durch Missernten getroffen. Auch mit der Integration haperte es – insbesondere die Franken fühlten sich eher Bayern verbunden. Und die Badener Beamten wollten in diese Provinz im Norden, die zudem merklich kühler als die südlicheren Gefilde war, bestimmt NICHT versetzt werden.

Religionen

Ganz zum Schluß werfen wir noch ein Blick auf die damalige Glaubenszugehörigkeit. Wie waren die Religionen zu dieser Zeit in Baden aufgeteilt? In der Neumannschen Landeskunde heißt es:

Nach dem Glaubensbekenntnis gezählt leben in Baden (1905, die Ergebnisse der Zählung von 1910 sind noch nicht veröffentlicht) rund 1 207 000 Katholiken, 770 000 Protestanten, 26 000 Juden, 8000 Sonstige. Von je 100 Einwohnern sind also im Landesdurchschnitt 60 katholisch und 38 protestantisch, der kleine Rest verteilt sich auf Juden und Sonstige.

Und zur Verteilung:

Beinahe rein katholisch sind der südöstliche Landesteil, der hohe Schwarzwald, die alten Baden-Badener Lande, Breisgau, Ortenau und das Fränkische Hügelland. Vorwiegend evangelisch sind die Baden-Durlacher Lande und das Hanauer Land in der mittleren Rheinebene (bei Offenburg). In den übrigen Landesteilen ist die Bevölkerung dem religiösem Bekenntnis nach stark gemischt, ebenso in den größeren Städten.

Vergleichszahlen für die heutige Zeit habe ich leider nicht, da von Baden alleine keine statistischen Daten erfaßt werden. Fest steht, schon damals begannen sich die Religionen, also hier die evangelische und katholische zu mischen. Auch wenn es in traditionellen Regionen noch lange ein Tabu blieb eine(n) „Falschgläubige(n)“ der anderen Religion zu ehelichen.

 

Natürlich bedeutet ein „Blick ins Land“ immer auch eine Auswahl – die übrigens schwierig genug zu treffen war. Es gibt weitere schöne Orte, Landschaften, Sehens- und Merkwürdigkeiten in Baden und weitere erzählenswerte Geschichten dazu.
Alle können an dieser Stelle leider nicht erzählt werden! In jedem Fall hoffe ich, Euch mit diesem Artikel einen Gesamteindruck des „Ländles“ zu Beginn des 20. Jahrhundert vermittelt zu haben. Bei allen, die mich bei diesem Artikel unterstützt haben, möchte ich mich ganz herzlich bedanken.

PS: Alle kursiv geschriebenen Texte sind Originalzitate aus den damaligen genannten Quellen

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  • Emmanuelle
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    Hi, very nice website, cheers!
    ——————————————————

    • Grete Otto
      Antworten

      Thank you very much!

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