Was geschah im Mai 1911?

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Ein Familienbesuch bei dem ein Denkmal enthüllt wird – Wilhelm II. in England

Und zwar nicht irgendein Denkmal, sondern ein Denkmal für die eigene Großmutter, Königin Victoria  (1819-1901) — mehr als 60 Jahre amtierende britische Königin! 

Aber von vorn:  Für den 15. Mai vermeldet die Woche nüchtern:

„Das Kaiserpaar trifft mit der Prinzessin Victoria Luise in London ein und wird von der englischen Königsfamilie auf der Viktoriastation empfangen.“

Victoria Luise (übrigens nach ihrer gleichnamigen Großmutter und Urgroßmutter benannt), das Nesthäkchen der Familie war mit von der Partie.  Im heiratsfähigen Alter und wahrscheinlich auf der Suche nach einem Freier mit Rang und Namen, machten sich Besuche an anderen bedeutenden europäischen Adelshäusern gut zur Präsentation – zumal es ja Verwandtschaft war.

Denn ihr Vater und der britische König Georg V. waren Cousins. Georg V. war zu dieser Zeit gerade einmal ein Jahr König, nachdem sein Vater Eduard VII. Anfang Mai 1910 gestorben war, hier ein Bericht über einen Besuch seines Vaters in Berlin 1909. Die offizielle Krönungszeremonie  für ihn sollte erst im Juni 1911 stattfinden. 

Der Anlass des Besuches? Natürlich ging es nicht nur um die Einweihung des Denkmals für Königin Victoria, welches übrigens bis heute vor dem Buckingham-Palace steht. Es ging auch darum, die durch die gegenseitige Flottenaufrüstung volantile Beziehung zu pflegen. Das Problem-Thema  wurde allerdings, jedenfalls offiziell, nicht angesprochen und der Besuch als „rein privater Natur“ deklariert – zumindest im kleinen Artikel der Sonntagszeitung dazu. Und so gab es auch keine Probleme, was an manche heutigen Staatsbesuche, die aus dem Austausch braver Höflichkeiten bestehen, erinnert. Entsprechend war auch die Berichterstattung der Woche, die als Höhepunkte des Besuches hervorhob, dass auf allen ihren Ausfahrten durch die Straßen Londons „unseren Monarchen die Ovationen der Menge umbrausten“ und Victoria Luise und Prinzessin Mary „unzertrennlich erschienen“. Zur Einweihung des Denkmals der beim Volk beliebten Königin erschien neben den kaiserlichen und königlichen Hoheiten tatsächlich ganz London.

Ein interessantes Detail noch: auch anwesend bei der Denkmalseinweihung war der damalige Minister des Innern, der es später noch zu einiger Bekanntheit bringen sollte. Sein Name: Winston Churchill. 

Die internationale Hygiene-Ausstellung wird in Dresden eröffnet

Der Artikel in der „Woche“ dazu beginnt überschwänglich: 

„Vor wenigen Tagen ist eine Ausstellung der Öffentlichkeit übergeben worden, die in ihrer Eigenart, Ausdehnung und Vollkommenheit bisher wohl noch nie zustandegekommen ist.“

Und auch nicht so bald wieder zustandekommen sollte – die nächste Gesundheits- bzw. Hygiene-Ausstellung fand 1926 in Düsseldorf statt.
Volksgesundheit und Hygiene waren seit Ende des 19. Jahrhunderts ein großes Thema – und blieben es! Man erkannte, dass viele Krankheiten und Seuchen einer mangelnden Hygiene und ungesunden Lebensbedingungen geschuldet waren. 

Gleichzeitig wuchs die Erkenntnis, dass Aufklärung und Wissen eine wichtige Voraussetzung für eine gesündere Lebensweise waren. Diese wurden in den Volksschulen bis dato nicht unbedingt umfassend vermittelt. 

Bei dieser Ausstellung gelang es, Wissensvermittlung und Freizeitvergnügen zu verbinden. 

Neben der Hauptabteilung „Der Mensch“, in der u.a. durch Nachbildungen plastisch dessen Innenleben gezeigt wurde, gab es Abteilungen zu gesunder Ernährung (im Bild ist z.B. zu sehen, wie die Menge der jährlichen Nahrungsmittel eines Mannes zusammengestellt wurden) und der Wichtigkeit sportlicher Betätigung. 

Ein weiterer Bereich zeigte „die Vorzüge gesundheitlich richtig ausgeführter Wohnungen.“ Auch Hygiene am Arbeitsplatz und im Verkehr wurden thematisiert. Heute wieder sehr aktuell!

Länder wie Russland, Japan, Frankreich, China und Österreich nahmen mit eigenen Pavillons teil. Zum japanischen Aussteller schreibt die „Woche“ im Artikel:

„Der Besucher dieses Pavillons kann sich des Eindruck nicht entziehen, daß hier die Spuren eines mit eiserner Energie und bewundernswerten Fähigkeiten ausgestatteten Volkes in Erscheinung treten, das den europäischen Völkern auch auf dem Gebiet der Gesundheitspflege nicht nur nicht nachsteht, sondern sie in einigen Punkten wohl noch übertroffen hat.“

Initiiert hatte diese Ausstellung der Dresdner Unternehmer Karl August Ligner (1861-1916), der durch die Produktion und erfolgreiche Vermarktung des Mundwassers Odol reich geworden war. Ihm war durch die Beschäftigung mit Themen der Sozialhygiene klar geworden, dass die Verbreitung von Krankheiten vielfach auf Unkenntnis der Bevölkerung beruhte und setzte er einen Teil seines Millionenvermögens für die hygienische Volksbelehrung ein.

Die Ausstellung, die bis Ende Oktober lief, wurde ein voller Erfolg – es kamen über 5 Millionen Besucher nach Dresden und mit den Einnahmen aus Eintrittsgeldern etc. wurde ein Gewinn erwirtschaftet, welcher der Stiftung zur Errichtung eines nationalen Hygiene-Museums zugute kam, das 1912 in Dresden gegründet wurde, zunächst ohne festen Bau. Ligner selbst erlebte die Eröffnung 1930 in einem eigens dafür konzipierten Bau nicht mehr, er starb schon 1916.
Das Hygiene-Museum gibt es bis heute – inzwischen sind die Schwerpunkte andere als Gesundheitsaufklärung – es versteht sich heute als Forum für Wissenschaft, Kunst und Kultur. In der Dauerausstellung zum Thema „Abenteuer Mensch“ werden jedoch die Geschichte des Hauses und seine Ursprünge behandelt.

Ein Friedenszimmer und Blumentage

In diesem Artikel hatte ich festgestellt, dass die Proklamation des deutschen Reiches zu Kaiserzeiten kaum gefeiert wurde. Deshalb erstaunt es, dass ein weiteres Datum in diesem Zusammenhang für mehr Aufmerksamkeit sorgte: Am 10. Mai 1871 wurde in Frankfurt/ Main durch Bismarck und den französischen Ministern Favre formal der Frieden zwischen Frankreich und Deutschland geschlossen. Und zwar im dortigen Hotel „Zum Schwan“. Bismarck hatte Frankfurt gewählt, weil er mit der 1866 von Preußen annektierten freien Stadt auf Versöhnung hoffte – der Plan ging auf.  Im Bild aus der Sonntagszeitung wird das Hotelzimmer gezeigt.

Seither wurde es nicht mehr vermietet und war als „Friedenszimmer“ bis zur Zerstörung des Gebäudes 1944 zu besichtigen. Die Einrichtung konnte jedoch gerettet werden und ist heute im Bestand des Historischen Museums Frankfurt einige Möbelstücke kann man dort in einer Vitrine anschauen.

Fast erstaunlich, aber tatsächlich war der 10. Mai gleichzeitig der Anlass für Blumentage, zu denen es in der Woche heißt:

Blumentage sind jetzt bei uns überaus modern. In fast allen großen deutschen Städten wurden in diesen Tagen von hübschen Damen zahlreiche Blumen zum Besten der Armen verkauft. Am 10. Mai, dem vierzigsten Jahrestage des Frankfurter Friedens, fand eine ganze Reihe solcher Blumentage statt. In München und Bremen wurden Margueriten verkauft, in Wiesbaden Kornblumen. Und überall wurden Zehntausende von Blumen verkauft und große Summen zu wohltätigen Zwecken gelöst.

Nicht alle fanden an diesem Tag statt, die meisten aber in den Monaten Mai und Juni. Bei den Blumentagen wurden Kunstblumen gegen eine Spende verteilt oder Getränke und Speisen verkauft. Entsprechende Stände und auch die verteilenden Mädchen und Frauen waren mit den Blumen, oft Margeriten oder Kornblumen geschmückt. In manchen Städten gab es auch Korsos mit geschmückten Kutschen. 

Kritik gab es auch: die Gewerkschaften kritisierten, durch die billigen in Heimarbeit hergestellten Kunstblumen würden die niedrigen Löhne der Heimarbeiterinnen noch weiter gedrückt (aber sie bescherten ihnen ja auch zusätzlichen Absatz?), Bürgerliche meinten, das Blumen verteilen durch junge Mädchen stelle eine sittliche Gefährdung dar (ach wirklich?) und Kurt Tucholsky meinte, durch diese gönnerhaften Gesten des Bürgertums werde der Handlungsbedarf der Regierung kaschiert (aber diese handelte ja nun mal nicht genügend…). 

In jedem Fall wurde durch den Blumenverkauf soziale Einrichtungen, meist  zur Kinderkranken- und Säuglingspflege unterstützt und deshalb meine ich, dass es Schlimmeres gibt, als gegen eine Spende Blumen zu verteilen.

Elsaß-Lothringen bekommt eine Verfassung

Elsaß und Lothringen mussten von Frankreich im Zuge des deutsch-französischen Krieges 1870/71 von Frankreich an Deutschland abgetreten werden. Davor hatte das Gebiet in seiner wechselvollen Geschichte sowohl unter deutscher als auch französischer Herrschaft gestanden.

Reichsland Elsaß-Lothringen, so seine offizielle Bezeichnung im Kaiserreich, hatte in vielerlei Hinsicht einen Sonderstatus. Es war zunächst unmittelbar dem Kaiser unterstellt – der 1879 seine Befugnisse allerdings auf einen Statthalter übertrug. Als Reichsland war es im Reichstag und Bundesrat zunächst nicht vertreten. Erst 1874 trat hier die Reichsverfassung in Kraft, die es den Bewohnern ermöglichte, den deutschen Reichstag zu wählen.

Ziel der Änderungen 1911 sollte sein, Elsaß-Lothringen trotz seiner Besonderheiten in seinem Status den anderen Bundesländern anzunähern. Mit einer eigenen Verfassung sollte es drei Stimmen im Bundesrat erhalten sowie eine frei gewählte Volksvertretung, welche den bis dato herrschenden Landesausschuß, der offiziell von Berlin eingesetzt worden war, ersetzen sollte. So geschah es auch, aus dem Ausschuß wurde ein Landtag (der im gleichen Gebäude tagte).

Puh, das klingt alles sehr theoretisch, ist aber die kurze Version der Erklärung. Die ganz kurze ist: es ging auch um mehr Mitbestimmung seitens der Elsaß-Lothringer. 

Am Ende (genauer gesagt am 26.5.) stimmte der Reichstag mit 211 gegen 93 Stimmen für eine eigene Verfassung,  die drei Stimmen im Bundesrat und für ein neues Wahlgesetz, welches 

„der Bevölkerung von Elsaß-Lothringen das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht zuer(kannte), wie es auch für die Reichstagswahlen besteht“.

Der süffisante Zusatz des Artikels in der Sonntagszeitung lautete: 

„während sich im preußischen Abgeordnetenhause keine Mehrheit für die Einführung desselben Wahlrechts für Preußen fand“. 

Das Königreich (Land) Preußen besaß neben Sachsen eines der rückschrittlichsten Wahlrechte, Dreiklassenwahlrecht genannt (hier mehr dazu), welches bis zum Ende der Monarchie 1918 so bestand. 

Aus dem Frauenleben:

Skandinavien schreitet weiter voran – mit dem 1. weiblichen Sergeant!

Ja, Meldungen über Fortschritte im beruflichen Frauenleben kommen 1911 oft aus Skandinavien – dieses Mal aus Dänemark. In der Sonntagszeitung, die gerne weibliche Pionierinnen vorstellt, heißt es dazu: 

„Dänemark, wo die Frauenbewegung bisher immer Förderung fand, hat nun auch die Gleichberechtigung der Frau mit den Exekutivbeamten der Polizei anerkannt. In Aalborg, einer Stadt auf der dänischen Halbinsel Jütland, wurde kürzlich ein Fräulein Teilmann-Ibsen als Polizeisergeant angestellt.“

Fräulein Teilmann-Ibsen sieht auf jeden Fall so aus, als ob sie dieser Herausforderung gewachsen wäre!

Der Tango – ein neuer Tanz erobert die Gesellschaft

Hier lassen wir die Bilder sprechen, zumal es zu ihnen auch nur diesen kurzen Text zu den Bildern aus der „Woche“ gibt: „Der neuste Modetanz „Tango Argentino“ verdankt in Paris seinen großen Erfolg der berühmten Primaballerina Fräulein Napierskowska, die ihn mit Temperament vorführt.“

Dem ist nichts hinzuzufügen – außer dass Stacia Napierskowska (1891-1945)  später auch als erfolgreiche Schauspielerin in zahlreichen Stummfilmen zu sehen war.

Inzwischen ist draußen alles im Grünen und Blühen. Genießt den Wonnemonat Mai, feiert Euren persönlichen Blumentag, ob mit Margeriten oder Kornblumen, tut jemanden etwas Gutes und denkt mal an Eure Großmutter – Ihr müsst Ihr ja nicht gleich ein Denkmal vor dem Buckingham-Palace setzen!

In diesem Sinne bedanke ich mich für Eure Lesetreue – stay tuned! 

Eure Grete 

Was im Mai 1908 und im Mai 1909 geschah, erfahrt Ihr unter diesen Links.

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