Wie entsteht eigentlich eine virtuelle Zeitreise?

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Zeitreisen sind ein Traum der Menschheit, ob in die Vergangenheit oder in die Zukunft. Heute schon möglich: virtuell in vergangene Zeiten reisen. Der Gründer und Geschäftsführer Jonas Rothe von Timeride hatte 2016 diese Idee und hat sie zusammen mit seinem Team inzwischen schon für verschiedene Städte umgesetzt. Die Reisen bestehen aus zwei Teilen: zum einen werden die Besucher mit historischen Settings in die Vergangenheit versetzt und erfahren dabei einiges über das Leben der Bürger der jeweiligen Zeit.
In Frankfurt geht es in einem Kolonialwarenladen um den Kaufmann Theodor Riedel und das Leben seiner bürgerlichen Familie zur Kaiserzeit und in der neugeschaffenen Zeitreise in das Köln der 20er Jahre geht es im Hutgeschäft der (fiktiven) Modistin Tessa um die Herstellung und den Verkauf dieses damals fast obligatorischem Kopfschmucks…
Danach unternehmen die Besucher per VR-Brille in einer Kutsche (im Frankfurt der Kaiserzeit) bzw. in einer Straßenbahn (in Köln) eine Fahrt durch die Städte – in 3D Animation sind die Straßen mit ihren Gebäuden, Geschäften und dem Verkehr der jeweiligen Zeit zu sehen und auch die Stadtbewohner, die darin flanieren.

In Köln war ich bei der Eröffnung dabei – okay, 20er Jahre ist ja etwas über die Bürgerleben-Zeit hinaus, aber wir Geschichtsbegeisterte sind da ja nicht so streng. Im Kostüm von 1912, modisch nicht zu weit entfernt, habe ich die Zeitreise mitgemacht und Spass gehabt. Spassig war auch, sich über längere Strecken im Kostüm mit langem eng geschnittenen Rock (so war die Mode zu dieser Zeit nun mal…) zu bewegen. Für die nächsten Anlässe in diesem Kostüm habe ich mir vorgenommen: die doppelte Zeit für alle Wege zu Fuß einplanen…
Bei der neuen Kölner Zeitreise haben übrigens einige prominente Kölner mitgewirkt, ob Karnevalsurgestein Ludwig Sebus (der beim Pressetermin einige charmante Geschichten des alten Kölns erzählte, was er -Mitte der 20er Jahre geboren- noch selbst kennengelernt hatte), der Sänger Björn Heuser sowie die Bands Brings und Pläsier.

Im Anschluß hatte ich die Gelegenheit dem Leiter der historischen Recherche, Lukas Fischer, einige Fragen zur Entstehung einer solchen „Virtual-Reality-Experience“ zu stellen.

Wie verläuft die Recherche bei der Erstellung einer neuen „Timeride“-Welt?
Die Entstehung einer Zeitreise lässt sich sehr gut an unserem neuesten Projekt „Köln 1926 – auf in die goldene Zeit“ veranschaulichen. Seit der Eröffnung unseres ersten TimeRides Ende 2017 in Köln haben über 300.000 Gäste ihre Zeitreise in die Domstadt zur Kaiserzeit angetreten. Jetzt möchten wir ein neues Kapitel aufschlagen und in die goldenen 1920er Jahre reisen – und gleichzeitig zeigen, wie stark sich Köln seit dieser Zeit gewandelt hat In der Recherche sammeln wir zunächst die wichtigsten Themen, die in dieser Zeit an diesem Ort eine Rolle gespielt haben. Wir möchten, dass die unbeschwerte Stimmung des Jahres 1926 spürbar wird. Neben einer historischen Rekonstruktion der Stadt spielen auch die Charaktere eine wichtige Rolle. Dazu entwickeln wir standesbewusste Bürger und echte rheinische Originale. Nach dieser „Vorrecherche“, die mit einer ersten Drehbuchversion abgeschlossen wird, teilen wir uns mit meinem Team aus 3 Historiker/innen auf die Vielzahl von Themen wie Sachkultur, Gebäude, Geschichten, Menschen oder auch Fahrzeugen auf und finden genauer heraus, wie all diese Details gestaltet sein müssen, um ein authentisches Erlebnis zu erzeugen.

Wie wird das Aussehen der Städte, die Silhouette und die Gebäude der jeweiligen Städte recherchiert?
Als erstes entwickeln wir immer einen interaktiven Stadtplan. Für jedes einzelne Gebäude werden vor allem Fotografien, Zeichnungen aber auch historische Quellen gesammelt. Aus Adressbüchern wissen wir, wer dort lebte und vor allem welche Gewerbe dort ansässig waren. Aus all diesen Informationen errichten unsere 3D-Entwickler von Hand virtuelle Hausrekonstruktionen. Diese Gebäude werden durch liebevoll eingerichtete Ladengeschäfte, zeitgenössisch gekleidete Passanten, Straßenschilder- und Laternen und vielen weiteren Elementen in eine lebendige Szene eingebettet. Auch für diese vielen kleinen Gegenstände sammeln wir in der Rechercheabteilung täglich das historische Bildmaterial.

Wie werden die Ausdrucksweisen der Bürger der jeweiligen Epoche recherchiert?
Bereits bei der Vorrecherche nähern wir uns durch das Sichten von zeitgenössischen Schriftstücken. Wie haben sich die Menschen in Zeitungen, Werbeanzeigen, Romanen, Benimm-Büchern aber auch Briefen und Tagebüchern ausgedrückt? Was sind die Unterschiede zwischen förmlicher und privater Sprache? Hierzu sammeln wir Beispiele, die dann in das Drehbuch einfließen. Hinzu kommt auch zeitgenössisches Liedgut, das sich teilweise gut zur Annäherung an die Umgangssprache eignet. Im Kölner Fall gibt es dann auch schon Quellen wie Radio und Kino. Auch die Beachtung regionaler Dialekte ist für weite Bevölkerungsteile sehr wichtig. Hierzu arbeiten wir meist zusätzlich mit Vereinen für Mundarten zusammen. Das Einsprechen übernehmen dann Schauspieler und Dialektprofis.

Welche Materialien werden bei der Ausstattung der Räume verwendet (Antiquitäten, Nachbauten)?
TimeRide ist viel mehr als nur eine virtuelle Fahrt durch eine historische Stadt. In einführenden Stationen erzählen wir unseren Besuchern eine interessante Geschichte über den Alltag der Menschen und führen sie dabei langsam an die VR-Fahrt heran. Unsere Ladenlokale sind daher oftmals wie eine historische Kulisse gestaltet. Theaterbauer und historische Ausstatter schaffen auf der Grundlage des jeweiligen TimeRide-Konzepts ein stimmiges Gesamtbild, das die Vorstellungskraft der Besucher beflügeln soll. Aus funktionalen Gründen setzen wir dabei oft auf Nachbauten und, wo es möglich ist, auf Originale. In Frankfurt haben wir beispielsweise einen Kaufmannsladen und ein Studierzimmer fast ausschließlich mit originalen Gegenständen ausgestattet. Von der Mausefalle über Teekisten bis hin zur Ladentheke ist dort alles auf ein immersives Zeitreiseerlebnis ausgerichtet – der Besucher taucht also förmlich mit allen Sinnen in die historische Szenerie ein.

Was ist wichtig bei einer authentischen Darstellung?
Die Grundlage einer jeden Zeitreise von TimeRide basiert auf einer kritischen Auswertung des Quellenmaterials. Davon ausgehend können wir die virtuellen historischen Welten erschaffen und sie mit Leben erfüllen. Wir zeigen unseren Besuchern in einem Making-of-Film auch die Hintergründe einer TimeRide-Produktion, um neben der Immersion auch eine weitere Perspektive auf das Zeitreisen zu ermöglichen. Wissenschaft und Entertainment sind für mich persönlich kein Gegensatz, denn die reale Geschichte hat mehr Spannendes und Unterhaltsames zu bieten hat als wir jemals zeigen könnten. Wir gehen einerseits auf die Erwartungen unserer zeitreisenden Besucher ein und wollen sie ebenso überraschen. Und nebenbei erfüllt sich unser Team auch noch selbst den Traum von der virtuellen Zeitreise.

Vielen Dank für diese Informationen!

Timeride stellen wir als Tipp vor – hier findet Ihr auch nähere Informationen mit Links zu den Städten, in denen virtuelle Reisen angeboten werden.

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