Wenn die Hausfrau krank ist

 In Frauenleben, Geschichten

Wenn die Hausfrau krank ist

Eine Plauderei von Else Ritter

Ich habe es in meinem langen, wechselreichen Leben möglichst vermieden, krank zu sein, oder besser gesagt, krankheitshalber im Bette zu liegen; denn alles „Kranksein“ kann man ja wohl nicht vermeiden. Und ich habe Glück dabei gehabt; mein Temperament, mein fester Wille haben bis jetzt fast immer gesiegt über Fieber und Unbequemlichkeiten sowie über die gerunzelte Stirn unseres Hausarztes.

Diesmal triumphiert aber der Arzt, er bat mich wegen heftiger Mandelentzündung und ich glaube 40 Grad Réaumur [andere Maßeinheit als Celsius] Hitze ins Bett stecken dürfen. Angeblich soll ich phantasiert haben und sogar bewusstlos gewesen sein, was ich unbedingt glaube, denn sonst hätte ich ihm wohl nicht so blind seinen Willen getan. Ja, und nun liege ich hier, lieblich gruppiert mit meiner Tochter Lotte, die die Krankheit eingeschleppt hat. Nach einigen recht wenig angenehmen Tagen bin ich wieder auf dem Wege der Besserung, langweile mich und zähle das Blümchenmuster an der Wand neben meinem Bette.

Entsetzlich, das; mir das passieren musste!

Es ist neun Uhr morgens. Sie haben die Jalousie aufgezogen, blendend flutet die Morgensonne in unser Krankenzimmer, malt auf der hellen Tapete leuchtende Kringelchen und lässt die Lackmöbel in strahlender Weiße erglänzen. Hübsch ist’s, ordentlich stimmungsvoll! Man könnte dichten dabei, wenn die Situation im Allgemeinen nicht doch zu prosaisch wäre.

Martha, das Stubenmädchen, wischt eben die Stube aus. Sie hat ein ausgewaschenes Kattunkleid an, darüber einen schwarzen, gestrickten „Seelenwärmer“ und eine Blaudruckschürze. Ihre Füße stecken in Filzpantoffeln, was mir etwas aus die Nerven fällt, jedoch wirklich nur „etwas“, ein Zeichen, dass ich doch noch nicht gesund bin.

Beim Aufwischen kniet sie sich auf den Fußboden und fährt mit dem Lappen immer im Kreise herum. Wenn sie ans einer Stelle ungefähr zehnmal rundherum gerieben hat, richtet sie sich auf, taucht den Lappen in den Wassereimer, wringt ihn mit vielem Kräfteaufwand aus und bearbeitet auf dieselbe Art eine andre Stelle. Zwischendurch rutscht sie auf den Knien langsam weiter.

Ich sehe ihr eine Weile zu, dann erwachen meine hausfraulichen Lebensgeister allmählich wieder. „Warum kniest du denn nur so herum? Nimm doch den Schrubber zum Aufwischen!“

Sie richtet sich auf und sieht mich an. „Das hab‘ ich nich g’lernt.“

„Na, dann mach‘ wenigstens schneller!“

„Das kann ich nich!“

Ihr Phlegma ist beneidenswert. Ich drehe mich auf die Seite und versuche noch einmal einzuschlafen. Es glückt leider nicht, die Sonne scheint zu hell, und eine Hyazinthe auf meinem Nachtischchen duftet zu stark. Außerdem wischt Martha jetzt Staub, und eine gewisse Neugier plagt mich, sie dabei zu beobachten.

In diesem Augenblick öffnet sich die Tür, und mein Mann steckt den Kopf ins Zimmer. „Na, wie geht’s? — Besser?“

Meine Tochter Lotte und ich erheben gemeinschaftlich die energische Forderung nach Frühstück.

Mein Mann verschwindet, um fünf Minuten später, ungefähr in der Pose des „Schokoladenmädchens“, mit einem Tablett voller Tassen und Kannen wieder ins Zimmer zu treten und jedem seiner bettlägerigen Familienmitglieder das Seine zuzuteilen. Zwieback dazu holt er aus der rechten Litewkatasche [Litewka war eine Uniform]. Einfach, aber praktisch! Perle von einem Mann, nicht wahr?

Nach einigen weiteren Fragen nach unserm Befinden und einigen väterlich wohlwollenden Ratschlägen will er sich wieder entfernen, hat aber dabei die Rechnung ohne seine Tochter gemacht. Diese Tochter, so sanft und blond sie aussieht, ist nach Anlage und leider auch nach Erziehung der geborene Tyrann.

„Ach Vaterchen, Vaterchen!“

Wasser soll er ihr bringen und ihre Puppe Elli, und das Kopfkissen gerade ziehen und —

„Vaterchen, sieh doch mal nach, da hab‘ ich ’n Krümel, das drückt mich!“

Das gute „Vaterchen“ läuft diensteifrig hin und her. Es besorgt alles Gewünschte, sucht und findet sogar das „Krümel“! Auf seinem Gesicht malt sich jetzt die leise Hoffnung, dass er bald in Gnaden entlassen wird, aber so schnell geht das nicht.

„Du, Vaterchen!“

„Ja, was ist denn noch, Maus?“

„Du, Vaterchen, bring‘ mir doch noch aus meinem Bücherschrank — na wart‘ mal — bring‘ mir .Herzblättchens Zeitvertreib‘! Ich hab‘ die Bücher alle nach der Reihe gestellt und nummeriert, Nr. 20 ist es!“

Widerspruch liegt Vaterchen selbstverständlich fern, gehorsam geht er daher an Lottes Spielschränkchen, in dessen unterstem Fach eine Reihe Bücher nebeneinander stehen. Nr. 20 ist nicht zu finden. Ich beobachte still und lächle in mich hinein. Komisch, dass selbst die handfestesten Väter doch immer unter dem Pantoffel der „einzigen Tochter“ stehen.

„Na, lass mal, suche nicht weiter, ich werd’s wohl verliehen haben“, meinte Lotte endlich gnädig und geruht sich mit „Nr. 19″ zufrieden zu geben.

Ich hätte gern auch allerhand kleine Anliegen an „Vaterchen“ gehabt, wage sie aber nicht zu äußern, da er mir im zarten Minnedienst um seine Tochter schon reichlich „abgearbeitet“ vorkommt. Auf eine Frage seinerseits versichere ich ihm also, dass ich „alles habe“, und er geht stolz im Bewusstsein schwer erfüllter Pflichten in seinen Dienst.

Wir sind nun wieder allein. Lotte beschäftigt sich mit „Nr. 19″, ich sehe interessiert die Postsachen durch, die Martha eben ins Zimmer gebracht hat, und ärgere mich über eine Rechnung von meinem Schneider, auf der ein Posten vermerkt ist, den ich nie gehabt habe. Dass ich momentan nicht in der Lage bin, den Irrtum aufzuklären, regt mich mehr als nötig auf. Mir ist wirklich ganz heiß geworden.

Erschöpft lege ich mich in meinen Kissen zurecht, um nach wenigen Minuten wieder hochzufahren und sorgenvoll nach der Küche hin zu lauschen, in der es ungewöhnlich laut hergeht.

In der Küche residiert Ottilie, die „Stütze“ des Hauses, im Vertrauen gesagt, aber mehr der „Schrecken der Familie“. Was kann sie jetzt nur wieder haben? Woher dieser furchtbare Lärm, den man durch drei Türen hindurch hört? Ich habe nie Anspruch darauf gemacht, eine besonders fanatische „Hausfrau“ zu sein, ich drücke gern nicht bloß eins, nein beide Augen zu und bin froh, wenn ich mich ohne Ärger durch die Klippen des heutigen wirtschaftlichen Lebens hindurchwinden kann, aber Ordnung im Hause will man doch haben, und ich bin in den Jahren meiner Ehe, was Dienstboten anbetrifft, nicht verwöhnt worden. Schrecklich, ans Bett gefesselt zu sein, wenn draußen wer weiß was vorgeht. Ich fühle mich plötzlich gar nicht mehr krank, sondern wieder ganz leistungsfähig, selbst die Halsschmerzen lassen nach.

Energisch setze ich mich in Positur und drücke auf die elektrische Klingel.

Es kommt niemand!

Ich drücke heftiger. Da endlich erscheint Martha, immer noch in Filzpantoffeln, was mir jetzt doch ernstlich unangenehm ist. Sie biegt sich förmlich vor Lachen. Ein ganz ungehöriges Benehmen. Ich gebe mir soviel wie möglich „Ansehen“, mit dem sichern Bewusstsein, dass mein Anblick momentan doch nicht niederschmetternd wirkt.

„Was ist denn da draußen los?“

„Ooch — nüscht!“

Martha lacht weiter.

„Wer ist denn da in der Küche?“

„Ooch, ’s isch gar niemand da!“

Ich werde nervös. Ob sie etwa über mich lacht?

„Aber ich bitte dich, wer macht denn nur diesen entsetzlichen Lärm?“

Sie nimmt sich zusammen, um nicht zu lachen, was ihr harmloses Gesicht förmlich zur Grimasse verzerrt. Nachdem sie zweimal krampfhaft nach Luft geschnappt hat, platzt sie von neuem los: „Pfff — hihihi — ach, der Johann war doch man bloß da außen und hat Wasser g’holt für die Pferde — und nu da hat äben die Ottilie ihm nass g’spritzt, und er ihr wieder — und das war so g’spaßig!“

Kann ich mir lebhaft vorstellen! Nette Zustände in unserm Hause! Aber das kommt davon, wenn man sich gestattet, ein paar Tage krank zu sein, dann geht gleich alles drunter und drüber! Aber wartet nur, wenn ich erst wieder gesund bin! Ich rege mich mehr auf, als die Sache wert ist, zwischendurch mautzt Lotte ungeduldig umher. Mit „Nr. 19″ hat sie sich lange genug beschäftigt.

„Was soll ich nun tun, Mütterchen?“

Ich schlage ihr ungefähr sechserlei vor. Es ist aber alles langweilig.

„Wenn doch bloß Vaterchen erst wieder da wäre!“ stöhnt sie sehnsüchtig, während ich stille Melancholie ergreift, dass ich so gar nicht imstande bin, meine Tochter glücklich zu machen. Mir sind wirklich die Tränen nahe.

Glücklicherweise erscheint in diesem kritischen Moment Martha von neuem, diesmal mit weißer Latzschürze und Hackenschuhen.

„Der Dukter is da!“ meldet sie.

Gleich hinterher folgt unser Hausarzt.

„Na, wie geht’s, wie geht’s?“

Er setzt sich auf den Stuhl an meinem Bett, während unser junger Dobermannhund „Prinz“ mit wütendem Gekläff an ihm hochspringt. „Schön sehen Sie noch nicht aus, gnädige Frau!“ bemerkt der Arzt wohlwollend.

Kleiner Schmeichler!

„Doktor, lassen Sie mich aufstehen, meine ganze Wirtschaft geht zugrunde!“ flehe ich.

„Lassen Sie, lassen Sie sie zugrunde gehen. Gesundheit ist die Hauptsache!“

Er nimmt mit feierlicher Bedächtigkeit einen silbernen Löffel, sieht mir in den Hals und lässt mich „A“ sagen, während ich mit beiden Händen Prinz streichle, der sich wohl sozusagen als „Anstandswauwau“ suhlt und die besten Absichten zeigt, den alten Herrn zu verschlingen. „Wundervoller Hals, wundervoll!“ sagte der Doktor. „Sie müssen noch mindestens eine Woche im Bett bleiben, damit keine Komplikationen eintreten!“

Er sitzt jetzt wieder händereibend auf dem Stuhl, man merkt ihm die Freude an meinem Elend an.

Acht Tage soll ich noch liegen! Nette Aussichten! Und dann — dann darf man zuerst wie ’ne matte Fliege herumsitzen, bis man eines Tages die gnädige Erlaubnis bekommt, draußen „in der Sonne“ auf und ab zu gehen, aber ja nur „in der Sonne“. Vielleicht werden auch noch ein paar „Tanten“ gechartert, die auf einen aufpassen, dass man den Mund zur rechten Zeit auf und zu macht. Wir haben solche „Tanten“ allerdings in der Verwandtschaft nicht aufzuweisen, aber wer weiß, vielleicht gibt es Institute, wo man dieselben „leihweise“ haben kann. Während dieser meiner tiefsinnigen Betrachtungen und während ich mit allen mir gebliebenen Körperkräften Prinz weiter streichle, wiederholt sich an Lottes Bett dieselbe Szene. Dann erzählt unser Doktor noch ein paar Anekdötchen und empfiehlt sich, fröhlich die Hände reibend und leicht tänzelnd mit Hinterlassung neuer Verhaltungsmaßregeln und einem Rezeptchen.

Es ist allmählich ein Uhr mittags geworden. Fritzchen, unser Sohn und Thronerbe, ein hoffnungsvoller Quartaner, kommt aus der Schule.

Er hat strenge Weisung, nicht zu uns ins Zimmer zu treten, der Ansteckungsgefahr wegen. Schon als er ins Nebenzimmer kommt, zittere ich daher, ob er auch gehorchen wird. Natürlich nicht! — Mit ein paar Hechtsätzen, die Mappe an einem Riemen lang hinter sich herziehend, ist er auf der Türschwelle.

„Da bleiben!“

Ich stoße es mit allem mir zu Gebote stehenden Kräfteaufwand hervor und winke entsetzt mit beiden Armen ab.

Er dreht kurz um. „Na, denn nicht!“

Ich mache mir Vorwürfe, ihn vielleicht zu hart angefahren zu haben.

„Fritzchen“, rufe ich ihn bis zur Türschwelle zurück, „Sieh mal, du darfst doch nicht zu mir kommen, damit du nicht auch krank wirst.“

„Na nu. habt ihr denn immer noch ’Backzillen‘?“

Er sagt es erstaunt, mit dem ganzen Ausdruck seiner Nichtachtung.

„Wie war es denn in der Schule?“ erkundige ich mich interessiert.

„Ach — man so!“

„Habt ihr ein Extemporale [Klassenarbeit Latein] zurückbekommen?“

„Ja, Mütterchen, aber der Murow ist ungerecht. Mir hat er eine 3 gegeben und dem Müller eine 2b, und der Müller hat immer bei mir abgeschrieben. Kannst mir’s glauben!“

Er steht noch einen Augenblick an der Türfassung, dann verduftet er, und während ich mit Kummer an die Drei und die Versetzung zu Ostern denke, höre ich ihn draußen fröhlich mit Prinz umhertollen. Die Rückkehr meines Mannes und das bald darauffolgende Mittagessen lenken meine Gedanken bald auf etwas anderes. Sehr angenehm ist diese Ablenkung in Bezug auf das uns gespendete Mahl aber absolut nicht. Ein Teller Brühe mit Ei und ein Brötchen! Lotte und ich empören uns gegen dieses „Hungerleben“ — es nützt aber nichts. Mein Mann setzt seine Amtsmiene auf und ermahnt uns, „artig“ zu ein, sonst bekämen wir überhaupt nichts. Wir löffeln tapfer unsere Suppe. Ach, was sind wir brav!

Wie mir scheint, hat der gesunde Teil unsrer Familie heute aber auch nicht viel Freude am Essen gehabt. Mein Mann gesteht mir, dass außer den Kartoffeln, die „Wasser gezogen“ hatten, alles mehr oder weniger angebrannt gewesen wäre, und — seine Stimme steigert sich zum Fortissimo —, dass er „der Person“ da draußen heute noch seine Meinung sagen würde. Er hat viel Mut, finde ich. Er ahnt ja doch nicht, was es heißt, den Kampf mit dem Drachen aufzunehmen.

Als ich ihn auf eventuelle Gefahren hierbei aufmerksam mache, lacht er sorglos.

„Lass nur, ich werde schon mit ihr fertig werden. Unsereiner versteht doch mit solchen Leuten umzugehen. Ihr Frauen seid nur immer gleich so nervös, und damit verderbt ihr alles!“

Ach ja, wir Frauen sind immer gleich so nervös! Wir armen Frauen! — Müde lege ich mich in mein Kissen zurück und empfinde es momentan wirklich dankbar als Wohltat, dass ich krank bin.

Ein wundervoller Mittagsschlaf folgt. Einzig schöne Ruhe! Ich träume bildschön von einer großen Parade mit rauschender Militärmusik. Merkwürdig, wie lebhaft man träumen kann — ich höre deutlich den Marsch aus „Carmen“, höre im Nebenzimmer eiliges Hin- und Herlaufen — und — nein, ich träume ja gar nicht. Grinsend steht Martha mit dem Kaffeegeschirr an meinem Bett:

„Nee, is dees aber prachtvoll, gnä‘ Frau!“

Und dann mein Mann, etwas verlegen: „Du, ich begreife gar nicht, nun bringen sie das Ständchen, und ich hab’s doch abbestellt. Sicher. Wo ist denn nur der Brief an den Kapellmeister hingekommen, worin ich ihm schrieb, dass du krank bist?“

Ja, wo ist der Brief?

Nach längerem Umhersuchen findet er sich friedlich im Ausschlag eines Überrockärmels. Briefe, die ihn nicht erreichten!

Aber das macht ja nichts. Ich summe jetzt ganz lustig das Potpourri aus der „Fledermaus“ mit.

Ja, ja: „Glücklich ist, wer vergisst — Was nicht mehr zu ändern ist.“

Der Nachmittag schreitet vor, der Abend kommt, bald ist ein Tag vorbei.

Nachdem ich noch etwa anderthalb Stunden mit Lotte Zettelschreiben gespielt, nachdem das kärgliche Abendbrot mit möglichstem Humor von uns eingenommen ist, gedenke ich nach des Tages Last und Hitze einen langen Schlaf zu tun. Aber das Geschick ist gegen mich — noch warten weitere Überraschungen meiner.

Mit dem üblichen Grinsen und wohl der vorgerückten Abendstunde wegen wieder in Filzpantoffeln, überreicht mir Martha einen Zettel von märchenhaften Dimensionen. „Ausgaben von Ottilien“, bemerkt sie erklärend. Ich sehe, staune und lese:

Ausgaben von Ottilie, den 14ten

 

Grienes……………………………….. Mk. —,50

Salz …………………………………………..   — ,30

Dischbuhter ………………………………  1,80

Trinkgeld………………………………….  —.20

Zwiebeln…………………………………… —,40

Kohl        …………………………………….. -.60

2 Pfund Rindfleisch ….                       3.—

Trinkgeld…………………………………. —,30

Rollen     …………………………………..  —.40

Kleine Ausgaben………………………. 1,25

 

Suhma Mk. 8,75

O, dieses Mädchen! Denkt sie etwa, ich bin geistig ebenso heruntergekommen wie körperlich, dass ich diese offenkundigen „Marktgroschen“ nicht merke! Nein, nein, und wenn ich noch kränker wäre, dumm machen lasse ich mich nicht.

„Sage Ottilie, ich bezahlte ihr keinen Pfennig hiervon, eh‘ ich nicht geprüft habe, was an dieser Berechnung falsch und was richtig ist“, herrsche ich Martha an. Sie verschwindet mit dem Zettel. Nach einer Weile erscheint sie wieder, angstbleich und zitternd. „Ach, gnä‘ Frau, nu‘ hat die Ottilie ihre Zufälle!“ Ottilies „Zufälle“ kenne ich. Sie sind, wie sie selber sagt, „historisch“ und bestehen in der Hauptsache darin, dass sie sich auf den Fußboden setzt und laut schreit.

Ich bleibe also ungerührt davon. Nicht so mein unglücklicher Mann, der in diesem kritischen Augenblick die Entreetür von außen öffnet und die Bescherung in der Küche mit ansieht.

Was wird er tun? Er ist so leicht heftig. Er wird sie doch nicht ohrfeigen? Aber nein, nein, er hat es mir ja vorhin erst versichert, er weiß ja mit Dienstboten umzugehen, besser als ich. So versuche ich mich selbst zu beruhigen, während ich angestrengt horche, was draußen vorgeht. Ein großer Disput scheint es zu sein — Stimmengewirr, in dem Ottilies hoher Diskant die Oberhand behält, wohl fünf bis zehn Minuten lang. Dann fällt mit ungeheurem Krach eine Tür ins Schloss.

Totenstille hinterher.

Vorsichtig öffnet jetzt jemand unsre Schlafstubentür. Vorsichtig schleicht jemand ins Zimmer.

Mein Mann!

Ein Bild des schlechten Gewissens, sinkt er auf einen Stuhl. „Sie ist fort!“ verkündet er schuldbewusst.

Wer?“ „Wer? Na, die Köchin!“ Ich fahre hoch. „Aber um Himmels willen, wie ist denn das gekommen?“

„Ja, sieh mal, ich bin wirklich ganz ruhig geblieben, erst habe ich ihr freundlich das verdorbene Mittagessen unter die Nase gerieben, dann mit wahrhaft christlicher Milde den Spektakel mit dem Burschen vormittags in der Küche, und da ich den unglaublichen Ausgabenzettel gerade auf dem Küchentisch fand, benutzte ich die Gelegenheit, ihr auch hierüber noch meine Meinung zu sagen. Alles ganz ruhig und sachlich. Aber mit der Person ist ja absolut nicht vernünftig zu reden. Die ganze Zeit hat sie sich benommen wie eine Verrückte, und als ich dann zu sprechen aufgehört habe, ist sie mit gerungenen Händen in der Küche umhergerast und hat geschrien, was ihre armen Eltern wohl dazu sagen würden, wenn sie wüssten, wie’s ihr geht‘! Dann ist sie in ihr Zimmer gerannt und hat mir die Tür vor der Nase zugeschlagen. Ich habe eine Weile gewartet, da erschien sie mit Hut und Jackett und hat mir erklärt, sie verließe den Dienst jetzt sofort — ohne Kündigung —. das Recht dazu hätte sie, denn —“ Er zögert sichtlich, fortzufahren.

„Nun, sag‘ doch, was denn?“ „Ja“ — er wischt sich mit dem Tuch über die Stirn — „Denn sie wäre ein ‚besseres Mädchen‘ und hätte es nicht nötig, in einem Hause zu dienen, wo die Frau den ganzen Tag im Bette bleibt und sich um nichts kümmert, und der Mann seine Nase in alles steckt!“ — Lieber Leser, ich fühle mich krank, sehr krank, kränker denn je, aber trotzdem, morgen stehe ich auf, denn sicher, es ist nicht gut, wenn die Hausfrau krank im Bette liegt.

Ende

Für alle, die den Stil mögen: Else Ritte war das Pseudonym von Else von Steinkeller – von ihr haben wir letztes Jahr schon diese heitere Sommergeschichte als Fortsetzungsroman veröffentlicht.

Empfohlene Artikel

Kommentieren