Jüdisches Leben auf der Insel Usedom

 In Sommerfrische, Unkategorisiert, Zeitgeschehen

Ein Gastartikel von Fritz Spalink

Vorwort Grete Otto.

Obwohl Fritz Spalink und ich uns bisher nie persönlich begegnet sind, hat sich über die Jahre, die wir in Kontakt sind, eine Freundschaft entwickelt. Als engagierter Historiker der Insel Usedom hat er sich einen Namen gemacht, dazu sind einige Bücher von ihm erschienen und bei uns der Gastartikel über Daisy von Pless, erst Society-Liebling der Kaiserzeit, später Wohltäterin.

 

In seinem neuen Buch „Sie haben Spuren hinterlassen“ erzählt der Autor vom jüdischen Leben auf Usedom. Zur Kaiserzeit war das jüdische Bürgertum auf der Insel sehr präsent – wohlhabende Unternehmer ließen sich dort Villen erbauen, man fuhr dorthin gerne in die Sommerfrische. Wobei es schon zu dieser Zeit kleine Unterschiede in den Badeorten gab. So war der jüngste Badeort Bansin beim Militär sehr beliebt – dort hatten Männer jüdischen Glaubens kaum Aufstiegschancen. Verschiedene Pensionen vermieteten nicht an jüdische Urlauber, die harmlose Umschreibung dafür war „christliches Haus“. In diesem Artikel erfahrt Ihr mehr über eine dieser Pensionen, die als sogenanntes „Wolgasthaus“ aus Holz erbaut worden war.

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Für den folgenden Beitrag habe ich drei Erzählungen aus dem Buch ausgewählt. Besonders interessant finde ich dabei nicht nur die Geschichten um die Erbauer der Villen, sondern auch die der Villen selbst – die wechselvollen Nutzungen und Bewohner im Verlauf der Zeit bis heute. Spannend ist dabei, dass sie auch die jeweiligen Machtverhältnisse gut widerspiegeln – zu allen (insbesondere nichtdemokratischen) Zeiten haben sich die jeweiligen Machthaber besonders schöne Orte & Häuser angeeignet, denn obwohl sie in ihrer Politik Gleichheit propagierten, galt das nicht für sie persönlich: Sie nahmen besondere Privilegien in Anspruch. Eine Beobachtung, die sich übrigens bis in die Gegenwart zieht…

Benoit Oppenheim – Villa Oppenheim

Benoit Oppenheim (1842–1931) stammte aus der mit den Mendelssohns und Warschauers verwandten Oppenheim-Familie, die zunächst in der Flora in Königsberg in Preußen, später in Berlin eine Bank eröffnete. Mitte der 1870er-Jahre ließ sich er sich vermutlich von dem Architekten Hermann von der Hude nach dem Vorbild palladianischer Villen einen Putzbau von eineinhalb Geschossen auf leicht geböschtem Feldsteinsockel planen und errichten. Benoit Oppenheim war nicht nur Bankier, sondern auch ein namhafter Kunstsammler. Er verfügte über eine spektakuläre Sammlung mittelalterlicher und spätmittelalterlicher Kunst aus Deutschland,  Flandern und Frankreich. Als Kenner publizierte er zwei große Kataloge seiner Kunstsammlung.

Wahrscheinlich inflationsbedingt trennte sich Oppenheim von vielen Objekten. Sie bilden heute den Grundstock der Sammlung von Justizrat Gerhard Bollert im eigens dafür neu erbauten Flügels des bayerischen Nationalmuseums.

Benoit Oppenheim verstarb 1931 in der Tiergartenstraße 8a in Berlin. Dr. Matthias Weniger, Biograf von Benoit Oppenheim, schreibt über seine Villa: „Das Schicksal weniger Häuser legt so unmittelbar Zeugnis von der wechselvollen deutschen Geschichte der letzten 140 Jahre ab wie jenes der Heringsdorfer Villa Oppenheim. Der Bauherr Benoit Oppenheim (1842–1931) zählt neben dem des Nachbarhauses, Adelbert Delbrück, zu den Begründern der Heringsdorf AG und damit zu den Männern, durch die die Entwicklung und Bedeutung des Seebades Heringsdorf begründet wurde.“

Für den deutsch-amerikanischen Maler Lyonel Feininger, der Usedom ab 1908 mehrfach im Sommer besuchte, war die Villa Oppenheim ein Lieblingsmotiv. Obwohl nicht Jude, verließ er 1936 als „entarteter Künstler“ Deutschland nach New York USA.

Nach dem 30. Januar 1933 hatte Benoits Tochter Lina, die Witwe des Philosophen Raoul Richter, in der Villa bis zu dessen Emigration nach England monatelang den bedeutenden Reformpädagogen Dr. Kurt Hahn beherbergt, den Gründer der Internatsschule Schloss Salem. Er war als Jude aus Bayern ausgewiesen worden, hatte aber noch kein Einreisevisum für England. Die Villa wurde von der NSDAP enteignet. Lina Richter verlor ihre Bürgerrechte, emigrierte vermutlich nach Belgien, starb am 17.08.1960 und ist in Falkenstein (Taunus) beerdigt.

Die Villa war zunächst Gästehaus des Reichsluftfahrtministeriums, später während des Zweiten Weltkrieges Kindergarten der NSV und Sitz der Ortsgruppenleitung der NSDAP. Von 1945 bis 1950 war sie ein sowjetisches Sanatorium. Nach 1950 wurde die Villa dem Sonderbedarfsträger MfS (Ministerium für Staatssicherheit) übergeben und war unter dem Namen „Heinrich Mankewitz“ Teil des Erholungsheims „Fritz Schmenkel“. Nach der Wende kurze Zeit vom Amt für nationale Sicherheit verwaltet und genutzt, folgte die Rückübertragung auf die Erben, die die Villa verkauften.

Phönix entstand aus der Asche – die Villa Oppenheim wurde von Lars Dittrich, dem heutigen Eigentümer, durch das Architekturbüro Pott in den letzten Jahren sehr aufwendig restauriert, und so glänzt dieses Heringsdorfer Wahrzeichen heute in altem – neuen Glanz.

Gerson Bleichröder – Villa Oechsler

ab 1872 von Bleichröder (* 22. Dezember 1822 in Berlin; † 19. Februar 1893 ebenda), war ein deutsch-jüdischer Bankier und als Vertreter der Rothschild-Banken am Finanzplatz Berlin einer der wichtigsten Privatbankiers seiner Zeit. Bleichröder war ein konservativer deutscher Jude, der für Reichskanzler Otto von Bismarck dessen private Geldangelegenheiten regelte und für den preußischen Staat große finanzielle Transaktionen organisierte. Wegen seiner loyalen Dienste für Bismarck und für Kaiser Wilhelm I. wurde Gerson Bleichröder 1872 in den erblichen Adelsstand erhoben.

Der schon genannte Erbauer der Villa war der Berliner Galvaniseur, Typograph und Unternehmer Hermann Berthold (1831 –1904), ein Pionier der Druckkunst und der Entwicklung von Schriften. Das Punktsystem Punkte per Inch (pitch) bei der Schriftgrößenbezeichnung geht auf seine Entwicklungen zurück.

Durch seine unternehmerischen Aktivitäten kam er zu Wohlstand und zur Bekanntschaft mit Gerson von Bleichröder, der sich wegen des zunehmenden Antisemitismus seiner Person gegenüber inkognito ein Refugium in Heringsdorf schaffen wollte. 1883 ließen sie sich gemeinsam das Haus Berthold und die Remise bauen, und Bleichröder soll in seinem letzten Lebensjahrzehnt jeden Sommer in der heute als Villa Oechsler bekannten Villa zugebracht haben. Sein Sohn Hans von Bleichröder ließ das Grundbuch 1905 auf seinen Namen ändern.

In einem Badejournal aus diesem Jahr heißt es: „Wer sich satt gesehen an dem Fashion-Treiben auf dem Konzertplatz, dem Kurplatz zwischen Kurhaus, Lindemanns-Hotel und Seeschloß, auf der Kasino-Terrasse und der Brücke, der pilgert wohl die Strandpromenade aufwärts nach Osten, vorüber am Damenbad und Mischbade und all den ergötzlichen, herzerfreuenden Kindergruppen auf dem weissen Sande links all den Villen, darunter der Delbrück-Villa und der Bertholdschen, zweien der ältesten, rechts, bis nach Ahlbeck hin.“

Im Dreiecksgiebel befindet sich ein aufwendiges Glasmosaik, welches vermutlich von Hermann Bertold eventuell mithilfe des damals sehr bekannten Malers Anton von Werner gezeichnet wurde (Inschrift H.B. aur. Pixit). Es wurde in der berühmten Glasmanufaktur von Dr. Antonio Salviati (1816–1890) auf der Insel Murano bei Venedig gefertigt und 1885 hier in Heringsdorf installiert. Salviati war damals ein europäischer Künstler, der international tätig war, von Windsor Castle in London über das Münster in Aachen bis hin zu einer Gemeinschaftsarbeit, dem Mosaik an der Siegessäule im Berliner Tiergarten, die er mit seinem Freund und Heringsdorfer Kurgast Anton von Werner schuf. Auf dem Heringsdorfer Mosaik tummeln sich badende Grazien, die in einem für die hiesige Vegetation typischen lichten Laubwald von Hasen und einem Dachs beobachtet werden.

Nach dem Tode von Hermann Berthold 1904 übernahm Hans von Bleichröder 1908 die Villa. Von seinen Erben erwarb 1922 Elise Oechsler, die Ehefrau des Geheimrats und Fabrikanten Otto Oechsler aus Ansbach bei Nürnberg, die Villa, die seitdem den Namen Villa Oechsler trägt. Elise Oechsler (1873–1961), Halbjüdin und Witwe des 1933 verstorbenen Otto Oechsler, beschloss 1939 nach Amerika zu emigrieren. Die Eigentumsübertragung war vermutlich eine einverständliche Arisierung, denn der Übernehmende war ein vorheriger arischer Mitarbeiter von Otto Oechsler gewesen.

Neuer Eigentümer wurde – grundbuchlich dokumentiert und abgesichert – die Familie Bock. Diese Eigentumsübertragung hatte auch nach dem Krieg in der DDR Bestand. Elise Oechsler starb am 29. April 1963 in Heidelberg.

Ein Dank gilt der Familie Hornung, die sich der Rettung dieses Gebäudes verschrieben hat und dieses Kleinod wiedererstehen und erhalten ließ. Nicht von ungefähr wurden sie mit mehreren nationalen Preisen für ihre denkmalschützenden Leistungen ausgezeichnet und belohnt.

Am 1. April 1999 wurde die völlig restaurierte Villa vom Eigentümer an das Pächter-Ehepaar Landau übergeben, sie wird heute als Boutique genutzt.

Hofrat Dr. Alonzo H. Sylvester – Villa Florence

Hans-Ulrich Bauer beschreibt dieses Jugendstil-Meisterstück: „Auf dem Grundstück Möwenweg 1–2, heute Puschkinstr., errichtete die Wolgaster Actien-Gesellschaft für Holzbearbeitung schon vor 1893 diese wunderschöne Villa. Bauherr der Villa Florence war Dr. Sylvester, der Zahnarzt von Kaiser-Wilhelm II der die Villa nach seiner Tochter Florence benannte. Mit dieser Villa hat sich der Architekt Johannes Lange ein eigenes Denkmal gesetzt.

Wie aus der Preisliste hervorgeht, kostete die Villa, fertig verpackt, frei Waggon oder Schiff in Wolgast, 17 ̆900 Mark. Die extra aufgeführten Maurerarbeiten betrugen 1 ̆800 Mark und die Aufstellungskosten 1 ̆900 Mark. Das Gewicht der Villa Florence wurde mit ca. 50 ̆000 kg angegeben.“

Im „Berliner Leben“ heißt es am 10. Januar 1905 – Dr. Alonzo H. Sylvester, der berühmte Zahnarzt von Kaiser Willhelm II., hat heute Morgen Selbstmord begangen, indem er sich selbst durch den Kopf geschossen hat. Er wurde am 22. April 1846 in Maine USA geboren. Am 1. August 1874 heiratete er in Genf Jennie C. Winchell (1853-1923 und soll bereits 1872 in Berlin praktiziert haben. Bekannt wurde er später als Leibzahnarzt von Kaiser Wilhelm II, der ihn zum Geheimen Hofrat ernannte. Er soll in Berlin „the biggest practice in Europe“ >> die größte Praxis in der europäischen Zahnmedizin<< geleitet haben. Seine Tochter Florence schrieb: „He saw more patients between nine a.m. and two p.m. than his assistants did between nine and five.” >> Zwischen neun Uhr morgens und 14 Uhr nachmittags sah er mehr Patienten als seine Assistenten zwischen neun und fünf Uhr.<<

Dadurch verdiente er außerordentlich viel, steckte aber trotzdem in seinen letzten Jahren in Geldschwierigkeiten, die nach den Zeitungsberichten auf den 1902 erfolgten Bruch mit seinem ehemaligen Partner George H. Watson zurückzuführen seien. Er verübte am 10. Januar 1905 Selbstmord. Dem Kaiser hinterließ er einen Abschiedsbrief.

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