Was geschah im 2. Halbjahr 1911? Teil 3

 In 1911, Alltagsleben, Unkategorisiert, Was geschah vor 110 Jahren, Zeitgeschehen

Diese Links führen Euch zum 1. Teil und zum 2. Teil des Artikels.

Aus Adelskreisen:

Hochzeit Zita und Erzherzog Karl Franz Josef

In der Juni-Ausgabe hatten wir über die Verlobung des Paares berichtet, im Oktober fand dann die Hochzeit statt. In der „Woche“ ist die Meldung dazu zum Tag 21. Oktober kurz und bündig: Nachdem berichtet wurde, dass die chilenische Regierung 7000 Mann an die peruanische Grenze gesendet habe und der Kaiser von seiner Rheinreise zurück sei, heißt es:

„Auf Schloß Parma in Schwarzau findet die Vermählung des Erzherzogs Karl Franz Josef mit der Prinzessin Zita von Bourbon-Parma statt.“

Zita war auf Schloss Schwarzau in Niederösterreich aufgewachsen – ihr Vater, Herzog Robert I. von Parma (1848-1907), war der letzte Regent von Parma, allerdings eher theoretisch – er war sechs Jahre alt, als sein Vater starb und seine Mutter, Prinzessin Louise Marie Therese von Frankreich, das Regieren übernahm. Obwohl sie als Regentin recht populär beim Volk war, konnte sie den Sturz der Dynastie nicht verhindern. Das Herzogtum ging 1861 im neuen Nationalstaat Italien auf. Herzog Robert hatte nie Regierungsverantwortung gehabt. „Er lebte fern von aller Politik nur künstlerischen und wissenschaftlichen Interessen“ heißt es in einem Artikel zum adeligen Hintergrund der Braut. Mit zwei Frauen hatte er insgesamt 24 Kinder, Zita hatte also 11 Geschwister und 12 Halbgeschwister, von letzteren waren schon drei verstorben und einige geistig oder körperlich behindert – die erste Frau ihres Vaters, Prinzessin Pia von Neapel-Sizilien, war seine Cousine 2. Grades, also sehr nah verwandt…

Erzherzog Karl I., der spätere letzte Kaiser, war ein Sohn von Erzherzog Otto und seiner Frau Maria Josepha von Sachsen (hier wird die Geschichte des Königreichs Sachsens erzählt). Josepha war eine Schwester von König Friedrich August III. Der eigentliche Thronanwärter Erzherzog Franz Ferdinand, der mit seiner Frau 1914 in Sarajewo ermordet wurde, war der ältere Bruder seines Vaters. Da er die Bürgerliche Sophie Chotek geheiratet hatte, die später den Titel „Herzogin von Hohenberg“ bekam (hier mehr dazu), waren seine eigenen Kinder nicht erbberechtigt und deshalb rückte Karl an die zweite Stelle der Thronfolge hinter seinem Onkel. 

Auf den Bildern wird, neben der Hochzeitsgesellschaft, das Geschenk des Kaisers von Österreich, gezeigt: ein Brillanten-Diadem. Tja, der Kaiser wusste Bescheid (wahrscheinlich schon von seiner verstorbenen Frau Elisabeth): Diamonds are girls best friends! Außerdem wurden „Toiletten aus dem Trousseau der Braut“ gezeigt – ob sie alle gezeigten während der Hochzeit trug? Trousseau war der vornehme Ausdruck für Aussteuer. 

Wie sollte die Zukunft für das Paar aussehen? 

Als Kaiser Franz Joseph 1916 starb, wurde Karl als Kaiser Karl I. sein Nachfolger – auch als König von Ungarn. Seine Bemühungen um Schadensbegrenzung und einen vorzeitigen Frieden im 1. Weltkrieg waren nicht von Erfolg gekrönt. Innenpolitisch stieß er verschiedene soziale Reformen und Gesetze an, dies allerdings auch nicht ganz uneigennützig. Das Volk war vom Krieg gebeutelt und sollte so für eine weitere Herrschaft der Monarchie günstig gestimmt werden. Was nicht funktionierte. Auch Karl musste, wie sein deutscher Kaiserkollege Wilhelm II. im November 1918 abdanken. Insbesondere angetrieben von seiner Gattin Zita, stellte er die Abdankung nachträglich als temporären Rückzug da. Zita wollte die Abdankung nicht akzeptieren, da die Monarchie von Gott eingesetzt sei und ein Herrscher niemals seine Herrscherrechte verlieren könne. 

Da Karl nach wie vor einen Führungsanspruch geltend machte, wollte die nunmehrige Landesregierung ihn nicht mehr im Lande haben. 1919 stimmte die ehemals kaiserliche Familie zu, ins Exil zu gehen. Dort lebten Karl und Zita mit ihren sechs Kindern zunächst in der Schweiz und später auf der Insel Madeira – Karl starb dort 34-jährig 1923 an einer Lungenentzündung. Später wurde er von der katholischen Kirche selig gesprochen. Seine Frau Zita überlebte ihn um viele Jahre, durfte Anfang der 80er Jahre nach Wien zurück zurückkehren (obwohl sie keine Verzichtserklärung auf den Thron abgegeben hatte, aber formal als Ehefrau auch keine Nachfolgerin werden konnte) und wurde nach ihrem Tod 1989 feierlich in der Wiener Kapuzinergruft beigesetzt. Ihr Mann ist auf Madeira begraben. 

Die letzte Schwester unter der Haube: Hochzeit im kleinen Fürstentum Reuß älterer Linie

„Die letzte ledige Prinzessin Ida hat sich mit dem Prinzen Christoph Martin zu Stolberg-Roßla vermählt“ wird zum Gruppenbild mit der Dame berichtet. Die anderen Schwestern Emma, Marie und Hermine waren bereits „unter der Haube“, Schwester Caroline bereits verstorben. Ihre Schwester Hermine sollte später die zweite Frau des deutschen Kaisers werden.
In diesem Artikel habe ich die Geschichte des kleinsten Bundesstaates erzählt.

Was sonst noch passierte

Achtung Erdbeben! 

Am 16. November bebt die Erde – und zwar in ganz Mitteleuropa: von den Alpen bis nach Wien, von Konstanz bis nach Magdeburg. Es wird als das bislang stärkste für Mitteleuropa beschrieben – als das Jahr des letzten bedeutenden wird das im März des Jahres 1872 genannt, welches im Vergleich schwächer war. 

Alle Zeitungen berichten darüber und natürlich gibt es Fotos von den Gebäudeschäden, insbesondere aus Konstanz, aber auch anderen Städten. Gesteinsbrocken fielen auf die Straße, Dächer wurden beschädigt und Schornsteine stürzten herab. In einem Artikel der Woche wird ausführlicher über Erdbeben in Europa und deren Ursachen berichtet. 

In Deutschland werden einige Gebiete genannt, die anfälliger für Erdbeben sind bzw. in denen öfter mal schwächere Erdbeben vorkommen. Das gilt übrigens bis zur heutigen Zeit, insbesondere für die ersten drei genannten Gebiete: Das Vogtland, Groß-Gerau in Hessen und die Gegend von Herzogenrath bei Aachen. Im Text werden weitere nicht näher spezifizierte „Schüttergebiete“ in der Pfalz, im badischen Oberland, im Bereich des Schwarzwalds und der Vogesen, sowie in den angrenzenden „Stufenlandschaften Württembergs und Lothringen (letztere damals zum deutschen Reich gehörend), genannt.
Dieses (wie die meisten) Erdbeben dauerte nur wenige Sekunden, es passierte am Abend kurz vor 22:30 Uhr, zu den Reaktionen heißt es: „Das völlig unerwartete Ereignis, dazu die späte Stunde, die die Bewohner zum Teil im Schlaf, manche in Versammlungen und in Theatern sah, erhöhte die nachhaltige Wirkung des Erdbebens auf die Gemüter ungemein!

Tja, der Schreck wäre zu vermeiden gewesen, hätten alle, die daheim Haustiere (oder auch Nutztiere) haben, mal auf diese geachtet. Tiere haben nämlich feinere Antennen für solche Vorgänge, im Artikel heißt es dazu:

„Die wesentlich empfindlicheren Haustiere zeigten vielfach vor dem Beginn des Bebens merkliche Unruhe…“

Das steht sinngemäß auch in einem Augenzeugen-Bericht zum Erdbeben in Messina, wobei das deutsche im Vergleich zu diesem Erdbeben mit schrecklichen Zerstörungen und vielen Toten dann wiederum wirklich harmlos war. Im Messina-Bericht wird von Haustieren (auch ungewollten Bewohnern wie Ratten) berichtet, die vor den Erdstößen das Haus verließen und die Flucht ins Freie ergriffen, hier nachzulesen. 

Gleichfalls wird von „vereinzelten Lichterscheinungen“ rund um die Zeit des Bebens berichtet, „die man vielleicht doch nicht nur als Selbsttäuschungen oder zufällige Erscheinungen ansprechen darf“. Erdbebenlichter (oder -leuchten) heißen  solche meist bläuliche Erscheinungen, die schon seit der Antike beobachtet wurden – das steht nicht im Text, sondern das habe ich kurz gegoogelt. 

Die Stärke von 6,1 wurde laut einer gleichfalls im Netz gefundenen Tabelle bis heute nicht wieder erreicht, auch die territoriale Ausbreitung des Bebens von 1911.

Ganz kurz noch mein eigenes Erdbebenerlebnis: Auf einer Reise in Mittelasien, abends in der Oper in Taschkent. Plötzlich ging ein Rütteln durch die Sitzreihen, so ähnlich als wenn man in einer älteren Straßenbahn sitzend um die Kurve fährt. Fast alle Opernbesucher stürmten danach schreiend heraus, nur wir (also die Reisegruppe) und ein paar wenige andere blieben verdutzt sitzen. Ein Herr erschien auf der Bühne und versuchte uns verbliebenen Besucher auf russisch zu beruhigen. Als wir nach oben schauten, bemerkten meine Mama und ich, dass wir direkt unter dem riesigen Kronleuchter saßen. Er hatte zum Glück gehalten…Nach ein paar Minuten wurde weitergespielt und wir sahen die Vorstellung, Carmen auf russisch, zu Ende, etwas nervös zugegebenermaßen. 

Die Erklärung für die Panik der Besucher: in Taschkent hatte es 1966 (was allerdings damals auch schon eine Weile her war) ein großes Erdbeben gegeben, bei dem große Teile der Stadt zerstört wurden. Leichtere Erdbeben kommen in Usbekistan und rund um das Gebiet von Taschkent wohl öfter mal vor. Und eben auch in bestimmten Gebieten in Deutschland…

Spieglein, Spieglein an der Wand…

wer ist die Schönste aus Folkstone und Rom? Die Woche berichtet im 2. Halbjahr mehrfach von Schönheitskonkurrenzen.

Die kecke Dame auf dem Pferd, Miß Viola Hamilton, wie der Untertitel verrät, wurde Siegerin im englischen Folkestone und sieht mit ihrem selbstbewußten Lächeln schon wie ein Ausblick in die 20er Jahre aus! Von der Frisur bis zum Badeanzug, der auf dem Bild unseren heutigen schon recht ähnlich ist. Meist waren die zweiteiligen Anzüge noch umfangreicher und mit mehr Stoff, wie man in der Sommerausgabe sehen kann. Von der römischen Konkurrenz sind mehrere Bilder der „entsandten Konkurrentinnen aus den verschiedenen Stadtteilen zu sehen. Ida, Giulia, Maria und Palmira sind klassische Schönheiten – welche dann gewonnen hat, wird im Text nicht verraten. Mein Favorit wäre Palmira aus Trastevere…

Zu guter Letzt: Die Flugdroschke kommt

…dachte man damals. Im kurzen Text der „Woche“ zum Bild heißt es:

Der neue Aeroplan des Pariser Millionärs Deutsch de la Meurthe ist das erste Flugzeug, das eine geschlossene Kabine enthält, also das erste Exemplar der Flugdroschke, die vielleicht im Luftverkehr eine große Rolle spielen wird. 

Inzwischen gibt es Überschallflugzeuge, Drohnen und Weltraumflüge für Touristen. Aber Flugdroschken? Immer noch nicht! Jedenfalls keine, die im öffentlichen Verkehr eine Rolle spielen.

Droschke war übrigens das Synonym für Taxi, abgeleitet von der Pferdedroschke. 

Auf der anderen Seite gibt es natürlich heute doch Flugdroschken – es sind aber eher Omnibusse oder Ozeandampfer, um mit dem damaligen Vokabular zu sprechen. Im Grunde war ja die Idee ein Anfang, mehrere Passagiere mit einem Flugzeug zu befördern. Bis dahin sollte es aber noch dauern. Die Passagierluftfahrt startete mit Zeppelinen. Dann kam der 1. Weltkrieg. Danach hatte sich die Flugtechnik weiter entwickelt, es gab viele Flugzeuge – und viele Piloten, die nichts mehr zu tun hatten. Man startete zunächst die Beförderung von Post per Flugzeug. Die Luftpost entstand und ab und zu wurden auch ein paar Passagiere auf den Routen mit befördert  – allerdings ohne jeglichen Komfort. Passagierflüge innerhalb Europas und den USA gab es in größerem Umfang erst ab Mitte der 20er Jahre, in Deutschland durch die 1926 gegründete Lufthansa. In den USA dominierten vier Fluglinien den Markt. 

Da es zu dieser Zeit viele Entwicklungen im Flugverkehr gab, stellte man sich 1911 in der Zukunft Luftfahrzeuge als das dominierende Verkehrselement vor. Allerdings waren Flugtaxis als Verkehrsmittel für kurze Strecken wohl immer zu teuer, alleine schon die Kosten für eine entsprechende Infrastruktur. Heute käme noch dazu, dass sie kein umweltfreundliches Transportmittel wären. Und so wird die Idee der Flugdroschke wohl immer eine Utopie bleiben…auch wenn man sich in manchem Stau eine (eigene) Luftdroschke wünscht! 

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Herzlichst

Eure Grete

 

Hier sind die Links für Teil 1 und Teil 2 dieses Artikels. Unter diesen Links findet Ihr Beiträge, was in den Jahren 1908, 1909 und 1911 geschah.

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