Was geschah im Dezember 1909?

 In 1909, Unkategorisiert, Was geschah vor 110 Jahren, Zeitgeschehen

Für alle Neulinge, welche die Rubrik noch nicht kennen, gibt es hier eine Einführung dazu.

Katastrophe in Hamburg – ein Gasometer explodiert

Ein Gasometer, der erst kurz in Betrieb war, explodierte am 7. Dezember. Die Sonntagszeitung erzählt dazu:

Die Explosion der Hamburger Gasanstalt, bei der achtzehn Personen ihr Leben einbüßten, und zahlreiche Menschen zum Teil sehr schwer verletzt wurden, ist die größte Katastrophe, die sich jemals in der Gastechnik ereignet hat. Der finanzielle Schaden, den die Stadtgemeinde durch die Zertrümmerung der beiden Gasbehälter erlitten hat, beträgt mehrere Millionen Mark.“

Wie konnte es dazu kommen? Dazu sagt der kurze Artikel nichts, aber bei meiner Recherche bin ich beim Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof fündig geworden – vielen Dank!

Denn für die Opfer gibt es eine gemeinschaftliche Grabstätte für 16 namentlich genannte Tote der Katastrophe, auf dem Hauptfindling ist eine Plakette mit folgender Inschrift zu finden:

DEM ANDENKEN DER AM
17. DEZEMBER 1909 BEI DEM BRANDE
AUF DEM GROSSEN GRASBROOK
VERUNGLÜCKTEN GEWIDMET

Auf dem Gasbrook, einer ehemaligen Elbinsel, passierte das Unglück. Von 1845 bis immerhin 1976 befand sich Hamburgs ältestes Gaswerk dort. Im Rahmen einer Kapazitätserweiterung wurde dort 1909 ein nicht umhüllter Teleskop-Gasspeicher errichtet, mit 71 Meter Höhe der derzeit größte Gasometer in Europa! Er war erst 10 Tage in Betrieb und zur Hälfte gefüllt, als am 7. Dezember bei der weiteren Befüllung die Eisenträger der Bodenkonstruktion zusammenbrachen.

Die Blechhaut riss auf, das Gas entzündete sich und es kam zu einer gewaltigen Explosion. Aus dem Inneren des Druckbehälters überschwemmten dazu Wassermassen das Gelände. Im Artikel der Sonntagszeitung ist von zwei Gasbehältern die Rede – tatsächlich fing ein benachbarter Gasbehälter gleichfalls Feuer.

Laut diesem Bericht wurden bei dem Unglück 30 Menschen getötet, andere Quellen sprechen von 20 Toten, dazu wurden 42 Menschen verletzt. Unter ihnen befanden sich neben Arbeitern und Handwerkern auch Frauen der Betriebskantine, die sich in unmittelbarer Nähe befand.

Weihnachtsverkehr in der Reichshauptstadt

waren die folgenden beiden Bilder in der Sonntagszeitung untertitelt. Ja, auch damals gehörte der Weihnachts- oder Christbaum zum deutschen Weihnachtsfest unbedingt dazu!:

Vielleicht lieben wir unsern deutschen Wald nie so sehr, als wenn er von seinen Höhen herabkommt und uns in der Stadt aufsucht. Alljährlich einmal stellt er sich ein, um die Weihnachtszeit, wenn die Christbäume im Glanz der Kerzen der Menschheit ewiges nach Frieden stillen. Mit Stricken dicht umschnürt, legen die Bäume den Weg ins Tal zurück., und noch tagelang müssen sie auf den Güterbahnhöfen lagern, eh die Kleinhändler sie nach allen Richtungen hin entführen. Dann fallen die Stricke, die grünen Zweige dehnen und strecken sich, und bald stehen lange Tannen- und Fichtennadelalleen in den Straßen, mit ihrem würzigen Dufte den Bewohnern der Weltstadt einen Gruß aus ihrer Waldheimat bringend.

Und auch 1909 wurde schon viel verschickt:

Zu keiner Jahreszeit ist der Dienst im Hauptpostamte Berlins so aufreibend, wie zur Weihnachtszeit, denn jeder will die Gaben seiner Lieben rechtzeitig in den Händen haben. Die Zahl der einlaufenden und abzusendenden Gepäckstücke und Briefe geht in die Millionen, so daß selbst zahlreiche Soldaten hinzugezogen werden müssen, um den Riesenverkehr zu bewältigen.

Ja, das wäre vielleicht auch für die heutige Zeit noch eine Idee, das fehlende Postpersonal rund um die Weihnachtszeit aufzustocken. Gepäckstücke werden heute nicht mehr so viele verschickt, dafür umso mehr Pakete – oft allerdings von Versendern und Online-Plattformen. Ersteres gab es übrigens auch schon zu jener Zeit – man sieht es an den Werbungen in Zeitschriften. Erstaunlich, was schon alles verschickt wurde – von Lebens- und Genußmitteln wie Butter und Baumkuchen über Spielzeug bis zu Kleidung. Das war sicher insbesondere für die Bevölkerung kleinerer Städte und Dörfer, in denen es nicht so viele Geschäfte gab, praktisch.

Heute gibt es in manchen Dörfern allerdings gar keine Geschäfte mehr bzw. selbst in den Städten werden es immer weniger. Wen das stört, der sollte in den Geschäften, die es noch gibt, immer mal etwas kaufen.

Die Nobelpreise werden vergeben – darunter zwei Deutsche und eine Frau!

Heute eher selten, früher öfter  zu finden – Deutsche unter den jährlichen Nobelpreisträgern. Früher eher selten, heute auch noch – Frauen unter den jährlichen Nobelpreisträgern. Bisher haben 787 Männer und 52 Frauen (und der Vollständigkeit halber: 27 Organisationen) Nobelpreise erhalten (ohne Wirtschaftspreis).

In den Wochenzeitschriften 1909 werden alle Nobelpreisträger und die deutschen im Besonderen vorgestellt: Das waren Wilhelm Ostwald und Ferdinand Braun.

Wilhelm Ostwald (1853-1932)

wird im Artikel der Gartenlaube „der Begründer der physikalischen Chemie“ genannt und als solcher gilt er noch heute. Den Nobelpreis für Chemie erhielt er für seine Arbeiten über die Katalyse und seine Untersuchungen über Gleichgewichtsverhältnisse und Reaktionsgeschwindigkeiten (wikipedia).

Ostwald stammte ursprünglich aus Riga, hatte jedoch deutsche Vorfahren. In Riga hatte er nach seinem Studium auch seine erste Stelle als Professor, heiratete seine Frau Helene (geb. von Reyer) und auch die ersten vier seiner fünf Kinder kamen dort zur Welt. 1887 wurde er auf den Lehrstuhl für physikalische Chemie an der Universität Leipzig berufen. Dort lehrte er bis 1906, wobei er sich von Oktober 1905 – Januar 1906 in den USA aufhielt. Als erster deutscher Austauschprofessor hielt er Gastvorlesungen an so renommierten Universitäten wie Harvard und Columbia.

Wilhelm Ostwald war umtriebig und äußerst vielseitig interessiert. Er beschäftigte sich gleichfalls mit Philosophie, entwickelte eine eigene Farblehre und engagierte sich auch für weitere Themen, ob nun die Schulpolitik Anfang des 20. Jahrhunderts („zu dogmatisch“) oder die Organisation der wissenschaftlich-geistigen Arbeit, bei der es grob zusammengefasst um die Bildung von Standards zur Vereinfachung von Arbeitsprozessen ging.

Sicherlich war auch mancher Irrweg dabei und viele seiner Ideen sind heute zu Recht vergessen. In jedem Fall brachte er sich mit seinen Ideen und Anschauungen aktiv in die Gesellschaft ein – was man von nicht so vielen Wissenschaftlern behaupten kann.

Seinen Lebensmittelpunkt hatte er ab 1906 nach seiner Emeritierung als Professor in Leipzig in Großbothen in der Nähe von Leipzig. In seinem Haus dort lebte er mit seiner Familie und forschte ab 1906 als freier Wissenschaftler. In seinen ehemaligen Wohn- und Arbeitsräumen des „Haus(es) Energie“ ist heute ein Museum, das sich dem Leben und Schaffen Ostwalds widmet. Hier der Link zum Museum.

Den Nobelpreis für Telegraphie erhielt Ferdinand Braun (1850-1918) – so steht es jedenfalls in der Sonntagszeitung. Na gut, es gab den Preis ja erst ein paar Jahre (seit 1901), da kann man die Gebiete schon mal verwechseln. Also, es war der Preis für Physik, den sich Braun übrigens mit dem Italiener Gugliemo Marconi teilte – beide erhielten ihn für ihren Beitrag zur Entwicklung der drahtlosen Telegraphie. Also, dass es etwas mit Telegraphie war, stimmte schon.

Zu Ferdinand Braun heißt es:

Professor Ferdinand Braun, der augenblicklich an der Spitze des Physikalischen Instituts der Universität Straßburg steht, ist Hesse von Geburt, studierte in Marburg und Berlin Mathematik und Naturwissenschaften, war in Würzburg Assistent des bekannten Physikers Quincke, kam 1876 als außerordentlicher Professor nach Marburg und 1880 nach Straßburg, wo er als Lehrer am Physikalischen Institut und als Fachschriftsteller, besonders durch seine Untersuchungen über elastische Schwingungen und seine Experimente über die Identität der Licht- und elektrischen Schwingungen sich einen Namen gemacht hat.“

Heute ist er vor allem durch seine Erfindung der „Braunschen Röhre“ in Erinnerung, die nben weiteren Nutzungen 1930 als Bildröhre für die ersten Fernsehgeräte verwendet wurde.

Über Selma Lagerlöf und ihr bekanntestes Buch „Nils Holgerson“ erzählen wir in der Dezember-Ausgabe von 1908, in der wir auch über den Stifter des Preises  Alfred Nobel berichten.

Das neue Meininger Hoftheater wird eröffnet – nach 1 ½ Jahren Bauzeit!

Die Gartenlaube berichtet in einer Herbstausgabe:

Binnen kurzem wird der Neubau des erinnerungsreichen Hoftheaters zu Meiningen feierlich eröffnet werden. Nach Plänen des Meininger Hofbaumeisters Behlert wurde das neue Haus getreu den Intentionen des kunstsinnigen Herzogs geschaffen und der im Empirestil gehaltene Bau binnen 1 ½ Jahren vollendet…

Richtig gelesen, binnen 1 ½ Jahren! Denn das vorheriger Theater war erst im März 1908 durch einen Brand zerstört worden. Wie man sieht, hatten die Flammen gründliche Arbeit geleistet…

Auch damals (als die Bauzeiten insgesamt noch kürzer waren, da es doch noch weniger Bürokratie, Bauvorschriften und Interessenverbände, die dagegen waren, gab) war die kurze Bauzeit eine logistische Meisterleistung. Zumal das Theater heute noch in alter Pracht steht, wie Ihr sehen könnt. Die Haupttriebkraft hinter dem schnellen Wiederaufbau war der im Artikel schon erwähnte kunstsinnige Herzog Georg II. Er war zu diesem Zeitpunkt schon 82 Jahre alt und der Wiederaufbau wurde sein Herzensprojekt, mit dem er sich selbst ein Denkmal setzte. Georg II. war ein begeisterter Förderer und auch Reformer der Theaterkunst und nicht zuletzt durch sein Wirken hatte das Meininger Theater einen international guten Ruf und gastierte erfolgreich in den Metropolen Europas. Zum Glück erlebte er „sein“ neues Theater dann auch noch ein paar Jahre – er starb 1914 mit 88 Jahren.

Der Wiederaufbau erfolgte so schnell, dass

…der genaue Zeitpunkt des ersten Spatenstichs nicht bestimmbar (war). Und: eine Grundsteinlegung aus gleichem Grunde nicht stattgefunden (hat).

wie es in der Denkschrift zur Eröffnung heißt. Und weiter zum Neuaufbau:

Diese kurze Baufrist des Rohbaues war nur mit Hülfe von Nachtstunden möglich, wozu das beim Brande unbeschädigte Elektrizitätswerk die Beleuchtung lieferte.

Puh, noch mal Glück gehabt!

 Auch Bühne und Zuschauerraum wurden komplett neu gestaltet: Der Zuschauerraum ist um 5 Meter tiefer, als es im alten Hause der Fall war, und umfaßt 810 Sitzplätze.

erzählt die Gartenlaube, laut Denkschrift waren es sogar noch mehr, genau 846 Sitzplätze und 44 Stehplätze („an der Rückseite des II. Parketts“). Die gesamten Baukosten betrugen übrigens rund 1 200 000 Mark, wie dort ausgeführt wird und es wird auch gleich pragmatisch umgerechnet: Das Haus faßt 890 Zuschauer, mithin kommen auf einen Zuschauer 1346 Mark Baukosten.

Dazu muss man vielleicht noch sagen, dass Meiningen damals ca. 17.000 Einwohner (Quelle Statistisches Jahrbuch Deutsches Reich von 1913) hatte. Um das Theater zu füllen, musste also einer von 19 Einwohnern ins Theater gehen. Jedoch hatte das Theater aufgrund seines Renommees weitere Zuschauer von auswärts.

Sponsoren für den Neubau gab es übrigens auch:

 Für die Innenausstattung sind dem Herzog wertvolle Geschenke überwiesen worden, so z.B. der Zwischenvorhang, den das erbprinzliche Paar stiftete und der Hauptvorhang, den Arthur Fitger in Bremen verehrte. (Gartenlaube)

Arthur Fitger, ein Freund des Herzogs, war damals DER Malerfürst Bremens und hatte im herzoglichen Schloss Malereien ausgeführt. Fitger stiftete nicht nur, er ließ es sich nicht nehmen, den Hauptvorhang künstlerisch zu gestalten. Weitere Stifter waren Direktoren deutscher Großbanken und kamen aus dem Freundes- und Familienkreis. Den Hauptteil trug jedoch der Herzog aus seiner seinem Privatvermögen.

Die Eröffnung wurde symbolträchtig auf den 17. Dezember 1909 gelegt – an diesem Tag war 1831 auch das alte abgebrannte Theater eröffnet worden. Es kam die gesamte Prominenz der damaligen Theater- und Bankenwelt und es wurde ein Klassiker von Schiller „Wallensteins Lager“ gespielt.

Aus dem Frauenleben:

Auch im Dezember feiern wir bei den Frauen zwei Premieren: eine Reise durch Afrika und eine Opern-Dirigentin! Und dann gibt es da noch die spannende Story der Skandalprinzessin Louise von Coburg.

Umgekehrte Vorzeichen: Die erste Frau durchquert Afrika

Herrlich, so selbstverständlich wird 1909 über den Jagdausflug zweier Frauen berichtet. Wobei ja nicht der Jagdausflug zusammen mit der Sultanin (herrliche Wortschöpfung) das Bemerkenswerte war, sondern die Durchquerung Afrikas. Dazu wird mit einem weiteren Bild erzählt:

Frau Hauptmann Anna Schloifer ist eine geborene Freiin von Schrenck v. Notzing. Sie brach am 3. September dieses Jahres mit ihrem Gatten von Udjidje in Deutsch-Ostafrika auf und langte am 12. Oktober in Matadi an der Kongomündung an. Sie hat also die 3000 Kilometer lange Strecke von der Ost- zur Westküste Afrikas in vierzig Tagen zurückgelegt. Bisher hat nur eine Frau, und zwar eine Belgierin, Afrika von Ost nach West durchquert.

Irgendwie sind die Männer im allgemeinen und der Gatte im Besonderen in diesem Artikel nur Statisten. Und das 1909! Eine Frage bleibt – hat Anna Afrika in diesen Kleidern durchquert, oder trug sie die nur für das Foto-Protokoll?

Eine Sie schwingt den Taktstock

Eine Freundin von mir meinte neulich zu mir, einige Berufe wären bis heute noch nicht weiblich besetzt. Ob ich z.B. eine Dirigentin wüßte? Wußte ich nicht (allerding ohne mich intensiv damit beschäftigt zu haben). Dabei berichtete die Sonntagszeitung schon von einer Dirigentin – unter der Überschrift „Der erste weibliche Operndirigent“ hieß es:

Im Londoner Court-Theater schwingt jetzt allabendlich eine Dame den Dirigentenstab. Es ist Miß Majerie Slaughter, die Tochter des kürzlich verstorbenen englischen Komponisten Walter Slaughter, dessen letzte Oper, „Alice im Wunderland“, sie dirigiert. Wie als Dirigentin, so hat sich Miß Slaughter auch als Komponistin vorteilhaft beim Publikum eingeführt, da sie zu der Oper ein sehr melodiöses Intermezzo beigesteuert hat.

Miß Slaughter war also auch Komponistin. Außer diesem weiteren Bild, welches sie sogar in Aktion zeigt und einer Nennung als Komponistin eines Stückes von 1915, habe ich keine weiteren Informationen zu ihr finden können. Als Dirigentin startete sie jedenfalls sehr jung –mit gerade mal 19 Jahren! Zurück zur Eingangsfrage: Und heute? Gibt es Dirigentinnen –allerdings immer noch wenige, in diesem Artikel nachzulesen, der auch weitere Dirigentinnen der Zeitgeschichte aufführt – übrigens auch vor der hier als „Ersten“ gefeierten Majerie Slaughter. Die allerdings in der Aufstellung fehlt!

Eine Skandalprinzessin klagt!

Skandalprinzessin ist tatsächlich treffend für Prinzessin Louise von Coburg, wie sie im kurzen Bericht der Sonntagszeitung genannt wird, oder auch Prinzessin von Belgien. Ihre Geschichte wäre einen eigenen Artikel wert!

Hier die Kurzfassung:

Prinzessin Louise war die älteste Tochter von vier Kindern des Königs von Belgien und seiner Frau Marie Henriette, ihres Zeichens Erzherzogin von Österreich. Louise heiratete jung -1875- Prinz Philipp von Sachsen-Coburg und Gotha. Als mondänste Frau des Wiener Hofes, so wurde sie einmal beschrieben verzauberte sie die Männer bis in den familiären Umkreis. Auch der jüngste Bruder des Kaisers, Erzherzog Ludwig Viktor war ein Fan von ihr. Affären hatte sie während ihrer Ehe auch, zunächst mit dem Adjutanten ihres Mannes, später dann mit seinem Nachfolger.

Von ihrem Ehemann trennte sie sich und lebte ihre Beziehung mit einem Leutnant namens Geza von Mattachich (der Nachfolger des 2. Adjutanten) öffentlich. Kaiser Franz Joseph erzürnte ihr Verhalten und er verbannte sie vom Hof.

Neben ihrer Leidenschaft für Männer hatte sie noch eine zweite: Geld ausgeben. Mit ihren Geliebten durch Europa reisend, machte sie riesige Schulden. Da ihr Vater, der König von Belgien, allerdings als einer der reichsten Monarchen Europas galt und sie sein Vermögen einmal erben würde, wurde ihr großzügig Kredit gewährt. Dem Kaiser wurde das irgendwann alles zuviel und er ließ sie 1898 kurzerhand ins Irrenhaus (so hieß es damals) stecken, zunächst bei Wien, später in eine Anstalt in Coswig bei Dresden. Auch ihr Geliebter wurde verurteilt und ins Militärgefängnis gesteckt. 1904 wurde der „Geisteszustand“ der Prinzessin erneut überprüft bzw. eigentlich, ob sie ihre Beziehung zu Mattachich aufrecht erhalten wollte – und da sie wollte, blieb sie unter „ärztlicher Obhut“. Bis Mattachich sie im Herbst 1904 aus der Anstalt befreite. Trotz strenger polizeilicher Überwachung, Strassensperren etc. gelang ihnen die Flucht nach Frankreich. Von ihrem Mann wurde sie 1906 geschieden. Und das riesige Vermögen ihres Vaters? Der starb im Dezember 1909. Und hier kommt der Artikel ins Spiel:

…durch ihr abenteuerliches Leben erzürnte sie ihren Vater so sehr, dass er auch angesichts des Todes eine Versöhnung ablehnte. Aus dem väterlichen Vermögen soll Prinzessin Luise fünf Millionen Franc erben. Da ihre Schulden aber sechs Millionen betragen – vielfach werden sie sogar auf fünfzehn Millionen geschätzt – so hat sie gegen Baronin Vaughan, die morganatisch angetraute Gattin und Haupterbin Leopolds II., den Klageweg beschritten.

Baronin Vaugham, eine Bürgerliche (deshalb morganatische Ehe, früher auch „Ehe zur linken Hand“ genannt – eine Ehe mit einer Frau eines niederen Standes), war die letzte Frau ihres Vaters, die er sechs Jahre vor seinem Tod kennengelernt hatte und die ihn dann bis zu seinem Tod gepflegt hatte.

Wie ging die Sache aus und das Leben der Skandalprinzessin? Sie bekam zwar einen Teil ihres Erbes, aber nicht genug, um ihre Schulden zu begleichen. Und sie häufte gemeinsam mit ihrem Partner auf ihren verschiedenen Stationen durch Europa neue auf. Nach Ende des 1. Weltkrieges floh sie nach Ungarn. Dort wurde sie von ungarischen Bolschewiken zum Tode verurteilt – wegen angeblicher Spionage. Jedoch wurde sie im letzten Augenblick begnadigt. Mit ihrem Partner Mattachich kehrte sie nach Wien zurück, wo sie, richtig vermutet, wieder so lange Schulden machte, bis sie aus ihrem Hotel in Schönbrunn hinausgeworfen wurden und nach Paris weiterzogen. Dort verstarb 1923 Mattachich. Danach ging sie nach Deutschland, reiste dort umher, bis sie 1924 völlig verarmt in Wiesbaden starb –auf dem dortigen Südfriedhof steht auch ihr Grab. Puuh, was für ein Leben, Stoff für mehrere Filme – oder eine ganze Serie (mit mehreren Staffeln)!

Aus Adelskreisen:

Fürst Albert von Thurn und Taxis – Freiwilliger Verzicht auf ein Privileg

Fürst Albert von Thurn und Taxis verzichtet auf die Portofreiheit und zwar für sich und seine Familie. Im Artikel der Sonntagszeitung wird dazu erzählt:

 Ein vorbildlicher Reichsfürst ist Fürst Albert von Thurn und Taxis. Seine Familie, die vor vierhundert Jahren die erste wirkliche Post von Wien nach Brüssel einrichtete und der dann bis zum Jahre 1866 der ausschließliche Postbetrieb in Deutschland und Österreich übertragen war, hatte seither völlige Portofreiheit im gesamten Deutschen Reiche. Fürst Albert hat jetzt erklärt, für sich und seine Familie auf die Portofreiheit verzichten zu wollen.

Es ging hier wohl eher um die Geste. Das Porto einer Postkarte betrug zu dieser Zeit 5 Pfennig, eines Briefes (bis 20 Gramm) 10 Pfennig (innerhalb des deutschen Reiches), ein Paket bis 5 kg kostete 25 (bis zu einer Entfernung von 10 geographischen Meilen) bzw. 50 Pfennig (für weitere Entfernungen). Die Fürstenfamilie gehörte zu den reichsten Familien des Landes.

Anscheinend war diese Geste aber nicht üblich und deshalb berichtenswert: freiwillig auf ein Privileg zu verzichten.

Bis heute hört man davon bei Amtsträgern und Politikern selten –eher das Gegenteil: Persönliche Bereicherung und Vorteilsnahme aufgrund der eigenen Machtposition. Was gerade bei Politikern, die ach so gerne von der sozialen Gerechtigkeit predigen, bitter aufstößt. Diese gilt dann wohl nur für die anderen…

Kurios: Ein neues Verkehrsmittel: Das Cachypod

aus der Rubrik „Erfindungen, die sich nicht durchgesetzt haben“, präsentieren wir Euch heute, Trommelwirbel: „Das Cachypod“. Was wohl griffiger als „Fahrräder an den Füßen“ klang.

Zunächst glaubt man ja an einen April-Scherz, aber es wurde definitiv in einer Dezemberausgabe der Sonntagszeitung veröffentlicht! Viel mehr erfahren wir im kurzen Untertitel auch nicht über das, tja, was eigentlich? Sportgerät? Gefährt? Fortbewegungsmittel? Außer dass der Erfinder Professor Potribi aus Uppsala in Schweden war und es „etwa die Schnelligkeit eines Motorrades (hat)“.

Für alle Interessierten: Hier die Links zu den Artikeln, was im Dezember 1908 und im 2. Halbjahr 1911 geschah.

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