Auf in die Sommerfrische – Reisen per Eisenbahn damals (Teil II)

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Anreise per Eisenbahn

Die Eisenbahn machte es möglich und vergrösserte den Reiseradius beträchtlich! Oft war der Eisenbahnanschluss der Grund, dass Orte wirtschaftlich prosperierten und sich zu touristischen Zielen entwickelten. Gut, landschaftlich schön sollten sie dabei auch noch sein und einige Sehenswürdigkeiten und Zerstreuungen zu bieten haben. Einige Bundesstaaten wie Bayern und Württemberg hatten ihre eigene Bahn, neben privat betriebenen Bahnen gab es damals schon staatliche Bahnen – noch war das Bahnsystem aber nicht einheitlich organisiert, erst nach dem 1. Weltkrieg entstand 1919 die „Deutsche Reichsbahn“.

Verkehrsknotenpunkt Berlin

Ein Verkehrsknotenpunkt war die Hauptstadt Berlin mit ihren verschiedenen Bahnhöfen, die jedoch teilweise durch eine Ringbahn verbunden waren. Der repräsentativste und größte Bahnhof war der 1880 eingeweihte Neubau des Anhalter Bahnhofs, dessen Bahnhofshalle von den Dimensionen doppelt so groß wie die anderen Berliner Bahnhöfe war und gleichzeitig der größte in Deutschland.

Prestigeobjekt Bahnhof

Allerdings nicht lange! Denn jeder wollte den größten haben! Bahnhof natürlich. Im darauffolgenden Wettrennen löste Frankfurt mit seinem 1888 eingeweihten Bahnhofsneubau den Anhalter Bahnhof ab, weitere imposante Bahnhofsneubauten folgten in Dresden (1898), Hamburg (1906), Leipzig (1915) und weiteren Städten. Die neuen Bahnhöfe repräsentierten als Aushängeschilder ihrer Städte Wohlstand und Macht.

Der Zug war mit Abstand das beliebteste Verkehrsmittel für die Reise in die Sommerfrische. Für lange Strecken gab es auch wenige Alternativen!

Rund um die Ferienzeit waren die Bahnhöfe und Züge überfüllt – wie heute!

Reiseerlebnisse bei Hans Fallada

Wer nachlesen möchte, wie solch eine Zugreise einer gutbürgerlichen Familie verlief, kann das in Hans Falladas Kindheitserinnerungen „Damals bei uns daheim“ tun:  Sehr detailreich und lustig erzählt er von den Schwierigkeiten, zum Abreisetag eine Gepäckdroschke zu bekommen, von dem Durcheinander auf dem überfüllten Stettiner Bahnhof, wie der Vater verzweifelt nach Gepäckträgern Ausschau hält, um danach die schweren Reisekoffer aufzugeben, die Familie in der Zwischenzeit mit viel Handgepäck beladen, ihr reserviertes Abteil sucht, per Zettel gekennzeichnet (und in der Vergangenheit manchmal einfach belegt) und von der Zugfahrt inklusive lustigen und nervigen Mitreisenden und dem vom Bruder heimlich mitgenommenen Hamster, der sich dann im Abteil selbstständig macht…

Am Ende landet man dann übrigens wohlbehalten am Reiseziel – in diesem Fall der Ostsee…Auch wie das sonstige Leben einer bürgerlichen Familie in der Großstadt Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts aussah, lässt sich im Roman sehr unterhaltsam nachlesen.

Badezüge und Fahrzeiten

Zu den Nord- und Ostseebädern gab es regelrechte „Badezüge“. Nicht nur für die Sommerfrische, auch an den Wochenenden entflohen die Städter gerne mal ans Meer. Die Ankunftszeiten korrespondierten dabei mit den jeweiligen Abfahrtszeiten der Dampfer, insbesondere zu den Inseln.

Die Fahrzeiten der Züge sind übrigens vergleichbar mit den heutigen – teilweise waren sie sogar schneller…So brauchte ein Zug von Berlin bis Ahlbeck auf der Insel Usedom nur 3 1/2 Stunden. Hier findet ihr übrigens einen Artikel zur Sommerfrische auf Usedom.

Zugklassen und Ausstattung

Aber wie sah es in den damaligen Zügen aus? Es gab vier Klassen – in der ersten setzte man sich in bequeme rotgepolsterte Plüschsessel, hatte Lämpchen mit Trotteln als Beleuchtung und im Abteil befanden sich nur vier Sitze. Auch die zweite Klasse war noch annehmbar zum Reisen und wohl auch die gebräuchlichste Klasse für die Reise in die Sommerfrische. Man saß zu sechst im Abteil, was etwas einfacher, aber immer noch annehmbar eingerichtet war.

Für die dritte Klasse passt die Bezeichnung „Holzklasse“ gut – man saß auf Holzbänken ohne Abtrennung zwischen den Sitzen. Und in der 4.? Gab es gar nichts, außer einem Abteil. Dort saß man irgendwo auf oder zwischen seinem Gepäck und es ging sehr gedrängt zu. Die letzten beiden Klassen waren für Zugreisen die weitaus meist genutzten, jedoch war die Eisenbahn auch das wichtigste Beförderungsmittel für Pendler und Arbeitssuchende, die vom Land in die Stadt drängten. Toiletten („Aborte“ genannt) und Waschgelegenheiten gab es meist nur in den Waggons der 1. und 2. Klasse – die anderen mußten sich zunächst mit den stillen Örtlichkeiten auf Bahnhöfen behelfen, bevor auch diese Wagen standardmäßig damit ausgerüstet wurden.

Für einzeln reisende Damen gab es spezielle Damenabteile (jedenfalls in der ersten und zweiten Klasse), vornehmer „Damen-Coupes“ genannt.

Reisegepäck musste, abgesehen vom Handgepäck, separat aufgegeben werden und auch bezahlt werden. Es sei denn, man hatte eine Rückfahr- oder Rundreisekarte! Denn, so erzählt der Meergreis in der Kofferglosse, bei dieser 45 Tage gültigen Fahrkarte war 25 Kilogramm Freigepäck dabei.

Seine Zugverbindung suchte man sich vorher im Kursbuch heraus oder ließ sie sich am Bahnhofsschalter heraussuchen.

Von Schnellzügen  und Bahnsteigbillets

Es gab bereits Schnell- und Eilzüge, die bis 100 km/h fuhren und natürlich auch die „Bummelzüge“ für regionale Strecken. Erstere hatten nur Wagen der 1. und 2. Klasse, einen Speisewagen und ggf. Schlafwagen.

Lief man bei der Abreise zum Bahnsteig, musste man die Fahrkarte vorzeigen oder ein Bahnsteigs-Billett lösen.  Dafür gab es schon damals Automaten – wie zeitgenössische Geschichten wie diese erzählen.

Hoffentlich nicht: Familie „Ekel“ als Mitreisende

Saß man dann – endlich- im Abteil und das Handgepäck war verstaut,  begegnete einem hoffentlich nicht „Familie Ekel“, die wir anfangs schon kennenlernten! Denn die benahm sich im Zug so:

Vater Ekel studiert das „Berliner Tageblatt“, liest daraus mit schallender Stimme vor und versperrt mit dem großen Zeitungsbogen jede Aussicht. Mutter Ekel philosophiert: Ach in Innsbruck kommt man zu nichts; am Tage das ewige Herumrennen und abends immer in die Kneipen!“, Fräulein Ekel stopft schmatzend ein Butterbrot, Herr Karl Ekel junior klopft mit Gesinnungsgenossen einen Skat und ruft: Ach was, Aussicht! Fauler Zimmt! Ein Grand mit Vieren ist mir lieber als die schönste Aussicht!“

Im Büchlein gleichen Namens (Die Alpenfahrt der Familie Ekel/ Montanas) aus dieser Zeit wird sie weiter in ihrem Bergurlaub begleitet und auch wenn das eine oder andere Vergehen heute harmlos erscheint, ist eines sicher: Familie Ekel hat Nachfahren und ich bin ihnen während meiner Urlaube auch schon begegnet…Wobei es auch irgendwie beruhigend ist, dass es Rüpel und schlechtes Benehmen zu allen Zeiten gab…

Falls man umsteigen musste, gab es noch die klassischen Wartesäle, heute leider fast verschwunden. Sie waren übrigens gleichfalls nach Klassen aufgeteilt – soviel Ordnung musste sein!

 

Weitere Artikel und Links

Im 1. Teil erfahrt Ihr, welche Reiseziele damals beliebt waren und wie die Reiseplanung und Kofferpacken verliefen. Im III. Teil geht es um weitere damalige Verkehrsmittel, mit denen man sein Urlaubsziel erreichen konnte…

Sommerfrische am Meer:

Sommerfrische in den Bergen:

Sommerfrische in anderen Ländern:

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Falls Ihr schöne historische Hotels für Euren Sommerfrische-Aufenthalt sucht, werdet Ihr in dieser Rubrik fündig.

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Kommentare
  • S. Niedel
    Antworten

    Sehr beeindruckend gemacht.
    Ich bin begeistert!

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