Prinz Heinrich Fahrt 1911 – England gegen Deutschland: Ein freundschaftliches Finale
„Die Prinz Heinrich Fahrt 1911 ist kein internationaler Wettbewerb, sondern eine freundschaftliche Gesellschaftsfahrt des Kaiserlichen Automobil Clubs und des Royal Automobile-Club of Britain.“
lautet der erste Satz der Original-Tourbroschüre mit Satzung, Programm, Streckenverlauf und Teilnehmerliste. Gefunden in einem wunderbaren Zeitdokument, das mir der Zufall in die Hände spielte. Dieter Dressel hatte mir ein Bekannter als Kontakt zur Prinz-Heinrich Fahrt empfohlen. Als Oldtimer-Experte und Betreiber des Museums „Central Garage“ kennt er sich mit der Geschichte der Prinz-Heinrich-Fahrt bestens aus. Er erzählte mir von einem einzigartigen Dokument, dass er bei einer Auktion erstanden hatte – ein Tagebuch eines Teilnehmers der letzten Prinz-Heinrich-Fahrt 1911. Wow!
Sehr froh war ich (da der Kontakt während Lockdown Zeiten stattfand), dass es dieses Dokument auch in digitaler Form gab. Obwohl ich mich darauf freue, vielleicht auch irgendwann einmal im Original (vorsichtig!) zu blättern…
Das Tagebuch hat Hauptmann Eberhard aus Wiesbaden angelegt. Es ist ein Sammelsurium aus offiziellen Schreiben, Dokumenten, Fotos, tagebuchartigen Notizen während der Tour und persönlichen Erinnerungsstücken, die uns einen tiefen Einblick in diese letzte Prinz Heinrich Fahrt und ihren Verlauf vermittelt. Ein Glück für uns, dass Eberhard ein akribischer Mensch war und all diese Dokumente sorgfältig aufbewahrte – irgendwie auch typisch deutsch eben!
Die Fahrt ist gleichzeitig ein Ausdruck freundschaftlicher deutsch-englischer Beziehungen. Denn die Tour wurde vom deutschen „Kaiserlichen Automobil-Club“ und vom englischen „Royale Automobile-Club of Great Britain“ gemeinsam organisiert. Entsprechend begann sie in Deutschland, wie in den Jahren davor und wurde in diesem Jahr in London beschlossen. In England fand auch der größere Teil der Fahrt statt. Warum diese letzte Fahrt nicht, wie in den vorhergehenden Jahren, als Rennen ausgetragen wurde, erfahrt Ihr in diesem Bericht zur Fahrt von 1908-1910. Es gab aber trotzdem Preise, Pokale, Plaketten und einen Landes-Gewinner – der erst zum Schluss verraten wird.
Organisation & Vorbereitung
Und da das Tagebuch so schön chronologisch angelegt ist, begleiten wir doch Hauptmann Eberhard auf der Prinz-Heinrich Fahrt! Zunächst konnten sich die Teilnehmer zu dieser Fahrt „melden“. Denn jede Wagenbesatzung bestand aus mindestens drei Personen: einem Fahrer (das war der Besitzer), einem Chauffeur oder Beifahrer und einem Unparteiischen. Unser Hauptmann meldete sich als Unparteiischer. Was die Frauen anging, so hieß es in der Satzung: „Damen werden nur als Passagiere zugelassen, jedoch nicht als Fahrer.“ Schade eigentlich! 1908 durften Lilly Sternberg und einige andere Damen noch als Fahrerinnen dabei sein.
Wie in den vorhergehenden Jahren mußten die teilnehmenden Fahrzeuge Tourenfahrzeuge und mit folgenden technischer Ausstattung ausgerüstet sein:
einem genügendem Schalldämpfer, zwei voneinander unabhängigen Bremsen, zwei jederzeit gebrauchsfähigen Seitenlampen, einer „rückwärts am Wagen angebrachten Lampe“ (in England mit rotem Licht) sowie einem Windschirm, völlig durchgehenden Wetterschutz (für offene Wagen Klappverdeck) sowie einer eintönigen Hupe (nicht erlaubt waren Sirenen und Auspuffpfeifen) und einem „für den Fahrer sichtbar angebrachten Geschwindigkeitsmesser“.
Hach, das klingt alles noch nach Sport und Abenteuer! Übrigens waren die meisten Wagen offen, denn:
„Geschlossene Wagen können mit Rücksicht auf die Schwierigkeit des Seetransports nur in beschränkter Anzahl zugelassen werden.“
Die von deutscher Seite gestellten Unparteiischen wurden englischen Fahrern zugeordnet und vice versa. Eberhard wurde Unparteiischer im Wagen von Mr. Lionel de Rothschild, wie er in einem Schreiben vom 15. Juni 1911 erfuhr. Lionel Nathan de Rothschild (1882-1942), so sein vollständiger Name gehörte der zweiten Generation der Bankdynastie Rothschild an – nicht nur als Banker und Politiker machte er sich einen Namen, sondern auch als Gartenbauer: Er schuf die Exbury Gardens (Hamshire), die mit einem Bestand von mehr als eine Million Pflanzen heute noch als eine der bedeutendsten Gartenanlagen Englands gilt – und das will etwas heißen! Manche Teilnehmer fuhren selbst, andere ließen einen Chauffeur fahren – so Rothschild, dessen Chauffeur Mr. Boileau samt Fahrzeug Eberhard in diesem Bild festgehalten hat.
Leider ist kein eindeutiges Bild von Eberhard selbst erhalten, aber er könnte auf diesem Bild, was in der Zeitschrift „Die Woche“ erschien, rechts neben dem prominenten Teilnehmer Rothschild zu sehen sein.
In zahlreichen Schreiben wurden die Teilnehmer über den Fahrtverlauf und alle organisatorischen Details informiert – vom den Etiketts zur Gepäckbeförderung (und die Gebühren dafür), die Zimmerbestellung (mit ausgefülltem weißen Formular) und dem Programm während der Fahrt (samt Empfängen in den jeweiligen Stationen der Fahrt).
Teilnahmegebühr, in der Satzung „Nenngeld“ genannt, war ein Betrag von 800 Mk pro Fahrzeugbesatzung – inklusive Schiffstransport. Das war das Jahreseinkommen mancher Arbeiter (und vor allem Arbeiterinnen, die noch weniger verdienten). Aber ein Tourenwagen dieser Größe konnten sich auch nur einigermaßen Betuchte leisten, kostete er doch ab 18.000 Mark aufwärts und deshalb war für die Teilnehmer die „Nenngebühr“ wohl eher kein Problem.
Unterwegs – der Tourverlauf
Los ging es schließlich am 4. Juli – mit einem Empfang aller Teilnehmer in Ritters Park Hotel in Bad Homburg, dazumal das erste Haus am Platze.
Ein schönes Zeitdokument ist die im Album eingeklebte Hotelrechnung, in der für „Übernachtung und Licht“ 7 Mark, Telefon 50 Pfennig und eine Portion Kaffee 1 Mark sowie 2 Frühstück 3 Mark berechnet wurden. Es steht nicht dabei, aber wahrscheinlich logierte er im Ritters Park Hotel – darauf weist die recht stattliche Summe für die Übernachtung hin.
Tatsächlicher Tourstart war dann der folgende Tag – die erste Etappe endete in Köln.
Weiter ging es am Donnerstag, den 6. Juli nach Münster. Im englischen Programm hieß es:
„At Munster, at the end of day’s run, the party will be entertained by the town.“
(Nach dem Rennen werden die Teilnehmer von der Stadt unterhalten).
Und nach diesem (hoffentlich) unterhaltsamen Abend ging es schon weiter nach Bremerhaven – von dort wurden die Automobile mit dem Dampfer „Großer Kurfürst“ nach Southampton verschifft – an Board natürlich auch die Besatzungen als Passagiere.
Insgesamt nahmen 84 Teilnehmer teil, darunter einige illustre Namen: Das waren neben Prinz Heinrich (Startnummer 1), der wie immer persönlich, aber außerhalb der Konkurrenz mitfuhr, Sir Arthur Conan Doyle (Startnummer 52), Verfasser der Sherlock Holmes Romane, The Duke of Connaught (Startnummer 2), Lieblingssohn von Königin Victoria und ihrem Gatten Albert, Engelbert Maria von Arenberg (Startnummer 9), der reichste Grundbesitzer Westfalens, auf dessen 1903 erworbenem Schloss Arenberg ein Empfang für die Teilnehmer stattfand, Fürst Adolf von Schaumburg-Lippe (Startnummer 81), Herrscher des gleichnamigen Bundesstaats sowie der Unternehmer Willy Pöge (Startnummer 37), der als bekannter Rennfahrer 1908 und 1909 undankbarer Zweiter im Wettbewerb geworden war.
Überhaupt waren einige Größen des damaligen Automobilsports dabei, die an allen wichtigen Automobilveranstaltungen der Zeit teilgenommen hatten. So z.B. der ehemalige Homburger Oberbürgermeister Dr. Ernst Ritter von Marx (Startnummer 19), der Mitglied des Organisationskomitees des Gordon Bennett Rennens 1904 und des Kaiserpreis Rennens 1907 war, Dr. jur. James von Bleichröder (Startnummer 15), ebenfalls Mitglied des Gordon-Bennett-Komitees, Mitglied mehrerer Ausschüsse im Kaiserlichen Automobilclub und großer Mäzen des deutschen Automobilsports und Eduard Engler (Startnummer 39), erster Präsident der Frankfurter Automobil Clubs von 1899 (noch heute existent), der mit seiner Frau auf einem BENZ Comfortable im Jahr 1900 von Frankfurt über den St. Gotthard Pass nach Venedig gefahren war (nachzulesen in seinem Buch „100.000 Kilometer am Steuer des Automobils“ aus dem Jahre 1908). Auch er war Teilnehmer der Herkomer sowie Prinz Heinrich Fahrten gewesen und hatte sowohl Gordon Bennett – als auch Kaiserpreis Rennen mit organisiert.
Auf der Passagier-Liste des Doppelschrauben-Postdampfers „Der große Kurfürst“ sind nicht nur alle Passagiere vermerkt, sondern am Schluss auch die Besatzung. Neben dem Kapitän und Offizieren werden genannt: der Proviantmeister (A. Heyer), Oberkoch (K. Höhne) und Gepäckmeister (W. Höftmann). Die Überfahrt dauerte übrigens zwei Tage.
Neben Fotos enthält das Album auch Zeitungsartikel und -bilder. Viel wurde über den Namensgeber und Teilnehmer (der seinen Wagen übrigens selbst fuhr und anscheinend sogar reparierte) Prinz Heinrich berichtet – auch Eberhard fotografierte ihn öfters „in Aktion“. Gemahlin Prinz Heinrich (so sagte man damals tatsächlich), geborene Irene von Hessen-Darmstadt, war übrigens mit von der Partie – ob sie auch im Automobil dabei war?
Bevor die Fahrt in Southampton weiterging, startete man erstmal mit einer Party – dieses Mal in Beaulieu Abbey, vom gleichnamigen Lord gegeben. Der persönliche Moment, von Hauptmann Eberhard festgelegten: wie der Aviatiker Drexel die Gesellschaft überfliegt und alle nach oben schauen.
Die Strecke führte durch Oxford, mit einer Frühstücksrast – Prinz Heinrich besichtigte noch schnell die damals schon renommierte Universität. Weiter ging es nach Stratford-upon-Avon, der Shakespeare-Stadt, zum Anwesen Welbeck Abbey. Und damit den Herrschaften die Fahrt nicht zu langweilig wurde, gab es dort -wieder einmal- eine Party!
In den gesammelten eingeklebten englischen Zeitungsausschnitten ist „Prince Henry“ übrigens gleichfalls der Star – vor allem über ihn wird im Rahmen der Fahrt berichtet.
In Harrogate, der nächsten Übernachtungsstation gibt es ein „Table d’hôte“ Breakfast – typisch englisch! Mit Speck und Schinken, verschieden zubereiteten Eiern, Porridge, Würstchen, gegrillten Nieren und gebratenem Reis – so auf der Karte aufgezählt. „Table d’hôte“ war eine große Tafel, an der alle Gäste zusammen aßen – aufmerksamen Lesern ist der Begriff schon von damaligen Hotelbeschreibungen bekannt, z.B. in diesem Artikel.
Im Album finden sich diverse Bilder von Schlössern und herrschaftlichen Anwesen, die auf der Fahrt wohl passiert wurden – auch wenn nicht überall Parties stattfanden. Von der Übernachtung in Newcastle im Station Hotel ist eine Speisekarte (dieses Mal vom Dinner) und eine Art Quartierkarte Zeuge – mit denen die Teilnehmer auf die Hotels aufgeteilt wurden – davon zeugen weitere aufbewahrte Karten mit anderen Hotelnamen.
In Newcastle-Upont-Tyne fand im Pavillon-Theater eine besondere „Royal Gala Performance“ statt – mit „Kinemacolor – lebendige Bilder in natürlicher Farbe“. Das Kino war auf dem Vormarsch! Neben Musikaufführungen wurden auf dieser Gala Filme von der Enthüllung des Denkmals der Königin Victoria und der Königskrönung in London gezeigt (die Enthüllung hatte im Mai, die Krönung im Juni stattgefunden.
Edinburgh war die erste Station in Schottland – im Album sind viele Aufnahmen von der Umgebung zu finden – Hauptmann Eberhard faszinierte diese Landschaft wohl!
Federball wurde nicht gespielt in Badminton, dem Anwesen von Lord und Lady Beaufort, aber richtig, das Anwesen ist Namensgeber für die englische Bezeichnung, wurde doch dort 1873 dieser Sport zum ersten Mal betrieben und deshalb danach benannt. Die Wurzeln dieses Sports reichen allerdings bis ins alte Griechenland zurück…
Unser Hauptmann klebte ein mit einer extra-Folie geschütztes Foto auf die Seite mit der Bemerkung „geschenkt von der Tochter des Hauses Lady Somerset“. Ob es ein Flirt oder sogar mehr war? Also, der Hauptmann war verheiratet…
Die Aufnahme zeigt übrigens nicht Lady Somerset, sondern (recht unspektakulär) von der Ferne aufgenommene Parforce-Reiter.
Finale und Preisverleihung
Die Fahrt näherte sich ihrem Ende – am Schluß wurden diverse Pokale verteilt, gestiftet von Prinz Heinrich, dem König und der Königin von England sowie Kaiser Wilhelm II. und natürlich auch als Zeitungsbilder im Album festgehalten. Auch die Plaketten, die alle Teilnehmer zum Andenken bekamen!
Bevor die Besatzungen in ihren Fahrzeugen in London einfuhren, gab es, nein dieses Mal kein Diner, sondern einen Ball! Ausgerichtet von „Mrs. & Mr. Harvey Du Cros“. Eine Frage, die sich mir aufdrängt – ein Ball nur mit Männern? Wahrscheinlich wurden Damen aus der Gesellschaft dazu eingeladen.
Apropos Damen, die hatten (wenigstens) dann doch noch eine Funktion – sie durften die schönsten Wagen der deutschen und der englischen Mannschaft wählen.
Wer nach Punktewertung am Ende gewann? Das finden wir ausnahmsweise nicht in seinen Aufzeichnungen – vielleicht aus gutem Grund: England! Das war die Mannschaft mit weniger Strafpunkten.
Mit einem Begleitschreiben zur Plakette vom Kaiserlichen Automobilklub und einem Dankschreiben aus England für die Fotos endet das Tagebuch-Album!
Wie Hauptmann Eberhards weiteres Leben verlief, wissen wir nicht. Ob er im 1. Weltkrieg fiel oder überlebte, ob er mit seiner Frau Kinder bekam, in Wiesbaden blieb oder wegzog? In jedem Fall hat er uns einen lebendigen Eindruck von der letzten Prinz-Heinrich-Fahrt vermittelt – danke dafür! Ein weiterer Dank geht an Dieter Dressel für seine Unterstützung bei diesem Artikel.
sehr interessant! nur drei Jahren vorher hatte der Henry Ford in Detroit sein Model T prasentiert.
The rest is history…
aus Winnipeg, Kanada
Vielen Dank der Redaktion